Spruch:
Aus Anlaß der Nichtikeitsbeschwerden wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Heinz S***, Andreas L***, Norbert L*** und Karl R*** werden von der gegen sie erhobenen Anklage, am 5.Juli 1987 in Schönweg, Gemeinde St. Andrä, an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen zu haben, wobei der Angriff neben Hautabschürfungen eine schwere Körperverletzung des Gottfried D***, nämlich einen Bruch des rechten Unterkiefers verursacht hat, und hiedurch das Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen. Der Privatbeteiligte Gottfried D*** wird gemäß § 366 Abs. 1 StPO mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Text
Gründe:
Der am 2.Februar 1963 geborene Fahrschullehrer Heinz S***, der am 31. Jänner 1970 geborene (zur Tatzeit jugendliche) Tischlerlehrling Andreas L***, der am 28.Mai 1965 geborene Hilfsarbeiter Norbert L*** und der am 25.Oktober 1962 geborene Tischlergeselle Karl R*** wurden des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil sie am 5.Juli 1987 in Schönweg, Gemeinde St. Andrä/Kärnten, an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen hatten, der neben Hautabschürfungen eine schwere Verletzung des Gottfried D***, nämlich einen Bruch des rechten Unterkiefers verursacht hat.
Nach den Feststellungen des Schöffengerichts wurde am Abend des 4. Juli 1987 in Schönweg ein Wiesenfest mit einem Festzelt veranstaltet, an dem die Angeklagten als Funktionäre des veranstaltenden Vereins mitwirkten und Gottfried D*** als Gast teilnahm. Im Verlauf des Festes hatte der schon schwer betrunkene D*** mit anderen Gästen Krach und beschädigte verschiedene Gläser. Wegen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem unbekannten Veranstaltungsteilnehmer sowie der starken Alkoholisierung des D*** ersuchte ihn der Angeklagte Heinz S*** in seiner Eigenschaft als Obmann des Vereins um ca. 0.30 Uhr, das Festzelt zu verlassen. Da D*** dieser Aufforderung nicht nachkam, wurde er zunächst von einigen Umstehenden und nach abermaliger Rückkehr gegen seinen Widerstand von den vier Angeklagten vor das Zelt geführt. Als der Betrunkene um ca. 3.30 Uhr wieder im Zelt erschien und sich neuerlich weigerte, dieses zu verlassen, erfaßten ihn die wegen seines Verhaltens erzürnten Angeklagten gewaltsam an Händen und Füßen und versuchten, ihn ins Freie zu tragen. Durch seine heftige Gegenwehr berührte Gottfried D*** mit seinem Rücken den Erdboden, wodurch er Schürfwunden am Rücken erlitt und seine Oberbekleidung beschädigt wurde. Als er dann etwa 50 m vom Festzelt entfernt abgelegt wurde, erhielt er (mindestens) einen Schlag mit der geballten Faust ins Gesicht. Wer diesen Schlag geführt hat, konnte nicht mehr festgestellt werden. D*** verspürte erst gegen Mittag des 5. Juli 1987 Schmerzen im Unterkiefer. Er erlitt eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen Bruch des rechten Unterkieferastes, die im Zusammenhang mit dem letzten Hinaustragen entstanden ist. Die Angeklagten bekämpfen den Schuldspruch mit gemeinsam ausgeführten, auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 5 a, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Unter dem letztgenannten Nichtigkeitsgrund wenden sich die Beschwerdeführer ua gegen die Ansicht des Erstgerichtes, das gewaltsame Entfernen eines Betrunkenen durch die nach dem Vereinsgesetz für Ruhe und Ordnung zuständigen Veranstalter sei ein Akt unzulässiger Selbsthilfe gewesen, auf den auch die Straflosigkeitsvoraussetzungen des § 91 Abs. 2 StGB nicht zutreffen. Auf die Frage, ob die Angeklagten im Rahmen eines ihnen zustehenden Selbsthilferechtes (§§ 19, 344 ABGB), in Ausübung gerechter Notwehr oder in entschuldigendem Notstand gehandelt haben und ob ihnen aus der Teilnahme (am Raufhandel) kein Vorwurf gemacht werden kann (§ 91 Abs. 2 StGB), braucht indes nicht eingegangen werden, weil es nach den getroffenen Urteilsfeststellungen schon an einem Angriff mehrerer im Sinne des § 91 StGB, der die schwere Körperverletzung des Gottfried D*** verursachte, mangelt und die Teilnahme der Angeklagten an einer Schlägerei (ein Streit von mindestens drei Personen mit gegenseitigen Tätlichkeiten) nach dem vom Schöffengericht festgestellten Tatgeschehen schon begrifflich ausscheidet.
Rechtliche Beurteilung
Unter einem Angriff mehrerer als Tatbildmerkmal des Vergehens des Raufhandels nach § 91 StGB ist nämlich nicht schlechthin eine Tätlichkeit (mindestens zweier Personen; vgl. SSt. 47/25) gegen einen anderen zu verstehen, sondern nur eine solche Einwirkung, die feindselig (EBRV 1971, 221; RZ 1976/96) erfolgt, wobei allerdings bedingter Vorsatz genügt und eine bestimmte Motivation nach Art eines dolus coloratus nicht erforderlich ist (vgl. 10 Os 123/85). Den Urteilsannahmen zufolge zielte das inkriminierte Tatverhalten der für die Gestaltung des Festes und daher auch für Ruhe und Ordnung der Veranstaltung verantwortlichen Angeklagten aber nicht auf die Teilnahme an einer feindseligen, insoweit ernst gemeinten (vgl. Kienapfel, BT I2, § 91 RN 9) unmittelbaren Einwirkung gegen die körperliche Sicherheit des Gottfried D***, sondern (lediglich) darauf ab, diesen stark alkoholisierten und unbotmäßigen Besucher, der Gläser zerschlagen hatte (vgl. S 25 ff dA), den Ablauf des Festes längere Zeit und grob störte sowie sich den Ordnungsmaßnahmen der Veranstalter widersetzte, in Ausübung ihrer Ordnerfunktion auf angemessene Weise von dieser Veranstaltung zu entfernen, indem sie den nach zweimaligem Hinauswurf Zurückgekehrten, der sich heftig dagegen wehrte, das Fest neuerlich verlassen zu müssen, an Händen und Füßen erfaßten und ins Freie trugen. Daß einer der vier Angeklagten dabei gegen D*** durch für ernsthaft-feindselige Insulte typische, unmittelbare physische Einwirkung (Schläge, Tritte oder sonstige Mißhandlungen) tätlich vorgegangen wäre, wurde nicht als erwiesen angenommen. Mithin entsprach das inkriminierte Verhalten der Angeklagten den anerkannten Ordnungsvorstellungen menschlichen Zusammenlebens; es war in der gegebenen Situation sozialadäquat und kann daher - mangels Verwirklichung des deliktstypischen Handlungsunrechts (vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teilband 17, 213 ff) - nicht dem (hier maßgeblichen) Begriff eines Angriffes unterstellt werden. Demnach ist im vorliegenden Fall (schon) der Tatbestand des § 91 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.
Das Verhalten der Angeklagten (oder eines von ihnen) kann auch nicht als vorsätzliche Körperverletzung beurteilt werden, weil dazu weder ihre Täterschaft noch der notwendige Vorsatz festgestellt werden konnte.
Soweit aber ihre Handlungsweise dafür kausal war, daß Gottfried D*** bei der gewaltsamen Entfernung aus dem Festzelt infolge seiner heftigen Gegenwehr auf dem Erdboden streifte und dadurch leichte Schürfwunden am Rücken erlitt, kommt mangels Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz ein vorsätzliches Körperverletzungsdelikt ebensowenig in Betracht. Allenfalls ist eine rechtliche Beurteilung als fahrlässige Körperverletzung möglich.
Dabei kann die Prüfung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit dahingestellt bleiben, weil auch bei Annahme einer daraus (allein) resultierenden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als dreitägiger Dauer (§ 88 Abs. 2 Z 4 StGB) mangels Strafwürdigkeit der Tat gemäß § 42 StGB diese straflos bleibt, weil es sich insoweit jedenfalls um unbedeutende Folgen gehandelt hat, die Schuld der Täter als gering anzusehen ist und bei den durchwegs unbescholtenen Angeklagten eine Bestrafung aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht geboten erscheint.
Es zeigt sich sohin, daß dem Schöffengericht beim Ausspruch über die Frage, ob die den Angeklagten zur Last fallende Tat eine gerichtlich strafbare Handlung begründet, ein Rechtsirrtum unterlaufen ist und das Urteil mit einer von keinem Beschwerdeführer geltend gemachten und demnach von amtswegen wahrzunehmenden Nichtigkeit behaftet ist, weswegen wie im Spruch zu erkennen war.
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