Spruch:
Dem Revisonsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Oktober 1987, 2 Cg 367/84-60, gemäß § 55 a EheG geschieden (ON 79). Die beiden Minderjährigen sind österreichische Staatsbürger (ON 14). Sie befinden sich seit November 1984 in der alleinigen Pflege der Mutter; mit Beschluß vom 9. Oktober 1986 wurden die elterlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) der Mutter zugewiesen (ON 41); das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß (ON 52). Der Vater begehrt die Einräumung eines Besuchsrechtes an drei Wochenenden je Monat, fallweise - im Einvernehmen mit der Mutter - am Samstag oder Sonntag, jeweils von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr (ON 54). Die Mutter sprach sich gegen jedes Besuchsrecht des Vaters aus. Er habe sich nie um die beiden Kinder gekümmert und habe nach Verlassen der Familie nie den Versuch unternommen, die Kinder zu sehen oder sonst einen Kontakt mit ihnen zu haben. Den Minderjährigen gegenüber habe er, wenn überhaupt, so nur schlecht über ihre Mutter gesprochen. Er sei auch Mitglied der "Scientology Mission Wien", einer Sekte; für die Kinder sei er keine Vatergestalt. Er sei im Gegensatz zur röm. kath. Mutter ein fast fanatischer Mohamedaner. Er werde sehr bald nach Genf, New York oder Senegal gehen. Sein Besuchsrecht wäre auf jeden Fall nur ein vorübergehendes. Es besteht die Gefahr, daß er die Kinder, die er in seinem Paß habe eintragen lassen, abholen und nicht mehr zurückbringen könnte. Weiters bestehe die Gefahr, daß er sich bei seinen Besuchen mit teuren Geschenken eine gewisse Sympathie der Kinder erkaufen könnte; diese würden damit psychisch zerrissen (ON 55). Auch das Bezirksjugendamt für den 17./18. Bezirk sprach sich gegen das Besuchsrecht des Vaters aus. Dieser habe keine konkreten Vorstellungen, wie es zu einer langsamen Kontaktanbahnung zwischen ihm und den Kindern kommen könnte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei ein Besuchsrecht des Vaters für die Kinder wahrscheinlich mehr irritierend als förderlich, weil beide Eltern kaum Bereitschaft und Möglichkeit sähen, sich zu einigen (ON 58).
Der Erstrichter räumte dem Vater das Recht zum Besuch der beiden Kinder in der Weise ein, daß er sie an jedem zweiten und vierten Samstag jeden Monats in der Zeit von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu sich nehmen könne; er trug der Mutter auf, die Kinder der jeweiligen Witterung entsprechend ausgehfertig dem Vater pünktlich zu übergeben, und dem Vater, die Kinder nach Ablauf der Besuchszeit pünktlich wieder nach Hause zu bringen und der Mutter zu übergeben; sollte der Vater das Besuchsrecht einmal nicht ausüben können oder wollen, so habe er die Mutter zeitgerecht davon in Kenntnis zu setzen. Den Antrag des Vaters, ihm ein weitergehendes Besuchsrecht einzuräumen, wies er ab. Er stellte fest:
Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Erwin S*** seien die beiden an sich altersgemäß entwickelten Kinder sehr stark auf die Mutter als dominante Bezugsperson und Orientierungsinstanz ausgerichtet; gegenüber dem Vater zeigten sie eine deutliche Distanziertheit. Mit einigem pädagogischem Geschick seien sie aber für die Anbahnung einer Kind-Vater-Beziehung durchaus zu gewinnen. Die Chancen der Realisierung einer solcher Annäherung seien wohl ausschließlich von der Kompromißbereitschaft der Eltern abhängig, womit es aber sehr schlecht aussehe. Wenngleich die Knaben durch einen geordneten Umgang mit dem Vater - schon als Pendant zur mütterlichen Obsorge - Nutzen ziehen könnten und wahrscheinlich relativ leicht zu gewinnen wären, erscheine eine solche Maßnahme zur Zeit sinnlos, ja sogar für die Minderjährigen gefährdend, weil jetzt zu erwartende Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Vater eine schwere psychische Beeinträchtigung der Kinder heraufbeschwören würden. Wenn den Eltern tatsächlich das Wohl der Söhne am Herzen liege, dann müßten sie auch zum Abbau ihrer Feindlichkeit und zur Herstellung eines natürlichen Verhältnisses als geschiedene, aber menschlich reife frühere Ehepartner bereit sein. Aus dem Gutachten des Sachverständigen ergebe sich, daß die bestehenden Schwierigkeiten nicht zwischen den Kindern und einem ihrer Elternteile zu suchen seien, sondern nur in der gegenseitigen Animosität der Eltern.
