OGH 7Ob560/90

OGH7Ob560/9025.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Egermann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theodora K***, Buchhalterin, Graz, Floßlendstraße 33, vertreten durch Dr. Harold Schmid, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Alfred K***, Vizeleutnant, Graz, Vinzenzgasse 74, vertreten durch Dr. Richard Kaan u.a., Rechtsanwälte in Graz, wegen S 48.370,- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 22. Dezember 1989, GZ 6 R 87/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 27. Februar 1989, GZ 11 Cg 135/88-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.292,80 (darin S 548,80 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile, deren Ehe mit Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz am 31.5.1983 einvernehmlich geschieden wurde, sind die Eltern der Kinder Michael, geboren am 15.10.1964, Ursula, geboren am 12.12.1965 und Oliver, geboren am 3.5.1967. Sie haben im Zuge des Scheidungsverfahrens folgende Vereinbarung getroffen:

"1. Vorbehaltlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung ve0bleibt der minderjährige Michael, geb. am 15.10.1964 und der mj. Oliver, geb. am 3.5.67, in Pflege und Erziehung des Erstantragstellers Alfred K***, dem auch die Rechte und Pflichten gemäß der §§ 144, 177 ABGB allein zustehen.

Vorbehaltlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung verbleibt die mj. Ursula, geb. am 12.12.1965 in Pflege und Erziehung der Zweitantragstellerin Theodora K***, welcher auch die Rechte und Pflichten gemäß der §§ 144, 177 ABGB allein zustehen.

2. Vorbehaltlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung kommt der Erstantragsteller derzeit für den Unterhalt der mj. Kinder Michael und Oliver zur Gänze allein auf. Die Zweitantragstellerin hingegen kommt vorbehaltlich der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung derzeit für den Unterhalt der mj. Ursula zur Gänze allein auf. Die Antragsteller verpflichten sich, für den Fall der Inanspruchnahme in unterhaltsrechtlicher Hinsicht durch die Kinder sich gegenseitig schad- und klaglos zu calten."

Oliver zog im Oktober 1985 aus der Wohnung des inzwischen wiederverehelichten Beklagten wegen familiärer Differenzen aus und machte in der Folge gegen beide Parteien Unterhaltsansprüche geltend. Der Beklagte wurde zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 2.500,-, die Klägerin von S 2.700,-, je ab 28.10.1986, verurteilt.(Auch) die Klägerin kam ihrer unterhaltsmäßigen Verpflichtung nach und erbrachte bis März 1988 Unterhaltsleistungen von S 46.170,- zuzüglich einer Pauschalgebühr (§ 70 ZPO) von S 2.200,-.

Die Klägerin begehrt den Rückersatz dieses Betrages unter Hinweis auf die Vereinbarung vom 31.5.1983.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Es sei nicht Inhalt des Vergleiches, daß der Beklagte der Klägerin eine Unterhaltsleistung zu ersetzen habe, die allein nach ihrer Leistungsfähigkeit bemessen worden sei. Bei Abschluß der Vereinbarung seien beide Teile davon ausgegangen, daß die Kinder im jeweiligen Haushalt den Naturalunterhalt bekämen. Darauf, daß ein Kind den Haushalt verlassen und von beiden Teilen Unterhalt fordern würde, sei nicht Bedacht genommen worden. Subsidiär wendete der Beklagte die von ihm erbrachte Unterhaltsleistung von S 62.500,- als Gegenforderung ein.

Das Erstgericht erkannte, daß die Klageforderung zu Recht, die Gegenforderung aber nicht zu Recht bestehe und gab dem Klagebegehren statt. Es stellte außer dem bereits dargestellten Sachverhalt fest:

Die Streitteile kamen im Vergleich vom 31.5.1983 überein, daß jeder Teil für den Unterhalt der bei ihm verbleibenden Kinder allein aufkommen soll. Der Inhalt des Vergleiches wurde bei der Protokollierung vom Richter mit den Parteien besprochen und entsprach ihrem Willen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Begehren der Klägerin, nicht auch jenes des Beklagten, bestehe nach dem Inhalt des Scheidungsvergleiches zu Recht. Der Beklagte habe dem Auszug Olivers aus seiner Wohnung zugestimmt und daher das Abgehen von der Naturalverpflichtung selbst zu verantworten.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (in der Fassung vor der WGN 1989) zulässig ist. Sei der Vertragstext nicht genügend deutlich, der objektive Aussagewert einer Willenserklärung also nicht unzweifelhaft, bedürfe es der Auslegung. Gemäß § 914 ABGB sei bei der Auslegung von Verträgen - und auch von gerichtlichen Vergleichen - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Diese Bestimmung gelte auch für einseitige Erklärungen. Zunächst sei daher vom Wortsinn auszugehen; doch dürfe der Ausleger dabei nicht stehenbleiben, er müsse den Willen der Parteien erforschen. Darunter sei die dem Erklärungsgegner erkennbare Absicht des Erklärenden zu verstehen. Unter der Absicht der Parteien sei der Geschäftszweck zu verstehen, den jeder der vertragschließenden Teile der Vereinbarung redlicherweise unterstellen müsse. Lasse sich auf diese Weise kein eindeutiger Sinn ermitteln, sei die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Hiezu seien die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen, wobei auch die näheren Umstände, unter denen eine Erklärung erfolge, von Bedeutung seien. Maßgebend sei weder allein der Wille des Erklärenden, noch die subjektive Auslegung des Erklärungsempfängers, sondern der objektive Erklärungswert der Willensäußerung. Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, spreche schon die Auslegung der Vereinbarung nach dem Wortsinn dafür, daß im Fall des Auszuges der Söhne aus dem Haushalt des Beklagten bzw. der Tochter aus jenem der Klägerin und der damit weggefallenen Möglichkeit der Gewährung von Naturalunterhalt eine Verpflichtung zur Schad- und Klagloshaltung des auf Unterhalt in Anspruch genommenen anderen Elternteils nicht bestehe. Die Streitteile seien übereingekommen, daß der Beklagte derzeit für den Unterhalt der in seiner Pflege und Erziehung verbleibenden Söhne, die Klägerin dagegen für den der in ihrer Pflege und Erziehung verbleibenden Tochter aufkomme. Dieser Regelung liege, wie sich aus dem Wort "derzeit" ergebe, dem ganzen Zusammenhang nach offenbar die Erwägung zugrunde, daß, solange die Söhne im Haushalt des Beklagten und die Tochter in jenem der Klägerin in natura verpflegt werden, der jeweils andere Elternteil keine Unterhaltsleistungen zu erbringen brauche. Der letzte Satz des zweiten Punktes sei in die Vereinbarung offenbar - über Anraten des Scheidungsrichters, wie das Berufungsgericht auf Grund einer teilweisen Beweiswiederholung ergänzend feststelle - nur aufgenommen worden, weil der Unterhalt eines Kindes durch eine Vereinbarung der Eltern nicht bindend geregelt und der Anspruch eines Kindes auf den notwendigen Unterhalt durch einen Vergleich nicht beeinträchtigt werden könne. Betrachte man die Regelung in ihrer

