OGH 11Os9/90

OGH11Os9/9021.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.März 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gertrude B*** wegen des Verbrechens des versuchten Totschlages nach den §§ 15, 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Wr. Neustadt vom 6. Dezember 1989, GZ 9 Vr 539/89-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Stöger, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Breuer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre erhöht.

Die Angeklagte wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 15.August 1954 geborene, zuletzt im Haushalt tätig gewesene Gertrude B*** des Verbrechens des versuchten Totschlages nach den §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt. Ihr liegt zur Last, sich am 25.Juni 1989 in Pernitz-Feichtenbach in einer durch vorangegangene mehrmalige Äußerungen ihres Ehemannes Erich B*** (sie "nach Gugging" und das Kind in ein Heim zu bringen) ausgelösten allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zu dem Versuch hinreißen lassen zu haben, den schlafenden Erich B*** zu töten, indem sie ihm mindestens zehn Messerstiche in den Hals, das Gesicht, die Brust und die Schulter versetzte.

Die Geschwornen hatten jeweils stimmenmehrheitlich (im Verhältnis von 7 : 1) die Hauptfrage (I des Fragenschemas) nach Mordversuch verneint, die Eventualfrage (III) nach versuchtem Totschlag bejaht und die daran geknüpfte Zusatzfrage (IV) nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit verneint, weshalb die weiteren Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs. 1 StGB - Punkt V) und nach schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB - Punkt VII) samt den Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB (Punkte VI und VIII) folgerichtig unbeantwortet blieben.

Diesen Schuldspruch bekämpfen die Staatsanwaltschaft (aus der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO) sowie die Angeklagte (gestützt auf § 345 Abs. 1 Z 6 und 10 a StPO) jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sprach sich bereits in der Hauptverhandlung für die Nichtaufnahme der Eventualfrage III nach versuchtem Totschlag (§§ 15, 76 StGB) in das Fragenschema aus. Er behielt sich nach Abweisung seines dahinzielenden Antrages durch den Schwurgerichtshof (gemäß dem § 345 Abs. 4 StPO) die Nichtigkeitsbeschwerde vor. Die Staatsanwaltschaft meint in ihrer Rüge, daß die tataktuelle heftige Gemütsbewegung der Angeklagten nicht "allgemein begreiflich" (§ 76 StGB) gewesen sei und die Fragestellung nach versuchtem Totschlag daher verfehlt erscheine. Gemäß dem § 314 Abs. 1 StPO ist eine Eventualfrage, ob die einem Angeklagten laut Anklageschrift zur Last gelegte Straftat (hier: Mordversuch) unter ein anderes, im Vergleich zum anklagegegenständlichen nicht strengeres Strafgesetz fällt (hier: versuchter Totschlag), dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - falls als erwiesen angenommen - eine entsprechende Tatbeurteilung zur Folge hätten. Die Angeklagte berief sich in ihrer Verantwortung in der Hauptverhandlung sinngemäß im wesentlichen darauf, das Messerattentat auf ihren Ehemann im Zug eines hochgradigen Affektes verübt zu haben, der sich schon einige Zeit vorher infolge einer Ehekrise aufgestaut hatte und in der Nacht zum 25.Juni 1989 entscheidend verstärkte, weil ihr Erich B*** nach einem Geschlechtsverkehr (S 24/II) erneut die Einweisung in eine geschlossene Anstalt (Gugging) und die Unterbringung der gemeinsamen (damals 9-jährigen) ehelichen Tochter Andrea in einem Heim in Aussicht stellte (S 10, 26 und 29/II). Als sie in der damals als ausweglos empfundenen Situation in den Morgenstunden des 25. Juni 1989 fluchtartig ihren Ehemann verlassen und mit dem PKW wegfahren wollte, habe sie das Fahrzeug aufgrund eines - von ihr vermuteten und auch tatsächlich vorgenommenen - Eingriffes ihres Ehemannes (Abziehen eines Kabels vom Verteilerkopf; S 269/I) nicht in Betrieb nehmen können. Da sie in dieser Situation keine Möglichkeit sah, die beabsichtigte Flucht aus ihrem bisherigen Lebenskreis zu verwirklichen, sei sie in Panik geraten (S 13/II) und verstandesmäßigen Überlegungen nicht mehr zugänglich gewesen (S 18/II). Damit brachte die Angeklagte sinngemäß zum Ausdruck, daß die Verhinderung ihrer Flucht aus dem ehelichen Heim durch ihren Ehemann, der den PKW vorher betriebsunfähig gemacht hatte, nur das letzte auslösende Moment für den Ausbruch des durch die vorangegangenen Ereignisse bereits aufgestauten hochgradigen Affektes gewesen sei, indem sie sich zur Tat habe hinreißen lassen. Diese Verantwortung findet auch in dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prim. Dr. Herbert H*** volle Deckung, der ausdrücklich von einem durch die Ehekrise der Angeklagten und die dadurch bedingten Konflikte mit ihrem Ehemann resultierenden affektgesteuerten Tatgeschehen spricht und die Messerstiche als Affektdurchbruch einer bereits durch längere Zeit aufgestauten heftigen Gemütsbewegung erklärt, zu dem es letztlich gekommen sei, weil sich die Angeklagte (infolge der Manipulation ihres Ehegatten) außerstande sah, das Haus zu verlassen und so die aus ihrer Sicht bestehende letzte "Fluchtmöglichkeit" mit dem PKW zu realisieren (S 215 und 219/I, S 47, 49 und 50/II). Mit dem Beschwerdeeinwand, es sei nicht vorstellbar, daß eine andere Frau in derselben Lage und mit demselben Charakter wie die Angeklagte auf diesen Anlaß mit einem Mordversuch reagiere, übersieht die Staatsanwaltschaft, daß für eine Tatbeurteilung als (versuchter) Totschlag nicht die auf Tötung eines Menschen abzielende Tathandlung, sondern (bloß) die heftige Gemütsbewegung im Tatzeitpunkt, also ein dynamischer Vorgang, der schließlich in eine Endphase mündet, in der sich der Täter zu Tötungshandlungen gegen einen Menschen hinreißen läßt, "allgemein begreiflich" sein muß (vgl. 13 Os 96/85). Bei Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit eines Affektes ist ein objektiver Maßstab anzulegen, dabei jedoch die geistige und körperliche Beschaffenheit des Täters in der speziellen Tatsituation zu berücksichtigen (12 Os 83/85 = JBl. 1986, 261; 15 Os 127/87). Allgemein begreiflich im Sinn des § 76 StGB ist demnach ein zur Tatzeit wirksamer und für den Tatentschluß kausaler Affekt nur dann, wenn ein - als Maßfigur gedachter - rechtstreuer Mensch von geistiger und körperlicher Beschaffenheit wie der Täter sich vorstellen könnte, auch er geriete in der gegebenen Situation in eine solche Gemütsverfassung. Somit unterliegt zwar nicht die in diesem Ausnahmezustand begangene vorsätzliche Tötung eines Menschen (oder ihr Versuch), wohl aber die konkrete Gemütsbewegung des Täters in ihrer gesamten, auch zum Zurückdrängen verstandesmäßiger Erwägungen und zur Überwindung starker sittlicher Hemmungen geeigneten Dimension einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit einer rechtsethischen Bewertung, und zwar in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß (12 Os 122/86, EvBl. 1982/167, JBl. 1986, 261, 11 Os 91/88, 11 Os 140/89):