Rechtlich meinte der Erstrichter, daß das Besuchsrecht nach § 148 Abs.1 ABGB ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung und ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht sei. Nur wenn wichtige, im Wohl des Kindes gelegene Gründe dafür sprächen, könne dieses Besuchsrecht eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Die im vorliegenden Fall gegen das Besuchsrecht des Vaters sprechenden Gründe lägen nicht bei den Kindern oder beim Vater, sondern ausschließlich in der unversöhnlichen Haltung der Mutter dem Vater gegenüber und im absoluten Mangel zur Bereitschaft irgendwelche Kompromisse zu schließen oder den Kindern und dem Vater die Chance einzuräumen, ein geordnetes und normales Verhältnis zueinander aufzubauen. Selbst wenn das bisherige Verhalten des Vaters zu seinen Kindern nicht der Norm entsprechen sollte, so könne nicht für alle Zukunft ausgeschlossen werden, daß sich das Verhalten des Vaters entsprechend ändern werde. Erst wenn der Vater durch längere Zeit hindurch, in der er die Möglichkeit habe, zu seinen Kindern ein normales Verhältnis aufzubauen, davon nicht Gebrauch mache oder das ihm eingeräumte Besuchsrecht zum Nachteil der Kinder mißbrauche, werde eine Einschränkung oder Aussetzung dieses Rechtes in Frage kommen. Die von der Mutter geäußerten abstrakten Gefahren, wie Entführung oder gefährliche private Kontakte des Vaters seien nicht geeignet, das Besuchsrecht an sich in Frage zu stellen. Erst konkrete Gefährdungen der Kinder durch den Vater könnten zu einer Änderung dieser Entscheidung führen. Es werde bei den Eltern liegen, durch ein entsprechenden Verhalten und eine entsprechende Einflußnahme auf die Kinder dafür Sorge zu tragen, daß das Besuchsrecht des Vaters in geordenten Bahnen ablaufen könne und für die Kinder eine menschliche Bereicherung bedeute. Es könne nicht hingenommen werden, daß durch die strikte Ablehung eines Elternteils, den Kontakt zwischen den Kindern und dem anderen Elternteil herbeizuführen, das Besuchsrecht dieses anderen Teiles in Frage gestellt werde. Ein zweimaliges Besuchsrecht je Monat erscheine ausreichend.
Das Gericht zweiter Instanz änderte infolge Rekurses der Mutter den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß es das gesamte Besuchsrechtsbegehren des Vaters abwies. Es treffe zwar zu, daß die Entziehung oder Verweigerung des Besuchsrechtes, das ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht bedeute, nur in Ausnahmefällen und aus besonders schwerwiegenden Gründen möglich sei; dennoch sei aber das Wohl der Kinder der oberste Grundsatz jeder Besuchsrechtsregelung; im Konfliktsfall habe der Anspruch auf Besuchsrecht gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten. Im vorliegenden Fall überschreite der Konflikt der Eltern jenes Ausmaß, das üblicherweise mit dem Scheitern einer Ehe verbunden sei. Sowohl aus dem Bericht des Bezirksjugendamtes als auch aus dem unbedenklichen Gutachten des Sachverständigen Dr. Erwin S*** ergebe sich, daß ein Besuchsrecht des Vaters zum gegenwärtigen Zeitpuntk für die beiden Kinder mangels Bereitschaft der Eltern mehr irritierend als förderlich erscheine. Im Hinblick auf die Animosität und gegenseitige Zuweisung der Schuld an der familiären Problematik könnte - wenn überhaupt - die Anbahnung sinnvoller Kontakte zwischen Vater und Kindern nur durch die Einschaltung einer Fachinstitution ins Auge gefaßt werden. Eine solche Maßnahme sei aber nach dem Sachverständigengutachten zur Zeit sinnlos, ja sogar für die beiden Kinder gefährlich, weil jetzt zu erwartende Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Vater eine schwere psychische Beeinträchtigung der Kinder heraufbeschwören würden. Infolge der Gefährdung des Kindeswohls seien derzeit die Voraussetzungen für die Einräumung eines väterlichen Besuchsrechtes nicht gegeben. Beide Elternteile seien jedoch eindringlich darauf hingewiesen, daß sie - sollte ihnen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegen - alle Anstrengungen zu unternehmen haben werden, um ihre Feindlichkeit abzubauen, damit den Kindern in der Folge ein geordneter Umgang mit dem Vater ermöglicht werden könne. Der vom Vater gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.
Da die Minderjährigen österreichische Staatsbürger sind, unterliegen die "Wirkungen" der Ehelichkeit dem österreichischen Recht (§ 9 Abs.1, § 24 IPRG); demnach ist auch das Besuchsrecht, das Ausfluß des Verhältnisses zwischen ehelichen Eltern und Kindern ist, nach österreichischem Recht zu beurteilen (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 24 IPRG; vgl. Duchett-Schwind, IPR 64).
Rechtliche Beurteilung
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Recht jedes Elternteils, mit dem Kind persönlich zu verkehren, ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung, somit ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht (EFSlg. 48.275, 45.716, 43.216 uva.). Zweck des Besuchsrechtes ist es, eine auf Blutsverwandtschaft beruhende Bindung zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen (EFSlg. 48.278, 43.218 uva.). Doch haben die Eigeninteressen der Eltern zurückzustehen; ausschlaggebend ist allein das Wohl der Kindern (EFSlg. 48.276, 45.720 und 45.721 uva.). Ist mit der Ausübung des Besuchsrechtes eine erhebliche seelische Irritation der Kinder verbunden, muß das Besuchsrecht verweigert werden. Sind diese Irritationen allerdings allein auf Spannungen zwischen den Eltern zurückzuführen, wie sie häufig nach der Zerstörung der Ehe zu beobachten sind, dann ist es Pflicht und Aufgabe der Eltern, Liebe und Zuneigung der Kinder zu beiden Elternteilen in gleicher Weise zu fördern. Das mag zwar den Eltern vielfach schwer fallen, doch ist dieses Verhaltensgebot gerade nach der Vernichtung der Ehe für das richtig verstandene Kindeswohl, seine Charakterbildung und sein seelisches Gleichgewicht nach gesicherter Erkenntnis von besonderer Bedeutung (EFSlg. 48.345, 40.723 uva.). Nur wenn die Irritation jenes Maß überschreitet, das als natürliche Folge der Zerreißung des Familienbandes durch die Trennung der Eltern in Kauf genommen werden muß, muß diesem Konflikt für die Frage der Besuchsrechtsgewährung besondere Bedeutung zugemessen werden (EFSlg. 48.345, 40.739); in einem solchen Konfliktsfall hat der Anspruch auf die Ausübung des Besuchsrechtes gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten (EFSlg. 45.722); so lange die Ausübung des Besuchsrechtes für die Minderjährigen abträglich wäre, ist es zu untersagen. Eine gänzliche Untersagung der Ausübung des Besuchsrechtes kommt - im Gegensatz zu den Ausführungen des Revisionsrekurses - nicht nur dann in Frage, wenn dadurch die Beziehungen des Kindes zu dem pflegenden Elternteil unerträglich gestört würden, insbesondere also wenn der besuchende Elternteil die Kinder gegen den anderen Elternteil aufhetzt.
§ 148 Abs.1 ABGB hebt diesen Fall nur als Untersagungsgrund hervor (arg. "besonders"), schließt aber andere Gründe nicht aus. Ob im vorliegenden Fall dem Vater bei Anwendung der dargelegten Grundsätze ein Besuchsrecht einzuräumen ist, kann auf Grund der vom Erstrichter getroffenen Feststellungen noch nicht beurteilt werden. Diese beruhen ausschließlich auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Erwin S***; das Gutachten gibt aber nicht ausreichend über die maßgeblichen Fragen Aufschluß. Es bezeichnet zwar die Einräumung des Besuchsrechtes für den Vater als derzeit sinnlos und für die Minderjährigen gefährdend, entbehrt jedoch einer konkreten Begründung hiefür. Der Hinweis auf "jetzt zu erwartende Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Vater" reicht keineswegs aus. Sollte etwa die Meinung des Erstrichters zutreffen, daß nur die unversöhnliche Haltung der Mutter gegen das Besuchsrecht spreche, daß also nur sie Kompromisse ablehne und nicht bereit sei, die Liebe der Kinder auch zu ihrem Vater zu fördern, dann wäre dies kein Grund, das Besuchsrecht des Vaters abzulehnen; vielmehr wären geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Mutter zu einem pflichtgemäßen Verhalten zu veranlassen. Es sind daher konkrete Feststellungen darüber notwendig, welche Irritationen der Kinder im Gefolge von väterlichen Besuchen zu gewärtigen und worauf diese zurückzuführen seien.
Die Vorinstanzen haben sich bisher auch noch nicht mit allen anderen Einwänden der Mutter gegen das Besuchsrecht des Vaters befaßt. Insbesondere werden Feststellungen darüber zu treffen sein, ob die Gefahr besteht, daß der Vater die Kinder ins Ausland verbringen werde. Dazu hat die Mutter vorgebracht, die Minderjährigen seien noch im Paß des Vaters eingetragen; der Vater habe angekündigt, die Kinder unter Umständen nach Senegal zu schicken (ON 55, S. 147). Bisher steht nicht fest, ob die beiden Minderjährigen tatsächlich im Paß des Vaters eingetragen sind, obwohl sie österreichische Staatsbürger sind und sich in Pflege und Erziehung ihrer Mutter befinden. Sollte dies zutreffen, so wäre allerdings die Gefahr, daß die Kinder aus ihrer Heimat geschafft und dann kaum mehr nach Österreich zurückgebracht werden könnten, nicht von der Hand zu weisen; andernfalls aber erschiene die Befürchtung der Mutter wohl nicht gerechtfertigt. Die Verbringung der Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind, ins Ausland widerspräche zweifellos ihren Interessen. Solange eine solche Gefahr nach den Umständen anzunehmen ist, käme die Bewilligung eines Besuchsrechtes für den Vater nicht in Frage. Sollten die Kinder derzeit noch im Paß des Vaters aufscheinen, so könnte der Erstrichter, sofern seine Entscheidung nach den Ergebnissen der ergänzenden Beweisaufnahmen davon abhängt, ob die Gefahr besteht, daß der Vater die Kinder ins Ausland schicke, die Einräumung des Besuchsrechtes von der Löschung der Eintragung der Kinder im väterlichen Paß abhängig machen (in diesem Sinne 1 Ob 599/87).
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben und mit einer Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse vorzugehen. Der Erstrichter wird das Verfahren in der aufgezeigten Richtung zu ergänzen und sodann neuerlich zu entscheiden habe.
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