OGH 1Ob27/88

OGH1Ob27/8828.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Helmut H***, vertreten durch die erbserklärten Erben Gerda S***, Angestellte, Robert Blumstraße 1, 1200 Wien, und Franz K***, Schlosser, Weisching 27, 3071 Böheimkirchen, beide vertreten durch DDr. Ewald Kininger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen S 591.481,16 s. A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1988, GZ 3 R 23/88-73, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 1. Oktober 1987, GZ 6 Cg 248/85-68, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 14.656,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Rechtssache war bereits Gegenstand zweier Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, so daß zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungen vom 14.November 1984, 1 Ob 26/84 = SZ 57/171, und vom 28.Mai 1986, 1 Ob 17/86, verwiesen wird.

Am 28.Juli 1976 wurde Helmut H*** beim Reinigen eines Förderbandes schwer verletzt. Helmut H*** war darauf hingewiesen worden, daß Maschinen im laufenden Zustand nicht gereinigt werden dürfen. Eine Reinigung der Maschine im ausgeschalteten Zustand ist möglich, jedoch arbeitsaufwendiger. Zwischen den einzelnen Reinigungsphasen muß die Maschine immer ein Stück weiterlaufen, was bedingt, daß der mit der Reinigung Beschäftigte den Arbeitsplatz verlassen und zum doch etwas entfernten Schaltkasten gehen muß, um die Maschine einzuschalten und ein kurzes Stück laufen zu lassen, sodann die Maschine abzuschalten und wiederum zum Reinigungsplatz zurückzukehren. In Abwesenheit des Aufsehers Manfred B*** schaltete Helmut H*** das Förderband ein, um es leichter reinigen zu können. Bei dem Förderband, das elektromotorisch angetrieben ist, handelt es sich um ein solches herkömmlicher Bauart, erstellt und geliefert von der Firma D***, Attnang-Puchheim. An der Abwurfseite, an der auch die Antriebstrommel angeordnet ist, befinden sich links und rechts mittels Schrauben an der Tragkonstruktion befestigte Schutzverkleidungen aus Stahlblech, die in ihrem oberen Teil Abwinkelungen gegen das Förderband hin aufweisen. Im montierten Zustand stellen die beiden seitlich des Antriebsbereiches des Förderbandes angeschraubten Schutzblenden infolge ihrer Größe und Ausführung einen ausreichenden Unfallschutz für den normalen Förderbetrieb dar. Wenn jedoch für Reinigungsarbeiten eine oder beide Schutzblenden durch Lösen der je vier Schrauben abgenommen werden, ist die Auflaufstelle des Förderbandes nicht mehr ausreichend gesichert. Diese seitlichen Schutzblenden am Antriebsende des Förderbandes wurden zur Durchführung der Reinigungsarbeiten von Helmut H*** abgenommen. Er stellte sich nun auf den Förderbandrahmen bzw. das Schutzgitter des Walzwerkantriebes und reinigte mit einer Drahtbürste die Förderbandantriebswalze. Das Förderband war noch nicht lange in Betrieb, als Manfred B*** zurückkehrte und Helmut H*** zur Rede stellte, ob er nicht wisse, daß das Reinigen bei laufendem Motor verboten sei. Manfred B*** wollte gerade das Förderband ausschalten, als Helmut H*** ausrutschte und mit dem rechten Arm zwischen Förderbandgummi und Antriebswalze geriet; auch der linke Arm wurde eingeklemmt. Er erlitt dabei die schweren Verletzungen, für deren Folgen er Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung und Verdienstentgang begehrte, welchen Anspruch nunmehr die klagende Verlassenschaft weiterverfolgt.

Die Anlage war vom Arbeitsinspektorat mehrfach kontrolliert und nicht beanstandet worden. In den zum Zeitpunkt des Unfalles für private Unternehmen, die den Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes unterliegen, geltenden Vorschriften gab es keine Details über die Ausführung der erforderlichen Schutzvorschriften an Anlaufstellen von Förderbandgurten auf Walzen, jedoch auf Grund der Erfahrungen aus dem Unfallgeschehen dem sicherheitstechnischen Stand entsprechende Hinweise. So wurde im Merkblatt M 18 der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt darauf hingewiesen, daß eine seitliche Verkleidung der Anlaufstelle des Bandes auf die Walze nicht genüge, sondern über die ganze Rollenbreite ein Abweiser entsprechender Bauart anzubringen ist. Ein solcher Abweiser war zum Zeitpunkt des Unfalles nicht angebracht. Er hätte den Unfall unter den gegebenen Voraussetzungen (Abnahme des Seitenschutzes, unsicherer Standplatz und laufende Maschine) nicht mit Sicherheit gänzlich verhindern, jedoch seine Schwere mindern können. Eine Vorschrift zur Anbringung eines derartigen Abweisers bestand nicht, so daß auch keine Beanstandung durch das Arbeitsinspektorat erfolgte. Die vorhandenen Schutzvorrichtungen entsprachen den damals gültigen Vorschriften, der ÖNORM N 9700 Ausgabe Dezember 1973 und der deutschen Norm DIN 15220 Ausgabe April 1975: Nach § 60 Abs.5 der Allgemeinen DienstnehmerschutzV waren Schutzvorrichtungen, die bei Stillstand der Maschine für einen bestimmten Zweck vorübergehend entfernt werden müssen, sobald dieser Zweck erreicht ist, jedenfalls vor dem Ingangsetzen der Maschine, wieder anzubringen; gemäß § 79 Abs.6 dieser Verordnung durften bei laufenden Maschinen Reinigungsarbeiten nur dann durchgeführt werden, wenn dies ohne Gefahr möglich ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Abweiser im Sinne des Merkblattes M 18 der AUVA hätte den Unfall nicht verhindert, sondern lediglich seine Schwere wahrscheinlich gemildert. Dem Merkblatt sei keine Rechtsverbindlichkeit zugekommen. Zum Zeitpunkt des Unfalles hätte es keine auf eine derartige Vorrichtung abzielende Gesetzesbestimmungen gegeben. Die Bestimmungen des Allgemeinen ArbeitnehmerschutzG und der DienstnehmerschutzV kämen nicht in Betracht. Es liege daher kein Verstoß der Organe der beklagten Partei gegen eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB vor. Die beklagte Partei sei auch der sich aus § 49 Abs.1 StVG ergebenden Fürsorgepflicht gegenüber Strafgefangenen nachgekommen, da das Förderband jenem Standard entsprochen habe, der auch von privaten Unternehmen zu gewährleisten sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Nach den die Vorinstanzen bindenden Rechtsausführungen des Obersten Gerichtshofes in seinem Beschluß 1 Ob 17/86 hätten die Schutzvorkehrungen in Betrieben der Anstalten, in denen Strafgefangene tätig seien, jedenfalls jenem Standard zu entsprechen, wie er von privaten Unternehmern zu gewährleisten sei. Dies sei bei der Förderanlage der Fall gewesen, da in privaten Unternehmungen solche Förderanlagen auch ohne den im Merkblatt M 18 der AUVA, dem nur der Charakter einer Empfehlung zukomme, vorgesehenen Abweiser verwendet wurden und auch werden. Zum Unfallszeitpunkt hätten keine Vorschriften bestanden, aus denen die Verpflichtung der beklagten Partei zur Anbringung eines derartigen Abweisers abzuleiten wäre. Die vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen hätten den damals gültigen ÖNORMEN entsprochen, weshalb auch das Arbeitsinspektorat keinen Grund für eine Beanstandung gefunden hätte. Helmut H*** sei auch von den Organen der beklagten Partei in ausreichender Weise belehrt und angewiesen worden, das Förderband bei laufendem Motor nicht zu reinigen. Eine darüber hinausgehende Aufklärung hätte auch mit einem Hinweisschild nicht erreicht werden können. Mit den Argumenten, Helmut H*** hätte als nicht fachkundige Person iS des § 76 Abs.1 ADSchnV nicht zur Reinigung einer Förderbandanlage eingesetzt werden dürfen, die beklagte Partei habe § 60 Abs.6 ADSchV mißachtet, wonach durch einen bei abgenommener Schutzvorrichtung sichtbar werdenden Farbanstrich auf die Gefahrenstelle hingewiesen werden müsse, würden von der Berufung unzulässige und damit unbeachtliche Neuerungen zur Darstellung gebracht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt.

Der gerügte Verfahrensmangel liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

In seiner Entscheidung 1 Ob 17/86 stellte der Oberste Gerichtshof bereits klar, unter welchen Voraussetzungen eine Haftung der beklagten Partei einzutreten hätte. Aus der dem Bund obliegenden Fürsorgepflicht für die Strafgefangenen folgerte der Oberste Gerichtshof, daß Schutzvorkehrungen in Betrieben der Anstalten, in denen Strafgefangene tätig sind, trotz Nichtgeltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften jedenfalls jenem Standard zu entsprechen haben, wie er von privaten Unternehmern zu gewährleisten ist. Nach dem im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Sachverhalt handelte es sich bei dem Förderband um eine Anlage herkömmlicher Bauart, die serienmäßig erzeugt wird. Die vorhandenen Schutzeinrichtungen entsprachen den damals gültigen Vorschriften, weshalb die Anlage auch vom Arbeitsinspektorat bei mehrfachen Kontrollen nicht beanstandet wurde. Es hätte zwar ein Abweiser gemäß dem Merkblatt M 18 der AUVA den Unfall vielleicht verhindert oder seine Folgen gemindert, jedoch bestand keine Vorschrift zur Anbringung des Abweisers; eine solche wurde auch vom Arbeitsinspektorat nicht verlangt. Helmut H*** war auch ausreichend darüber belehrt, daß er bei laufender Maschine keine Reinigungsarbeiten durchführen dürfe. Es hieße die Fürsorgepflicht der beklagten Partei in unberechtigter Weise überfordern, von ihr Vorkehrungen zu verlangen, die weder üblich noch vom Arbeitsinspektorat verlangt sind, und mit Reinigungsaufgaben befaßte Strafgefangene nicht nur mündlich, sondern auch noch schriftlich darauf hinzuweisen, daß solche Arbeiten bei abgeschaltetem Motor durchzuführen seien. Besondere Fachkunde war bei Reinigungsarbeiten bei abgeschaltetem Motor nicht vorauszusetzen, es bestand aber auch keine Gefahrenstelle, auf die Helmut H*** durch einen Farbanstrich hinzuweisen gewesen wäre. Die Unfallsursache lag allein darin, daß Helmut H*** weisungswidrig die Reinigung des Förderbandes bei laufendem Motor vorgenommen hatte. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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