OGH 2Ob118/89

OGH2Ob118/8919.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***

DER A***, Landesstelle Salzburg, Faberstraße 20, 5021 Salzburg, vertreten durch Dr.Anna Jahn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Helmut H***, Pflastermeister, Bobletten 18, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr.Ivo Greiter, Dr.Franz Pegger, Dr.Stefan Kofler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 172.720,70 sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 19. Juni 1989, GZ 4 R 238/88-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 17.Mai 1988, GZ 3 Cg 87/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.364,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.060,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Manfred M***, ein Dienstnehmer, wurde am 10.August 1983 bei einem Arbeitsunfall getötet. Die klagende Partei leistet seiner Witwe und seiner Tochter Hinterbliebenenpensionen samt Krankenversicherungsbeiträgen.

Der Oberste Gerichtshof hatte sich mit demselben Arbeitsunfall auf Grund einer von der A*** U*** gegen

den Beklagten eingebrachten Klage schon in der Entscheidung vom 12. Mai 1987, 2 Ob 11/87, zu befassen und gelangte dort zu dem Ergebnis, dem Beklagten sei grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Gestützt auf § 334 ASVG fordert die klagende Partei als Ersatz für in der Zeit vom 10.August 1983 bis 31.März 1988 an die Hinterbliebenen erbrachten Sozialversicherungsleistungen einen restlichen Betrag von S 172.720,70. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für sämtliche Leistungen, die sie aus Anlaß des Unfalls zu erbringen habe. Der Beklagte wendete insbesondere ein, die Rentenleistungen der klagenden Partei seien wesentlich höher als die Unterhaltsansprüche, die die Hinterbliebenen gegenüber Manfred M*** gehabt hätten, die Witwe sei inzwischen wieder versorgt, weil sie eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei und eine kirchliche Ehe geschlossen habe. Im Rechtsmittelverfahren vertritt der Beklagte überdies den Standpunkt, § 334 ASVG sei verfassungswidrig. Das Erstgericht erkannte im Sinne des Leistungs- und des Feststellungsbegehrens.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht statt und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Ansicht, der Ersatzanspruch der klagenden Partei nach § 334 ASVG sei ein originärer, der von der Höhe des den Hinterbliebenen entstandenen Schadens unabhängig sei. Das Eingehen einer Lebensgemeinschaft und eine kirchliche Ehe änderten nichts am Anspruch der Witwe auf Witwenpension. Betrachte man die Vorteile, die sich aus den §§ 333 und 334 ASVG für den Dienstgeber insgesamt ergäben, so habe das Berufungsgericht auch gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 334 Abs 1 ASVG selbst dann keine Bedenken, wenn berücksichtigt werde, daß diese Bestimmung im Einzelfall auch zu einer höheren Haftung des Dienstgebers führen könne, als sie für andere Schädiger nach § 332 Abs 1 ASVG gegeben wäre. Schließlich solle die Ersatzpflicht des Dienstgebers für von ihm vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Arbeitsunfälle auch der Vermeidung von Arbeitsunfällen dienen und Arbeitgeber in diesem Sinne motivieren. In der deutschen Judikatur werde daher zur ähnlichen Bestimmung des § 640 RVO die Auffassung vertreten, daß der Rückgriff nach dieser Bestimmung zwar in erster Linie die Schadloshaltung des Sozialversicherungsträgers bezwecke, ein rechtspolitischer Nebenzweck aber im erzieherischen Gesichtspunkt liege, im Bereich des Arbeitslebens zu einem Mindestmaß von Rücksicht auf Leben und Gesundheit anderer durch die an vorsätzliche und grob fahrlässige Schädigung geknüpften wirtschaftlichen Folgen anzuhalten, sodaß der Bestimmung des § 640 RVO also auch ein Erziehungs- und Strafcharakter zukomme (Entscheidungen des BGH in VersR 1972, 270 und 1971, 1167). Insgesamt erscheine somit die Regelung des § 334 Abs 1 ASVG durchaus sachlich begründet und deshalb nicht gleichheitswidrig. Auch die in der Literatur vereinzelt aufscheinende Kritik an einzelnen Punkten der Regelung des Dienstgeberhaftpflichtprivilegs (zB Koziol in RdA 1980, 373 f; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 236) vermöge jedenfalls Bedenken gegen die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung beim Berufungsgericht nicht hervorzurufen, sodaß kein Anlaß zu einer Antragstellung im Sinne des Art 89 Abs 2 BVG gesehen werde.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt 1. beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens und auf Aufhebung der Bestimmung des § 334 ASVG zu stellen, und 2. das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt der Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 334 Abs 1 ASVG hat der Dienstgeber, der einen Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, dem Träger der Sozialversicherung alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen. Nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschrift handelt es sich - anders als bei der Legalzession des § 332 ASVG - um einen originären Anspruch, der unabhängig davon besteht, ob dem Verletzten ein privatrechtlicher Schadenersatzanspruch zusteht (8 Ob 71/82; 8 Ob 151/81; vgl auch Krejci in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 477; ZVR 1958/254; SZ 31/2 ua). Die vom Beklagten angestrebte Interpretation, der Ersatzanspruch sei durch den Schaden des Geschädigten bzw Hinterbliebenen begrenzt, steht zum Wortlaut des § 334 Abs 1 ASVG in Widerspruch. Eine teleologische Reduktion, die zu einer Auslegung im Sinne der Ansicht des Beklagten führen würde, hätte zur Voraussetzung, daß sie dem Zweck des Gesetzes entspricht (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB, Rz 7 zu § 7). Ein Anhaltspunkt dafür, daß der Zweck des § 334 ASVG darin bestehen soll, den Schädiger nur mit einer Ersatzleistung in der Höhe eines dem Geschädigten (Hinterbliebenen) zustehenden privatrechtlichen Schadenersatzanspruches zu belasten, findet sich jedoch nicht. Verfehlt sind auch die Revisionsausführungen, das Klagebegehren bestehe nicht zu Recht, weil die Witwe eine Lebensgemeinschaft und eine kirchliche Ehe eingegangen sei. Nach § 100 ASVG erlöschen Ansprüche auf eine laufende Leistung in der Unfallversicherung und der Pensionsversicherung mit der Verheiratung der renten(pensions-)berechtigten Witwe. Eine Lebensgemeinschaft hat diese Wirkung nicht, ebensowenig eine nur kirchlich geschlossene Ehe, die für den staatlichen Bereich keine Rechtswirkungen erzeugt. Der Umstand, daß der Gesetzgeber in einzelnen Bereichen die Lebensgemeinschaft einer Ehe gleichstellt, vermag daran nichts zu ändern, denn § 100 ASVG fordert für das Erlöschen der Ansprüche das Eingehen einer Ehe nach staatlichem Recht. Den Revisionsausführungen, die Versorgung einer Lebensgefährtin sei durch gesetzliche Entgeltansprüche (§ 1152 ABGB) gesichert, ist überdies entgegenzuhalten, daß für die während einer Lebensgemeinschaft geleisteten Dienste im allgemeinen kein Entlohnungsanspruch besteht (EFSlg 1687, 17.913, 22.529 uva) und selbst bei Vorliegen der Vereinbarung einer Entlohnung ein derartiger Anspruch nur besteht, so lange die Dienstleistungen erbracht werden.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich auch nicht zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlaßt. Bereits in 8 Ob 151/81 wurde zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 334 ASVG Stellung genommen und folgendes ausgeführt:

