OGH 4Ob517/89 (4Ob518/89)

OGH4Ob517/89 (4Ob518/89)14.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Ö*** (Österreichische Bundesbahnen), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Karl F***, Inhaber der F***-Reinigung, Stockerau, Josef Wolfik-Straße 9, vertreten durch Dr. Günter Kunert und Dr. Wolfgang Kunert, Rechtsanwälte in Stockerau, wegen 132.784 S sA und Räumung (Revisionsinteresse 68.499,60 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Oktober 1988, GZ 48 R 431/88-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 25.März 1988, GZ 7 C 131/88d-9, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, verworfen.

2. zu Recht erkannt:

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.088,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Vertrag vom 18. Juli 1986 mietete der Beklagte von der Klägerin eine - auf dem Grundstück Nr. 2070/1, erliegend in der Eisenbahnbucheinlage für die Südbahn, Verz. II, im Abschnitt der KG Favoriten, gelegene - Lagerhalle im Ausmaß von 271,21 m2 sowie eine unverbaute Bahngrundfläche im Ausmaß von 139,45 m2 im Bahnhof Wien-Matzleinsdorf. Mit "Gestattungsvertrag" vom 29.Juli 1986 wurde dem Beklagten ferner das Recht eingeräumt, auf dem Bestandobjekt Elektroanlagen zu betreiben. Dafür mußte er einen eigenen Stromzähler installieren; die Verrechnung der Stromkosten hat unmittelbar mit dem zuständigen Energieversorgungsunternehmen zu erfolgen. Dafür hat der Beklagte eine bestimmte jährliche Vergütung und einen jährlichen Anerkennungszins zu leisten. Mit Vertrag vom 18. Juli 1986 hat die Klägerin dem Beklagten auch zugestanden, ein Kraftfahrzeug auf der gemieteten Liegenschaft abzustellen; auch dafür hat der Beklagte eine jährliche Gebühr in einer näher festgelegten Höhe zu entrichten. Zwischen den Streitteilen wurde der Mindestumsatz des Beklagten an beladenen Güterwagen mit 50 Wagenladungen je Kalenderjahr vereinbart, widrigens eine Lastschrift von 2.000 S je fehlender Wagenladung berechnet werden könne.

Mit der Behauptung, daß ihr der Beklagte an Bestandzinsen sowie Vergütung für das Abstellen eines Kraftfahrzeuges seit Anfang 1987, an Anerkennungszins und Überwachungsgebühr für 1986 sowie infolge einer Lastschrift für 20 Wagenladungen wegen Nichterbringung des vereinbarten Mindestumsatzes insgesamt 78.775,60 S schulde, hatte die Klägerin ursprünglich begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen,

1. ihr das näher bezeichnete Bestandobjekt von eigenen Fahrnissen geräumt zu übergeben und 2. 78.775,60 S sA zu zahlen. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 29.September 1987 dehnte die Klägerin "das Klagebegehren" auf 95.913,60 S sA aus. In der darauffolgenden Tagsatzung vom 14. März 1988, zu der weder der Beklagte noch seine Vertreter erschienen waren, erklärte die Klägerin zunächst, daß sie das Klagebegehren infolge Zahlungen des Beklagten auf 44.499,60 S sA einschränke (S 19); dann dehnte sie es aber - noch in derselben Tagsatzung - um weitere fällig gewordene Zinse und Gebühren dahin aus, daß sie 132.784 S sA "und Räumung" verlangte (S 21). Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Es bestehe keine offene fällige Forderung der Klägerin; diese habe Stromlieferungen verrechnet, die der Beklagte gar nicht bezogen habe.

Der Erstrichter gab dem Räumungs- und dem Zahlungsbegehren mit 132.648 S sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Er stellte fest, daß - unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen - der zugesprochene Betrag unberichtigt aushafte; nur die in Rechnung gestellten Mahnspesen seien als vorprozessuale Kosten abzuweisen gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Zuspruch von 44.499,60 S sowie den Ausspruch über das Räumungsbegehren als Teilurteil und sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteige; im übrigen hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Bei der Einchränkung des "Klagebegehrens" zu Beginn der Tagsatzung vom 14. März 1988 habe die Klägerin offenbar nur das Zahlungsbegehren gemeint. Die nachträglich vorgenommene Ausdehnung des Zahlungsbegehrens bedeute eine Klageänderung. Im bezirksgerichtlichen Verfahren sei es zwar nach § 442 Abs 3 ZPO zulässig, daß die allein erschienene Partei auch neues, dem bisherigen widersprechendes Vorbringen erstatte, doch dürfe das neue Vorbringen oder die Klageänderung nicht sofort einer Säumnisentscheidung oder einem kontradiktorischen Urteil zugrunde gelegt werden; das Gericht müsse vielmehr dem Säumigen durch eine Protokollsabschrift mit gleichzeitiger Ladung zur neuerlichen Verhandlung den Inhalt des neuen Vorbringens bzw. der Klageänderung mitteilen. Unterlasse es dies, so liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor, der eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens bewirke. Das Gericht hätte somit ohne Erstreckung der Tagsatzung vom 14. März 1988 nur im Umfang des dem Beklagten schon vor seiner Säumigkeit bekannten Klagebegehrens, sohin über 44.499,60 S und das Räumungsbegehren, nicht aber über die erst nachher geltend gemachten Beträge absprechen dürfen. Daß anläßlich der Einschränkung des Klagebegehrens zu Beginn der Tagsatzung vom 14. März 1988 offenbar irrtümlich auf das Aufrechterhalten des Räumungsbegehrens vergessen worden sei, habe keine rechtliche Bedeutung, weil dieses Begehren schon seit Einbringung der Klage Bestandteil des Klagebegehrens gewesen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beklagten wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Räumungsbegehren abgewiesen werde, und sie in ihrem Ausspruch über das Zahlungsbegehren aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird die gänzliche Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach Meinung des Beklagten liege der Revisionsgrund der Nichtigkeit wegen Überschreitung der durch den Sachantrag gezogenen Entscheidungsbefugnis (§ 405 ZPO) vor. Das Erstgericht hätte über das Klagebegehren nur in dem Umfang absprechen dürfen, wie es bei Anwesenheit des Beklagten (Tagsatzung vom 29.September 1987) geltend gemacht worden war; in dieser Tagsatzung habe jedoch die Klägerin nur das Begehren auf Zahlung von 95.913,60 S sA, nicht (mehr) aber das Räumungsbegehren erhoben; über das Räumungsbegehren hätte daher nicht entschieden werden dürfen.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung bewirkt ein Verstoß gegen § 405 ZPO keine Nichtigkeit, sondern nur einen Verfahrensmangel im Sinn des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO (SZ 42/138; SZ 54/77 u.v.a.); schon aus diesem Grund war die Revision, soweit sie auf § 503 Abs 1 Z 1 ZPO gestützt war, mit Beschluß zu verwerfen (§§ 473, 513 ZPO). Der Beklagte kann aber den angeblichen Verstoß gegen § 405 ZPO auch nicht aus dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO geltend machen, weil er damit einen Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens behauptet, dessen Vorliegen schon das Berufungsgericht verneint hat. Solche Mängel können nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt und wahrgenommen werden (JBl 1972, 569 u.v.a.).

Eine weitere Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblickt der Beklagte darin, daß das Erstgericht über sein Vorbringen, die Klägerin habe ihm Strom verrechnet, den er gar nicht bezogen habe, keine Beweise aufgenommen habe. Er übersieht dabei, daß er damit einen Mangel des Verfahrens erster Instanz ins Treffen führt, den er in der Berufung nicht gerügt hat. Das Gericht zweiter Instanz hatte sich demnach mit diesem Verfahrensmangel nicht zu befassen; ein Mangel des Berufungsverfahrens (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO) kommt daher in diesem Belang schon begrifflich nicht in Frage (SZ 23/352; 2 Ob 588/85 u.v.a.).

Die Revision mußte mithin erfolglos bleiben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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