Gesamtheit - Übernahme der beiden Söhne in Pflege und Erziehung des Beklagten, der Tochter in jene der Klägerin, derzeit ausschließliche Alimentierung der Söhne durch den Beklagten und der Tochter durch die Klägerin - , habe die Vereinbarung der Schad- und Klagloshaltung nur die "derzeit", also nach den zur Zeit des Abschlusses des Vergleiches gegebenen Umständen, geltende Regelung des Kindesunterhalts inter partes absichern sollen. Es habe daher im Wege des Regresses nur der vertragsmäßig vorgesehene Zustand, nämlich die alleinige Alimentierung der in seinem Haushalt verbleibenden Söhne durch den Beklagten bzw jene der in ihrem Haushalt lebenden Tochter durch die Klägerin, gewährleistet sein sollen. Keineswegs dagegen treffe dies schon nach dem Wortsinn des im Zusammenhang gelesenen Vergleichstextes auf den Fall zu, daß ein Kind aus dem Haushalt ausziehe und damit die Möglichkeit zur Leistung des Naturalunterhalts wegfalle. Im übrigen habe auch der Scheidungsrichter, wie auf Grund seiner Einvernahme vor dem Berufungsgericht ergänzend festgestellt werde, den Parteien bei Vergleichsabschluß die Bedeutung des Ausdruckes "derzeit" in dem Sinn erklärt, daß die Unterhaltsregelung für den Zeitraum gelte, in dem die Söhne beim Vater und die Tochter bei der Mutter bleiben, und daß die Streitteile dies auch so aufgefaßt hätten. Komme aber die Regelung des Kindesunterhalts nicht zum Tragen, wenn ein Kind von einem Elternteil wegziehe, sei die wechselseitige Verpflichtung zur Klag- und Schadloshaltung hinfällig. Oliver sei nicht beim Beklagten geblieben. Der Beklagte habe daher nicht mehr für ihn zu sorgen gehabt. Der Anspruch der Klägerin sei aus diesem Grund nicht berechtigt. Die Revision sei "angesichts der zu lösenden Rechtsprobleme" für zulässig zu erklären gewesen.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der Nichtigkeit, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben, und macht überdies geltend, die Revision sei mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (i.d.F. vor der WGN 1989) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes unzulässig.

Liegt eine nach § 502 Abs 4 Z 2 oder Abs 5 ZPO zulässige Revision nicht vor, kann die Revision nur begehrt werden, weil das Urteil des Berufungsgerichtes auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts beruht, der erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt. In Ansehung der geltend gemachten Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, weil im angefochtenen Urteil lediglich auf die Feststellungen des Erstgerichtes verwiesen werde, sodaß das Urteil der zweiten Instanz als solches nicht nachvollziehbar sei, liegt eine erhebliche Rechtsfrage schon deshalb nicht vor, weil eine solche Verweisung nicht stattgefunden hat. Das Berufungsgericht hat die wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes ausdrücklich wiedergegeben. Nichtigkeit läge im übrigen auch dann nicht vor, wenn das Berufungsurteil tatsächlich nur einen Hinweis auf die Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichtes enthielte (7 Ob 33/68). Dies gilt in gleicher Weise auch für die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (§ 503 Abs 1 Z 3 ZPO). Die vom Berufungsgericht zitierte Aussage des Zeugen Dr. Hans JUD findet sich auf Seite 2, Ende des ersten Absatzes, des Protokolls vom 16.11.1989. Aber auch eine im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechts ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht gibt keinen Hinweis, in welchem Umstand es eine solche Rechtsfrage sieht, und auch der Revisionwerber zeigt eine derartige Rechtsfrage nicht auf. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze, nach denen eine Vereinbarung wie jene der Streitteile vom 31.5.1983 auszulegen ist, im Sinne einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung dargelegt und ist bei der von ihm vorgenommenen Auslegung von diesen Grundsätzen nicht abgewichen. Die zweite Instanz hat dabei entgegen der Ansicht der Klägerin keineswegs übersehen, daß die Streitteile hinsichtlich des Unterhalts ihrer mj. Kinder eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen haben; es hat vielmehr diesen Umstand selbst aufgezeigt (S.11 der angefochtenen Entscheidung) und darauf hingewiesen, daß die Parteien aus diesem Grund über Anraten des Scheidungsrichters den Passus über die gegenseitige Schad- und Klagloshaltung in die Vereinbarung aufgenommen haben. Bemerkt sei, daß nicht nur die Obsorge (§§ 144 und 177 ABGB, wie im Vergleich erwähnt) sich nur auf ein minderjähriges Kind beziehen kann, sondern daß auch die Bestellung eines "Widerstreitsachwalters" (die der Zeuge Dr. Hans JUD im Hinblick auf die Vereinbarungen der Parteien als möglich ansah, wie auch in der Revision erwähnt wird) nur zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes, nicht auch eines volljährigen, hätte erforderlich werden können. Hat aber das Berufungsgericht im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung entschieden, ist der Frage, ob etwa die besonderen Umstände des Einzelfalles eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, die Grundlage entzogen; im übrigen aber kommt dieser Frage keine zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO; der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin in der Revisionsbeantwortung hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte