OGH 2Ob73/89

OGH2Ob73/8920.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** & S***, Hoch-, Tief- und Stahlbetonbau Ges.m.b.H., Wiener Straße 45, 2640 Gloggnitz, vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wider die beklagten Parteien 1) Dipl.Ing. Franz P***, Angestellter, Schubertgasse 6, 8662 Mitterdorf, 2) Firma E***-B*** Ges.m.b.H. Nachfolger KG, 8662 Mitterdorf, und

3) D*** Allgemeine Versicherungs-AG., p.Adr. Elisabethstraße 59, 8011 Graz, alle vertreten durch Dr. Jörg Baumgärtel, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 20.833,-- s.A. (Revisionsstreitwert S 20.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 15. März 1989, GZ R 34/89-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 5. Dezember 1988, GZ C 1089/88-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.411,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 568,56, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 9. März 1988 wurde der PKW der Klägerin bei einem Verkehrsunfall im Gemeindegebiet von Gloggnitz beschädigt. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist nicht strittig. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 20.833,-- s.A. Dieser Klagsbetrag umfaßte unter anderem einen Betrag von S 20.000,--, den die Klägerin als Ersatz für die an ihrem Fahrzeug eingetretene merkantile Wertminderung verlangte. Die Beklagte wendete dazu im wesentlichen ein, daß das Fahrzeug der Klägerin schon zwei erhebliche Vorschäden aufgewiesen habe, sodaß infolge der beim Unfall vom 9. März 1988 erfolgten neuerlichen Beschädigung dieses Fahrzeugs keine merkantile Wertminderung mehr eingetreten sei.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von S 833,-- s.A. und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrags von S 20.000,-- s.A. (Wertminderung) gerichtete Mehrbegehren ab. Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren allein noch strittige Frage der Wertminderung von Interesse, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Bei dem Unfall vom 9. März 1988 traten schwerwiegende Beschädigungen des Fahrzeugs der Klägerin, insbesondere im Frontbereich, ein, deren ordnungsgemäße Behebung Reparaturkosten im Betrag von S 83.967,60 (einschließlich Umsatzsteuer) erforderte. Dieses Fahrzeug wurde erstmals am 12. September 1986 auf die Klägerin bei der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen zugelassen. Es wies am Unfallstag zwei Vorbeschädigungen auf. Durch einen Steinschlag war eine Beschädigung der Windschutzscheibe eingetreten, die von der Firma Karl S*** im März 1987 ausgetauscht wurde; dafür wurde der Klägerin ein Betrag von S 6.277,20 in Rechnung gestellt. Durch ein Hagelunwetter im August 1987 wurde die Karosserie des PKW an jenen Flächen, die dem Hagel ausgesetzt waren, jeweils durch Aufschläge eingedrückt. Wegen dieses Schadens wurde der Ersatz des Motordeckels, des Kofferdeckels, des Schiebedachdeckels, der Winschutzscheibenleiste, der Tür- und Fensterschachtleiste, der Heckscheibenleisten und der Seitenfensterleisten erforderlich. Weiters waren Richtarbeiten am Dach, den vorderen Kotflügeloberteilen sowie an beiden Seitenwänden am Oberteil erforderlich, ebenso umfangreiche Lackierarbeiten in diesen Bereichen. Die Behebung des Hagelschadens, die erst im Februar 1988 erfolgte, erforderte einen Betrag von S 48.209,04 (einschließlich Umsatzsteuer).

