OGH 6Ob574/87

OGH6Ob574/8730.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude K***, Hausfrau, St. Ruprechter Straße 22, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1. H*** Mag.pharm. Heide A*** OHG,

St. Ruprechter Straße 22, 9020 Klagenfurt, 2. Mag.pharm. Heide A***, geschäftsführende Gesellschafterin, ebendort, 3. Sieglinde G***, Gesellschafterin, 1051 N.W. 4th Street, Florida 33432, Boca Raton, U.S.A., vertreten durch Dr. Alexander H***, Kammersekretär i. P., Fichtnergasse 14, 1130 Wien, alle beklagten Parteien vertreten durch Dr. Armin Dietrich, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 2,500.000 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 29. Jänner 1987, GZ 3 R 175/86-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 25. Juni 1986, GZ 25 Cg 492/84-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen.

2. zu Recht erkannt:

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 23.948,25 (darin enthalten S 2.177,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloß am 7. März 1960 nach dem Tod ihres Ehegatten Mag.pharm. Hubert G*** mit dessen (minderjährigen, dabei durch einen Vormund vertretenen) Kindern Heide (G*** nunmehr A***

= Zweitbeklagte) und Sieglinde (G*** nunmehr G***

= Drittbeklagte) einen Gesellschaftsvertrag (folgend kurz: GesV)

über die Errichtung der erstbeklagten offenen Handelsgesellschaft zum Fortbetrieb der "H***" in Klagenfurt. Entsprechend den testamentarischen Erbquoten wurden die Klägerin zur Hälfte und die beiden Kinder zu je einem Viertel am Vermögensstamm sowie an Gewinn und Verlust beteiligt. Gemäß § 9 b) GesV kann die Aufkündigung der Gesellschaft durch eine Gesellschafterin - erstmalig ab 31. Dezember 1980 - zum 30. Juni und 31. Dezember jedes Jahres jeweils spätestens sechs Monate vor dem Kündigungstermin erfolgen. Im § 11 a) und b) GesV in Verbindung mit der Zusatzvereinbarung der Gesellschafterinnen vom 7. März 1960 (folgend: ZusV - über die Grundsätze der Wertermittlung der H***) ist geregelt, welche Abfindungsansprüche einer ausscheidenden Gesellschafterin zustehen, wie der (Verkehrs-)Wert des Unternehmens zu ermitteln und wie das Auseinandersetzungsguthaben zu entrichten ist. Im Punkt 4.) der ZusV ist für den Fall von Meinungsverschiedenheiten, "welcher angemessene Prozentsatz vom durchschnittlichen Jahresumsatz bei Verkäufen von Apothekenunternehmungen von der österreichischen Apothekerschaft am Berechnungsstichtag üblicherweise angewendet wird", vorgesehen, daß dieser Prozentsatz von einem einvernehmlich zu bestimmenden oder - bei fehlendem Einvernehmen - von je einem Sachverständigen aus der Apothekenbranche (im letzterem Fall einvernehmlich oder als arithmetisches Mittel) endgültig festgesetzt wird.

Die Klägerin kündigte gegenüber beiden Mitgesellschafterinnen mit Schreiben vom 15. Juni 1981 die Gesellschaft zum 31. Dezember 1981 auf. Am 22. Juni 1981 kündigte die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur - welcher schon vorher zu 8 E 254/81 vom Bezirksgericht Klagenfurt zur Hereinbringung vollstreckbarer Forderungen in Höhe von S 101.015,70 sA die Exekution durch Pfändung (15. Jänner 1981) und Überweisung (27. April 1981) des der Klägerin gegen die (erstbeklagte) OHG zustehenden Auseinandersetzungsguthabens bewilligt und unter anderem die Ermächtigung zur Gesellschaftskündigung gemäß § 135 HGB erteilt worden war - als Privatgläubigerin der Klägerin die Gesellschaft gemäß § 135 HGB gegenüber der Zweit- und der Drittbeklagten auf.

Mit der vorliegenden Klage vom 21. Dezember 1984 forderte die Klägerin unter Hinweis auf die dargestellten Abläufe und Vereinbarungen ihr mit S 2,500.000 beziffertes Auseinandersetzungsguthaben, weil die beklagten Parteien sich bisher geweigert hätten, ihr Abfindungsguthaben auszuzahlen, und keine Anstalten getroffen hätten, den Verkehrswert des Unternehmens zu ermitteln, wobei sie sich auf den Standpunkt gestellt hätten, der Klägerin stünden keine Forderungen zu, außerdem sei nicht der Verkehrswert zur Ermittlung ihres Auseinandersetzungsguthabens heranzuziehen. Dieses sei aber unter Berücksichtigung des § 904 erster Satz ABGB mit dem Stichtag ihres Ausscheidens aus der Gesellschaft (31. Dezember 1981) fällig geworden.

Die beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren, insbesondere auch die Fälligkeit des Auseinandersetzungsguthabens (gemeint wohl: des Anspruches auf ein....) mit Stichtag 31. Dezember 1981, wobei sie auf eine Teilzahlungsvereinbarung laut § 11 b) GesV (allerdings nicht auf die Unterlassung des im Punkt 4.) ZusV vorgesehenen "Sachverständigenverfahrens") hinwiesen. Sie vertraten im übrigen den Rechtsstandpunkt, nicht die von der Klägerin am 15. Juni 1981, sondern jene von der Republik Österreich am 22. Juni 1981 ausgesprochene Aufkündigung der Gesellschaft sei rechtswirksam. Der Klägerin könnte daher nur ein - tatsächlich nicht bestehendes - Abfindungsguthaben gemäß § 11 c) GesV über jene Beträge zustehen, die in den Büchern der Gesellschaft auf ihrem Kapital- und (mit rund S 1,189.000 im minus stehenden) Privatkonto aufschienen, sowie ihr Anteil am (nicht existierenden) Reservefonds. Selbst wenn aber der Klägerin ein Auseinandersetzungsanspruch gemäß § 11 a) GesV zustehen sollte (welcher in der Klagebeantwortung ON 2 S. 8 = AS 13 unter Annahme eines Bewertungsprozentsatzes - im Sinne des Punktes 4.) der ZusV - von 80 mit rund S 1,032.000 "ermittelt" wird), stünden den beklagten Parteien darüber hinausgehende, aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderungen gegen die Klägerin zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat den Standpunkt, daß die Aufkündigung der Gesellschaft durch die Klägerin vom 15. Juni 1981 gegenüber jener der Republik Österreich vom 22. Juni 1981 vorgehe und rechtswirksam sei, der Auseinandersetzungsanspruch der Klägerin nach § 11 a) und b) GesV zu beurteilen sei. Weil aber von der Klägerin das im Punkt 4.) ZusV geregelte Schiedsgutachter-(Sachverständigen-)verfahren nicht eingeleitet und (wenn auch erfolglos) durchgeführt worden sei, seien die unter dieses Übereinkommen fallenden Ansprüche der Klägerin nicht fällig.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und billigte die vom Erstgericht für die Klageabweisung mangels Fälligkeit vertretene Rechtsansicht.

Die auf die Gründe des § 503 Z 1, 2 und 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

1. Zur Nichtigkeit:

Selbst die in der Revision zum vorgetragenen Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO zitierten Autoren (Sprung-König "Iura novit curia" und rechtliches Gehör, JBl 1976, 1 ff) vertreten für den österreichischen Rechtsbereich den Standpunkt, im Falle einer für die Partei "überraschenden Rechtsansicht" des Gerichtes (über im Verfahren wegen der erkennbar abweichenden Rechtsansicht der Parteien nicht erörterte Tatsachenbereiche) liege ein Verfahrensmangel nach den §§ 496 Abs 1 Z 2 und 503 Z 2 ZPO vor. Die Rechtsprechung vertritt ebenfalls diesen Standpunkt (7 Ob 554/85, 8 Ob 602/85, 1 Ob 748/81 uva). Die gerügte Vorgangsweise der Vorinstanzen, mit den Parteien die Frage der Fälligkeit im Zusammenhang mit Punkt 4.) ZusV nicht erörtert zu haben, vermag daher einen Nichtigkeitsgrund nicht darzustellen.

2. Zur Sache:

Gemäß § 406 ZPO ist die Fälligkeit eines Leistungsbegehrens (im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz) materielle Voraussetzung für einen Zuspruch, daher von Amts wegen zu beachten (RZ 1965, 11; JBl 1960, 156; EvBl 1959/318; 6 Ob 813/82 uva). Die klagende Partei ist im Prozeß auch für die Fälligkeit ihres Leistungsbegehrens behauptungs- und beweispflichtig. Die Klägerin hat zur Fälligkeit ihres Auseinandersetzungsanspruchs selbst nach deren Bestreitung durch die beklagten Parteien in der Klagebeantwortung (ON 2 S. 5 = AS 10), nur ihr bisheriges - eingangs dargelegtes - diesbezügliches Vorbringen wiederholt (ON 4 S. 4 = AS 27), ohne zu behaupten, daß sie im Sinne der Schiedsgutachter-(Sachverständigen-)vereinbarung des Punktes 4.) der ZusV für die Ermittlung des "Verkehrswert-Prozentsatzes" initiativ geworden wäre oder die beklagten Parteien zur entsprechenden Mitwirkung ohne Erfolg aufgefordert hätte. Sie hat aber auch den von den beklagten Parteien bei der "Berechnung ihres Auseinandersetzungsguthabens" in der Klagebeantwortung (AS 13) verwendeten Prozentsatz von 80 nicht etwa anerkannt oder außer Streit gestellt, sondern diese Art der Berechnung - mit vielfachen weiteren Bemängelungen - global zurückgewiesen, also bestritten (ON 4 S. 5 = AS 28), und vorgetragen, daß der Verkehrswert nur nach Prüfung der Bilanz (Bilanzen) durch einen Buchsachverständigen und durch einen Apothekensachverständigen ermittelt werden könne (AS 29). Wenn das Erstgericht im Prozeß die Frage der mangelnden Fälligkeit der Klageforderung im Hinblick auf Punkt 4.) ZusV mit den Parteien nicht erörterte, sondern vielmehr das Beweisverfahren - offenbar zunächst von der Rechtswirksamkeit der Gläubigerkündigung gemäß § 135 HGB ausgehend - in die Richtung der Ermittlung des Abfindungsguthabens gemäß § 11 c) GesV führte, dann jedoch im Urteil einen das im Punkt 4.) ZusV vorgesehene Sachverständigen-(Schieds-)verfahren fordernden Kollisionsfall annahm und das Klagebegehren mangels Fälligkeit abwies, wurden die Parteien - namentlich die Klägerin - von diesem tatsächlichen und rechtlichen Verfahrensergebnis möglicherweise überrascht. Die Klägerin hat aber in ihrer Berufung diesen Umstand nicht etwa als wesentlichen Verfahrensmangel (im Sinne der obigen Darlegungen zur Nichtigkeitsrevision) gerügt, sondern in der allein dargestellten Rechtsrüge ausgeführt, sie sei von der Schiedsgutachtervereinbarung begründet abgegangen bzw. gerechtfertigt zurückgetreten, so daß diese Vereinbarung aufgehoben und das darin vorgesehene Sachverständigenverfahren zur Fälligstellung des Klageanspruches nicht notwendig sei. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsausführungen der Berufung - zum Teil auch wegen Verstoßes gegen das Neuerungsverbot und die Feststellungsgrundlage - abgelehnt, aber die weitere rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht, wonach die von der Klägerin am 15. Juni 1981 vorgenommene Gesellschaftsaufkündigung gegenüber jener der Republik Österreich vom 22. Juni 1981 vorgehe und wirksam sei, gebilligt.

Da die vom Erstgericht vertretene Rechtsauffassung über die mangelnde Fälligkeit des Klagebegehrens auf einwandfreien, von der Klägerin in ihrer Berufung auch nicht bekämpften Sachverhaltsgrundlagen beruhte und (wie noch darzustellen ist) richtig war, kann dem Berufungsverfahren und dem mit Revision angefochtenen Berufungsurteil der nunmehr in der Revision gerügte Verfahrensmangel (der Verletzung der materiellen Prozeßleitungspflicht des Erstgerichtes gemäß § 182 Abs 1 ZPO wegen Unterlassung entsprechender Erörterungen zur Fälligkeit des Klagebegehrens gemäß Punkt 4.) ZusV) nicht anhaften. Die in der Berufung unterlassene Rüge der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz kann aber nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht nachgeholt, die allfällige Verletzung der materiellen Prozeßleitungspflicht durch das Erstgericht also vom Obersten Gerichtshof nicht mehr wahrgenommen werden (7 Ob 554/85; 8 Ob 602/85 = MietSlg 37.771 uva).

Den Vorinstanzen ist auch in der Beurteilung des Punktes 4.) der ZusV als Schiedsgutachtervertrag über die Erwirkung eines (den für die Verkehrswertermittlung in der Apothekerschaft üblichen Prozentsatz feststellenden) Schiedsgutachtens beizupflichten, dessen Nichteinholung - entgegen der diesbezüglich offenbar rechtsirrigen Annahme der Klägerin - nicht etwa als Prozeßhindernis (wie ein Schiedsvertrag) beurteilt und (durch Klagezurückweisung) behandelt wurde, sondern bei dessen Fehlen ein die Fälligkeit des von der Schiedsklausel betroffenen Auseinandersetzungsanspruches hindernder Grund vorliegt, der von den Vorinstanzen mit Recht für die Begründung der Klageabweisung herangezogen wurde.

Auf die Ermittlung des Verkehrswertes des von der erstbeklagten Partei betriebenen Apothekenunternehmens zum Stichtag des Ausscheidens der Klägerin kommt es aber im vorliegenden Verfahren - entgegen der von den beklagten Parteien stets vertretenen gegenteiligen Rechtsansicht - deshalb an, weil nicht die "Gläubigerkündigung" der Republik Österreich, sondern die "Gesellschafterkündigung" durch die Klägerin im Sinne der zutreffenden Rechtsdarlegungen beider Vorinstanzen, auf die verwiesen werden kann, rechtswirksam wurde und somit die Anwendung des § 11 a) und b) GesV und damit des Punktes 4.) der ZusV erforderlich ist.

Die Revisionskostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 41 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte