OGH 10Os123/85

OGH10Os123/854.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.März 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Jagschitz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Werner B*** und andere wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 27.Juni 1985, GZ 24 Vr 2687/83-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, der Angeklagten Werner B***, Erwin B*** und Harald R***, deren

gesetzlicher Vertreter sowie ihrer Verteidiger Dr. Wallentin, Dr. Hubinger und Dr. Hausar zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Freispruch der Angeklagten Erwin B*** und Harald R*** aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Jugendlichen Werner B*** (geboren am 8.Februar 1969), Erwin B*** (geboren am 7. Juni 1969) und Harald R*** (geboren am 4.März 1968) von der gegen sie wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Es lag ihnen zur Last, am 17.Juli 1983 in St.Georgen a.d.Gusen an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen zu haben, indem sie gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten Gerald P*** die Regina S*** mehrmals unter die Wasseroberfläche eines Schwimmbeckens drückten, wodurch eine schwere Körperverletzung der Genannten (2 mm langer, horizontaler Riß des linken Trommelfells mit länger als 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung) verursacht wurde.

Nach den Urteilsannahmen hielten sich die Angeklagten Werner B***, Erwin B*** und Harald R*** sowie (der inzwischen rechtskräftig des Vergehens nach § 91 Abs. 1 StGB schuldig erkannte) Gerald P*** am 17.Juli 1983 im Freibad in St.Georgen a.d.Gusen auf. Aus Übermut tauchten sie mehrmals Mädchen aus der Umgebung unter Wasser. Auf den Zuruf des B***, "die Stalli müssen wir auch noch tümpfeln, die hat noch ganz trockene Haare", schwammen die vier Burschen auf die damals 15-jährige Regina S*** zu. B***, R*** und P*** drückten sie unter Wasser, während B*** dabei zusah, ohne jedoch tätlich mitzuwirken. Regina S*** wurde sieben- bis achtmal unter Wasser gedrückt. Sie konnte sich auf Grund der Übermacht der "vier" Burschen nicht wehren. Während dieses Vorganges erhielt Regina S*** einen Schlag auf das linke Ohr und verspürte sofort starke Schmerzen. Sie hatte einen Einriß des linken Trommelfells erlitten, was eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte. Den Freispruch des Angeklagten B*** begründete das Erstgericht damit, daß dieser am Unterwasserdrücken des Mädchens nicht tätlich teilgenommen hatte. Die Angeklagten B*** und R*** sprach es deshalb frei, weil dem unter Jugendlichen durchaus üblichen Vorgang Scherzcharakter zugekommen sei und es daher an der einem tätlichen Angriff begriffsimmanenten Feindseligkeit gemangelt habe.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 9 lit a, in Ansehung des Angeklagten B*** überdies auf die Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch nur teilweise begründet ist.

Im Recht ist die Beschwerdeführerin mit ihren - im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach indessen Z 5) erhobenen - Einwänden dagegen, daß das Jugendschöffengericht Verfahrensergebnisse über die Intensität der inkriminierten Einwirkung auf Regina S*** (Dauer und Intervalle des Unterwasserdrückens) sowie über deren Auswirkungen auf das Mädchen (lebensbedrohliche Atemnot) mit Stillschweigen überging, die möglicherweise zur (vom Erstgericht abgelehnten) Feststellung einer vorsätzlichen tätlichen Teilnahme der Angeklagten B*** und R*** an einem Angriff mehrerer im Sinne des § 91 Abs. 1 StGB geführt hätten.

Ein solcher vorsätzlicher Angriff besteht in einer feindseligen (E*** 1971, 221; RZ 1976/96), d.h. insoweit ernstgemeinten (vgl Kienapfel, BT I 2 , § 91 RN 9), unmittelbaren Einwirkung gegen die körperliche Sicherheit eines anderen; dazu bedarf es aber keineswegs einer bestimmten Motivation des Täters nach Art eines dolus coloratus: bedingter Vorsatz (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB) genügt.

Ob ein solcherart ernsthaft-feinseliger Insult vorliegt, ist in bezug auf die (hier aktuelle) innere Beziehung des Täters zum äußeren Geschehen eine Tatfrage, die nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen ist. Dabei hätte sich das Erstgericht im vorliegenden Fall auch mit den in der Beschwerde relevierten Verfahrensergebnissen auseinandersetzen müssen, nach denen die reale Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, daß die genannten Angeklagten die objektive Beschaffenheit ihrer Tätlichkeiten gegen Regina S***, die der Intensität nach über übliche Scherzaktionen Jugendlicher denn doch wohl beträchtlich hinausgingen, als eines unmittelbaren Angriffs (vgl § 3 StGB) gegen deren körperliche Sicherheit zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben; ob sie selbst sich über die Begleitumstände eines derartigen Angriffs erheiterten, wäre diesfalls ohne Belang.

Der zutreffend gerügte Begründungsmangel erfordert in Ansehung der Angeklagten B*** und R*** eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz (§ 288 Abs. 2 Z 1 StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, daß der Sachverhalt bei Annahme eines vorgefaßten gemeinsamen Vorsatzes der Täter, Regina S*** zu mißhandeln, worunter schon jede üble, unangemessene Behandlung zu verstehen ist, welche das körperliche Wohlbefinden eines anderen nicht unerheblich beeinträchtigt (Kienapfel, BT I 2 , § 83 RN 70; vgl ÖJZ-LSK 1975/228 zu § 83 Abs. 2 StGB), unter der weiteren Voraussetzung einer fahrlässigen Herbeiführung der schweren Verletzung des Mädchens (§ 7 Abs. 2 StGB) rechtsrichtig als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 StGB zu beurteilen wäre (SSt 48/48). Subsidiär hinwieder müßte das inkriminierte Tatverhalten der Angeklagten B*** und R*** gegebenenfalls auch in Richtung eines Vergehens nach § 99 Abs. 1 StGB oder nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB geprüft werden.

In Ansehung des Angeklagten Werner B*** dagegen ist - der Mängelrüge (Z 5) zuwider - dem Urteil klar und deutlich zu entnehmen, daß sich dieser am Unterwassertauchen der Regina S*** jedenfalls nicht tätlich beteiligt hat; die andere Feststellung, daß sich Regina S*** auf Grund der Übermacht der "vier" Burschen "nicht wehren konnte", steht dazu - sofern es sich bei der relevierten Bezifferung der Täteranzahl nicht überhaupt nur um ein Versehen handelt - in keinerlei logischem oder empirischem Widerspruch.

Die weitere Frage jedoch, ob auch B*** auf Grund des konstatierten Zurufs des Angeklagten B*** auf Regina S*** mit dem Vorsatz zuschwamm, sie unterzutauchen, und bloß deswegen ohne tätliche Mitwirkung dabei bloß zusah, weil er "nicht mehr dazukam", wäre wohl für den Tatbestand nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 StGB von Bedeutung gewesen; denn zu dessen Verwirklichung genügt auf der äußeren Tatseite die verabredungsgemäße Anwesenheit am Tatort mit dem Willen zum allfälligen Eingreifen in den Ereignisablauf auch ohne unmittelbare aktive Mitwirkung an der Tatausführung (vgl EvBl 1977/225 ua). In diese Richtung hin - zu der überdies ausreichende Feststellungen in bezug auf die subjektive Tatseite fehlen - hat sich indessen die Anklagebehörde nicht beschwert (§§ 285 a Z 2, 290 Abs. 1 erster Satz StPO).

Für die von der Beschwerdeführerin relevierten Tatbestände nach § 91 Abs. 1 StGB sowie nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB aber wäre eine derartige Geschehensvariante ohne Belang, sodaß die darauf bezogenen Beschwerdeeinwände (Z 5 und 9 lit a) nicht durchschlagen. Zu einem tätlichen Angriff im Sinn des § 91 Abs. 1 StGB ist nämlich zwar nicht ein körperliches Anfassen des Opfers durch den betreffenden Täter erforderlich; jedenfalls aber bedarf es zur unmittelbaren Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) einer direkten physischen Einwirkung des Angreifers auf den Angegriffenen. Eine solche ist seitens B*** gegen Regina S*** nach dem Urteilssachverhalt nicht ausgeübt worden. Auch dahin, daß der Genannte durch sein - sei es auch als konkludente Zustimmung zu gemeinsamen Tätlichkeiten gedachtes (und verstandenes) - Zuschwimmen auf das Mädchen die tatsächlich tätlich Gewordenen in ihrem Tatentschluß kausal, also mit effektiver Wirksamkeit, bestärkt hätte (§ 12 dritter Fall StGB durch "psychische Unterstützung") liegen weder Feststellungen vor noch wären sie durch die Aktenlage indiziert gewesen. Versuch (§ 15 Abs. 1 StGB) schließlich kommt bei diesem Tatbestand nicht in Betracht, weil darnach die zu dessen Verwirklichung erforderliche Zurechnung des tatbildlichen Erfolgs als objektive Bedingung der Strafbarkeit (arg "schon") eine tatsächliche (vollendete) tätliche Teilnahme an dem betreffenden Angriff mehrerer (oder an der Schlägerei) voraussetzt (vgl EvBl 1977/163), zumal eine Tatbestandserweiterung im Sinn des § 15 StGB bei diesem Delikt auch mit der ratio legis nicht vereinbar wäre, die die ausnahmsweise Berechtigung einer Pönalisierung ohne Rücksicht auf einen Kausalzusammenhang zwischen Täterverhalten und Erfolg ausschließlich aus der Gefährlichkeit von Schlägereien und Angriffen mehrerer ableitet, die aber nur bei wirklicher (tätlicher) Teilnahme, nicht aber bei dem bloßen Versuch einer solchen gegeben ist.

Infolge des soeben erörterten Mangels einer kausalen Wirksamkeit des Tatverhaltens des Angeklagten B*** für den Entschluß der tätlich gewordenen Beteiligten zur Tatbegehung scheidet aber bei ihm - anders als bei jenen im Fall eines bewußten und gewollten Zusammenwirkens in Form von Ausführungshandlungen bei der (in bezug auf den Erfolg) fahrlässigen Tatausführung (§ 12 erster Fall StGB) - auch die Annahme einer darin begründeten Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§§ 12 dritter Fall, 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB) aus.

Demnach war bezüglich des Angeklagten Werner B*** die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.

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