OGH 10ObS9/89

OGH10ObS9/8924.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Eduard Giffinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S***, Welzelach 1, 9972 Virgen, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Oktober 1988, GZ 5 Rs 140/88-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. März 1988, GZ 46 Cgs 1233/87-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.400 S an Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 24.Dezember 1921 geborene Kläger übergab im Jahre 1982 seine von ihm bis dahin als Nebenerwerbsbetrieb geführte Landwirtschaft an seine Ziehtochter Theresia W***. Er behielt zusammen mit seiner Ehefrau nur das Wohnrecht im Hause. Die Landwirtschaft wird auf Rechnung und Gefahr der Ziehtochter geführt. Diese geht sonst keiner Beschäftigung nach. Der Kläger und seine Frau leben mit der Familie der Ziehtochter im gemeinsamen Haushalt. Der Kläger bezieht außer seiner Pension kein weiteres Einkommen. Um sich die Zeit zu vertreiben, arbeitet der Kläger gelegentlich im Betrieb der Ziehtochter mit und verrichtet auch darüber hinaus anfallende Arbeiten. Er arbeitet am Wohnhaus und im Betrieb nicht regelmäßig mit, sondern nur gelegentlich nach Lust und Laune. Am 6.Dezember 1986 schnitt er zusammen mit seinem "Schwiegersohn" Hans W*** Holzbretter für die Ausbesserung eines Terrassengeländers am Wohnhaus zurecht. Dabei kam er in die Kreissäge und verlor die linke Hand und mehr als zwei Drittel des linken Unterarmes. Auf Grund dieser Verletzung ist der Kläger zu 60 % auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbsgemindert. Das Wohnhaus und das Wirtschaftsgebäude auf der Landwirtschaft der Ziehtochter des Klägers befinden sich unter einem Dach. Der Stall ist nicht direkt vom Wohnhaus aus zu betreten. Man muß zunächst das Wohnhaus durch die Haustüre verlassen und dann den Stall durch einen gesonderten Eingang betreten.

Die Terrasse, welche der Kläger am 6.Dezember 1986 ausbessern wollte, befindet sich unmittelbar links von der Haustüre. Wenn man sich durch die Haustüre des Wohngebäudes zur Türe des Wirtschaftsgebäudes begibt, gelangt man nicht unbedingt über diese Terrasse.

Nach dem zwischen dem Kläger und seiner Ziehtochter geschlossenen Übergabsvertrag besteht für den Kläger keine Verpflichtung, in der Landwirtschaft mitzuarbeiten. Die Arbeitsleistungen des Klägers für die Ziehtochter sind unentgeltlich. Mit Bescheid vom 24.November 1987 lehnte die beklagte Partei die Gewährung einer Versehrtenrente aus Anlaß des Unfalles vom 6. Dezember 1986 gemäß § 175 Abs. 3 Z 4 und § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG ab. Das Erstgericht stellte in seinem Urteil fest, daß es sich bei dem Unfall, den der Kläger am 6.Dezember 1986 auf der Landwirtschaft seiner Ziehtochter Theresia W*** erlitten hat, um einen Arbeitsunfall handle und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente von 60 % der Vollrente samt Zusatzrente "ab dem gesetzlichen Zeitpunkt" im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Rechtlich führte es aus, Instandsetzungsarbeiten und Ausbesserungsarbeiten, die an Gebäuden vorgenommen würden, welche der Landwirtschaft oder dem ihr dienenden Haushalt gewidmet seien, stünden unter Versicherungsschutz, wenn diese Arbeiten von den Landwirten selbst, d.h. unter ihrer eigenen Leitung und mit von ihnen herangezogenen Hilfskräften durchgeführt würden. Das bloße Ausbessern des Geländers einer Terrasse, die mit dem Wohngebäude untrennbar verbunden sei, stelle eine Tätigkeit dar, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb vom Betriebsinhaber oder seinen Familienangehörigen gewöhnlich selbst ausgeführt werde. Es müsse auch davon ausgegangen werden, daß die verrichteten Arbeiten mit dem landwirtschaftlichen Betrieb in Zusammenhang stünden, weil angenommen werden müsse, daß alle Arbeiten, die zur Beseitigung von Unzulänglichkeiten im landwirtschaftlichen Wohnbereich erfolgten, unter Versicherungsschutz stünden.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Eine Pflichtversicherung des Klägers gemäß § 3 Abs. 1 BSVG und damit die Anwendung des § 175 Abs. 3 Z 4 ASVG scheide aus, weil die Betriebsinhaberin als Ziehtochter des Verletzten nicht zu dem in § 3 Abs. 1 Z 2 BSVG genannten Personenkreis gehöre. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit sei aber auch nicht unter Versicherungsschutz nach der Bestimmung des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG gestanden. Nach dieser Gesetzesstelle sei es erforderlich, daß der Unfallbetroffene in den Betrieb wie ein Arbeitnehmer eingegliedert gewesen sei. Die Tätigkeit müsse unter wirtschaftlicher und organisatorischer Leitung des Betriebsinhabers erbracht werden. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben, da der Kläger nur nach Lust und Laune gearbeitet habe. Damit könne, selbst wenn man davon ausgehe, die Tätigkeit sei noch dem landwirtschaftlichen Betrieb zuzuordnen, eine wirtschaftliche und organisatorische Unterworfenheit unter einen Betrieb nicht angenommen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde (das Ersturteil wiederherzustellen).

Die beklagte Partei beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Nach § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG sind Unfälle, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit ereignen, wie sie sonst ein nach § 4 Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht, Arbeitsunfällen gleichgestellt. Es entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, daß für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit wesentlich ist, daß es sich um eine, wenn auch nur kurzfristige Arbeitsleistung handelt, die hiefür erbrachte Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und für ihn von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Es muß sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln und es muß durch diese Tätigkeit ein innerer Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt sein (SZ 42/39). Unter einer ernstlichen Arbeit versteht man Handlungen, die sonst im Betrieb anfallen und die üblicherweise von einem Arbeitnehmer im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses verrichtet werden. Erforderlich ist, daß der Unfallbetroffene in den fremden Betrieb eingegliedert war. Die Beweggründe der Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG (hier: "nach Lust und Laune") sind dabei unmaßgeblich (SSV-NF 1/17 mwN). Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Unternehmen ist ebensowenig erforderlich wie Weisungsgebundenheit. Leistet jemand Hilfe nur vorübergehend und aus Gefälligkeit, so steht es ihm zwar frei, seine Tätigkeit einzustellen und seine weitere Mitarbeit zu verweigern, so lange er aber an der Ausführung des Planes des Unternehmers mit dessen ausdrücklichem oder nach der Sachlage zu vermutenden Willen mitwirkt, zeigt er damit seine Bereitschaft, sich den dazu erforderlichen Weisungen des Unternehmers zu fügen (SZ 48/50; SZ 52/66 ua). War der Helfer mit den im Rahmen seiner Hilfstätigkeit auszuführenden Arbeiten so vertraut, daß er zu ihrer Verrichtung keiner Weisung mehr bedurfte, so stellt sich bereits die den innerbetrieblichen Gepflogenheiten entsprechende Tätigkeit als "betriebliche Tätigkeit" im Sinne des Gesetzes dar (10 Ob S 212/88). Wenn der Kläger daher allenfalls ohne ausdrückliches Ersuchen seiner Ziehtochter mit deren Ehemann Holz für die Ausbesserung der Terrasse des Wohnhauses geschnitten hat, so muß, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes, unterstellt werden, daß dies deren mutmaßlichem Willen entsprochen hat.

Es fehlt aber im vorliegenden Fall an der Voraussetzung einer betrieblichen Tätigkeit. Der Umfang der betrieblichen Tätigkeit im bäuerlichen Bereich ist durch das Gesetz zwar sehr weit gezogen, so fallen im Bereich der Unfallversicherung darunter gemäß § 175 Abs. 3 Z 4 ASVG auch Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung, dem Umbau und der Reparatur von Gebäuden, die dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen. Sie müssen aber der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen. Dabei ist zu prüfen, ob die entfaltete Tätigkeit nach objektiven Gesichtspunkten dazu dient und ob sie subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde (10 Ob S 210/88). Läßt sich, wie dies bei einem Bauernhaus, in dem sich Wohn- und Wirtschaftsräume befinden, der Fall ist, der betriebliche und persönliche Bereich wegen der gemischten Nutzung nicht klar trennen - etwa Ausbesserungen am Dach, an der Fassade oder der Zufahrt zum Haus - so beginnt der Versicherungsschutz dort, wo der abgrenzbare, rein persönliche Bereich aufhört und ein auch wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Bereich anzunehmen ist (ähnlich 9 Ob S 30/87 = SSV-NF 2/2). Die Arbeiten müssen sich im Rahmen des landwirtschaftlichen Wirtschaftsbetriebes halten (Brackmann, Handbuch II 496 e, f).

Auch bei weiterer Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen kann aber nicht mehr gesagt werden, daß eine vor dem Wohnhaus liegende Terrasse und damit die Ausbesserung des Terrassengeländers nicht ausschließlich dem persönlichen, privaten Komfort der Bewohner, sondern auch Interessen des landwirtschaftlichen Betriebes dient. Daß aber die Terrasse auch betrieblich genutzt wäre, wurde weder behauptet noch ist dies im Verfahren hervorgekommen. Da sich der Unfall des Klägers somit nicht bei einer betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z 6 ASVG ereignete, erweist sich das Urteil des Berufungsgerichtes im Ergebnis als richtig.

Nach § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG konnten dem Kläger für seine Revision nach Billigkeit die halben Kosten zugesprochen werden.

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