OGH 9ObS30/87

OGH9ObS30/8713.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreise der Arbeitgeber Dr.Carl Hennrich und Dr.Pipin Wenzl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann H***, Reitdorf 1, Flachau, vertreten durch Dr.Lukas Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei A*** U***,

Wien 20.,Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Adolf Fiebich, Dr.Vera K*** und Dr.Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente und Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juli 1987, GZ. 12 Rs 1068/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.März 1987, GZ. 39 Cgs 63/87-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft Gasthaus R*** W*** in Reitdorf Nr.1, Flachau. Er und seine Frau führten zum Unfallszeitpunkt am 13.Oktober 1985 den Gastbetrieb. Im Parterre befinden sich die Küche, die für die Gastwirtschaft und den privaten Bedarf benützt wird, ferner Speisesaal, Gaststuben, Toiletten und Lagerraum. Vom Haupteingang führt eine Treppe in den ersten Stock. Dort befinden sich das Elternschlafzimmer sowie Gästezimmer. Der Beklagte pflegte als erster aufzustehen, das Leergebinde wegzuräumen, die Haustüre aufzusperren, das Gastzimmer aufzuräumen und zu lüften. Dafür zog er sich auch abends als erster - vor seiner Gattin und seinem im Betrieb mitarbeitenden Sohn Michael H*** - vom Betrieb zurück. Am Sonntag, dem 13.Oktober 1985, war Nachsaison. Es waren ca. 15 bis 20 einheimische Gäste zu erwarten, die im hauseigenen Badesee fischen und die Fische im Gasthaus zubereiten lassen und verspeisen wollten. Der Kläger, der üblicherweise vor 7 Uhr früh aufstand, erhob sich auch am 13.Oktober 1985 vor 7 Uhr, wusch und rasierte sich, kleidete sich an, band sich eine weiße Schürze um und ging vom Schlafzimmer im ersten Stock die Treppe hinunter in die Gasträume, um - wie üblich - für sich, seine Frau und seinen Sohn das Frühstück zuzubereiten sowie seine üblichen Morgenarbeiten für den Betrieb zu verrichten: Aufsperren der Haustüre, Wegschaffen des Leergebindes, Reinigen der WC-Anlagen, Vorbereitungsarbeiten in der Küche für den Gasthausbetrieb sowie Füllen der Schank mit Frischgetränken. Es ist nicht erwiesen, daß der Kläger alle diese von ihm üblicherweise am Morgen verrichteten betrieblichen Arbeiten auch am 13.Oktober 1985 verrichten wollte. Es handelt sich nur um die Beschreibung der üblichen Arbeiten des Klägers am Morgen, von denen er die gerade notwendigen verrichtete. Der Kläger ging zwischen 7 Uhr und 7 Uhr 30 die Treppe hinunter. Seine im Schlafzimmer verbliebene Gattin, die üblicherweise ebenso wie der Sohn erst später aufstand, um gemeinsam mit dem Kläger das von diesem bereitete Frühstück einzunehmen, hörte einen "Rumpler" und fand den Kläger unterhalb der Treppe im Hausflur am Rücken liegend, gestürzt und nicht mehr ansprechbar vor. Der Kläger erlitt damals ein schweres Schädelhirntrauma mit Bluterguß unter der harten Hirnhaut rechts, eine mandarinengroße Blutung im Stirnhirn links, sowie multiple Hirnprellungsherde. Der Bluterguß unter der harten Hirnhaut rechts geht zurück auf einen Abriß von sogenannten Brückenvenen, eine traumatische Zerreißung der venösen Blutgefäße, die das Blut am Scheitel vom Gehirn in den großen venösen Leiter am Schädeldach ableiten. Als Folge dieser Ereignisse besteht eine linksseitige Halbseitenlähmung, ein schweres Stirnhirnsyndrom mit Verwirrtheit und eine Inkontinenz. Der Kläger ist praktisch bettlägerig. Es besteht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 13. Jänner 1986 vom 100 v.H. Alle die zum jetzigen Zustand des Klägers führenden inneren Verletzungen und Veränderungen sind die Folgen des Sturzes; sie sind nicht etwa vor dem Sturz aufgetreten. Der Sturz war nicht die Folge einer inneren Hirnveränderung bzw. Hirnverletzung, insbesonders nicht einer spontanen, aus organischer Ursache entstandenen Hirnblutung, eines sogenannten apoplectischen Insultes. Eine Besserung des derzeitigen Zustandes und damit auch eine Änderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nicht zu erwarten.

Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente sowie auf Gewährung des Hilflosenzuschusses gerichteten Begehren des Klägers statt. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Unfalles in seinem Gasthaus unterwegs gewesen. Neben der Zubereitung des Frühstücks - dies sei dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuzählen - habe er auch beabsichtigt, die täglich am Morgen im Betrieb anfallenden Arbeiten zu verrichten. Es sei daher der erforderliche Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit hergestellt, so daß die Voraussetzung des § 175 Abs 1 ASVG erfüllt seien.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht Folge. Voraussetzung für den Unfallschutz gemäß § 175 Abs 1 ASVG sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, sohin eines Unfalles, der sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereigne. Als Arbeitsunfälle im Sinn dieser Gesetzesbestimmung gälten auch Unfälle, die sich auf dem Weg zur und von der Arbeitsstätte ereignen. Liegen Wohnung und Betriebsstätte im selben Gebäude, scheide im allgemeinen die Annahme eines geschützten Wegunfalles aus, es sei denn, der Unfall geschehe in einem Teil des Gebäudes, der wesentlichen betrieblichen Zwecken diene. Der Umstand allein, daß der Kläger in den Geschäftsräumen mit der Arbeit habe beginnen wollen, reiche für den Schutz des Weges zu den Geschäftsräumen innerhalb des Gebäudes nicht aus. Vielmehr sei zu untersuchen, ob der Teil des Gebäudes, in dem es zum Unfallereginis gekommen sei, ausschließlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sei oder nicht. Dabei komme es nicht darauf an, in welchen Räumen des Betriebes der Versicherte seine Arbeit aufnehmen habe wollen, sondern es genüge, daß die Tätigkeit, die Anlaß zu dem Unfall gegeben habe, den Zwecken des Betriebes unmittelbar oder mittelbar zu dienen bestimmt gewesen sei. In diesem Fall werde der geschützte Gefahrenbereich des Unternehmens auf die gesamte Betriebsstätte ausgedehnt. Wenn das schädigende Ereignis wesentlich durch die Zugehörigkeit zum Betrieb mitbedingt sei, liege ein Arbeitsunfall vor. Im gegenständlichen Fall sei das Treppenhaus wegen der im ersten Stock befindlichen Fremdenzimmer zum Gefahrenbereich des Betriebes zu zählen, auch wenn der Kläger beabsichtigt habe, in den Geschäftsräumen im Erdgeschoß zu arbeiten, das eine Betätigung zumindest mittelbar den Zwecken des Gastbetriebes gedient habe. Die Tatsache, daß der Kläger außer der betrieblichen Tätigkeit auch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, nämlich das Zubereiten des Frühstücks habe verrichten wollen, schließe den Versicherungsschutz nicht aus, da nicht festehe, daß der Gang zu den Geschäftsräumen überwiegend im persönlichen Interesse unternommen worden sei. Weder das Erstgericht (§ 189 Abs 2 ASGG) noch das Berufungsgericht (§§ 89 Abs 2, 463 Abs 1 ZPO) haben der beklagten Partei eine vorläufige Leistung auferlegt. Diese gesetzliche Verpflichtung des Berufungsgerichtes ist unabhängig von der Bekämpfung des erstgerichtlichen Urteils durch den Kläger (Kuderna ASGG § 89, Anm.7, 448).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen, rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klageabweisung abzuändern oder aber sie aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die klagende Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. Im allgemeinen ist der Übergang von einer privaten Verrichtung zu einer betrieblichen Tätigkeit nicht schon allein wegen des Zweckes, dem der gesamte Weg im Grunde dient, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen; in einem solchen Fall kommt es vielmehr darauf an, ob die ursächliche Verknüpfung zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit rechtlich so wesentlich ist, daß daneben die ursächliche Beziehung zu der unversicherten Verrichtung rechtlich unberücksichtigt bleiben kann. Die bloße Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben, oder der Gang zu einer beabsichtigten betrieblichen Arbeit begründen noch keinen Versicherungsschutz (Lauterbach Das Recht der Unfallversicherung3, 47. Lfg.228/1). Befinden sich Wohnung und Arbeitsstätte in jeweils in sich abgeschlossenen verschiedenen Geschoßen eines mehrgeschoßigen Hauses mit einer durchgehenden Treppe, so beginnt der Unfallversicherungsschutz grundsätzlich an der Tür der Arbeitsstätte und kommt dem auf dem Weg zur Arbeitsstätte oder von der Arbeitsstätte auf der Treppe Verunglückten nicht zu (Lauterbach aaO, 273/1 ff). Vielfach ist jedoch eine