"Der Gesetzgeber hat für einen umfassenden Fallbereich (§ 333 ff ASVG) das Spannungsverhältnis zwischen Haftpflichtrecht und Sozialversicherungsrecht in der Weise gelöst, daß er den Schädiger von seiner Haftpflicht gegenüber dem Versicherten grundsätzlich befreit und statt dessen ein Rückgriffsrecht des Versicherungsträgers aus eigenem Recht statuiert. Das Haftungsprivileg (§ 333 ASVG) und der Sozialversicherungsregreß aus eigenem Recht (§ 334 ASVG) sind zwei Seiten desselben Schadensausgleichsmodells; der Anwendungsbereich beider Figuren ist derselbe. Dieses Lösungsmodell ist ein Ausfluß des das Recht der sozialen Unfallversicherung tragenden Grundgedankens der Ablöse der Unternehmerhaftpflicht durch die Übernahme der Finanzierung der Unfallversicherung durch die Unternehmer (siehe dazu Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes 423 f). Diese gesetzliche Regelung ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes verfassungsrechtlich unbedenklich, weil der in der Verfassung zum Ausdruck gekommene Gleichheitsgrundsatz nicht hindert, daß aus wichtigen und sachlich gerechtfertigten Gründen einzelne Gruppen der Bevölkerung ungleich behandelt werden (SZ 44/48 ua)."

Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlaß, von dieser Ansicht abzuweichen. Den in 8 Ob 151/81 angeführten Gründen ist noch ergänzend beizufügen, daß § 334 ASVG den Dienstgeber, der einen Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht, keinesfalls nur schlechter stellt als einen anderen Schädiger, denn die Leistungen des Sozialversicherungsträgers decken nicht immer den dem Geschädigten oder Hinterbliebenen entstandenen materiellen Schaden zur Gänze ab. Der Dienstgeber, der grob fahrlässig handelte, muß aber auf Grund der Vorschriften der §§ 333 und 334 ASVG nie mehr ersetzen als die von den Sozialversicherungsträgern erbrachten Leistungen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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