Normen
ZPO §226
ZPO §235
ZPO §405
ZPO §477
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §226
ZPO §235
ZPO §405
ZPO §477
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
Spruch:
Wenn das Gericht ohne Klagsänderung einen anderen Klagsgrund als den vom Kläger vorgebrachten zur Urteilsgrundlage nimmt, bedeutet dies ähnlich wie im Falle des § 405 ZPO. eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, aber keine Nichtigkeit.
Entscheidung vom 25. September 1969, 2 Ob 164/69.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Die Klägerin begehrte gemäß § 332 ASVG. vom Erstbeklagten als schuldtragendem Lenker und zur ungeteilten Hand mit ihm von der Zweitbeklagten als Halterin des am Unfall beteiligten LKWs. die Bezahlung eines Betrages von 32.489.59 S s. A. als Rückersatz des von ihr für ihren tödlich verunglückten Versicherten Johann W. geleisteten Sterbegeldes und der an dessen Witwe und Kinder gewährten Renten, wobei sie ein gleichteiliges Verschulden des Erstbeklagten und des Verunglückten zugrunde legte. Außerdem verlangte sie die Feststellung der Haftpflicht beider Beklagten für ihre künftigen Leistungen im Rahmen des Deckungsfonds auf Grund eines 50%igen Mitverschuldens des Getöteten.
Die Beklagten ließen die Forderungsbeträge der Höhe nach im Ausmaß von mindestens 1 S unbekämpft, bestritten aber ein Verschulden des Erstbeklagten und eine Haftung der zweitbeklagten nach EKHG. und beantragten die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht erkannte mit "Zwischenurteil", daß das Leistungs- und Feststellungsbegehren beiden Beklagten gegenüber dem Gründe nach zur Hälfte zu Recht bestehe.
Infolge Berufung der Beklagten wies das Berufungsgericht in Abänderung des Ersturteiles das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren ab.
Der Berufung der Zweitbeklagten wurde nicht Folge gegeben, die Entscheidung über das Feststellungsbegehren aber als Teilurteil formuliert.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Die Revision der Zweitbeklagten wurde, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, verworfen; im übrigen wurde dieser Revision Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß auch das gegen die Zweitbeklagte gerichtete Klagebegehren abgewiesen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Im April 1965 führte die ARGE-Kanalisation P. in P. auf der M.- Bundesstraße Kanalisierungsarbeiten durch. Dabei wurde eine zirka
1.20 m breite Künette dergestalt ausgebaggert, daß die Straße in zwei Hälften geteilt wurde. Für den öffentlichen Verkehr war nur die nördliche Hälfte zugelassen. Am Morgen des 29. April 1965 kam der Erstbeklagte Franz L. mit dem seiner Mutter, der Zweitbeklagten, gehörenden LKW., der mit Schotter beladen war, zur Baustelle und hielt das Fahrzeug ungefähr 45 bis 50 m vor einer am südlichen Straßenrand stehenden Werkzeugkiste an. Der Hilfsarbeiter Erich W. rief dem Erstbeklagten über eine Entfernung von ungefähr 30 m zu, er solle die Schotterladung neben dem Bagger, der ungefähr 15 bis 20 m nach der Werkzeugkiste (westlich von ihr) stand und nicht in Betrieb war, abladen. Daraufhin wendete der Erstbeklagte sein Fahrzeug und fuhr im Rückwärtsgang auf der südlichen Fahrbahnhälfte in Richtung Bagger. Erich W. übernahm das Einweisen, stellte sich hiebei ungefähr 10 bis 15 m hinter der Bordwand des LKWs. und unmittelbar neben den südlichen Rand der Künette auf und gab dem Erstbeklagten Zeichen zum Rückwärtsfahren, wobei er, denselben Abstand einhaltend, zurückging. Während der Rückwärtsfahrt hatte der Erstbeklagte die linke Tür geöffnet und sah zurück, wobei er mit dem linken Fuß auf dem Trittbrett stand und den rechten auf dem Gaspedal hatte. Als der LKW. bis auf einige Meter an die Werkzeugkiste herangekommen war, gab Erich W. dem Erstbeklagten ein Zeichen zum Anhalten, weil die Gefahr bestand, daß der LKW. an die Kiste anfahre. Der Erstbeklagte hielt an und fuhr wieder einige Meter vor, um die Fahrtrichtung zu korrigieren. Erich W. stand damals noch zwischen Kiste und rückwärtiger Bordwand des LKWs. Als der LKW. dann im Zuge der abermaligen Rückwärtsfahrt sich der Kiste wieder auf ungefähr 7 m näherte, überquerte Erich W., nachdem er den Erstbeklagten wieder eingewiesen hatte und die rückwärtige Bordwand des LKWs. von ihm noch zirka 2 m entfernt war, die Fahrbahn in Richtung Werkzeugkiste und sagte zu Johann W., der neben der Kiste hockte und an einer Kette etwas richtete, er solle die Fahrbahn verlassen, weil der LKW. zurückfahre. Dieser gab ihm zur Antwort, daß er ohnehin gleich weggehe. Erich W. ging dann auf derselben Straßenseite weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob Johann W. seiner Aufforderung auch Folge leistete, nahm eine zwischen Kiste und Abladeplatz lehnende Schaufel mit und begab sich zum Abladeplatz. Der Erstbeklagte fuhr inzwischen zurück und überfuhr dabei Johann W., der sogleich tot war. Der Erstbeklagte sah beim Rückwärtsfahren nicht in den Rückspiegel. Die Sicht durch den rechten Rückspiegel war sehr schlecht. Der LKW. erzeugt beim Fahren ein starkes Motorengeräusch. Der Erstbeklagte übersah Johann W. neben der Werkzeugkiste und hörte auch nicht, daß Erich W. diesen vor dem herannahenden LKW. warnte.
