Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des am 19. Dezember 1979 geborenen Sassan N*** wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 3. März 1988 aus dem Verschulden der Mutter geschieden. Mit Beschluß vom 25. Jänner 1989, ON 28, sprach das Erstgericht aus, daß das Recht, den mj. Sassan zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und ihn zu vertreten - dessen Zuerkennung beide Elternteile begehren -, künftig der Mutter allein zustehe. Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der Vater des mj. Sassan ist gebürtiger Iraner, die Mutter gebürtige Österreicherin. Ihrer am 19. August 1968 in Linz geschlossenen Ehe entstammt außer Sassan auch der am 12. Dezember 1968 geborene Cyrus. Die Familie lebte in der Folge in Teheran, wo der Vater, der in Graz das Studium der Staatswissenschaften abgeschlossen hat, als höherer Beamter im Landwirtschaftsministerium tätig war. Vor etwa sechs Jahren beschlossen die Eltern, nach Österreich zurückzukehren. Zunächst übersiedelte nur die Mutter mit Sassan, der damals etwa drei Jahre alt war, nach Linz. Der Vater konnte seine Stellung als Beamter nicht ohne weiteres aufgeben und sich eine neue Existenz schaffen. Cyrus wurde die Ausreise wegen seines Alters (über 14 Jahre) verweigert. Das erste Jahr in Österreich verbrachte die Mutter daher allein mit Sassan. In den beiden darauffolgenden Jahren hielt sich der Vater jeweils vier Monate in Österreich auf; seit Dezember 1985 wohnt auch er ständig in Linz und handelt hier mit Teppichen, sodaß er zeitweise für jeweils mehrere Wochen oder auch Monate in den Iran reisen muß, um Teppiche einzukaufen. Vor etwa eineinhalb Jahren konnte auch Cyrus nach Österreich geholt werden. Zu Pfingsten 1987 lernte die Mutter Franz R*** kennen und nahm mit ihm eine Lebensgemeinschaft auf; seither lebt Sassan mit seiner Mutter getrennt vom Vater. Cyrus studiert in Wien Medizin und hält sich im übrigen bei seinem Vater auf.
Sassan besucht derzeit die dritte Volksschulklasse. Nach der Schule besucht er den etwa fünf Gehminuten von der Schule entfernten Kinderhort, weil seine Mutter, seit sie wieder in Linz lebt, nachmittags von 13 Uhr bis 18 Uhr als Verkäuferin in einem Modehaus beschäftigt ist. Im Hort, in dem er sich recht wohl fühlt, nimmt Sassan das Mittagessen ein und macht die Schulaufgaben. Gegen 17 Uhr wird er regelmäßig von seinem Vater abgeholt und zur mütterlichen Großmutter begleitet, die etwa fünf bis zehn Gehminuten vom Hort entfernt wohnt. Die Großmutter - eine gesunde, agile und flexible Frau - begleitet Sassan um etwa 18.15 Uhr zu einer Bushaltestelle, wo er seine Mutter trifft, die um diese Zeit von der Arbeit heimkehrt. Den Abend verbringt Sassan bei seiner Mutter, die in einer gepflegten 70 m2 große Neubauwohnung wohnt, in der Sassan ein eigenes Zimmer hat. Der Erziehungseinfluß der Mutter ist positiv. Sassan fühlt sich bei seiner Mutter und deren Lebensgefährten, den er als eine Art Onkel betrachtet und zu dem er eine freundschaftliche und liebevolle Beziehung entwickelt hat, wohl. An den Wochendenden unternehmen die Mutter, ihr Lebensgefährte und Sassan gemeinsame Ausflüge, Spiele udgl.
Seit seiner Geburt ist die Mutter die hauptsächliche Betreuungs- und Bezugsperson Sassans. Sassan wurde nach europäischen Wertvorstellungen erzogen, seine Muttersprache ist deutsch. Er hat in der Umgebung seiner Mutter einen Freundeskreis aufgebaut und ist in seiner Lebenssituation gut integriert. Die Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern während des Scheidungsverfahrens haben Sassan sehr belastet; die derzeitige stabile Situation hat seine Entwicklung günstig beeinflußt.
