Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Die am 24.November 1938 geborene Vera A, eine schon viele Jahre in Österreich lebende jugoslawische Staatsangehörige (S. 399), wurde des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil sie am 22.November 1983 in Wien das neugeborene Kind ihrer Tochter Milada B dadurch vorsätzlich (durch Ersticken) getötet hatte, daß sie es in Tücher hüllte, sodann in eine Bettzeuglade legte und diese verschloß.
Die Geschwornen hatten die anklagekonform an sie gerichtete Hauptfrage (1) nach dem Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) im Stimmenverhältnis von 7 zu 1 bejaht und folgerichtig die für den Fall ihrer Verneinung gestellte Eventualfrage (2) nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung (§ 80 StGB) unbeantwortet gelassen. Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte mit einer (der Sache nach) auf § 345 Abs 1 Z. 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher sie rügt, daß entgegen der Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO eine Eventualfrage nach dem - im Vergleich zu dem von der Hauptfrage (1) betroffenen Verbrechen des Mordes - mit einer nicht strengeren Strafe bedrohten Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) in das Fragenschema nicht aufgenommen worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Rüge schlägt nicht durch.
Gemäß § 314 Abs 1 StPO ist eine Eventualfrage dahin, ob die der Angeklagten laut Anklageschrift (hier: als Verbrechen des Mordes) zur Last gelegte Straftat unter ein anderes, gegenüber dem angeklagten Delikt nicht strengeres Strafgesetz fällt, (nur) dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, die - falls sie als erwiesen angenommen werden - eine Tatbeurteilung nach dem milderen Strafgesetz (hier: entsprechend dem Beschwerdevorbringen als Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB) zur Folge hätten.
Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung liegen aber nach dem in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommenen Tatsachensubstrat die Voraussetzungen zur Aufnahme der von ihr angestrebten Eventualfrage nicht vor:
Die Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung als Totschlag (§ 76 StGB) setzt voraus, daß sich der Täter durch eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen. Dabei ist die im § 76 StGB gemeinte Gemütsbewegung in zwei Richtungen abzugrenzen: Einerseits dahin, daß dieser Zustand im Verhältnis zu seinem Anlaß jedermann verständlich ist, d.h. daß der Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre in der Lage des Täters, genauer: in der psychischen Spannung, welcher der Täter ausgesetzt war, in eine solche Gemütsverfassung geraten. Andererseits dahin, daß es darnach jedermann verständlich ist, daß diese Gemütsbewegung, ein dynamischer Vorgang, schließlich (sei dies auch innerhalb kürzester Zeit) in eine Endphase mündete, in der sich der Täter zu einer vorsätzlichen Tötung hinreißen ließ. Damit ist nicht die vorsätzliche Tötung als solche, noch weniger deren im Einzelfall abstoßende oder grausame Ausführung, in die allgemeine Begreiflichkeit (in die Verständlichkeit für den Durchschnittsmenschen) einbezogen (EvBl 1982 Nr. 80, 13 Os 115/84). Die Verantwortung der Angeklagten ging in der Hauptverhandlung dahin, daß sie auf Grund des für sie völlig unerwarteten Ereignisses einer Sturzgeburt durch ihre Tochter sehr verwirrt ('durcheinander'), ratlos und aufgeregt gewesen sei und um das Leben ihrer Tochter gebangt habe (S. 389, 391 bis 395 und 397). Damit wurden in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht, die zwar eine heftige Gemütsbewegung, nicht aber zugleich auch deren allgemeine Begreiflichkeit im dargelegten Sinn indizierten: Denn diese Situation legt zwar nahe (und macht damit begreiflich), daß sich die Angeklagte ihrer offensichtlich in Lebensgefahr geratenen Tochter zuwendet, nicht aber, daß sie sich zur vorsätzlichen Tötung ihres neugeborenen Enkelkinds hinreißen läßt. Die affektive Erregung der Nichtigkeitswerberin war daher schon deshalb nicht als 'allgemein' begreiflich entsprechend der obigen Begriffsbestimmung anzusehen. Eine (weitere) Fragestellung in Richtung des Verbrechens des Totschlags (§ 76 StGB) war daher im vorliegenden Fall nicht geboten, sodaß die behauptete Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO und damit der angerufene Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z. 6 StPO nicht vorliegen.
Das Beschwerdevorbringen, 'daß die Geschwornen nur unter zwei Fragen zu wählen hatten' (S. 461), kann - dem Vortrag des Verteidigers im Gerichtstag zuwider - insbesondere mangels Substantiierung in dieser Richtung auch nicht als Reklamierung einer Frage nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB) aufgefaßt werden. Eine materielle Unrichtigkeit ist diesbezüglich angesichts der klaren Formulierung des Schuldspruchs ('vorsätzlich getötet') nicht zu erkennen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verhängte über die Angeklagte gemäß § 75 StGB in Anwendung des § 41 Abs 1 (Z. 1) StGB eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Dabei war erschwerend kein Umstand, mildernd hingegen waren der ordentliche Lebenswandel der Angeklagten, eine gewisse geistige Minderbegabtheit derselben sowie ihr Erregungszustand zur Tatzeit, der jedoch nicht als allgemein begreifliche Gemütsbewegung zu werten war.
Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht an; dies zu Unrecht. Das Geschwornengericht ist der Verantwortung der Angeklagten (die den Mordvorsatz geleugnet hatte und der daher auch nicht ein Geständnis als mildernd angerechnet wurde) nicht gefolgt. Ersichtlich hat es auch ihrer Verantwortung, von der Schwangerschaft ihrer Tochter nichts gewußt zu haben und von der Geburt überrascht worden zu sein, keinen Glauben geschenkt, sondern sich an die Aussage der Zeugin Dr.Sybille C gehalten (S. 414, 415), wonach ein verbotener Eingriff die Sturzgeburt ausgelöst haben dürfte. Damit rücken der Unrechtsgehalt der Tat und folglich auch die Schuld der Angeklagten in eine solche Dimension auf, daß sich die vom Erstgericht (ohnehin unter Gewährung der außerordentlichen Strafmilderung) ausgemessene Freiheitsstrafe nicht als überhöht erweist. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher zu einer weitergehenden Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nicht veranlaßt.
Bleibt es aber bei der in erster Instanz ausgesprochenen Strafe, dann fehlt es für eine bedingte Strafnachsicht an der für eine solche Maßnahme erforderlichen gesetzlichen Grundvoraussetzung, nämlich an einer Strafe von nicht mehr als zwei Jahren (§ 43 Abs 2 StGB).
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