OGH 9ObA144/87

OGH9ObA144/8716.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Anton Degen als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Georg B***, Angestellter, Wien 21., Skraupstraße 24, vertreten durch Dr. Franz Bixner jun., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G*** Gesellschaft mbH & Co KG, Bisamberg, Bundesstraße 3, vertreten durch Dr. Hans Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 108.852 brutto sA und Ausstellung eines Dienstzeugnisses (Streitwert S 2.000), infolge Revisionsrekurses (Rekurses) der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungs- und Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juni 1987, GZ 31 Ra 28 und 45/87-34, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 2. Mai 1984, GZ 7 Cr 329/83-12, zurückgewiesen und der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9. Februar 1987, GZ 7 Cr 329/83-29, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs (Revisionsrekurs) wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit der am 20. Dezember 1983 eingebrachten Klage begehrte der Kläger auf Grund seines vorzeitigen Austrittes aus dem Arbeitsverhältnis von der Beklagten S 108.852 brutto sA an Gehalt, anteiliger Weihnachtsremuneration und Abfertigung sowie die Ausstellung eines Dienstzeugnisses. Die Klage wurde an die in der Klage angegebene Anschrift der Beklagten Wien 3., Seidlgasse 21, zu eigenen Handen des Geschäftsführers Gerhard W*** zugestellt. Der vorerst anwaltlich vertretene Geschäftsführer der Beklagten wurde zufolge eines Zustellanstandes in der Tagsatzung vom 28. März 1984 aufgefordert, eine ladungsfähige Adresse der Beklagten anzugeben, wozu er sich nicht bereit erklärte. In einer Eingabe der Beklagten vom 4. April 1984 war als Anschrift nach wie vor Wien 3., Seidlgasse 21, angeführt.

Mit Urteil vom 2. Mai 1984 gab das Arbeitsgericht Wien dem Klagebegehren zur Gänze statt. Dieses Urteil wurde der Beklagten vorerst unter der bekannten Anschrift Wien 3., Seidlgasse 21, zugestellt. Als die Sendung mit dem Vermerk "Fa verzogen" zurücklangte, verfügte das Erstgericht die Hinterlegung ohne Zustellversuch nach § 23 ZustG. Diese Zustellung erfolgte am 12. Oktober 1984. Am 16. November 1984 bestätigte das Erstgericht die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des Urteils. Mit einem am 7. Juni 1985 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz erhob die Beklagte Berufung aus den Gründen der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit, unrichtigen Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie unrichtigen rechtlichen Beurteilung und stellte zugleich den Antrag, die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Urteils gemäß § 7 Abs. 3 EO aufzuheben. Als Nichtigkeitsgrund machte die Beklagte geltend, daß der Geschäftsführer der Beklagten vom Urteil des Erstgerichtes erst durch Einsichtnahme in den Konkursakt Kenntnis erlangt habe. Das Geschäftslokal der Beklagten in Wien 3., Seidlgasse 21, sei zwangsweise geräumt worden und es sei nicht festgestanden, wohin die "Firma" verlegt werde. Eine Hinterlegung des Urteils im Sinne des § 23 ZustG sei unzulässig gewesen, weil das Erstgericht entgegen § 8 Abs. 2 ZustG nicht versucht habe, die neue Anschrift der Beklagten zu ermitteln; dies wäre ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Da sich der Firmensitz in der Wohnung des Geschäftsführers befunden habe, hätte eine bloße Anfrage an das Zentralmeldeamt genügt. Eine Abmeldung der Beklagten sei zwar nicht vorgenommen worden und der Geschäftsführer habe sich erst im Februar 1985 an seinem früheren Zweitwohnsitz, Bisamberg, Bundesstraße 3, angemeldet, doch hätte die Post bei einem Anruf unter der alten Telefonnummer die neue Telefonnummer samt Adresse bekanntgegeben.

Im Zuge der über dieses Vorbringen durchgeführten Erhebungen gab der Geschäftsführer der Beklagten an, daß er ab Mitte März bis etwa 6. Dezember 1984 in Perchtoldsdorf im Gasthaus "Zur Reichskrone" gewohnt habe und dort als Dauergast gemeldet gewesen sei. Entgegen dieser Behauptung stellte sich aber heraus, daß es in Perchtoldsdorf kein Gasthaus "Zur Reichskrone" gibt, ein solches zwar in Maria Enzersdorf am Gebirge existiert, der Geschäftsführer der Beklagten dort aber nicht gemeldet war. Die genannte Telefonnummer wurde erst am 28. März 1985 auf Fernsprechauftragsdienst geschaltet und ist im übrigen eine sogenannte "Geheimnummer".

