OGH 10ObS191/90

OGH10ObS191/904.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (Arbeitgeber) und Ferdinand Rodinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ruth M***, Pensionistin, 1020 Wien, Obere Donaustraße 97/3/23, vertreten durch Dr. Helmut Meindl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Alterspension (Pensionshöhe), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 1990, GZ 34 Rs 182/89-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Juni 1989, GZ 6 Cgs 73/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

1. den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Antrag, gemäß Art. 140 Abs 1 BVG beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der §§ 238 und 261 ASVG idF der 40. und der 44. ASVG-Novelle wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen, wird zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab 1. Juli 1988 eine Alterspension gemäß § 270 ASVG iVm § 253 ASVG von S 13.609,30 monatlich und ab 1. Jänner 1989 eine solche von S 13.895,10 monatlich zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Gewährung einer höheren Pension im gesetzlichen Ausmaß nach der Rechtslage vor der 40. ASVG-Novelle wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 2.572,20 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 428,70 Umsatzsteuer) und die mit S 3.292,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 548,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten P*** DER

A*** vom 17. Jänner 1989 wurde der Anspruch der am 9. Juni 1928 geborenen Klägerin auf eine Alterspension gemäß § 270 iVm § 253 ASVG idgF mit Pensionsbeginn am 1. Juli 1988 anerkannt. Die Leistung beträgt ab 1. Juli 1988 S 13.609,30 und ab 1. Jänner 1989 S 13.895,10 monatlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer höheren Alterspension im gesetzlichen Ausmaß nach der Rechtslage vor der 40. ASVG-Novelle. Die novellierten §§ 238 und 261 ASVG sähen - noch dazu ohne Übergangsbestimmungen - eine wesentliche niedrigere Pension vor als die alte Rechtslage und seien wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot verfassungswidrig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, ohne allerdings über die der Klägerin im angefochtenen Bescheid zuerkannte Leistung zu entscheiden. Es stellte fest, daß der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid die Alterspension nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage in richtiger Höhe errechnet worden sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung nicht Folge. Es verwarf die von der Klägerin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die §§ 238 und 261 ASVG idF der 40. und der 44. ASVGNov. Keine Verfassungsvorschrift gewährleiste den Schutz wohlerworbener Rechte. Der Gesetzgeber sei daher berechtigt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. Die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt habe, müsse aber sachlich begründbar sein; ohne eine solche Rechtfertigung würde der Eingriff dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot widersprechen. Die durch die 40. bzw. 44. ASVGNov eingeführten Änderungen sollten einen Kostendämpfungseffekt erzielen und zur mittelfristigen Sicherung der Pensionsfinanzierung und zur Budgetkonsolitierung beitragen. Dem Gesetzgeber müsse im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes zugestanden werden, bei Notwendigkeit und sachlicher Rechtfertigung bestehende Gesetze zu ändern, auch wenn sich daraus für bestimmte Personen allenfalls negative Auswirkungen ergeben könnten. Im übrigen sei dem Gesetzgeber durchaus bewußt gewesen, daß eine abrupte Novellierung nicht zu Lasten jener Versicherten gehen dürfe, die kurz vor der Pensionierung stehen und ihre Erwartungshaltung auf eine bestimmte Pensionshöhe zur Beibehaltung des gewohnten Lebensstandards gerichtet hätten. Diesem Zwecke dienten Übergangsbestimmungen: Nach Art. IV Abs 11 der 40. ASVGNov sei die Weitergeltung der zum 31. Dezember 1984 geltenden Bestimmungen generell für die Stichtage 1. Jänner bis 1. April 1985 normiert worden, sofern dies für den Versicherten günstiger sei; nach Art. IV Abs 6 der 40. ASVGNov (im angefochtenen Urteil unrichtig Abs 8) seien anstatt der gemäß § 238 ASVG vorgesehenen 120 Versicherungsmonate für eine Bemessungsgrundlage im Stichtagsjahr 1985 (1986) nur 84 (108) Versicherungsmonate heranzuziehen; nach Art. IV Abs 9 der

40. ASVGNov hätten die zum 31. Dezember 1984 geltenden Bestimmungen des § 261 ASVG mit der Maßgabe weiterzugelten, daß im Stichtagsjahr 1985 (1986) ein Grundbetrag von 22 % (14 %) der Bemessungsgrundlage zu gewähren sei, wenn dies für den Versicherten günstiger wäre. Aus den dargelegten Erwägungen könne keine Rede davon sein, daß durch die 40. bzw. 44. ASVGNov die Erwartungen der Pensionisten, durch die Pensionierung kein erhebliches Absinken des während der Aktivzeit erzielten Standards der Lebensführung zu erleiden, plötzlich unerwartet und sachlich nicht begründbar beeinträchtigt worden seien. Abgesehen davon sei durch die Novellierung der Pensionsbemessungsmodalität nicht in bestehende Rechte, sondern lediglich in Anwartschaften auf Grund erworbener Versicherungszeiten eingegriffen worden. Da die Änderungen der §§ 238 und 261 ASVG durch die genannten Novellen sachlich begründet gewesen sei, würden die genannten Bestimmungen dem Gleichheitsgrundsatz nicht widersprechen. Für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs bestehe kein Anlaß.

Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache, verbunden mit dem Antrag auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur zum Teil berechtigt.

Ein Recht vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht einem Revisionswerber nicht zu (10 Ob S 202/90 = SSV-NF 4/86 in Druck), weshalb der primär darauf abzielende Antrag zurückzuweisen war (ebenso 9 Ob S 2/88, 9 Ob S 7/88, 9 Ob S 5/89, 9 Ob S 6/89).

Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen der Revisionswerberin zur angeblichen Verfassungswidrigkeit der §§ 238 und 261 ASVG idF der 40. und der 44. ASVGNov wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken. Der Oberste Gerichtshof schließt sich insoweit den Ausführungen der beklagten Partei und des Berufungsgerichtes an. Die Pensionsreform der 40. ASVGNov, BGBl. 1984/484 ging vom Problem des - gemessen an den volkswirtschaftlichen Kennzahlen - überproportionalen Anstiegs der Ausgaben der Pensionsversicherung aus und bezweckte eine Dämpfung der Ausgabenentwicklung mit dem Ziel einer Entlastung des Bundeshaushaltes sowie Verbesserung der inneren Gerechtigkeit des Leistungsrechtes und Stärkung des Versicherungsgedankens (RV 327 BlgNR 16. GP 15). Eine der Maßnahmen war die Verlängerung der Bemessungszeit von 5 auf 10 Jahre mit dem Effekt eines mehr an Pensionsgerechtigkeit. Der Versicherungsgedanke wurde dadurch stärker betont, daß anstelle des Grundbetrages und der progressiven Steigerungsbeträge nunmehr lineare Steigerungsbeträge eingeführt wurden (RV aaO 16 und 22). Gleichzeitig wurde auf Deckungsvorschriften (Halbdeckung, Dritteldeckung) verzichtet. An ihre Stelle trat die Anspruchsvoraussetzung der Erfüllung der Wartezeit innerhalb bestimmter Rahmenfrist und die Einführung der "ewigen" Anwartschaft (RV aaO 24). Auch mit der 44. ASVGNov (Sozialrechts-Änderungsgesetz 1988, BGBl. 1987/609) wurde unter anderem eine relative Reduktion der Pensionsansprüche mit dem Ziel einer Sicherung der Pensionen auch über die 90er-Jahre hinaus angestrebt. Einer der Schwerpunkte dieser Pensionsreform war die Änderung des Bemessungszeitraumes durch Einführung eines neuen Bemessungssystems (RV 324 BlgNR 17. GP 20). Die Änderung des § 238 Abs 2 ASVG verstärkte das Versicherungsprinzip in zweifacher Weise: Einerseits wurde die Beitragsgerechtigkeit vergrößert, d.h. bei gleich hohem Beitragsaufkommen in der Gesamtaktivlaufbahn wurden die Leistungen von Personen mit einem stärkeren Karrieretrend an ohne Karrieretrend zumindest herangeführt; andererseits wurde das Versicherungsprinzip dadurch verstärkt, daß kürzere Laufzeiten von Pensionen durch eine spätere Inanspruchnahme der Pension durch eine geringere Minderung des Leistungsniveaus honoriert wurden. Im übrigen wurde im Rahmen der Übergangsbestimmungen für die Jahre 1988 bis 1991 bzw. für die Geburtsjahrgänge 1927 bis 1931 bei Männern (1932 bis 1936 bei Frauen) ein stufenweises Einschleifen auf den neuen Bemessungszeitraum von 180 Versicherungsmonaten vorgesehen (RV aaO 39).

Gegen diese gesetzlichen Maßnahmen einer aus mehreren Gründen notwendigen Pensionsreform kann auch nicht die von der Revisionswerberin zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofs ins Treffen geführt werden. Das Erkenntnis vom 5. Oktober 1989, G 228/89 (veröffentlicht JBl 1990, 167) beschränkte die Zulässigkeit rückwirkender Steuervorschriften (§ 23 a EStG 1972 idF des 1. Abgabenänderungsgesetzes 1987) durch den Vertrauensschutz. Im Gegensatz dazu wurden die entsprechenden Änderungen der §§ 238 und 261 ASVG nicht rückwirkend in Geltung gesetzt, weshalb sich dieses Problem hier nicht stellt. Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von gesetzlichen Regelungen, durch die in Pensionsansprüche mindernd eingegriffen wurde, wiederholt dem Vertrauensschutz unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bedeutendes Gewicht zugemessen (vgl. etwa VfSlg. 11.309/1987; 16. März 1988, G 184 bis 194/87, 198/87 und 200/87, veröffentlicht ZAS 1988, 208/29) und ausgeführt, daß die gesetzten Ziele der Entlastung des Bundeshaushaltes oder der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich begründen. Erfordern Maßnahmen zur Entlastung des Bundeshaushaltes oder solche der Arbeitsmarktpolitik Kürzungen, so verlangt das Gebot der Sachlichkeit, daß ein im Interesse der Gesamtheit oder aus Gründen der Solidarität gegenüber Arbeitssuchenden zu erbringendes Opfer nicht punktuell gezielt eine relativ kleine Gruppe treffen darf, sondern entsprechend breit gestreut werden muß. Eine solche Kürzung kann nach sozialen Gesichtspunkten differenzieren und darf nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen. Die von den zuletzt genannten Erkenntnis betroffenen Ruhensbestimmungen für Beamte (§ 40 a PG) lassen sich aber mit den im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen nicht vergleichen, weil letztere nicht punktuell gezielt eine relativ kleine Gruppe treffen, sondern entsprechend breit gestreut sind und überdies nicht nur der Budgetentlastung, sondern vor allem auch einer Verbesserung der Pensionsgerechtigkeit dienen, wie oben näher dargelegt wurde. Wie die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung hervorhebt, wurde durch die Novellierung der Pensionsbemessungsvorschriften auch nicht in bestehende Rechte, d.h. in bereits zuerkannte Pensionen eingegriffen, sondern lediglich in Anwartschaften auf Grund erworbener Versicherungszeiten. Das Vertrauen der Versicherten darauf, daß sie im Alter tatsächlich jene Pensionen erhalten werden, die ihnen jahrzehntelang versprochen worden waren, ist rechtlich nicht absicherbar; es wird allerdings durch die neue Rechtsprechung des VfGH vor sachlich nicht ausreichend begründeten und vor allem plötzlichen Eingriffen des einfachen Gesetzgebers geschützt (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 165). Die vorliegenden Novellierungen der Pensionsbemessungsgrundsätze sind aber einerseits sachlich ausreichend begründet und im Hinblick auf die bereits vom Berufungsgericht dargestellten Übergangsbestimmungen nicht "plötzlich". Der Verfassungsgerichtshof hat auch immer wieder betont, daß die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht davon abhängt, wie sie sich auf einzelne Anlaßfälle auswirkt

(VfSlg. 10.291/1984 mwN). Bei der Beurteilung einer Norm unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes ist von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen; daß sich vereinzelt Härtefälle ergeben können, muß ebenso unberücksichtigt bleiben wie der Umstand, daß sich die besonderen Gründe der Gleichheitswidrigkeit einer Regelung nicht unbedingt auch in allen Anlaßfällen in der zur Gleichheitswidrigkeit führenden Intensität auswirken (ZAS 1988, 208/29). Da die mit einem Rechtsanwalt verheiratete Klägerin eine Alterspension von derzeit über S 14.000,-- monatlich bezieht, ist ein durch die Anwendung der in Frage stehenden gesetzlichen Bestimmungen entstehender sozialer Härtefall ohnedies auszuschließen. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag zu stellen. Die Revision ist im Ergebnis lediglich insoweit berechtigt, als die Vorinstanzen in dem Umfang, in dem der mit der Klage bekämpfte Bescheid gemäß § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft getreten ist, nicht über den von der Klägerin beim Versicherungsträger gestellten Antrag neu entschieden haben (vgl. SSV-NF 1/1, 18, 41, 52; 2/42, 131; 3/31 ua). Da die Klägerin gegen die Höhe der im angefochtenen Bescheid nach der geltenden Rechtslage festgesetzten Alterspension nichts eingewendet hat, konnte der Oberste Gerichtshof auf Grund der Revision der Klägerin die von den Vorinstanzen unterlassene Entscheidung nachholen und die Pension in derselben Höhe wie im angefochtenen Bescheid zusprechen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Obzwar die Klägerin mit ihrer Klage nicht mehr erreichte als die beklagte Partei in ihrem Bescheid festsetzte, war die Einbringung der Berufung und der Revision im Ergebnis notwendig, da auf Grund dieser Rechtsmittel der urteilsmäßige Zuspruch der bereits im (außer Kraft getretenen) Bescheid der beklagten Partei zuerkannten Pensionsleistungen erfolgte (SSV-NF 3/31).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte