OGH 9ObA270/88 (9ObA271/88, 9ObA272/88)

OGH9ObA270/88 (9ObA271/88, 9ObA272/88)16.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günther Schön und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien

1.) Prof. Walter H***, Konzertmeister, Breitenfurt, Königsbühelstraße 59, 2.) Georg F***, Solocellist,

Wien 19., Glanzinggasse 20 und 3.) Prof. Hans G***, Konzertmeister, Wien 9., Nußdorferstraße 16/46, alle vertreten durch Dr. Nikolaus Siebenaller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö*** (Ö*** B***),

vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen zu 1.) S 114.457,25, zu 2.) S 114.457,25 und zu

3.) S 63.265,10 je sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Juni 1988, GZ 33 Ra 11/88-12, womit infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. August 1987, GZ 19 Cga 1532/87-8, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.888,93 bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung sowie die mit S 10.662,-- bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Erstkläger ist Konzertmeister des Wiener Volksopernorchesters, der Zweitkläger Solocellist des Volksopernorchesters und der Drittkläger Konzertmeister der Volksoper Wien. § 3 des für die Dienstverhältnisse der Kläger maßgebenden, zwischen der R*** Ö*** und dem

B*** FÜR U*** UND K*** (Ö*** B***) abgeschlossenen Kollektivvertrages für das

künstlerische nicht darstellende Personal im Gesamtbereich der Österreichischen Bundestheater lautet:

"Schiedsgerichtsbarkeit

1. Während der Geltungsdauer dieses Kollektivvertrages und bis 3 Monate nach dessen Ablauf werden alle aus diesem Kollektivvertrag sowie aus allen abgeschlossenen Bühnendienstverträgen und sonstigen Engagements und Gastspielverhältnissen jeder Art entstehenden Streitigkeiten unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges ausschließlich durch ein Schiedsgericht, das zur Entscheidung dieser Streitigkeiten errichtet wird, entschieden. Die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes besteht noch 3 Monate nach Ablauf des Einzeldienstvertrages. Die Schiedssprüche und vor dem Schiedsgericht abgeschlossene Vergleiche sind Exekutionstitel im Sinn des § 1 der Exekutionsordnung.

2. Das Schiedsgericht besteht aus einem Vorsitzenden und 4 Beisitzern; jeder der Kollektivvertragspartner bestellt zwei Beisitzer.

3. Der Vorsitzende des Schiedsgerichtse, der zwar die Befähigung zur Ausübung des Richteramtes besitzen muß, aber nicht mehr im richterlichen Dienst stehen darf (§ 578 ZPO) ist einvernehmlich von den Kollektivvertragspartnern zu bestellen.

4. Das Schiedsgericht entscheidet mit absoluter Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende.

5. Gegen Schiedssprüche ist eine Berufung an das Oberschiedsgericht binnen 4 Wochen ab Zustellung des Schiedsspruches nur dann zulässig, wenn der Streitwert den im § 49 JN festgelegten Betrag übersteigt oder wenn das Schiedsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung eine solche Berufung ausdrücklich für zulässig erklärt.

6. Das Oberschiedsgericht besteht aus einem Vorsitzenden und 4 Beisitzern; jeder Kollektivvertragspartner bestellt zwei Beisitzer.

7. Der Vorsitzende des Oberschiedsgerichtes, der ein zur Ausübung des Richteramtes befähigter Jurist sein muß, aber nicht mehr im richterlichen Dienst stehen darf (§ 578 ZPO), wird von den beiden Kollektivvertragspartnern einvernehmlich bestellt.

8. Die Schiedssprüche sind nach der absoluten Mehrheit der Stimmen zu fällen. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende.

9. Für die Tätigkeit des Schiedsgerichtes ist eine ständige Geschäftsordnung zu erlassen.

10. Auf das Verfahren vor den Schiedsgerichten finden die Bestimmungen der österreichischen Zivilprozeßordnung sowie die Bestimmungen der Geschäftsordnung der Schiedsgerichte Anwendung."

Die zwischen der Direktion der Volksoper und den Klägern abgeschlossenen, vom Ö*** B***

mitgefertigten Bühnendienstverträge enthalten jeweils im Punkt 7. nachfolgende Bestimmung:

"7. Die Vertragsteile vereinbaren für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag ausschließlich die Zuständigkeit der im einschlägigen Kollektivvertrag vereinbarten Schiedsgerichtsbarkeit und die Anwendung österreichischen Rechtes."

Der Erstkläger und der Zweitkläger begehren die Zahlung eines Betrages von je S 114.457,25 sA, der Drittkläger die Zahlung eines Betrages von S 63.265,10 sA. Die Bezüge der künstlerischen Gruppen seien ab 1. Jänner 1984 um 2,67 %, ab 1. Jänner 1985 um 4,7 % und ab 1. Jänner 1986 um 4,25 % erhöht worden. Diese Erhöhungen seien den Klägern zu Unrecht nicht gewährt worden. Hieraus ergebe sich für den Erst- und Zweitkläger für die Jahre 1984 bis 1986 und für den Drittkläger für die Jahre 1985 und 1986 eine Differenz zu den tatsächlich ausgezahlten Gehältern in der Höhe der geltend gemachten Beträge, zu deren Zahlung die beklagte Partei verpflichtet sei. Die beklagte Partei erhob die Einrede der "Unzulässigkeit des Rechtsweges". Im Punkt 7 des Bühnendienstvertrages hätten die Streitteile für alle Rechtsstreitigkeiten die ausschließliche Zuständigkeit des im Kollektivvertrag vorgesehenen Schiedsgerichtes vereinbart. Im übrigen beantragte die beklagte Partei die Abweisung der Klage. Die erhobenen Forderungen der Kläger seien nicht berechtigt, da die Dienstverträge der Kläger von den für die künstlerischen Gruppen vorgesehenen Gehaltserhöhungen nicht erfaßt seien.

Das Erstgericht wies die Klagen zurück. Ungeachtet der Tatsache, daß nunmehr die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes in der hier in den Bühnendienstverträgen vorgesehenen Form gemäß § 9 Abs 2 ASGG unzulässig sei, sei die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des ASGG getroffene Vereinbarung wirksam, weil ihre Zulässigkeit und Wirksamkeit nach dem Zeitpunkt ihres Abschlusses zu beurteilen sei. Für die Entscheidung des hier vorliegenden Rechtsstreites sei daher das Bühnenschiedsgericht zuständig. Dem Umstand, daß die beklagte Partei die Unzulässigkeit des Rechtsweges eingewendet habe, komme keine Bedeutung zu, weil ausgehend von den hiezu erstatteten Ausführungen die erhobene Prozeßeinrede als Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes zu qualifizieren sei; diese Einrede sei aber berechtigt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Parteien Folge, behob den angefochtenen Beschluß und trug dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Nach § 9 Abs 2 ASGG sei eine Vereinbarung, wonach ein Rechtsstreit durch ein Schiedsgericht entschieden werden solle, in nach § 50 Abs 1 ASGG zu beurteilenden Arbeitsrechtssachen nur für bereits entstandene Rechtsstreitigkeiten wirksam. Die Übergangsregelungen der §§ 99 ff, insbesonders aber 101 ASGG des am 1. Jänner 1987 in Kraft getretenen Gesetzes enthielten keine Regelungen über vor dem 1. Jänner 1987 geschlossene Schiedsgerichtsvereinbarungen. Eine Zuständigkeitsvereinbarung - um eine solche handle es sich bei einer Schiedsklausel - sei eine (vorprozessuale) Prozeßhandlung, deren Wirksamkeit nach den Regeln des Prozeßrechtes zu beurteilen sei. Die in Lehre und Judikatur vertretene Meinung, ein Gesetz wirke nur dann zurück, wenn dies vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet werde, treffe bei Prozeßgesetzen und insbesondere bei Zuständigkeitsverschiebungen in dieser generellen Aussageform nicht zu. Für den zeitlichen Geltungsbereich formeller Vorschriften gelte der Grundsatz, daß Verfahrensgesetze immer nach dem letzten Stand anzuwenden seien, es sei denn, daß sie ausdrücklich eine andere Regelung treffen. Während die vergleichbare Bestimmung des § 14 Abs 3 KSchG aufgrund des § 39 Abs 1 KSchG auf Verträge, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen worden seien, nicht anzuwenden sei, fehle eine korrespondierende Bestimmung im ASGG. Zufolge dieses Mangels sei davon auszugehen, daß § 9 Abs 2 ASGG, die eine Zuständigkeitsbestimmung im weiteren Sinn sei, generell auf alle Rechtsschutzanträge angewendet werden müsse, die nach dem 1. Jänner 1987 anfielen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Die klagenden Parteien beantragen, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Die Einsetzung eines Schiedsgerichtes anstelle der ordentlichen Gerichte kann infolge des Schriftformgebotes des § 577 Abs 3 ZPO durch Kollektivvertag mit normativer Wirkung nicht vereinbart werden und konnte auch nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des ASGG nicht vereinbart werden (vgl. Cerny, Arbeitsverfassungsgesetz 36; Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz 89 f, Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht II2, 111 f, Arb. 7670, 6528, zuletzt 9 Ob A 127/88). Im vorliegenden Fall haben die Streitteile jedoch in den einzelnen Bühnendienstverträgen in schriftlicher Form - jeweils von beiden Vertragsteilen unterfertigt - die Zuständigkeit des im Kollektivvertrag vorgesehenen Schiedsgerichtes vereinbart und damit eine im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung wirksame Schiedsvereinbarung getroffen.

Die Wirksamkeit der jeweils im Punkt 7 der Bühnendienstverträge getroffenen Vereinbarungen ist nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt ihres Abschlusses zu beurteilen; daß sie zur Zeit der Klageerhebung nach § 9 Abs 2 ASGG nicht mehr zulässig wäre, ist unerheblich (siehe Kuderna, Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz Rz 9 zu § 9). Übergangsbestimmungen für die vor Inkrafttreten des ASGG vereinbarten Schiedsklauseln fehlen. Bei ausschließlicher Beurteilung der Schiedsvereinbarung als Prozeßhandlung (vgl. Fasching IV 731 ff, sowie Fasching ZPR Rz 750 und 2171) wären die Verfahrensgesetze nach ihrem letzten Stand (siehe Fasching III 3 sowie SZ 55/17 = JBl 1983, 260) und dementsprechend die Vorschrift des § 9 Abs 2 ASGG auch auf den im vorliegenden Fall unstrittig vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossenen Schiedsvertrag anzuwenden. Dies würde aber einen Eingriff in die Vertragsautonomie bedeuten und das Gleichgewicht der vereinbarten Vertragsbestimmungen - möglicherweise hätten die Parteien ohne Schiedsklausel den Vertrag gar nicht oder nicht mit dem schließlich vereinbarten Inhalt geschlossen - stören. Berücksichtigt man diese sehr wesentliche materiellrechtliche Komponente der im Rahmen der Begründung eines Dauerschuldverhältnisses vereinbarten Schiedsklausel, dann gelangt man unter Heranziehung der allgemeinen Regel des § 5 ABGB zu dem sachgerechten Ergebnis, daß der gemäß § 98 ASGG mit dem 1. Jänner 1987 in Kraft getretene § 9 Abs 2 ASGG auf eine nach den vor diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften wirksam vereinbarte Schiedsklausel nicht anzuwenden ist. Nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des ASGG war für die damals in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallenden Streitigkeiten die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes in einem Individualarbeitsvertrag ebenso zulässig wie die Vereinbarung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens (siehe Kuderna, Schiedsverfahren und Gerichtsbarkeit: Die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche in Österreichische Landesberichte zum IX. Internationalen Kongreß für das Recht der Arbeit und der sozialen Sicherheit in München 1978, 12 und 15; 9 Ob A 134/88). Ausgehend von dem oben dargestellten Sachverhalt haben die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen, die allen gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes begründet das Prozeßhindernis der sachlichen Unzuständigkeit. Die Entscheidung des Erstgerichtes entspricht daher der Sach- und Rechtslage.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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