Der Geschäftsführer der Klägerin fährt mit diesem Fahrzeug durchschnittlich 35.000 km im Jahr. Der genaue Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Unfalls vom 9. März 1988 kann nicht festgestellt werden; am 10. November 1988 betrug er ca. 70.000 km. Zum Unfallszeitpunkt war das Auto 17,9 Monate alt. Laut Preisempfehlung des Generalimporteurs beträgt der Verkaufspreis des Fahrzeugs einschließlich Umsatzsteuer bezogen auf das Anschaffungsdatum ca. S 465.000,--. Der im August 1987 eingetretene Hagelschaden ist als schwerer Schaden im technischen Sinn anzusehen. Durch diesen Hagelschaden ist am Fahrzeug eine Wertminderung eingetreten. Ausgehend vom Erstbesitz, Vorschadensfreiheit und der durchschnittlichen Kilometerleistung von 2692 km monatlich betrug die durch den Hagelschaden eingetretene Wertminderung ca. S 20.000,--. Mit Stichtag 9. März 1988 hatte das Fahrzeug der Klägerin unter Berücksichtigung des Hagelschadens vor Eintritt der Beschädigung durch den an diesem Tag erfolgten Unfall einen Wiederbeschaffungswert von S 294.000,--. Unter Vernachlässigung des Hagelschadens wäre durch den Verkehrsunfall vom 9. März 1988 eine Wertminderung von S 11.000,-- eingetreten, die unter jener Wertminderung liegt, die durch den Hagelschaden im August 1987 eingetreten ist.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, die Wertminderung sei positiver Schaden, der neben Reparaturkosten zu ersetzen sei. Der Minderwert eines Fahrzeugs habe seine Ursache darin, daß das durchschnittliche Käuferpublikum eine Abneigung gegen Unfallfahrzeuge habe und daher bei deren Verkauf eine Preisreduktion begehre. Das Fahrzeug der Klägerin habe einen schweren Vorschaden aufgewiesen, der zu einer Wertminderung von S 20.000,-- geführt habe. Der Unfall vom 9. März 1988 hätte ohne Vorschaden nur zu einer Wertminderung von S 11.000,-- geführt. Wohl werde der Wert eines Fahrzeugs durch jede weitere Beschädigung gemindert; nach ständiger Rechtsprechung sei der merkantile Minderwert aber nur dann zu ersetzen, wenn ein Fahrzeug im Unfallszeitpunkt keine Vorbeschädigung aufgewiesen habe. Der Klägerin gebühre daher kein Ersatz für eine Wertminderung ihres Fahrzeugs.

Diese Entscheidung des Erstgerichts blieb in ihrem klagsstattgebenden Teil unangefochten; in ihrem klagsabweisenden Teil wurde sie von der Klägerin mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil diesem Rechtsmittel Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts im Sinne der vollinhaltlichen Klagsstattgebung ab.

Das Berufungsgericht stellte nach Beweisergänzung folgenden Sachverhalt fest:

Stellt man einem Durchschnittskäufer zwei Fahrzeuge vor, wobei es sich bei einem um das Fahrzeug der Klägerin mit Hagelschaden und bei dem anderen gleichfalls um das Fahrzeug der Klägerin mit Hagelschaden und repariertem Unfallschaden handelt, so kann davon ausgegangen werden, daß der Käufer einen erheblichen Preisnachlaß verlangen würde, damit er das durch einen Hagelschaden und einen Unfallschaden vorbeschädigte Fahrzeug akzeptiert. Mit Stichtag 9. März 1988 hatte das Fahrzeug der Klägerin einen Wiederbeschaffungswert von ca. S 294.000,--. Der dem Käufer zu bietende Preisnachlaß, damit er das durch einen Hagelschaden und den Unfallschaden beschädigte Fahrzeug akzeptiert, kann in der Größenordnung von etwa um 15 % abgeschätzt werden. Dies würde also bedeuten, daß der vom Käufer zu bezahlende Preis sich mit etwa S 250.000,-- beziffert.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, zur Beurteilung der Frage, ob ein Fahrzeug, das einen nicht unerheblichen Vorschaden erlitten habe, bei einer neuerlichen Beschädigung eine merkantile Wertminderung erleiden könne, sei auf die Grundsätze einzugehen, die für die Zuerkennung merkantiler Wertminderung überhaupt maßgeblich seien. Es handle sich bei der merkantilen Wertminderung um einen positiven Schaden, der von einem Verkauf des Fahrzeugs unabhängig sei. Sie werde damit begründet, daß auch nach ordnungsgemäß vorgenommener Reparatur die Möglichkeit bestehen könnte, daß verborgene, bei der Reparatur nicht erkannte Mängel bestehen geblieben seien. Auch habe ein Fahrzeug trotz ordnungsgemäß durchgeführter Reparatur infolge der gefühlsmäßigen Abneigung des Publikums gegen die Benützung eines Unfallfahrzeugs einen geringeren Verkaufswert als ein unfallfreier Kraftwagen unter sonst gleichen Verhältnissen. Als weiterer Grund für eine preismindernde Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge gelte noch deren vermutbare Disposition zu künftigem (verfrühtem) Auftreten von Schäden. Die merkantile Wertminderung beinhalte den Schaden, der dadurch entstanden sei, daß der Verkehrswert des unfallbeschädigten und reparierten Fahrzeugs geringer sei als der desselben Fahrzeugs ohne reparierten Unfallschaden. Dies sei im Hinblick auf die effektive Marktlage zu beurteilen. Unter dem Begriff des Verkehrswerts sei bei Ermittlung der merkantilen Wertminderung der Verkaufswert zu verstehen. Die Bewertung des merkantilen Minderwerts habe nach objektiven Gesichtspunkten zu erfolgen. Der Schädiger habe dem Geschädigten die Differenz zwischen dem Zeitwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfalls und dem im reparierten Zustand nach dem Unfall zu ersetzen. Dem Gesetz lasse sich nicht entnehmen, daß bei einem Vorschaden bei weiterer Beschädigung keine Wertminderung mehr gebühre. Dieser Grundsatz, den das Erstgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung ins Treffen geführt habe, werde insbesondere dann fragwürdig, wenn sich die beiden Schäden in keiner Weise vergleichen ließen, wie im vorliegenden Fall ein Hagelschaden, der lediglich zu - wenngleich kostenaufwendigen - Blech- und Lacksanierungen geführt, aber in keiner Weise Anlaß zu Mißtrauen in Richtung Bestehenbleiben nicht erkannter Mängel geboten habe, und ein schwerer Frontschaden nach Frontalkollision.

