OGH 12Os81/90

OGH12Os81/908.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.November 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Siegl als Schriftführer im Verfahren AZ Hs 471/90 des Strafbezirksgerichtes Wien betreffend das Ersuchen des vom Nationalrat eingesetzten Milchwirtschafts-Untersuchungsausschusses um Beischaffung von Geschäftsberichten des Ö*** M***- UND K*** reg.Gen.mbH über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Strafbezirksgerichtes Wien vom 19.März 1990, GZ 22 Hs 471/90-6, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Vertreters des Beteiligten Ö*** M***- UND K*** reg.Gen.mbH Dr. Preslmayr zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Auf Grund des Beschlusses des vom Nationalrat eingesetzten Milchwirtschafts-Untersuchungsausschusses vom 1.März 1990 (Art. 53 Abs. 3 B-VG) ersuchte der (hiezu gemäß § 13 Abs. 5 NRGOG legitimierte) Präsident des Nationalrates mit Schreiben vom 2.März 1990, Zl. 612/178-NR/89, das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 33 Abs. 4 NRGOG um Beischaffung von Geschäftsberichten (§ 44 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 24 Abs. 3 KStG 1988) über den Rechnungsabschluß (§ 22 GenG) für die Jahre 1986 bis 1988 des Ö*** M***- UND K*** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung (Ö***), 1013 Wien, Werdertorgasse 5.

Das in der Folge an das Strafbezirksgericht Wien abgetretene Ersuchen wurde mit Beschluß dieses Gerichtes vom 19.März 1990, GZ 22 Hs 471/90-6, im wesentlichen mit der (den Ausführungen von Platzgummer und Brandstetter in Mayer-Platzgummer-Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat, folgenden) Begründung abgewiesen, daß die "nicht näher präzisierte" Beischaffung von Geschäftsberichten ersichtlich auf Beweissicherungsmaßnahmen im Sinn der §§ 139 ff StPO abstelle, deren Vornahme jedoch auf eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Beschränkung des Untersuchungsausschusses auf "Beweiserhebungen" (durch welche dem Ausschuß "bewußt" gewichtige Eingriffe in Grundrechte wie Haus- und Personsdurchsuchungen, Beschlagnahmen und Überwachungen des Fernmeldeverkehrs verwehrt blieben) hinausliefe.

Im Zeitpunkt dieser Beschlußfassung lag dem Strafbezirksgericht Wien bereits ein Schreiben der Rechtsvertreter der Ö*** an das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 5.März 1990 vor (ON 3 der Akten 22 Hs 471/90 des Strafbezirksgerichtes Wien), in welchem diese nach Bekanntwerden des das gegenständliche Ersuchen um Beweiserhebungen betreffenden Beschlusses des Milchwirtschafts-Untersuchungsausschusses vom 1.März 1990 die Vorlage der Bilanzen an diesen Ausschuß abgelehnt und die Meinung vertreten hatten, daß ein solches Ersuchen keine gesetzmäßige Grundlage für die Ergreifung gerichtlicher Zwangsmaßnahmen darstelle.

