Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Auf Grund der Wechselklage des Klägers erließ das Erstgericht am 21. August 1986 einen Wechselzahlungsauftrag über 35.824,66 S sA gegen die beklagten Parteien, welcher an den Drittbeklagten (= Vater des Erstbeklagten und Schwiegervater der Zweitbeklagten) unter der Anschrift "Eis Nr. 52, Großfeistritz, 8741 Weissenkirchen" durch Hinterlegung am 25. August 1986 zugestellt wurde (ON 1). Gegen diesen Wechselzahlungsauftrag erhob Rechtsanwalt Dr. Gerhard Hickl Einwendungen, wobei er sich ausdrücklich gemäß § 30 Abs2 ZPO auf die ihm von allen beklagten Parteien erteilten Vollmachten im Umfang des § 31 ZPO, § 1008 ABGB und § 8 RAO berief (ON 2). Mit dem am 17. Dezember 1986 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz teilte Rechtsanwalt Dr. Hickl mit, daß ihm von allen beklagten Parteien das Vollmachtsverhältnis aufgekündigt worden sei (ON 8). Das Gericht nahm dies mit Beschluß vom 19. Dezember 1986 zur Kenntnis. Dieser Beschluß wurde dem Drittbeklagten an die oben genannte Abgabestelle durch das Postamt 8741 Weissenkirchen in der Steiermark zugestellt und von einem Mitbewohner dieser Abgabestelle übernommen (ON 9 und 10 a). Zur Tagsatzung zur mündlichen Streithandlung vom 19. Dezember 1986 waren die Beklagten persönlich nicht geladen worden (ON 7), die Ladung zur Tagsatzung vom 5. Februar 1987 konnte dem Drittbeklagten nicht zugestellt werden, weil nunmehr das Postamt Weissenkirchen in der Steiermark den Rückscheinbrief mit dem Vermerk "unbekannt" zurücksandte (ON 12 a).
Mit Urteil vom 9. Februar 1987 hielt das Erstgericht den Wechselzahlungsauftrag hinsichtlich aller drei Beklagten aufrecht und verurteilte dies zur ungeteilten Hand zum Prozeßkostenersatz an die klagende Partei. Das Urteil wurde für alle Beklagten an Rechtsanwalt Dr. Hickl am 18. Februar 1987 zugestellt (ON 13). Gegen dieses Urteil erhob der Drittbeklagte die am 15. Juni 1987 zur Post gegebene Berufung wegen Nichtigkeit sowie eine auf § 529 Abs1 Z 2 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage. Das Urteil sei gemäß § 477 Abs1 Z 4 und 5 ZPO hinsichtlich der drittbeklagten Partei nichtig, weil Rechtsanwalt Dr. Hickl nur mit dem Sohn und der Schwiegertochter des Drittbeklagten, nicht jedoch mit diesem Kontakt gehabt hätte und ohne seine Kenntnis auch in seinem Namen Einwendungen erhoben habe, und zwar unter Angabe einer unrichtigen Anschrift. Dadurch hätte der Drittbeklagte keine Möglichkeit gehabt, sich an dem Verfahren zu beteiligen.
Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil und das ihm vorausgegangene Verfahren einschließlich der Zustellung des Wechselzahlungsauftrages hinsichtlich der drittbeklagten Partei unter Rechtskraftvorbehalt als nichtig auf und verwies die Rechtssache insoweit zur Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens an das Erstgericht zurück. Es nahm auf Grund der durchgeführten Erhebungen über den behaupteten Nichtigkeitsgrund als bescheinigt an, daß der Drittbeklagte zur Zeit aller während dieses Verfahrens an ihm versuchten Zustellungen in Eis Nr. 52 bei Ruden in Kärnten (Postleitzahl 9113) und nicht in 8741 Weissenkirchen in der Steiermark, Großfeistritz, wo kein Ort "Eis 52" existiert, wohnte. Der Drittbeklagte erhielt das erstgerichtliche Urteil erst am 29. Mai 1987 im Zuge des gegen ihn vom Bezirksgericht Völkermarkt geführten Exekutionsverfahrens. Er hatte Dr. Hickl niemals mit seiner Vertretung beauftragt und ihm dazu niemals eine Prozeßvollmacht erteilt.
Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt dahin, daß eine Berufung des Rechtsanwaltes auf die erteilte Bevollmächtigung gemäß § 30 Abs2 ZPO nur den urkundlichen Nachweis der Bevollmächtigung ersetze, nicht aber die tatsächliche Erteilung einer Vollmacht. Da sich aber nun nachträglich herausstellte, daß Dr. Hickl vom Drittbeklagten gar nicht bevollmächtigt war, sei er im erstgerichtlichen Verfahren nicht vertreten gewesen. Die an ihn selbst vorgenommenen Zustellungen seien gesetzwidrig gewesen, weil er in Großfeistritz, 8741 Weissenkirchen, keine Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG gehabt habe. Mangels Vollmacht sei dem Drittbeklagten auch nicht die Zustellung des Urteils an Dr. Hickl zuzurechnen, sodaß durch diese am 18. Februar 1987 erfolgte Zustellung keine Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt worden sei. Der Zustellungsmangel sei erst am 29. Mai 1987 (= Tag, an dem "das Urteil" dem Drittbeklagten tatsächlich zukam) gemäß § 7 ZustG geheilt. Infolge der rechtzeitigen und wegen Vorliegen der Nichtigkeitsgründe nach § 477 Abs1 Z 4 und 5 ZPO auch berechtigten Berufung sei daher das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben gewesen.
Der Rechtskraftvorbehalt sei angebracht, weil die Frag, ob bei Zustellung an einen Scheinvertreter formelle Rechtskraft eintreten kann, vor allem auch im Hinblick auf die Bestimmung des § 30 Abs2 ZPO, nicht eindeutig geklärt sei und deren Beantwortung weitreichende Konsequenzen habe.
Gegen diesen Beschluß des Berufungsgerichtes richtete sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die Nichtigkeitsberufung des Drittbeklagten ab- bzw. zurückzuweisen, in eventu, dem Oberlandesgericht Graz eine neue Entscheidung aufzutragen.
Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel im wesentlichen folgendes geltend:
a) § 30 Abs2 ZPO räume Rechtsanwälten einen Vertrauensvorschuß ein, weil nicht erwartet werden könne, daß diese der Wahrheit zuwider behaupten, bevollmächtigt zu sein. Da Rechtsanwalt Dr. Hickl im Schriftsatz ON 8 die Kündigung der ihm erteilten Vollmacht durch alle beklagten Parteien mitteilte, müsse ein Vollmachtsverhältnis bestanden haben, weil sonst eine Kündigung nicht möglich wäre.
b) Da Dr. Hickl in seinem Schreiben vom 9. Juni 1987 (Beilage . 1) ausführt, die beiden anderen Beklagten hätten ihm glaubhaft versichert, daß er auch im Namen des Drittbeklagten gegen den Wechselzahlungsauftrag Einwendungen erheben solle, sei von einer Anscheinsvollmacht seitens des Drittbeklagten an die beiden anderen Beklagten zur Bevollmächtigung des Dr. Hickl auszugehen.
c) Aus dem mit dem Rekurs vorgelegten Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Hickl vom 2. Dezember 1987 ergebe sich, daß er ausdrücklich telefonisch rückgefragt habe, daß das ihm erteilte Mandat mit Einverständnis des Drittbeklagten erfolgte; dieses Telefonat müsse wohl mit dem Drittbeklagten selbst geführt worden sein.
d) Der Beschluß ON 9 betreffend die von Dr. Hickl angzeigte Vollmachtskündigung sei vom Drittbeklagten persönlich übernommen worden.
e) Aus den dargestellten Gründen sei daher die Berufung des Drittbeklagten als verspätet zurückzuweisen.
f) Selbst im Falle einer bloßen Scheinrechtskraft des erstgerichtlichen Urteiles könne dieses nur mittels Nichtigkeitsklage bekämpft werden, weil die Frage des Eintrittes der Rechtskraft bzw. bloßer Scheinrechtskraft von der Klägerung streitiger Tatsachen abhängig sei, die nur durch ein kontradiktorisches Verfahren erfolgen könne (vgl. Fasching, Kommentar 4, 484). Nur in einem solchen Verfahren könnte auch geklärt werden, ob nicht Dr. Hickl von den beiden anderen Beklagten als Vertreter des Drittbeklagten mittelbar bevollmächtigt wurde. Überdies stelle § 534 Abs2 Z 2 ZPO auf die Scheinrechtskraft des mittels Nichtigkeitsklage zu bekämpfenden Urteiles ab, weil eine gesetzwidrig zugestellte Entscheidung nicht in Rechtskraft - eine Voraussetzung für die Nichtigkeitsklage - erwachsen könne. Der Drittbeklagte begehrt in der Berufungsbeanwortung, dem Rekurs der klagenden Partei aus den im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes angeführten, der Rechtslage entsprechenden Gründen nicht Folgen zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 30 Abs1 ZPO haben die im Prozeß einschreitenden Bevollmächtigten den Nachweis der Bevollmächtigung durch eine Urkunde dartun, welche in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift vorzulegen ist. Nur dann, wenn ein Rechtsanwalt oder Notar als Bevollmächtigter einschreitet, ersetzt die Berufung auf die ihm erteilt Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis. Einem Rechtsanwalt oder Notar wird daher grundsätzlich vertraut, wenn er ein Vollmachtsverhältnis behauptet, sodaß das Gericht den Wahrheitsgehalt dieser Berufung auf die erteilte Vollmacht nur bei sich aus der Aktenlage ergebenden konkreten Zweifeln zu prüfen hat (SZ 57/131). Dennoch ersetzt die Ermächtigung des § 30 Abs2 ZPO seinem Wortlaut nach, welcher der Absicht des Gesetzgebers entspricht (1337 BlgNR 15. GP, 8), nicht die Erteilung einer Vollmacht, sondern nur deren urkundlichen Nachweis. Nach den Ergebnissen der Erhebungen, die das Berufungsgericht gemäß § 473 Abs2 ZPO ohne Verpflichtung zu einem kontradiktorischen Verfahren anordnete, steht aber fest, daß Rechtsanwalt Dr. Gerhard Hickl vom Drittbeklagten nicht bevollmächtigt war. Aus dem Schreiben dieses Rechtsanwaltes vom 9. Juni 1987 (Beilage ./1) ergibt sich zweifelsfrei, daß er weder bei Annahme des Mandates seitens des Erstbeklagten und der Zweitbeklagten noch anläßlich der Aufkündigung desselben mit dem Drittbeklagten Kontakt hatte. Insbesondere war auch das Telefongespräch, auf welches in dem mit der Rekursschrift vorgelegten Schreiben vom 2. Dezember 1987 etwas undeutlich Bezug genommen wird, laut Beilage ./1 nicht mit dem Drittbeklagten geführt worden. Es kann daher auch von einer Anscheinsvollmacht seitens des Drittbeklagten nicht die Rede sein. Dieser Begriff besagt nach herrschender Ansicht, daß jemand, der zu erkennen gibt, er habe (früher) Vollmacht erteilt, deshalb die Vertretungsmacht gegen sich gelten lassen muß und sich nicht darauf berufen kann, daß er keine entsprechende Willenserklärung abgegeben hat (Koziol-Welser, Grundriß8 I 161 f). Das Gesetz schützt hier den Dritten zum Nachteil des Vertretenen, weil der Anschein für die Vollmacht sprach und von dem gesetzt wurde, gegen den er jetzt wirken soll. Für ein solches Verhalten des Drittbeklagten bietet die Aktenlage keinen Anhaltspunkt.
Aus dem Gesagten folgt, daß der Drittbeklagte in diesem Prozeß bis zur Bevollmächtigung seines derzeitigen Anwaltes und Erhebung der Berufung nicht vertreten war. Da dem derzeitigen Einschreiter die Vertretungsmacht fehlte und die Prozeßführung des Einschreiters nicht nachträglich durch den Drittbeklagten genehmigt wurde, sind die Prozeßhandlungen des Rechtsanwaltes Dr. Hickl unbeachtlich und das Verfahren gemäß § 477 Abs1 Z 5 ZPO nichtig.
Da nach den Erhebungsergebnissen auch die vom Erstgericht verfügten Zustellungen an den Drittbeklagten nicht an eine Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG erfolgten, ist überdies der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs1 Z 4 ZPO gegeben. Dabei macht es auch keinen Unterschied, daß der Beklagte seinerzeit selbst laut Beilage ./H angab, "dzt" in Großfeistritz 32, 8741 Weissenkirchen zu wohnen, weil diese Anschrift im Verfahren erster Instanz überhaupt keine Rolle spielte. Aktenwidrig ist die Rekursbehauptung, der Drittbeklagte habe den erstgerichtlichen Beschluß ON 8 betreffend Kenntnisnahme der Vollmachtskündigung selbst übernommen. Auf dem diesbezüglichen Rückschein ist nämlich beurkundet, daß ein "Mitbewohner der Abgabestelle" die Sendung übernahm. Auch die Unterschrift darauf ist offenkundig nicht diejenige des Drittbeklagten, wie ein Vergleich mit der Unterschrift auf dem Protokoll ON 22 zeigt.
Entgegen der von der klagenden Partei vertretenen Rechtsmeinung war die vom Erstgericht veranlaßte Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Drittbeklagten zu Handen des Rechtsanwaltes Dr. Gerhard Hickl mangels Vertretungsmacht desselben nicht wirksam, sodaß dadurch die Berufungsfrist nicht in Lauf gesetzt wurde. Der Drittbeklagte erhob daher sein Rechtsmittel entweder bereits vor Zustellung einer Urteilsausfertigung, was zulässig ist (EvBl. 1966/62), oder - falls ihm am 28. September 1987 eine Urteilsausfertigung zugestellt wurde (s. ON 22) - innerhalb der dadurch in Lauf gesetzten Berufungsfrist.
Nicht überzeugend sind auch die Rekursausführungen betreffend die Abgrenzung von Berufung wegen Nichtigkeit und Nichtigkeitsklage nach dem Kriterium der Scheinrechtskraft, also der bloß nach der Aktenlage anzunehmenden Rechtskraft. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung, von der abzugehen der Oberste Gerichtshof auch in diesem Fall keinen Anlaß sieht, ist die Vorstellung einer Scheinrechtskraft abzulehnen. Eine Entscheidung kann nur entweder rechtskräftig oder nicht rechtskräftig sein. Die Zivilprozeßordnung eröffnet der von einem Nichtigkeitsfall nach § 477 Abs1 Z 5 bzw. § 529 Abs1 Z 2 ZPO betroffenen Partei nach Bewirkung einer rechtswirksamen Zustellung - ohne einen Zwang in der einen oder anderen Richtung auszuüben - das Wahlrecht, den an die (nunmehr) vierwöchige Frist gebundenen Weg einer Nichtigkeitsberufung zu beschreiten oder im Falle der Unterlassung dieses binnen der Frist eines Monats ab (wirklicher) Rechtskraft des Urteiles die Nichtigkeitsklage zu erheben (SZ 46/13; bezüglich Ablehnung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage bei bloßer Scheinrechtskraft EvBl. 1967/11, 1975/93, 106).
Dem Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Rekurskosten gründet sich auf § 52 Abs1 ZPO.
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