Der Vorgang bei der Ermittlung einer Wertminderung nach einem Zweitschaden sei derselbe wie beim Erstschaden. Zu schätzen sei der Wert des bereits einmal beschädigten und wieder instandgesetzten Fahrzeugs sowie der Wert des Wagens nach Behebung der zweiten Havarie. Ergebe sich dabei eine Differenz, so stelle diese die Wertminderung dar.

Gehe man von der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung und damit von einer Wertdifferenz beim Fahrzeug vor und nach der Zweitkollision aus, so erweise sich das Klagebegehren hinsichtlich der Wertminderung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt. Wohl sei im Gutachten des Sachverständigen beim Wert des Fahrzeugs zum Unfallszeitpunkt im Betrag von S 294.000,-- von einem Wiederbeschaffungswert die Rede, der nicht mit dem Verkaufswert aus der Sicht der Klägerin gleichgesetzt werden könne. Bei einem Preisnachlaß in der Größenordnung von 15 % komme man aber auch bei einem unter S 294.000,-- anzusetzenden Verkaufspreis vor dem Unfall vom 9. März 1988 zu einer merkantilen Wertminderung von S 20.000,--. Es sei daher der Klägerin auch dieser Betrag zuzusprechen. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht im wesentlichen damit, daß in der Judikatur die Ansicht vertreten werde, daß bei einem erheblichen Vorschaden eine merkantile Wertminderung eines Fahrzeugs im Fall einer weiteren erheblichen Beschädigung nicht in Betracht komme. Darüber liege aber eine eindeutige oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vor.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig; die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO liegen nicht vor.

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden. Es entspricht Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß es sich beim sogenannten merkantilen Minderwert eines bei einem Unfall beschädigten Kraftfahrzeugs um einen positiven Schaden handelt, der neben den Reparaturkosten zu ersetzen ist. Die Bemessung des merkantilen Minderwerts hat nach objektiven Gesichtspunkten zu erfolgen. Der Schädiger hat dem Geschädigten die Differenz zwischen dem Zeitwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Unfalls und dem Zeitwert im reparierten Zustand nach dem Unfall zu ersetzen (siehe dazu Apathy in ZVR 1988, 289 ff., insbesondere 300 f.; mit zahlreichen Literatur- und Judikaturhinweisen; SZ 45/48; ZVR 1974/19; ZVR 1983/280; 8 Ob 59/83 uva.). Eine Rechtsmeinung des Inhalts, daß ein erheblicher Vorschaden den Zuspruch einer merkantilen Wertminderung schlechthin ausschließe, wurde in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nie vertreten und ist auch aus der mehrfach zitierten, in ZVR 1985/131 veröffentlichten Entscheidung nicht abzuleiten. Dort wurde vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, daß der Eintritt einer weiteren Wertminderung des bereits früher beschädigten Fahrzeugs durch den in Frage stehenden Unfall nach den dort getroffenen Feststellungen auszuschließen war. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, daß der Klägerin aus dem Titel der merkantilen Wertminderung ihres beim Unfall vom 9. März 1988 beschädigten Fahrzeugs die Differenz zwischen dem Zeitwert (=Verkaufswert) dieses Fahrzeugs unmittelbar vor dem Unfall und im reparierten Zustand nach dem Unfall zu ersetzen ist, ist in der oben wiedergegebenen einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gedeckt.

Daß diese Differenz im vorliegenden Fall zumindest S 20.000,-- betrug, wurde vom Berufungsgericht festgestellt. Die Richtigkeit dieser ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Feststellung des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbar.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO war daher die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat den vorliegenden Zurückweisungsgrund zutreffend in ihrer Revisionsbeantwortung geltend gemacht.

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