Der Vater bewohnt eine etwa 50 m2 große Mietwohnung. Der von ihm betriebene Teppichgroßhandel ist nicht arbeits- und zeitaufwendig, sodaß er in der Lage wäre, Sassan selbst zu betreuen. Auch der Vater möchte, daß Sassan in Österreich aufwächst, europäisch erzogen wird und eine entsprechende berufliche Situation erlangt. Sassan fühlt sich zu seinem Vater nicht so stark hingegen wie zu seiner Mutter und deren Lebensgefährten; sein Verhältnis zu ihm ist etwas distanziert.
Das Erstgericht kam zum Ergebnis, daß begründete Anhaltspunkte für eine mangelhafte Betreuung Sassans durch seine Mutter nicht hervorgekommen seien. Es bestünden weder beim Vater, noch auch bei der Mutter Bedenken gegen ihre Eignung zur Kindererziehung; objektive Gründe, die es zum Wohl des Kindes erforderlich machten, die Betreuungsperson Sassans zu verändern, seien nicht vorhanden. Es bestünden insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Betreuung durch den Vater eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes erwarten ließe. Im Gegenteil erschiene durch eine Veränderung in den Lebensverhältnissen die Kontinuität der seit der Trennung der Eltern durchwegs positiven Persönlichkeitsentwicklung Sassans gefährdet. Die elterlichen Rechte seien daher der Mutter zuzuweisen gewesen.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Für die Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 177 ABGB sei in erster Linie das Wohl des Kindes maßgebend. Eine Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse solle nach Möglichkeit vermieden werden, weil ein wesentlicher Grundsatz jeder Erziehung ihre Stetigkeit und Dauer sei. Für einen Pflegeplatzwechsel sei das Vorliegen wichtiger Gründe erforderlich, etwa wenn sonst das Wohl des Kindes gefährdet wäre oder durch den Wechsel eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes zu erwarten sei. Derartige Gründe lägen nicht vor. Nicht von ausschlaggebender Bedeutung sei, wie das Kind auf seinen derzeitigen Pflegeplatz gekommen sei. Für das Wohl des Kindes sei nicht allein die zur Betreuung zur Verfügung stehende Zeit maßgeblich; der Elternteil, dem die Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB zugeteilt würden, müsse die Pflege und Erziehung seines Kindes nicht selbst besorgen, er könne diese auch anderen Personen überlassen. Zwar solle die Trennung von Geschwistern nach Möglichkeit vermieden werden, doch wären die Kontakte Sassans zu Cyrus durch dessen Studium in jedem Fall nur spärlich. Das Verschulden der Mutter an der Zerrüttung der Ehe sei unbeachtlich.
Der Vater bekämpft die Entscheidung der zweiten Instanz mit außerordentlichem Revisionsrekurs und macht Nichtigkeit sowie offenbare Gesetz- und Aktenwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses geltend.
Keiner dieser Beschwerdegründe ist gegeben.
Unter dem Rekursgrund der Aktenwidrigkeit wendet sich der Vater gegen die Ausführungen der zweiten Instanz, es hätten sich entgegen seiner Ansicht "im gesamten Beweisverfahren tatsächlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sich die Mutter nicht um Sassan gekümmert und den Haushalt vernachlässigt" habe; denn diese Feststellungen stünden mit dem Akteninhalt, und zwar mit seinen eigenen Angaben und jenen seines Sohnes Cyrus, in eindeutigem Widerspruch.
Aktenwidrigkeit ist gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstückes unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde. Erwägungen der Tatsacheninstanzen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen wurde oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen in das Gebiet der Beweiswürdigung und können daher weder eine Aktenwidrigkeit bilden, noch gegen den Dispositionsgrundsatz verstoßen.
