OGH 2Ob56/85

OGH2Ob56/8526.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe A, Lehrerin, Rosentaler-Straße 78, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Klaus Messiner, Dr. Ute Messiner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Margarethe B, Hebamme, Johann-Burger-Straße 17, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Hugo Schally, Dr. Anton Knees, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 73.060,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 30. Mai 1985, GZ 6 R 88/85-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 13. Dezember 1984, GZ 24 Cg 342/84-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Am 6. Mai 1978 geriet die Beklagte mit ihrem PKW, in welchem sich die Klägerin als Beifahrerin befand, in der Nähe von Tolmin in Jugoslawien auf die linke Fahrbahnseite und stieß mit einem entgegenkommenden PKW zusammen.

Die Klägerin, die hiebei Verletzungen erlitt, macht mit ihrer am 2. September 1980 eingebrachten Klage Schadenersatzansprüche aus diesem Unfall geltend. Die Beklagte wendete unter anderem ein, bei dem entgegenkommenden Fahrzeug habe es sich um ein in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenes gehandelt (dies entspricht offensichtlich auch der Ansicht der Klägerin, da diese in der Revision ausführt, der Unfallsgegner sei deutscher Staatsangehöriger gewesen), weshalb jugoslawisches Recht anzuwenden sei. Am 14. Juli 1981 trat Ruhen des Verfahrens ein. Mit Schriftsatz vom 8. August 1984 beantragte die Beklagte die Fortsetzung des Verfahrens und wendete Verjährung ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat - unter Hinweis auf Schwimann in ZVR 1978, 168 - die Ansicht, es sei österreichisches Recht anzuwenden, weil die Beklagte den Unfall allein verursacht habe. Nach österreichischem Recht sei der Anspruch aber mangels gehöriger Fortsetzung des Verfahrens verjährt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, es würden außervertragliche Schadenersatzansprüche geltend gemacht, weshalb das Haager Straßenverkehrsübereinkommen anzuwenden sei. Seien am anspruchsbegründenden Verkehrsunfall mehrere Fahrzeuge beteiligt gewesen, so sei gemäß Art. 3 dieses Übereinkommens das innerstaatliche Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat, anzuwenden, außer es seien alle unfallsbeteiligten Fahrzeuge im selben Staat zugelassen (Art. 4 lit b). Da aber kein Vorbringen erstattet worden sei, aus dem eine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers abgeleitet werden könnte, schließe sich auch das Berufungsgericht mit den vom Erstgericht angestellten Überlegungen der Argumentation Schwimanns an, daß hier österreichisches Recht anzuwenden sei. Nach diesem sei der Anspruch aber wegen der langen Untätigkeit der Beklagten, für die keine triftigen Gründe bestanden hätten, verjährt. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Mit Recht wendet sich die Revisionswerberin (ebenso wie die Beklagte in der Revisionsbeantwortung) gegen die Ansicht der Vorinstanzen, es sei österreichisches Recht anzuwenden. Nach Art. 3 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens ist das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Die hievon abweichende Bestimmung des Art. 4 lit a 2. Fall hat zur Voraussetzung, daß nur ein Fahrzeug am Unfall beteiligt war oder daß alle Fahrzeuge im selben Staat zugelassen sind (lit b). Die Ansicht Schwimanns (ZVR 1978, 168; Grundriß des Internationalen Privatrechts 158; Glosse zur Entscheidung ZAS 1985, 67), diese Regel sei teleologisch dahin ergänzungsbedürftig, daß andere Fahrzeuge nur dann im selben Staat registriert sein müssen, wenn sie als Verursacher in Betracht kommen, vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Schwimann stellt mit der Formulierung "..... als Verursacher in Betracht kommen" offensichtlich darauf ab, daß nach einer ersten Anscheinsbeurteilung die Lenker bzw. Halter anderer in das Unfallsgeschehen verwickelter als Verursacher ausscheiden und deshalb nicht zur Haftung herangezogen werden können. Klagt aber - wie hier - ein Insasse eines Fahrzeuges dessen Lenker, kann indes nie mit Sicherheit gesagt werden, daß spätere Ansprüche gegen den Lenker des anderen Fahrzeuges ausgeschlossen sind. Eine Prognose, ob eine derartige Klage erfolgreich wäre, ist im Verfahren des Insassen gegen den Lenker nicht anzustellen; sie wäre auch nicht verläßlich, weil nicht beurteilt werden kann, welche Einwendungen der andere Fahrzeuglenker erheben wird und von welchem Sachverhalt in dem anderen Verfahren ausgegangen würde. Eine Verneinung der Haftung eines weiteren Unfallsbeteiligten wäre für das andere Verfahren auch nicht bindend. Eine teleologische Einschränkung im Sinne der Ausführungen Schwimanns scheitert daher schon daran, daß kaum jemals von der Annahme ausgegangen werden kann, ein anderer am selben Unfall Beteiligter "käme nicht als Verursacher in Betracht". Darüberhinaus könnte der "nicht als Verursacher in Betracht kommende" Beteiligte auf alle Fälle selbst Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte geltend machen, die aufgrund des Abkommens ohne Zweifel nach jugoslawischem Recht zu beurteilen wäre. Die Ansicht Schwimanns würde also dazu führen, daß aus ein und demselben Unfall Ansprüche erhoben würden, die aus verschiedenen Rechtsordnungen abgeleitet werden. Dies wäre aber mit dem Zweck des Haager Straßenverkehrsübereinkommens offenbar nicht zu vereinbaren. Aus diesen Gründen vertritt der erkennende Senat die Ansicht, daß im Sinne des Wortlautes der Art. 3 und 4 des Haager Straßenverkehrsübereinkommens das Recht des Unfallsortes maßgebend ist, wie dies auch schon in den Entscheidungen 2 Ob 48/84 und ZAS 1985, 67 = EvBl 1983/155 = JBl 1984, 506 = Arb. 10.249 ausgesprochen wurde.

Da schon aufgrund des Haager Straßenverkehrsübereinkommens jugoslawisches Recht anzuwenden ist, braucht die Frage, ob eine Rechtswahl der Parteien im Sinne des § 35 Abs 1 IPRG möglich wäre (vgl. hiezu die unterschiedlichen Ansichten von Duchek-Schwind, IPR 166, Anm. 3, und Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 I 376, einerseits und von Schwimann in Rummel, ABGB, Rdz 12 zu § 48 IPRG, andererseits) und die Parteien durch ihre übereinstimmende Ansicht, es sei jugoslawisches Recht anzuwenden, eine derartige Rechtswahl vorgenommen haben, nicht erörtert zu werden. Da jugoslawisches Recht zur Anwendung kommt, ist dieses im Sinne der ständigen Rechtsprechung auch für die Frage der Verjährung maßgebend (ZVR 1980/43, ZVR 1981/196 ua.). Ob nach jugoslawischem Recht Verjährung eingetreten ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Die vom Erstgericht über diese Rechtsordnung durchgeführten Erhebungen reichen hiezu nicht aus. Das vom Bundesministerium für Justiz vorgelegte, ein anderes Verfahren betreffendes Schreiben der österreichischen Botschaft in Belgrad, nach welchem das jugoslawische Recht keine dem § 1497 ABGB ähnliche Bestimmung kenne, obwohl dies einigermaßen aus der Bestimmung des Art. 389 des Obligationengesetzes hervorgehe, läßt eine verläßliche Beurteilung dieser Frage keinesfalls zu. Es werden daher im Sinne des Schreibens des Bundesministeriums für Justiz (ON 20) weitere Auskünfte gemäß § 4 Abs 1 IPRG einzuholen sein.

Aus diesen Gründen mußten die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben werden.

Zu der in der Revisionsbeantwortung enthaltenen Behauptung, nach jugoslawischem Recht gelte eine Klage als zurückgezogen, wenn ein Fortsetzungsantrag nicht innerhalb von 6 Monaten eingebracht werde, ist darauf hinzuweisen, daß ungeachtet der Anwendung jugoslawischen materiellen Rechts im Rechtsstreit vor dem österreichischen Gericht nach österreichischem Zivilprozeßrecht zu verfahren ist (vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz 2400).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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