Mit Beschluß vom 9. Februar 1987, 7 Cr 329/83-29, wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien den Antrag der Beklagten auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit mit der Begründung ab, aus den Erhebungen habe sich ergeben, daß eine Zustellung an die Beklagte nicht möglich gewesen und daher die Zustellung unter der bisherigen Adresse zu Recht erfolgt sei.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Wien dem Rekurs der Beklagten keine Folge und wies die Berufung der Beklagten als verspätet zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Milderung der Rechtsfolge des § 8 Abs. 2 ZustG für den Fall, daß eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden könne, den Zweck habe, unerfahrene oder aus Nachlässigkeit säumige Parteien vor Nachteilen zu bewahren, wenn deren Fehler für das Gericht leicht behebbar sei. Dadurch sollten aber keinesfalls widersetzliche Parteien geschützt werden, die sich ausdrücklich weigerten, eine neue Anschrift bekannt zu geben. Im übrigen hätten die aufwendigen und umfangreichen Erhebungen die Behauptungen des Geschäftsführers der Beklagten nicht bestätigt, sondern nur ergeben, daß dieser offensichtlich konsequent seinen tatsächlichen Aufenthaltsort verschleiert habe. Da die Zustellung des Urteils dem Gesetz entsprochen habe, sei die erst am 5. Juni 1985 zur Post gegebene Berufung verspätet und für eine Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit kein Anlaß.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs (Revisionsrekurs) der Beklagten mit den Anträgen, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Urteils des Arbeitsgerichtes Wien gemäß § 7 Abs. 3 EO aufgehoben und das Exekutionsgericht Wien beauftragt werde, das anhängige Exekutionsverfahren gemäß § 42 Abs. 2 EO aufzuschieben, allenfalls bereits vorgenommene Pfändungshandlungen aufzuheben sowie das Exekutionsverfahren nach rechtskräftiger Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichtes Wien vom 2. Mai 1984 gemäß § 39 Z 9 EO einzustellen, sowie dem Oberlandesgericht Wien aufzutragen, über die Berufung der Beklagten in der Sache selbst zu entscheiden oder die Rechtssache nach Aufhebung des Urteils zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte bekämpft in ihrem sowohl als Rekurs als auch als Revisionsrekurs bezeichneten Rechtsmittel zwei Entscheidungen.

Rechtliche Beurteilung

Während sich für die Zurückweisung einer verspäteten Berufung in einer Arbeitsrechtssache durch das Berufungsgericht und den dagegen erhobenen Rekurs für die Zusammensetzung der Senate der Rechtsmittelgerichte keine von § 11 Abs. 1 ASGG abweichenden Besonderheiten ergeben (Kuderna ASGG § 11 Erl 3 und 4, 94), ist im Hinblick auf § 50 EO vorerst zu prüfen, ob die Entscheidung über einen Antrag nach § 7 Abs. 3 EO ebenfalls in die Zuständigkeit der arbeits- und sozialgerichtlichen Senate fällt. Nach Lehre und Rechtsprechung betrifft die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit, obwohl es sich dabei um eine Bestimmung der Exekutionsordnung handelt, kein Exekutionsverfahren; Erteilung und Aufhebung der Bestätigung sind vielmehr Akte der Fortsetzung des titelgerichtlichen Verfahrens (Heller-Berger-Stix I 208; EvBl. 1958/279 mwH, 1977/176 ua). Demnach gelten für das Verfahren weiterhin die Grundsätze des Titelverfahrens, in Arbeits- und Sozialrechtssachen sohin die Vorschriften des ASGG und subsidiär der ZPO.

Da nach § 11 Abs. 3 ASGG die sonstigen Bestimmungen über die Aufgaben der Vorsitzenden unberührt geblieben sind, konnte der Senatsvorsitzende des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien über den Antrag gemäß § 7 Abs. 3 EO zu Recht ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter beschließen. Wenn der Vorsitzende die (deklarative) Bestätigung der Vollstreckbarkeit erteilen kann, ist er auch für die Aufhebung seiner Bestätigung berufen (Heller-Berger-Stix aaO 206). Für das Rechtsmittelverfahren gelten hingegen die allgemeinen Besetzungsvorschriften des ASGG.

Daraus ergibt sich nicht nur die Besetzung des einfachen Senates des Obersten Gerichtshofes nach § 11 Abs. 1 ASGG, sondern entgegen § 528 Abs. 1 Z 1 ZPO auch die Zulässigkeit des Revisisonsrekurses, da der Wert des Streitgegenstandes S 30.000 übersteigt (vgl. Kuderna ASGG § 45 Erl. 10).

In der Sache selbst ist weder der Rekurs noch der Revisionsrekurs berechtigt.

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch im Sinne des § 8 Abs. 2 ZustG nicht voraussetzt, daß vorerst aufwendige Erhebungen zur Ausforschung der Anschrift einer gegen § 8 Abs. 1 ZustG verstoßenden Partei angestellt werden müßten. Der Geschäftsführer der Beklagten hat sich nicht nur geweigert, eine zustellfähige Anschrift der Beklagten bekanntzugeben, sondern noch im April 1984 den Sitz der Beklagten mit Wien 3., Seidlgasse 21, bezeichnet. Die Behauptung, er sei von Mitte März bis Ende des Jahres 1984 in Perchtoldsdorf im Gasthaus "Zur Reichskrone" gemeldet gewesen, wurde durch Meldeanfragen widerlegt. Soweit die Beklagte in ihrem Rechtsmittel darauf beharrt, daß durch eine Anfrage an das Zentralmeldeamt diese Anschrift erhoben hätte werden können, geht sie nicht von den Tatsachen aus. Wenn aber der tatsächliche Aufenthalt des Geschäftsführers der Beklagten nicht ausgeforscht werden konnte, kann keine Rede davon sein, die Abgabestelle hätte vom Erstgericht "ohne Schwierigkeiten" festgestellt werden können (vgl. RZ 1986/3).

Es liegt daher weder der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO vor noch besteht ein Anlaß, die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Urteils als gesetzwidrig oder irrtümlich erteilt aufzuheben. Eine Entscheidung nach § 42 Abs. 2 EO ist nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 ZPO begründet.

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