strenge Trennung zwischen dem privaten und dem betrieblichen Bereich nicht möglich, weil Teile eines Gebäudes sowohl privaten wie betrieblichen Zwecken dienen. Solche gemischt genutzten Räume sind nur dann den Betriebsräumlichkeiten zuzuzählen, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke genutzt werden. Ob eine betrieblichen und eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Treppe im eigenen Haus wesentlich auch betrieblicher Nutzung dient, kann nur durch das Maß des persönlichen und betrieblichen Gebrauches der Treppe beurteilt werden; nur wenn die Treppe nicht nur selten und gelegentlich zu betrieblichen Zwecken genutzt wird, kann sie dem Betrieb im Einzelfall zugerechnet werden (Lauterbach aaO, 228/1). Befinden sich in einem Haus neben nur dem betrieblichen Bereich und nur dem persönlichen Bereich zuzuzählenden Räumen auch gemischt genutzte Räume, so beginnt der Versicherungsschutz, wenn der rein persönliche Bereich verlassen wird und ein wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Teil des Gebäudes betreten wird (Lauterbach aaO, 273/1). Bei Unfällen die sich auf der Treppe eines Hauses ereignen, in dem sich zugleich Wohnung und Betriebsstätte befinden, ist darauf abzustellen, ob die Treppe in rechtlich wesentlichem Umfang für betriebliche Zwecke benützt wurde; bei einem Weg, der durch ursächliche Beziehungen zur unversicherten Tätigkeit und zur versicherten Tätigkeit gekennzeichnet ist, gewinnen die letztgenannten Beziehungen auch rechtlich das ausschlaggebende Gewicht erst, wenn der unversicherte persönliche Lebensbereich verlassen wird; ob dies der Fall ist, richtet sich nach dem Umfang der Benutzung des Raumes für betriebliche Zwecke (Brackmann, Handbuch zur Sozialversicherung, II 60.Nachtrag, 480 y). Abzustellen ist dabei zwar nicht auf die augenblickliche betriebliche Auslastung, die die Benützung einzelner Teile des Gebäudes fordert, doch kann in Fällen in denen der Betrieb etwa aus saisonalen Gründen im Jahresablauf einem bestimmten Rhythmus unterliegt, dieser wechselnde Ablauf nicht außer Betracht gelassen werden. Gestaltet sich aus Gründen der Abhängigkeit von bestimmten Saisonen der Betrieb so, daß etwa während bestimmter längerer Zeiträume Teile des Betriebes nicht oder kaum benützt werden, so kann nicht davon ausgegangen werden, daß Räume, die neben privaten Zwecken ausschließlich diesen Teilen des Betriebes dienen, während dieser Zeiträume einer wesentlichen betrieblichen Nutzung unterliegen. Die räumliche Anlage des Hauses, in dem der Betrieb des Klägers und seiner Gattin untergebracht ist, ist so gestaltet, daß die zum Gasthausbetrieb im engeren Sinn zählenden Räumlichkeiten im Erdgeschoß untergebracht sind, während sich im Obergeschoß neben Fremdenzimmern die Privaträume der Familie des Klägers befinden. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war zum Zeitpunkt des Unfalles Nachsaison; im Gasthaus wurden einheimische Gäste erwartet. Weitere Feststellungen zu den oben erörterten Fragen liegen nicht vor. In dieser Richtung ist das Verfahren ergänzungsbedürftig. Es werden Feststellungen über Zeiträume und Umfang der Vermietung der Fremdenzimmer im Gasthausbetrieb zu treffen sein. Wurden im Betrieb die Fremdenzimmer das ganze Jahr über oder zumindest auch während der Nachsaison regelmäßig in relevantem Umfang vermietet, so unterlag die Treppe, über die diese Fremdenzimmer erreichbar sind, zum Zeitpunkt des Unfalles zu einem wesentlichen Teil einer betrieblichen Nutzung. Kam es jedoch aus saisonalen Gründen in der Nachsaison für einen längeren Zeitraum nicht oder nur in einem sehr geringen Umfang zur Vermietung von Fremdenzimmern, so diente sofern dies einem regelmäßigen Rhythmus entsprach, die Treppe während dieser Zeit nicht wesentlich einer betrieblichen Nutzung. In diesem Fall wäre die Benützung der Treppe nicht dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung unterlegen. Vor Klärung dieser, für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Tatfragen ist eine abschließende Entscheidung über das Begehren nicht möglich. Es liegt ein Feststellungsmangel vor, der bereits vom Berufungsgericht im Rahmen der erhobenen Rechtsrüge wahrzunehmen gewesen wäre. Im fortgesetzten Verfahren wird im Hinblick auf die nach dem Akteninhalt bestehende Beeinträchtigung des Klägers im psychischen Bereich (insbes. psychischer Befund AS 23) die Frage der Prozeßfähigkeit zu überprüfen sein.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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