Mit ihrer gegen den in Rede stehenden Gerichtsbeschluß zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht die Generalprokuratur eine Verletzung der Bestimmungen des Art. 53 Abs. 3 B-VG und des § 33 Abs. 4 NRGOG (in der Fassung BGBl. 1988/720) geltend und führt hiezu im einzelnen (wörtlich) aus:

"Der Beschluß des Strafbezirksgerichtes Wien verletzt die (wörtlich gleichlautenden) Bestimmungen des Art. 53 Abs. 3 B-VG und des § 33 Abs. 4 NR-GOG, denenzufolge die Gerichte und alle anderen Behörden verpflichtet sind, dem Ersuchen der vom Nationalrat eingesetzten Untersuchungsausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten, und alle öffentlichen Ämter auf Verlangen ihre Akten vorzulegen haben. Diese Vorschriften unterscheiden sich von der Bestimmung des Art. 22 B-VG, wonach alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung (Amtshilfe) verpflichtet sind, in mehrfacher Hinsicht:

Während Art. 22 eine Verpflichtung zur wechselseitigen Hilfeleistung der Organe der Gebietskörperschaften - worunter bei Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte und der herrschenden Lehre hinsichtlich der Kompetenz zur Ausübung der parlamentarischen Kontrollrechte nach Art. 52 und 53 B-VG (vgl. Laurer, Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, 31 ff mit weiteren Literatur- und Quellenangaben) Gerichte und Verwaltungsbehörden zu verstehen sind - begründet, verschafft Art. 53 Abs. 3 B-VG (§ 33 Abs. 4 NR-GOG) einseitig nur dem Untersuchungsausschuß die rechtliche Möglichkeit, sich der Gerichte und aller anderen Behörden zu bedienen. Überdies ist im Art. 53 Abs. 3 B-VG - anders als Art. 22 B-VG, der die im Rahmen des gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zu leistende Tätigkeit nicht näher bezeichnet - nur von Ersuchen um Beweiserhebungen (und um Aktenvorlage) die Rede. Anders als im Bereiche der Amtshilfe, bei welcher die ersuchten Organe nur innerhalb ihrer eigenen - auch final bestimmten - abstrakten Zuständigkeit tätig werden dürfen, wird bei einem Beweiserhebungsersuchen eines Untersuchungsausschusses das die sonstige Tätigkeit der Behörde mitbestimmende finale Element, also der für ihr Einschreiten vorausgesetzte Zweck, durch das die Notwendigkeit der Beweiserhebung für die Untersuchung eines Vorgangs im Bereich der Vollziehung des Bundes (vgl. jeweils Czerny-Fischer Komm. z. GO d. NR, 103; Atzwanger-Kobzina-Zögernitz Anm. 4 zu § 33 NR-GOG), wenigstens implizit behauptende Ersuchen nach Art. 53 Abs. 3 B-VG ersetzt. Ein Strafgericht hat daher bei der ihm zustehenden Prüfung, ob seine Tätigkeit bei der Entsprechung des Ersuchens des Untersuchungsausschusses um Beweiserhebung im Rahmen seiner durch Bundesgesetz festgestellten Zuständigkeit bleiben würde, jene allgemeinen Voraussetzungen, die auf die finale Beziehung zum staatlichen Strafanspruch abstellen, nicht zu berücksichtigen. Soweit die von ihm einzuhaltenden Vorschriften allerdings darüber hinaus eine qualifizierte finale Voraussetzung für die Ergreifung einer bestimmten Maßnahme aufstellen, werden sie durch das Ersuchen des Untersuchungsausschusses nicht verdrängt und bleiben daher beachtlich (Laurer aaO, 32 unten ff). Bei Erhebungen auf Grund eines Ersuchens des Untersuchungsausschusses tritt sohin zwar keine Erweiterung der Kompetenzen der ersuchten Behörde ein, doch wird grundsätzlich der allgemeine Ermittlungszweck durch das Ersuchen des Ausschusses ersetzt (S 131 aaO). Abgesehen von den Fällen der Einsetzung des Ausschusses zur Untersuchung eines nicht zur Geschäftsführung der Bundesregierung gehörigen Gegenstandes - also eines Bereiches, auf der (gemeint: den) weder die Bundesregierung noch eines ihrer Mitglieder eine Ingerenzmöglichkeit hat (Mayer in Mayer-Platzgummer-Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat, 8) - kann ein Ersuchen um eine auch bei Berücksichtigung dieser Änderung des finalen Elements außerhalb der Zuständigkeit der ersuchten Behörde liegende Beweiserhebung ... abgelehnt werden (Laurer aaO, 132 f). Die dem ersuchten Gericht im allgemeinen gar nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit mögliche Prüfung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Ersuchens ist ihm hingegen - ebenso wie im Bereich der Rechtshilfe und Amtshilfe (vgl. EvBl. 1963/160, Foregger-Serini StPO4 Erl. I zu § 26 und die insoweit vom Obersten Gerichtshof nicht abgelehnten ha. Ausführungen in EvBl. 1982/126; Gallent in JBl. 1970, 297) - versagt (Laurer aaO, 33 unten f). Da der österreichische Verfassungsgesetzgeber zwar die nähere Regelung hinsichtlich der Einsetzung und des Verfahrens von Untersuchungsausschüssen dem Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates vorbehielt (Art. 53 Abs. 2 B-VG), für die Regelung des Verfahrens der Gerichte und anderer Behörden bei Ersuchen der Untersuchungsausschüsse um Beweiserhebungen jedoch keine besondere Vorsorge traf, ist davon auszugehen, daß die ersuchten Behörden (Gerichte), von der bereits erwähnten Änderung des Verfahrenszweckes abgesehen, die sonst für ihre Tätigkeit geltenden - für ähnliche Aufgaben relevanten (Mayer aaO, 17) - Verfahrensvorschriften anzuwenden haben, wie dies auch für jede Form der Amts- und Rechtshilfe gilt (Platzgummer-Brandstetter aaO, 40; Laurer aaO, 33, 108, 110 und 137). Insoweit unterliegt die ersuchte Behörde auch der in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Kontrolle (Laurer aaO, 134), die hinsichtlich aller Vorgänge eines Strafgerichtes auch in der Prüfung der Legalität im Sinne des § 33 StPO besteht (vgl. ÖJZ 1982/126); einer ausdrücklichen Ausdehnung dieser Kontrollmöglichkeiten durch den Gesetzgeber auf Vorgänge, mit denen einem Ersuchen der Untersuchungsausschüsse um Beweiserhebungen entsprochen wird, bedarf es hiezu nicht.

Rechtliche Beurteilung

Von diesem Verständnis des Art. 53 B-VG ausgehend kann aber - der Auffassung von Mayer sowie von Platzgummer und Brandstetter (S 18 f sowie 39 aaO) zuwider - aus der Beschränkung des Gegenstands der Ersuchen von Untersuchungsausschüssen auf Beweiserhebungen (und auf Aktenvorlage) in Art. 53 Abs. 3 B-VG nicht der Schluß gezogen werden, daß dem ersuchten Gericht beweissichernde Maßnahmen, die vielfach erst die Entsprechung des Ersuchens ermöglichen, grundsätzlich verwehrt sind (was auf eine dem Sinn dieser Verfassungsstelle zuwiderlaufende Lähmung der gerichtlichen Erhebungstätigkeit für solche Ausschüsse hinausliefe). Auch insoweit hat der Verfassungsgesetzgeber von einer eigenständigen Verfahrensregelung für die ersuchten Behörden (Gerichte) im Hinblick auf den Bestand entsprechender Regelungen in den einzelnen Verfahrensordnungen Abstand genommen. Es wäre auch nicht einzusehen, daß - wie selbst von Platzgummer und Brandstetter (aaO, 40) eingeräumt wird - das Strafgericht zwar gegenüber einem auf Ersuchen des Untersuchungsausschusses zu vernehmenden Zeugen weitergehende Zwangsmittel anwenden darf als der Untersuchungsausschuß selbst, in Entsprechung solcher Ersuchen durch Erhebungen anderer Art jedoch von Zwangsmitteln deshalb nicht Gebrauch machen dürfte, weil ihre unmittelbare Anwendung durch den Untersuchungsausschuß unzulässig ist (in diesem Sinne jedoch Platzgummer-Brandstetter, 39 aaO). Wird davon ausgegangen, daß Grundrechtseingriffe bei Durchführung solcher Maßnahmen dem Gericht zuzurechnen sind und daher wie andere gerichtliche Entscheidungen und Vorgänge allen in der Verfahrensordnung vorgesehenen Kontrollen unterliegen, dann können auch die Bedenken Mayers (S 19 aaO) im Hinblick auf Art. 5, 8 und 10 MRK nicht geteilt werden, da erstere Bestimmung die rechtmäßige Festnahme oder die Anhaltung in Haft wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zuläßt und