OGH 8Ob43/87

OGH8Ob43/871.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*** DER A***, Wien 9.,

Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei I*** U*** UND S*** Aktiengesellschaft,

Wien 1., Tegetthoffstraße 7, vertreten durch Dr. Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 40.880,90 s.A. und Feststellung (S 320.000,--), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Jänner 1987, GZ 18 R 306/86-21, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. August 1986, GZ 28 Cg 738/84-16, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 8. März 1981 ereignete sich in Rumänien ein Verkehrsunfall, welchen Vidosav P*** als Lenker des in Österreich

zugelassenen PKW, behördliches Kennzeichen N 266.427, dadurch verursachte, daß er ein mit Holz beladenes Pferdefuhrwerk überholte, beim Zurückkehren auf die rechte Fahrbahnseite aber mit diesem Fuhrwerk zusammenstieß. Dabei wurde der neben dem Lenker sitzende Mihaljo M*** tödlich verletzt. Die jugoslawischen Gastarbeiter in Österreich Mihaljo M*** und dessen Ehegattin Jelica M*** sowie der Fahrzeuglenker Vidosav P*** befanden sich auf der Rückreise vom Urlaub nach Österreich.

Die Klägerin erbringt an die Witwe des Getöteten Velica M*** Leistungen an Witwenpension; sie wird diese auch in Zukunft zu erbringen haben. Sie begehrt daher unter Berufung auf die Legalzession des § 332 ASVG von der Beklagten als Haftpflichtversicherer des PKW von Vidosav P*** den Ersatz der bis 30. April 1984 erbrachten Leistungen an Witwenpension von S 40.880,90 und stellt ein mit S 320.000,-- bewertetes Feststellungsbegehren, weil sie auch nach diesem Zeitpunkt noch Leistungen zu erbringen habe. Zunächst sei mit der Beklagten ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis 31. Dezember 1985 abgesprochen gewesen. Diesen Verzicht habe die Beklagte mit Schreiben vom 21. März 1984, das der Klägerin ab 22. März 1984 zukam, widerrufen. Die Klägerin habe daraufhin innerhalb angemessener Frist am 11. Mai 1984 die Klage eingebracht. Auf die Beurteilung des Sachverhaltes sei österreichisches Recht anzuwenden, weil zu diesem iS des § 1 IPRG die stärkste Beziehung besteht. Die Beteiligten hätten ihren ständigen Wohnsitz und Arbeitsplatz in Österreich; auch der Haftpflichtversicherer habe im Inland seinen Sitz; das Fahrzeug sei in Österreich zugelassen gewesen. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei rumänisches Recht anzuwenden. Danach finde kein Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger statt. Der Verjährungsverzicht der Beklagten sei in Unkenntnis der Tatsache, daß bereits Verjährung eingetreten war, abgegeben worden. Es werde daher Verjährung eingewendet. Nach rumänischem Recht bestehe auch kein Deckungsfonds. Überdies sei bezüglich zukünftiger Zahlungen die Arbeitserwartung des Verunglückten zu berücksichtigen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es

traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:

Am 21. Jänner 1982 meldete die Klägerin der Beklagten das erste Mal ihre Ansprüche an. Am 1. April 1983 teilte die Beklagte mit, daß die Erhebungen abgeschlossen seien und nach rumänischem Recht der Sozialversicherer kein Regreßrecht habe. Mit Schreiben vom 1. April 1983 teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie die Ablehnung nicht zur Kenntnis nehme. Am 12. Juli 1983 bot die Beklagte der Klägerin einen Pauschalbetrag von S 200.000,-- an, um den klägerischen Regreßanspruch für die Vergangenheit und Zukunft abzugelten. Die Klägerin lehnte diesen Vorschlag ab. Am 29. Dezember 1983 gab die Beklagte einen Verjährungsverzicht bis einschließlich 31. Dezember 1985 ab, welchen sie am 21. März 1984 widerrief. Daraufhin brachte die Klägerin am 11. Mai 1984 die Klage ein. Zwischen den Streitteilen wurden aber Vergleichsverhandlungen geführt, welche im März 1982 begannen und mit dem Widerruf des Verjährungsverzichtes durch die Beklagte im März 1984 als gescheitert anzusehen waren.

Der schuldtragende Lenker, der verunglückte Beifahrer Mihaljo M*** und dessen unterhaltsberechtigte Ehegattin Velica M*** hatten zum Unfallszeitpunkt ihren ständigen Wohnsitz und Arbeitsplatz in Österreich. Auch die Beklagte als Haftpflichtversicherer des von Vidosav P*** gelenkten Kraftfahrzeuges hat ihren Geschäftssitz in Österreich. Nach der Deckungsfondsberechnung der Klägerin sind die von ihr erbrachten Leistungen niedriger als der errechnete Unterhaltsentgang der Witwe. Das heißt, daß der Leistungsaufwand der Klägerin in deren Ersatzanspruch volle Deckung findet. Wegen des von Vidosav P*** verschuldeten Todes des Mihaljo M*** ist die Klägerin zur Zahlung einer Witwenpension auf Lebenszeit an Velica M*** verpflichtet. Der künftige Aufwand kann jedoch derzeit noch nicht ermittelt werden.

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt nach österreichischem Recht, weil zu diesem gemäß § 48 Abs 1 IPRG im Zusammenhang mit § 1 IPRG die stärkere Beziehung aller Beteiligten bestehe, und bejahte alle Anspruchsvoraussetzungen. Die Verjährung wurde verneint.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000,-- übersteigt, und fügte seiner Entscheidung einen Rechtskraftvorbehalt an. Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß nach österreichischem Recht lediglich Voraussetzungen und Inhalt des Überganges von Schadenersatzansprüchen an die Klägerin zu beurteilen seien. Da jedoch kein eigener Anspruch geltend gemacht werde, sondern ein kraft Legalzession auf die Klägerin übergegangener Schadenersatzanspruch, sei maßgeblich, welches Recht für den übergegangenen Anspruch gilt. Im Sinne des § 53 IPRG sei die Frage des anzuwendenden Rechtes zunächst nach dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen, BGBl. 1975/387, zu beurteilen. Dies schließe die Anwendung anderer Bestimmungen des IPRG, also insbesondere diejenige des § 48 Abs 1 in Zusammenhang mit § 1 im vorliegenden Fall aus. Gemäß Art. 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens sei das anzuwendende Recht das innerstaatliche Recht jenes Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignete. Keiner der Ausnahmetatbestände des Art. 4 des Haager-Straßenverkehrsübereinkommens liege vor. Nach dem gemäß Art. 3 maßgebenden rumänischen Recht seien die in Art. 8 aufgezählten Problemkreise zu beurteilen. Dazu gehöre unter anderem Voraussetzung und Umfang der Haftung, die Feststellung der Personen, die Anspruch auf Ersatz des persönlich erlittenen Schadens haben, sowie die Verjährung und Übertragbarkeit des Anspruches. Das vom Übereinkommen berufene Recht bestimme auch, ob mittelbar Geschädigte wie nahe Angehörige des Unfallsopfers einen Schadenersatzanspruch haben. Gewähre das nach dem Übereinkommen anzuwendende rumänische Recht den mittelbar geschädigten Unterhaltsberechtigten einen Ersatzanspruch, seien der Kreis der gesetzlich Unterhaltsberechtigten kollisionsrechtlich zu beurteilen. Die Übertragbarkeit des Anspruches als Geschädigter richte sich nach rumänischem Recht, die Übertragung selbst dann nach dem betreffenden Statut, im Falle der Legalzession an einen Sozialversicherungsträger, also nach österreichischem Recht. Die Verjährung sei gemäß Art. 3 und 8 des Abkommens nach rumänischem Recht zu beurteilen. Um die vorliegende Rechtssache abschließend beurteilen zu können, werde das Erstgericht die maßgebenden Rechte festzustellen haben, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen war.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Klägerin, in welchem sie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und in der Sache selbst dahin zu entscheiden, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird; hilfsweise wird der Antrag gestellt, den berufungsgerichtlichen Beschluß aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz aufzutragen, über die Berufung neuerlich zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Klägerin stellt sich in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt, daß das Haager Straßenverkehrsübereinkommen BGBl. 1975/387 aufgrund des Art. 2 Z 6 dieses Übereinkommens auf ihre Ansprüche nicht anzuwenden sei. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1275 BlgNR 13. GP. Der Oberste Gerichtshof habe zu 4 Ob 35/83, veröffentlicht in EvBl 1983/155, bereits dahin entschieden, daß Ansprüche, die von oder gegen Träger der Sozialversicherung geltend gemacht werden, nicht unter das Haager Straßenverkehrsübereinkommen fallen. Es handle sich um einen klassischen Fall der stärkeren Beziehung aller Beteiligten zum österreichischen Rechtsbereich, weshalb nach § 48 Abs 1 IPRG österreichisches Recht anzuwenden sei. Dazu war zu erwägen:

Nach § 53 IPRG werden die Bestimmungen zwischenstaatlicher Vereinbarungen durch dieses Gesetz nicht berührt. Auf den vorliegenden Fall findet daher gem. Art. 1 und 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens BGBl. 1975/387 grundsätzlich das innerstaatliche Recht jenes Staates Anwendung, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Dies war unbestrittenermaßen Rumänien. Das von Österreich unterzeichnete Übereinkommen ist unabhängig davon anzuwenden, ob es auch in dem Staat in Geltung steht, zu dem der Sachverhalt die entsprechenden Beziehungen aufweist; es ist also nicht an Gegenseitigkeitsvoraussetzungen gebunden (Art. 11, Reishofer, Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen ZVR 1977, 34; ZAS 1985, 67) und gilt auch für Unfälle von Fahrzeuginsassen (Schwimann, Grundriß des IPRG 157). Daß etwa Ausnahmetatbestände nach Art. 4 des Übereinkommens vorliegen, wird von der Klägerin nicht mehr releviert; aber auch der von ihr herangezogene Ausnahmetatbestand nach Art. 2 Z 6 liegt nicht vor:

Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Legalzession von Ansprüchen, wie sie hier in der Forderung der hinterbliebenen Witwe gegen den Schädiger auf Ersatz ihres Unterhaltsentganges infolge der Tötung des Ehegatten ihre Grundlage hat, keine neue Folgewirkung der Schadenszufügung dar. Die Legalzession hat auf den Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtigen nur insofern einen Einfluß, als der ursprünglich einheitliche Schadenersatzanspruch in zwei Teile aufgespalten wird, nämlich in den von der Legalzession nicht erfaßten Teil und in jenen, der nach Wirksamkeit der Legalzession den Deckungsfonds für die kongruenten Leistungen der Klägerin an den Geschädigten bildet (SZ 46/40 ua). Aus dem Deckungsfonds sind die Leistungen des Sozialversicherungsträgers im Vorrang vor dem Leistungsempfänger zu befriedigen, während der Geschädigte nicht mehr als den ihm verbleibenden restlichen Ersatzanspruch geltend machen kann (SZ 56/173; SZ 44/91; 8 Ob 87/82; 8 Ob 239/82 ua). Die Legalzession ändert aber an der Rechtsnatur des Anspruches, der ihr zugrundeliegt, nichts (JBl 1971, 36; RZ 1972, 134; SZ 46/40 uza); denn gemäß § 1394 ABGB sind die Rechte des Übernehmers mit den Rechten des Überträgers in Rücksicht auf die überlassene Forderung gleich (JBl 1971, 575; SZ 46/40 uza).

Wird im Lichte dieser Grundsätze der von der Klägerin herangezogene Art. 2 Z 6 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens untersucht, so können unter Ansprüchen, die von Trägern der Sozialversicherung geltend gemacht werden, nicht auch solche verstanden werden, die ihrer Rechtsnatur nach im Grunde Ansprüche des Geschädigten selbst, also bloß von diesem abgeleitete Ansprüche sind, wie sie hier im Unterhaltsanspruch der Witwe des Getöteten vorliegen. Dieser Auslegung stehen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1275 BlgNR 13. GP, auf die sich die Klägerin bezieht, nicht entgegen, die im Kernsatz zum Ausdruck bringen, daß eben die Beziehungen zwischen Haftenden und Geschädigten durch das Haager Übereinkommen geregelt sein sollen (EvBl 1983/155 ua). Ausgeschlossen wäre unter anderem nur die Haftungsbeteiligung von öffentlichen Fürsorgeeinrichtungen wie Sozialversicherung udgl. (vgl. Schwimann aaO, 157), welcher Grundsatz aber auf Ansprüche, die ihrer Rechtsnatur nach solche des Geschädigten sind, nicht zutrifft. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, daß zunächst der Inhalt des auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruches der Witwe zu prüfen ist, was aber infolge der Zweigeleisigkeit jener Ansprüche, die auf den Kläger übergingen, und solcher, die bei dem Geschädigten verblieben, nicht dazu führen kann, daß der gleiche bloß quantitativ geschiedene Anspruch nach verschiedenen Rechtsordnungen geprüft werden müßte. Dies wäre - worauf der Oberste Gerichtshof schon in 2 Ob 56/85 verwies - mit dem Zweck des Haager Straßenverkehrsübereinkommens offenbar nicht zu vereinen.

Das Gericht zweiter Instanz ging daher zutreffend davon aus, daß gemäß Art. 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens rumänisches Recht anzuwenden sei. Dies hat zur Folge, daß gemäß Art. 8 dieses Übereinkommens auch die Verjährungsfragen danach zu beurteilen sind. Die gegenteiligen Ausführungen der Rechtsmittelwerberin sind nicht stichhältig.

Ihrem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Rekurskosten beruht auf § 52 ZPO.

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