Unter Berücksichtigung dieser für die Beurteilung der allgemeinen Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung maßgebenden Kriterien kann aber der Auffassung der Staatsanwaltschaft zuwider nicht gesagt werden, daß hier nach der bereits dargelegten Verantwortung der Angeklagten in der Hauptverhandlung in Verbindung mit dem Gutachten des (in der Verhandlung gehörten) psychiatrischen Sachverständigen Dr. H*** ein die Aufnahme der Eventualfrage III (auch versuchtem Totschlag - §§ 15, 76 StGB) rechtfertigendes Tatsachensubstrat gefehlt hätte. Die gerügte Fragestellung war vielmehr nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung rechtlich geboten.

2./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten:

Mit der einleitenden Tatsachenrüge (Z 10 a) vermag die Beschwerde keine, geschweige denn erhebliche, sich aus der Aktenlage ergebenden Bedenken gegen die Richtigkeit der von den Geschwornen dem Wahrspruch zugrunde gelegten Tatsachenannahme aufzuzeigen, daß die Angeklagte - wie von ihr im Zuge des Vorverfahrens auch ausdrücklich zugegeben - mit Tötungsvorsatz handelte. Nicht im Recht ist die Beschwerde aber auch, soweit sie eine Verletzung von Vorschriften über die Fragestellung darin erblickt, daß die Aufnahme einer Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch im Sinn des § 16 Abs. 1 StGB in das Fragenschema unterblieb. Eine derartige Zusatzfrage war der Beschwerdeauffassung zuwider schon aufgrund der eigenen Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht erforderlich. Geht doch daraus hervor, daß sie gegen ihren zunächst noch schlafenden Ehemann mit dem Messer einzustechen begann (S 15/II) und der Attackierte sich gegen die (weiteren) Messerstiche zur Wehr setzte, indem er die Tatwaffe (mit der Hand) abfing, worauf sie das fortgesetzte Zustechen abbrach (S 23/II) und Erich B*** schließlich durch das Fenster aus dem Haus flüchtete, nachdem es ihm nicht gelungen war, der Angeklagten das Messer zu entwinden (S 25 und 27/II).

Abgesehen davon, daß es nach diesem in der Hauptverhandlung hervorgekommenen Tatsachensubstrat nur infolge der Gegenwehr und der Flucht des Opfers nicht zur Tatvollendung kam und es schon aus diesem Grund an der für strafaufhebenden Rücktritt vom Versuch gemäß dem § 16 Abs. 1 StGB essentiellen Freiwilligkeit fehlte, setzt diese Freiwilligkeit eine Abstandnahme von der Tatausführung aus eigenem Antrieb und aufgrund innerer Erwägungen des Täters im Bewußtsein, die Tat noch vollenden zu können, dies aber nicht mehr zu wollen, voraus (vgl. Leukauf-Steininger, StGB2, RN 2 zu § 16 StGB). Der in Rede stehende Strafaufhebungsgrund kommt hier aber auch deshalb nicht in Betracht, weil die Angeklagte mißlungenen und somit beendeten Versuch zu verantworten hat, bei dem ein (strafaufhebender) Rücktritt im Sinn des § 16 Abs. 1 StGB schon begrifflich ausgeschlossen ist (vgl. Kienapfel, AT, Z 23 RN 20 und 21; Z 24 RN 25; Leukauf-Steininger, StGB2, RN 9 und 10 zu § 16 StGB; 11 Os 94/80, 12 Os 167/80, 13 Os 110/80 ua). Denn die Angeklagte hat dadurch, daß sie mindestens zehn Messerstiche gegen Gesicht, Hals, Brustkorb und Schulter führte, ihrem Ehemann derart schwere Verletzungen zugefügt, daß er nur durch eine sofortige Notoperation im Krankenhaus gerettet werden konnte (S 113/I). Die Beschwerdeargumentation, es sei der Angeklagten, als Erich B*** durch das Fenster ins Freie flüchtete, noch die Möglichkeit offen gestanden, mit dem Messer auf ihn weiter einzustechen, sie habe dies aber (aus freien Stücken) unterlassen, schlägt bei dem aktuellen beendeten Versuch nicht durch, hatte doch die Angeklagte eine auf freiwillige tötungsspezifische Erfolgsabwendung gerichtete Tätigkeit, wie dies bei einem beendeten Versuch gemäß dem § 16 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB für einen strafaufhebenden Rücktritt erforderlich wäre, weder behauptet, noch kam ein solches Tätigwerden nach den Verfahrensergebnissen überhaupt in Betracht.

Beide zur Gänze unberechtigten Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte Gertrude B*** gemäß dem § 76 StGB unter Anwendung des § 41 (Abs. 1 Z 3) StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Dabei wertete es keinen Umstand als erschwerend als mildernd hingegen das Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, daß die Tat beim Versuch blieb.

Diesen Strafausspruch bekämpfen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Angeklagte mit Berufung. Die Staatsanwaltschaft strebt eine Erhöhung, die Angeklagte demgegenüber eine Herabsetzung des Strafausmaßes und eine "zumindest" teilbedingte Strafnachsicht an. Von den Berufungen kommt nur jener der Staatsanwaltschaft im Ergebnis Berechtigung zu.

Zwar besteht nach dem Akteninhalt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kein Anlaß, das Geständnis der Angeklagten unter dem Gesichtspunkt nicht überzeugender Tatreue als Milderungsgrund zu entwerten, und es kommt auch dem vermögensrechtlichen Ausgleich zwischen der Angeklagten und ihrem (nunmehr geschiedenen) Ehemann zusätzliche mildernde Bedeutung zu, jedoch stehen zum Nachteil der Angeklagten in erster Linie die Modalitäten der von ihr (wenn auch in einer allgemein begreiflichen, von Erich B*** mitverschuldeten Gemütsbewegung) versuchten Tötungshandlungen im Vordergrund der Strafzumessungserwägungen. Denn die mehrfachen Messerstiche überwiegend gegen lebenswichtige Körperregionen zogen so schwerwiegende Verletzungsfolgen nach sich, daß der Todeseintritt nur durch eine (noch rechtzeitige) Notoperation abgewendet werden konnte. Daraus ergibt sich aber ein so hoher Handlungsunwert, daß hier von einem im Sinn des § 41 Abs. 1 StGB beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe nicht die Rede sein kann. Bei der (solcherart schon aus generalpräventiver Sicht gebotenen) Ausschaltung der außerordentlichen Strafmilderung konnte mit dem Ausspruch der gesetzlichen Mindeststrafe das Auslangen gefunden werden, weil diese Unrechtsfolge nach dem Wegfall der exzeptionellen familiären Rahmenbedingungen als Ursache der tatauslösenden Affekteskalation die Erreichung des Strafzweckes auch aus spezialpräventiver Sicht hinreichend gewährleistet. Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf die ausgesprochene Straferhöhung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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