auch die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung (des Hausrechts) und des Briefverkehrs (Art. 8 MRK), sowie auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 MRK) nicht uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern den auch in einer demokratischen Gesellschaft aus bestimmten öffentlichen Interessen notwendigen Einschränkungen unterliegen (siehe jeweils den zweiten Absatz der beiden zuletzt zitierten Konventionsartikel). Insbesondere ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf Wohnung statthaft, soferne er gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Umsoweniger kann in einem solchen Eingriff eine Verletzung von anderen dem Schutz von Grund- und Freiheitsrechten dienenden Vorschriften gesehen werden, zumal diese teils lediglich die gesetzliche Deckung solcher Eingriffe, teils darüber hinaus die Verfügung solcher Maßnahmen durch ein unabhängiges Gericht vorsehen (vgl. Art. 5, 8 und 9 des Staatsgrundgesetzes vom 21.Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger; §§ 2 und 5 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit; §§ 1 bis 5 des Gesetzes vom 27.Oktober 1862, RGBl. Nr. 88, zum Schutze des Hausrechtes; siehe auch das mit 1.Jänner 1991 in Kraft tretende Bundesverfassungsgesetz vom 29.November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684). Auch das Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 Abs. 1 DatenschutzG) ist (zufolge Abs. 2 dieser Gesetzesstelle) Beschränkungen zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen oder auf Grund von Gesetzen unterworfen, die aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen notwendig sind. Daß aber Untersuchungsausschüsse zumindest potentiell wirksame Mittel zum Schutz jener Interessen sind, die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannt sind, ist insbesondere im Hinblick darauf zu bejahen, daß das Ergebnis ihrer Untersuchung dem Parlament unter Umständen als Grundlage eines Mißtrauensvotums oder einer Ministeranklage dienen kann. Daß die Grundrechtseingriffe hiebei im ansonsten zulässigen Rahmen bleiben, ist durch die Anwendung der für die Gerichte geltenden Verfahrensbestimmungen sichergestellt (Laurer aaO, 135). Das nach entsprechender Beschlußfassung des Untersuchungsausschusses durch den Präsidenten des Nationalrates auf Grund seiner Vertretungsbefugnis im Sinne des § 13 Abs. 5 NR-GOG zu stellende Ersuchen um eine bestimmte gerichtliche Beweiserhebung ist somit (bei Bejahung der Zulässigkeit parlamentarischer Kontrollen in Ansehung des Untersuchungsgegenstandes sowie der Erfüllung der formellen Erfordernisse des Geschäftsordnungsgesetzes) darauf zu prüfen, ob die Erhebung - bei Rücksichtnahme darauf, daß der allgemeine Zweck des strafgerichtlichen Verfahrens durch das Ersuchen ersetzt wird - in die Befugnisse des ersuchten Gerichtes fällt. Bejahendenfalls obliegt diesem die Entscheidung über die allenfalls zur Sicherung des Beweises einzusetzenden Mittel; auch hiebei ist das Gericht an die sonst für sein Verfahren geltenden Vorschriften gebunden. Die Änderung des Verfahrenszwecks hat allerdings in Ansehung der Vorschriften über die Hausdurchsuchung (§ 139 Abs. 1 zweiter Fall StPO), die Beschlagnahme (§ 143 Abs. 1 StPO), die Durchsetzung der Herausgabe (§ 143 Abs. 2 StPO) sowie die Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren (§ 145 StPO) zur Folge, daß auch die sonst vorausgesetzte (wenigstens potentielle) Bedeutung der Gegenstände für die strafgerichtliche Untersuchung durch die in aller Regel im Ersuchen um Beweiserhebung behauptete Relevanz für die dem Ausschuß obliegende Untersuchung ersetzt wird. Besondere - über den allgemeinen Strafverfahrenszweck hinausgehende - Voraussetzungen - etwa die in § 146 Abs. 1 StPO für die Beschlagnahme von Telegrammen, Briefen und anderen Sendungen erforderliche Anhaltung oder Erlassung eines Vorführungs- oder Haftbefehls wegen einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder der in § 149 a Abs. 1 StPO für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs vorausgesetzte Verdacht einer solchen Straftat aber auch der im ersten Fall des § 139 Abs. 1 und im zweiten Fall des § 139 Abs. 2 StPO bezeichnete Verdacht - werden allerdings durch das Ersuchen des Ausschusses nicht ersetzt. Ob ein wichtiger Fall im Sinne des § 143 Abs. 2 StPO vorliegt, in welchem bei Verweigerung der Herausgabe des Gegenstandes nach Verhängung einer Beugestrafe die Verhängung einer Beugehaft zulässig ist, ist vom Gericht in Ausübung seines Ermessens (unter Berücksichtigung aller - insbesondere aus dem Ersuchen um Beweiserhebungen hervorgehenden - aktenkundigen Umstände) zu entscheiden. Im vorliegenden Fall hätte das Strafbezirksgericht Wien daher ungeachtet der ihm bereits auf Grund des Schreibens der Vertreter der Ö*** bekannten Weigerung dieser Genossenschaft, ihre Bilanzen dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zukommen zu lassen (AS 7 unten f), nicht von vornherein das von diesem Ausschuß an sie gestellte Ersuchen um Beischaffung der Geschäftsberichte über den Rechnungsabschluß für die Jahre 1986 bis 1988 ablehnen dürfen, sondern die Genossenschaft unter Hinweis auf § 143 Abs. 2 StPO zur Herausgabe auffordern und bei fortgesetzter Weigerung prüfen müssen, ob ein Vorgehen nach § 139 Abs. 1 zweite(r) .. Fall StPO, oder nach § 143 Abs. 2 zweiter Satz StPO in Betracht käme. Bei allenfalls erforderlicher Durchsuchung von Papieren nach § 145 StPO wäre unter Berücksichtigung der Entscheidungsbefugnis der Ratskammer (Abs. 2 dieser Gesetzesstelle) vorzugehen gewesen. Die Bestimmung des § 452 Z 4 StPO über die Unzulässigkeit der Durchsuchung von Papieren dritter Personen wäre - abgesehen von den seitens Laurer aaO, 111 ganz unten und verso angestellten Erwägungen - schon deshalb nicht zu beachten gewesen, weil es sich hiebei um eine Sondervorschrift für das Verfahren wegen der den Bezirksgerichten zur Untersuchung und Bestrafung zugewiesenen Straftaten (§ 447 Abs. 1 StPO iVm § 9 Abs. 1 Z 1 StPO) handelt, nicht jedoch um eine die Bezirksgerichte auch außerhalb dieses Teilbereiches ihrer Tätigkeit treffende ... Einschränkung (vgl. §§ 88 Abs. 2, 93 Abs. 2 und 95 StPO iVm § 9 Abs. 1 Z 2 StPO)."

Hiezu geht der Oberste Gerichtshof zunächst mit der Generalprokuratur davon aus, daß strafgerichtliche Entscheidungen und Vorgänge auch dann der Legalitätskontrolle nach den §§ 33, 292 StPO unterliegen, wenn sie einem Wirkungsbereich zuzuordnen sind, der den Strafgerichten außerhalb eines Strafverfahrens gesetzlich übertragen ist. Diese Voraussetzung trifft auf den hier aktuellen Fall eines auf Art. 53 Abs. 3 B-VG und §§ 33 Abs. 4 NRGOG gestützten Ersuchens eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu, weshalb auf die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde meritorisch einzugehen ist. Aus nachstehenden Erwägungen kommt ihr jedoch keine Berechtigung zu:

Dem Wesen des verfassungstragenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 18 Abs. 1 und 2, 130, 139, 140, 140 a, 144 B-VG) entspricht es, daß die Staatstätigkeit in allen ihren Funktionen an eine im wesentlichen vorausbestimmte, in ihrer Einhaltung durch entsprechende Einrichtungen gesicherte Rechtsordnung gebunden ist und kraft dieser gesetzlichen Determinierung dem fundamentalen Bedürfnis nach Rechtssicherheit entsprechend Rechnung trägt (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6, Rz 165, 166). Daß letzterem ein Stellenwert zukommt, der mit der Bedeutung des jeweils ingerierten staatlichen Wirkens gleichermaßen steigt wie mit dem Gewicht jener Individualrechtssphäre, die im Einzelfall von staatlichen Eingriffen betroffen ist, versteht sich von selbst. Von diesen Grundaspekten rechtsstaatlichen Verständnisses ausgehend kann es aber keinem Zweifel unterliegen, daß der Konfliktbereich zwischen der parlamentarischen Kontrollfunktion gegenüber der Geschäftsführung der Bundesregierung und den den Schutz bestimmter Rechte des einzelnen (oder einer qualifizierten Minderheit, wie auch juristischer Personen, Walter-Mayer aaO Rz 1324) gegenüber der Staatshoheit gewährleistenden Grundrechten im Verfassungsrang ein hochgradig sensibles Spannungsfeld mit kulminierendem Anspruch auf Rechtssicherheit darstellt, in dem die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe auch für den Bereich parlamentarischer Kontrollrechte an die strikte Bedingung eindeutiger gesetzlicher Grundlagen zu knüpfen ist. Gerade in dieser Richtung erweisen sich aber jene Erwägungen, die die Generalprokuratur für die Zulässigkeit gerichtlicher Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des Ersuchens des vom Nationalrat eingesetzten Milchwirtschafts-Untersuchungsausschusses um Beischaffung von Geschäftsberichten des Ö*** M***- UND K*** reg.Gen.mbH ins Treffen führt, im Ergebnis als nicht zielführend:

Gemäß Art. 52 Abs. 1 B-VG ist der Nationalrat (neben dem Bundesrat) befugt, "die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen", wozu er gemäß Art. 53 Abs. 1 B-VG die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen beschließen kann. Art. 53 Abs. 2 B-VG behält die nähere Regelung (der Einsetzung und) des Verfahrens von Untersuchungsausschüssen dem Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (NRGOG) vor, das in wörtlich übereinstimmender Anlehnung an Art. 53 Abs. 3 B-VG in seinem § 33 Abs. 4 (idF BGBl. 1988/720) ua die Gerichte und alle anderen Behörden verpflichtet, dem Ersuchen von Untersuchungsausschüssen um Beweiserhebungen Folge zu leisten. Die Beurteilung der hier entscheidenden Frage, ob die (infolge unmißverständlicher Ablehnung der freiwilligen Herausgabe zwangsweise) Beischaffung der in Rede stehenden Geschäftsberichte eine "Beweiserhebung" in der Bedeutung der letztbezeichneten Gesetzesstellen darstellt, hat sich zunächst an dem für jede Art der Amtshilfe typischen Kriterium zu orientieren, daß das ersuchende Organ grundsätzlich selbst die rechtliche Befugnis zu der erbetenen Maßnahme haben muß, sich das Ersuchen um deren Vornahme mithin lediglich auf eine Abhilfe gegen tatsächliche Schwierigkeiten beschränkt (Mayer in Mayer-Platzgummer-Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat, S 16). Eine Arrogierung von anderen Behörden vorbehaltenen Kompetenzen auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen, die - wie Art. 22 B-VG und auch Art. 53 Abs. 3 B-VG bzw. § 33 Abs. 4 NRGOG - sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrer Zielsetzung auf die Leistung bloßer Hilfestellungen bei der Bewältigung öffentlicher Aufgaben ausgerichtet sind, kommt dabei grundsätzlich nicht in Betracht; dies gilt insbesondere a fortiori dann, wenn ein Ersuchen Eingriffe in Grundrechte zum Gegenstand hat, deren rechtliche Zulässigkeit spezifisch auf die eigenständige Kompetenz des ersuchten Organs zugeschnitten ist. Von einer derartigen exklusiven Ausrichtung auf einen bestimmten behördlichen Kompetenzbereich gekennzeichnet sind aber all jene Grundrechtseingriffe, die nach dem Gesetz im Interesse der Strafverfolgung innerhalb streng determinierter Grenzen der richterlichen Anordnung vorbehalten sind. Dazu zählen neben der vorläufigen Verwahrung und der Verhängung der ordentlichen Untersuchungshaft (§§ 175 bzw. 180 StPO) unter anderem auch die Anordnung einer Haus- und Personsdurchsuchung (§ 139 StPO), die Beschlagnahme von für strafgerichtliche Untersuchungen bedeutungsvollen Gegenständen (§ 143 StPO) und die Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren (§ 145 StPO). Die im NRGOG verankerte Regelung des Verfahrens von Untersuchungsausschüssen stellt sich insgesamt nicht als tragfähige Grundlage für den Einsatz von gerichtlichen Zwangsmaßnahmen derartig einschneidenden Gewichtes für Zwecke der parlamentarischen Kontrolle dar. Deren gesetzliches Instrumentarium für untersuchungsrelevante Beweiserhebungen durch den Ausschuß selbst beschränkt sich nämlich auf die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen (§ 40 Abs. 1), die Vornahme eines Augenscheins (§ 40 Abs. 4), die Einsichtnahme in Akten öffentlicher Ämter (§ 33 Abs. 4) und die Verlesung von Protokollen, Gutachten und anderen Schriftstücken (§ 33 Abs. 5), wobei die Bestimmungen der Strafprozeßordnung sinngemäß nur insoweit anzuwenden sind, als sie das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz betreffen (§ 33 Abs. 5). Bei den von dieser Verweisung umfaßten Vorschriften handelt es sich im wesentlichen um die Bestimmungen zu I 5 des XVIII. Hauptstückes(§§ 246 bis 254) der Strafprozeßordnung (Czerny-Fischer, Kommentar zur Geschäftsordnung des Nationalrates und zum Unvereinbarkeitsgesetz2, S 108). Bei Prüfung der Anwendbarkeit strafprozessualer Bestimmungen im Rahmen des Verfahrens vor dem Untersuchungsausschuß ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein restriktiver Maßstab anzulegen, welcher etwa selbst eine Heranziehung der Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Ladung durch Zeugen verbietet, weil es sich dabei um einen das Beweisverfahren bloß vorbereitenden, diesem aber nicht unmittelbar zugehörigen Regelungskomplex handelt (VfSlg. 9.469). Dementsprechend wird dem Bedürfnis der parlamentarischen Kontrolle, das persönliche Erscheinen von Sachverständigen oder anderen Auskunftspersonen zu erzwingen, durch die Bestimmung des § 40 Abs. 2 NRGOG Rechnung getragen, wonach deren Vorführung durch die politische Behörde veranlaßt werden kann, ohne daß allerdings für den Fall der Verweigerung der Aussage bzw. der Ausarbeitung eines Gutachtens Sanktionen vorgesehen wären (Czerny-Fischer, aaO S 133). Dieses enge Verständnis der gesetzlichen Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle gilt aber auch für den hier aktuellen Fall eines Ausschußersuchens um Beweiserhebung. Mag dabei auch die ersuchte Behörde die Vorschriften anzuwenden haben, an die sie in ihrem übrigen Wirkungsbereich bei ähnlichen Aufgaben gebunden ist, so scheidet nach den dargelegten Grundsätzen auch diesfalls eine Ausweitung der das Erhebungsinstrumentarium betreffenden rechtlichen Befugnisse des ersuchenden Organs aus. In diesem Punkt schließt sich der Oberste Gerichtshof, entgegen dem (auf den Erwägungen Laurers aufbauenden und ersichtlich - allerdings ohne nähere Begründung - von Ermacora geteilten, Österreichische Verfassungslehre II, S 50) Standpunkt der Generalprokuratur, der von Mayer in Mayer-Platzgummer-Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat, S 17 bis 19 (auch aus historischer Sicht) überzeugend entwickelten Auffassung an, daß die in Art. 53 Abs. 3 B-VG verankerte Zulässigkeit von Ersuchen des Untersuchungsausschusses um Beweiserhebungen beweissichernde Maßnahmen mit regelmäßig massivem Grundrechtskonflikt (hier primär in bezug auf Art. 5 StGG und Art. 9 StGG in Verbindung mit § 1 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. 1862/88, sowie Art. 8

MRK bzw. Art. 1 des mit 1.Jänner 1991 in Kraft tretenden Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 1988/684) nicht miteinschließt. Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf den generellen Ersatz des in den strafprozessualen Vorschriften über beweissichernde Maßnahmen vorausgesetzten Zweckes für das strafgerichtliche Einschreiten durch das (einer weiteren Notwendigkeits- und Zweckmäßigkeitsprüfung entzogene) Ausschußersuchen verweist und dessen Grundrechts- bzw. Konventionsverträglichkeit aus der Tatsache der richterlichen Maßnahmenanordnung sowie aus der Aufgabenstellung der parlamentarischen Kontrolle ableitet, wird sie den oben dargelegten grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht. Setzen doch Grundrechtseingriffe, die verfassungsrechtlich Richtern ausschließlich nach gesetzlich streng determinierten Gesichtspunkten vorbehalten sind, ausnahmslos eine umfassende sachliche Prüfung jener materiellen Kriterien voraus, von deren Vorliegen ihre Zulässigkeit abhängt. Gerade dieser fundamentalen rechtsstaatlichen Garantie grundrechtskonformen staatlichen Wirkens wird aber nicht Genüge getan, sollen - wie nach der Beschwerdeargumentation - sämtliche sachlichen Komponenten (nur eng begrenzt) zulässiger Grundrechtseingriffe im Rahmen einer primär auf funktionellorganisatorische Belange ausgerichteten Betrachtung unberücksichtigt bleiben. Daß der Richter als im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle ersuchtes Organ bei der Anordnung der vom Untersuchungsausschuß (hier implicite) angestrebten Zwangsmaßnahmen jene Voraussetzungen, die nach den sonst verbindlichen Vorschriften für ähnliche Aufgaben auf die finale Beziehung zum staatlichen Strafanspruch abstellen, nicht zu berücksichtigen, vielmehr lediglich (formal) zu prüfen hätte, ob ein recte zustandegekommenes Ausschußersuchen vorliegt, trägt der hochrangigen Bedeutung der Grundrechtssphäre und dem Gewicht der von ihrer Beschneidung berührten Interessen aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hinreichend Rechnung. Macht doch der Wegfall einer materiellsachbezogenen richterlichen Prüfung deren verfassungsrechtlich verankerte Garantiefunktion für die Legalität von Grundrechtseingriffen unwirksam. Eine Abhängigkeit von bestimmten gesetzlichen Sachkriterien des eigenen strafgerichtlichen Wirkungsbereichs räumt letztlich selbst die Beschwerde als unverzichtbare Bedingung für die Zulässigkeit der richterlichen Anordnung von Grundrechtseingriffen ein, indem sie die normative Anknüpfung an Taten mit qualifizierter Strafdrohung auch dann für die richterliche Entscheidungsfindung verbindlich erklärt, wenn der Grundrechtseingriff der Entsprechung eines Ausschußersuchens dient. Der Auffassung der Generalprokuratur zuwider ergibt sich aber daraus insgesamt, daß das Fehlen gesetzlicher Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren bei der Entsprechung von parlamentarischen Ersuchen um Beweiserhebungen für sich allein keine geeignete Grundlage darstellt, die spezifisch an Zwecken der Strafverfolgung orientierte Zulässigkeit gerichtlicher Zwangsmaßnahmen zur Beweissicherung ohne ausdrückliche gesetzliche Fundierung auf den Bereich der parlamentarischen Regierungskontrolle auszudehnen. Die unter bestimmten Voraussetzungen im Strafverfahren zulässige Beweissicherung durch Hausdurchsuchung bzw. Beschlagnahme von für eine Tatuntersuchung bedeutsamen Gegenständen (§§ 139 Abs. 1, 143, 145 StPO) läßt sich somit nicht auf das Verfahren nach Art. 53 Abs. 3 B-VG bzw. § 33 Abs. 4 NRGOG übertragen, zumal sie in den erörterten gesetzlichen Grundlagen der den Untersuchungsausschüssen obliegenden Kontrollfunktion nicht einmal ihrer Art nach Deckung findet. Eine Erweiterung der im Einzelfall zulässigen Kontrollmittel, wie sie sich hier etwa aus den öffentlichen Befugnissen zur Überwachung der Milchwirtschaft nach den §§ 16 Abs. 8, 19 Abs. 2 und 63 Abs. 1 und 2 MarkordnungsG 1985 iVm der Verpflichtung aller öffentlichen Ämter zur parlamentarischen Kontrollzwecken dienenden Aktenvorlage ergeben, wäre daher auf eine aus rechtsstaatlicher Sicht unabdingbare legislative Maßnahme angewiesen.

Da dem angefochtenen Beschluß aus den dargelegten Erwägungen die geltend gemachte Gesetzesverletzung nicht anhaftet, war die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

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