Erich W. war nach § 335 StG. schuldig erkannt worden, weil er sich trotz Kenntnis von dem Aufenthalt des Johann W. in der Fahrbahn des von ihm eingewiesenen rückwärts fahrenden LKWs. nicht überzeugt hatte, daß dieser die Fahrbahn verließ, und trotzdem dem LKW.-Fahrer das Zeichen zum Fortsetzen der Rückwärtsfahrt gegeben hatte. Der Erstbeklagte wurde freigesprochen.
Das Erstgericht erachtete ein Verschulden des Erstbeklagten von einem Viertel für gegeben, weil er eine Strecke von etwa 15 bis 20 m im Rückwärtsgang gefahren sei, ohne dabei eingewiesen zu werden. Es sprach daher nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches mit Zwischenurteil aus, daß das Klagebegehren dem Gründe nach zur Hälfte zu Recht und zur Hälfte nicht zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht ging jedoch davon aus, daß sich der Unfall noch während der Einweisertätigkeit des Erich W. ereignet habe, weil dies der Inhalt der gemäß § 268 ZPO. auch für das Zivilgericht maßgebenden Feststellungen des Strafgerichtes sei; im übrigen übernahm es die Feststellungen des Erstgerichtes und kam zu dem Ergebnis, daß den Erstbeklagten kein Verschulden an dem Unfall treffe, da er sich auf den Einweiser habe verlassen dürfen.
Der Erstbeklagte habe aber auch jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet, sodaß aus seinem Verhalten keine Haftung der Zweitbeklagten nach § 9 (2) EKHG. abgeleitet werden könne.
Dies führe jedoch nicht zur Abweisung der Klage gegenüber der Zweitbeklagten, weil dazu erforderlich wäre, daß auch alle anderen beim Betrieb des Kraftfahrzeuges mit Willen des Halters tätigen Personen sich einer derartigen Sorgfalt befleißigten. Da der Erstbeklagte keinen Beifahrer hatte, müsse die Heranziehung eines Dritten durch ihn zum Einweisen als vom Willen der Zweitbeklagten mitumfaßt angenommen werden. Der Einweiser sei aber beim Betrieb des einzuweisenden Kraftfahrzeuges beschäftigt. Der Einweiser Erich W. habe sich nun sogar einer strafbaren Nachlässigkeit schuldig gemacht, für die gemäß § 19 (2) EKHG. der Halter im vollen Umfang hafte. Wenn das Klagebegehren auch nicht ausdrücklich die Haftung der Zweitbeklagten auf das Verschulden des Erich W. abstelle, so müsse dennoch die Klage auch als aus diesem Gründe gegen die Zweitbeklagte erhoben angesehen werden, zumal sie sich allgemein der Zweitbeklagten gegenüber auf die Bestimmungen des EKHG. stütze. Die Klägerin bekämpft aus dem Revisionsgrunde der Mangelhaftigkeit des Verfahrens die Ansicht des Berufungsgerichtes über die Tragweite des § 268 ZPO. Das Strafgericht habe nicht festgestellt, wie lange Erich W. den Erstbeklagten eingewiesen habe; die Feststellungen des Erstgerichtes stunden daher nicht im Widerspruch zu jenen des Strafgerichtes, sondern ergänzten diese in zulässiger Weise und hätten zu dem richtigen Schluß geführt, daß auch den Erstbeklagten ein Verschulden treffe.
Das Erstgericht im Strafverfahren fand "die Schuld des Erich W. darin gegeben, daß er sich trotz des Wissens um den Aufenthalt des Johann W. in der Fahrbahn des von ihm eingewiesenen rückwärtsfahrenden LKWs. nicht überzeugt habe, daß Johann W. die Fahrbahn verlassen, und trotzdem dem LKW. das Zeichen zum Fortsetzen der Rückwärtsfahrt gegeben habe". Der Erstbeklagte wurde freigesprochen, weil er sich auf die Zeichen des Einweisers, daß er die Rückwärtsfahrt durchführen könne, habe verlassen dürfen. In seinem die Nichtigkeitsbeschwerde des Erich W. verwerfenden Urteil führte der Oberste Gerichtshof aus (11 Os 205/65 = ZVR. 1969 Nr. 259), daß sich der Angeklagte, noch bevor er dem Franz L. die Anweisung zur Fortsetzung der Rückwärtsfahrt gab, überzeugen hätte müssen, ob Johann W. den Gefahrenbereich verlassen habe; außerdem hätte er die vom Franz L. nicht eingesehene Strecke ständig im Auge behalten müssen.
Das Erstgericht im vorliegenden Rechtsstreit glaubte der Behauptung des Erstbeklagten nicht, Erich W. habe die Schaufel geholt, als er wieder einige Meter vorgefahren sei; als er dann zurückfuhr, sei Erich W. in der Nähe des Baggers gestanden und habe ihn wieder eingewiesen; es glaubte vielmehr der Darstellung des Erich W., daß er den Erstbeklagten nach dem Holen der Schaufel nicht wieder eingewiesen habe. Diese Darstellung steht aber, wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat, mit dem vom Strafgericht der Verurteilung des Erich W. zugrunde gelegten Sachverhalt im Widerspruch und kann daher nicht Grundlage der Urteilsfindung im Zivilprozeß sein, mag sich dieser Prozeß auch nicht gegen Erich W. richten (§ 268 ZPO., SZ. XXIV 148).
Geht man von den maßgebenden Feststellungen aus, dann ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ein Verschulden des Erstbeklagten in seiner Fahrweise nicht zu erkennen, da er keinen Grund hatte, sich nicht auf seinen Einweiser zu verlassen.
Die Zweitbeklagte hält das Berufungsurteil für nichtig, weil es der Klägerin etwas zugesprochen habe, was nicht begehrt worden sei. Die Haftung der Zweitbeklagten sei nämlich nur darauf gestützt worden, daß der Erstbeklagte zumindest nicht jede Sorgfalt angewendet habe, nicht aber auf ein Verschulden des Einweisers Erich W. Für die Streitteile völlig unvorhersehbar sei nunmehr das Berufungsgericht in seinem Urteil von diesem Klagsgrund abgegangen. Dies bedeute auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Erich W. sei im übrigen auch nicht beim Betrieb des Kraftfahrzeuges der Zweitbeklagten tätig gewesen.
Das Gericht hat nur jenen Sachverhalt zu beurteilen, den ihm die Parteien unterbreiten. Im vorliegenden Falle wurden die Klagsansprüche, wie die Revisionswerberin richtig bemerkt, aus dem Verhalten des Erstbeklagten als Lenker, für das auch die Zweitbeklagte als Halterin hafte, "da der Erstbeklagte jedenfalls zumindest nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene ... Vorsicht beachtet habe ...", nicht aber aus dem Verhalten des Erich W. abgeleitet. Da ein Verschulden des Erich W. auch nicht hilfsweise als Begründung für einen Anspruch gegen die Zweitbeklagte geltend gemacht worden war, hatte das Berufungsgericht nicht zu prüfen, ob sich ein Anspruch gegen die Zweitbeklagte aus dem Verhalten des Erich W. herleiten lasse. Der Fall, daß das Gericht einen anderen Klagsgrund als den vom Kläger vorgebrachten zur Urteilsgrundlage nimmt, ist in der ZPO. nicht ausdrücklich geregelt, ist aber dem im § 405 ZPO. genannten Problem ähnlich und gleich diesem als Mangelhaftigkeit des Verfahrens (EvBl. 1958 Nr. 258; JBl. 1969 S. 399), nicht aber als Nichtigkeit zu werten. Nun hat das Berufungsgericht den geltend gemachten Klagsgrund dahin beschieden, daß eine Haftung der Zweitbeklagten aus dem Verhalten des Erstbeklagten nicht bestehe. Diese Beurteilung des Berufungsgerichtes trifft zu, so daß unter Außerachtlassung der Frage, ob die Zweitbeklagte für ein Verschulden des Erich W. haftbar gemacht werden könnte, auf Abweisung des Klagebegehrens auch gegenüber der Zweitbeklagten zu erkennen war.
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