Das Erstgericht ist auf Grund eingehender Beweiswürdigung, bei der es sich insbesondere mit den Angaben des Vaters und Sassans Bruder Cyrus auseinandergesetzt hat, zum Ergebnis gekommen, es seien begründete Anhaltspunkte für eine mangelhafte Betreuung des Minderjährigen durch die Mutter nicht hervorgekommen. Der Vater hat dies im Rekursverfahren als eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung gerügt. Mit der zitierten, als aktenwidrig bezeichneten Zusammenfassung hat das Rekursgericht die Beweiswürdigung des Erstgerichtes jedoch gebilligt, wobei es überdies zu den einzelnen Behauptungen und Vorwürfen des Vaters gegen die Mutter im einzelnen Stellung genommen hat, sodaß aus dem Zusammenhang klar ist, daß die zweite Instanz ebenso wie das Erstgericht die Ansicht vertreten hat, es seien keine begründeten Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß sich die Mutter nicht in einer entsprechenden Weise um Sassan kümmere. Der Vater bekämpft unter diesem Beschwerdegrund sohin in Wahrheit die Beweiswürdigung der Vorinstanzen; dies aber ist, da der Oberste Gerichtshof auch im außerstreitigen Verfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist, weder im Rahmen eines ordentlichen, noch auch eines außerordentlichen Revisionsrekurses zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Als nichtig - und auch als offenbar gesetzwidrig - rügt der Vater die Entscheidung des Rekursgerichtes, weil es, ebenso wie das Erstgericht, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht mit der erforderlichen Sorgfalt festgestellt habe. Das Erstgericht habe die vom Vater beantragte Auskunftsperson Monika N***, die über die Lebensverhältnisse der Familie in Teheran Angaben hätte machen können, nicht einvernommen, die begehrten ergänzenden Einvernahmen des Vaters und Sassans Bruder Cyrus seien unterblieben; das Rekursgericht aber habe darin einen Mangel nicht gesehen und habe auch nicht ergänzende Erhebungen des Jugendamtes veranlaßt; aus dem Scheidungsakt habe es "nicht die richtigen Schlüsse gezogen". Der zuletzt genannte Punkt stellt eine, wie bereits dargelegt, unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung dar. Im übrigen aber begründen Verfahrensverstöße nur dann Nichtigkeit im Sinne des § 16 AußStrG, wenn sie - wie im Revisionsrekurs gar nicht verkannt wird - von einschneidender Bedeutung sind, wie insbesondere solche, die durch sinngemäße Anwendung des § 477 ZPO als nichtig angreifbar sind. Die unterlassene Einvernahme einer Auskunftsperson über jahrelang zurückliegende Umstände und das Unterbleiben der vom Vater gewünschten ergänzenden Befragungen vermöchten lediglich einen (gewöhnlichen) Verfahrensmangel zu begründen; es kann dagegen nicht gesagt werden, daß hiedurch die Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, daß Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens verletzt worden seien (EFSlg 49.989), weil etwa das Wohl des Kindes vollkommen außer Acht gelassen worden sei (EFSlg 52.801, 47.255). Unter dem Rekursgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit kann nur die Verletzung materiell-rechtlicher, nicht aber verfahrensrechtlicher Vorschriften gerügt werden (EFSlg 47.211); die geltend gemachten Umstände vermögen daher keinesfalls eine offenbare Gesetzwidrigkeit zu begründen.
Der Beschluß des Rekursgerichtes leidet aber auch nicht an offenbarer Gesetzwidrigkeit. Bei der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, nämlich eine nach den gegebenen Umständen zu treffende Regelung. Wurde der eine oder andere dieser Umstände nicht gebührend gewertet, vermöchte dies allenfalls eine - nach § 16 AußStrG nicht bekämpfbare - unrichtige rechtliche Beurteilung, keinesfalls aber eine offenbare Gesetzwidrigkeit zu begründen, es sei denn, daß hiedurch gegen eine klare Gesetzeslage oder gegen Grundprinzipien des Rechts verstoßen oder die Entscheidung ganz willkürlich oder mißbräuchlich getroffen worden wäre. Derartige Umstände werden im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.
Der Revisionsrekurs war daher als unzulässig zurückzuweisen.
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