OGH 8Ob78/87

OGH8Ob78/8719.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***

Ö*** B*** (BVA), 1080 Wien, Josefstädterstraße 80,

vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, auf Seiten der klagenden Partei des Nebenintervenienten Walter S***, Polizeibeamter i.R., 1040 Wien, Johann Strauß-Gasse 1/1a, vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Franz B***, Kraftfahrer, 1200 Wien,

Kariangasse 6, 2.) prot. Firma B*** UND

W*** Josef Z***, Alleininhaber Johannes W***,

1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 76, und 3.) D*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, 1010 Wien, Schottenring 15, alle vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 148.811,55 s.A. und Feststellung (S 200.000,--) infolge Revision der klagenden Partei und ihres Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. Mai 1987, GZ 18 R 60, 112/87-28, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 1986, GZ 51 Cg 755/84-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit S 15.241,74 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 960,-- und die Umsatzsteuer von S 1.298,34) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Der Nebenintervenient hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 9. Februar 1982 ereignete sich auf der Westautobahn, Richtungsfahrbahn Wien, im Gemeindegebiet Sattledt ein Verkehrsunfall, der vom Erstbeklagten als Lenker des LKWs Fiat, pol. Kennzeichen W 765.723 und Dienstnehmer der Zweitbeklagten, die bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert war, verschuldet wurde. Der im LKW mitfahrende Walter S***, der diesem Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten der Klägerin beitrat, wurde schwer verletzt.

Die Klägerin begehrte von den Beklagten wegen erbrachter Leistungen zufolge der Körperbeschädigung S*** und gestützt auf § 125 B-KUVG Schadenersatz von S 148.811,55 sA. Sie beantragte auch die Feststellung, daß ihr die Beklagten für den Ersatz künftig übergegangener Ansprüche aus der Körperverletzung S*** hafteten. Vorsatz oder grobes Verschulden des Erstbeklagten wurde nicht behauptet.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und beriefen sich insbesondere auf das Haftungsprivileg der §§ 333 und 334 ASVG. Walter S*** sei zwar bei der Zweitbeklagten nicht beschäftigt gewesen, doch habe sie gewußt und auch nichts dagegen eingewendet, daß Walter S*** gelegentlich mit Kraftfahrern der Zweitbeklagten bei Auslieferungsfahrten mitfuhr und dabei behilflich war. Dies sei insbesondere am 9. Februar 1982 der Fall gewesen, wobei Walter S*** den Anweisungen des Erstbeklagten, mit dem er befreundet war und mit dem er schon mehrfach Fahrten durchgeführt hatte, unterstanden sei. Walter S*** sei wohl nur vorübergehend und kurzfristig tätig gewesen, was jedoch die Anwendung der Bestimmungen der §§ 333, 334 ASVG nicht ausschließe. Die Klägerin brachte dagegen vor, daß Walter S*** zur Zweitbeklagten weder in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden sei, noch freiwillig bei Auslieferungsfahrten mitgeholfen habe, so daß das Haftungsprivileg nicht vorliege. Diese Auffassung der Klägerin gründe sich auf die Darstellung des Sachverhaltes durch Walter S***; sollten diese Angaben falsch sein und die Beklagten mit ihrer Einwendung der Haftungsbefreiung durchdringen, wäre Walter S*** der Klägerin gegenüber regreßpflichtig.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Um seiner Langeweile als Pensionist zu entgehen, fragte Walter S*** den Alleininhaber der Zweitbeklagten, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte, ob er gelegentlich bei Auslieferungsfahrten nach Salzburg mitfahren dürfe, was dieser erlaubte. Die Absicht Walter S*** war nicht, den Kraftfahrern der Zweitbeklagten bei den Auslieferungen behilflich zu sein oder sich etwas dazuzuverdienen, sondern er wollte seiner Langeweile entgehen und mit Leuten ins Gespräch kommen. Während Betriebsangehörige der Zweitbeklagten Verladearbeiten durchführten, unterhielt sich Walter S*** mit den Kunden. Ein Entgelt oder Trinkgelder bekam Walter S*** weder von der Zweitbeklagten noch von deren Kunden. Für Konsumationen während der Auslieferungsfahrten kam Walter S*** selbst auf. Walter S*** fuhr mit mehreren Kraftfahrern der Zweitbeklagten mit, hauptsächlich aber mit dem Erstbeklagten. Die Auslieferungsfahrten fanden in unregelmäßigen Abständen statt, manchmal ein- oder zweimal im Monat, manchmal auch zweimal wöchentlich. Walter S*** war den Kraftfahrern fallweise spontan behilflich. Er betätigte sich etwa als Einweiser beim Reversieren oder er betätigte mittels Knopfdruckes die Ladeklappe. Wenn etwa der Erstbeklagte eine Kundschaft in St. Pölten belieferte, war Walter Schuster wegen des dort zum Geschäft ansteigenden Terrains auch beim Anschieben des Fleischkontainers behilflich. Fallweise wurde dabei der Erstbeklagte aber auch von Straßenpassanten unterstützt. Manchmal hielt Walter S*** für den Erstbeklagten die Lieferscheine oder er wies auf Leergut hin. Darüberhinaus leistete Walter S*** keine Gefälligkeiten - nicht erwiesen ist, daß er beim Entladen half, weil er infolge einer Kriegsverletzung an der rechten Hand dazu auch körperlich nicht imstande gewesen wäre. Die Gefälligkeiten erwies Walter S*** aus eigenem Antrieb, nicht auf Ersuchen oder Anweisung des Erstbeklagten. Der Unfall vom 9. Februar 1982 ereignete sich auf der Rückfahrt nach einer Auslieferung in Salzburg.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Haftungsbegünstigung nach § 333 Abs 1 und 4 ASVG nicht gegenüber Personen eingreife, die bloß aus Gefälligkeit eine einmalige, nur kurze Zeit in Anspruch nehmende Hilfe geleistet hätten. Die Unglücksfahrt habe sich zu einer Zeit ereignet, als Walter S*** keine Hilfeleistungen verrichtete oder zu verrichten beabsichtigte; er habe sich daher außerhalb des Betriebes der Zweitbeklagten befunden, welche ein Haftungsprivileg daher nicht mit Erfolg ins Treffen führen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß die Zweitbeklagte als "Dienstgeber des Walter S***" und der Erstbeklagte als "Aufseher im Betrieb" der Zweitbeklagten anzusehen seien. Das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 und 4 ASVG komme daher zum Tragen. Walter S*** habe, betrachte man den Sachverhalt insgesamt, typische Tätigkeiten eines sonst angestellen Beifahrers des Betriebes verrichtet, mögen auch seine Leistungen nicht besonders ins Gewicht gefallen sein. Auch subjektiv sei der Wille S*** auf eine, wenn auch nur geringfügige Tätigkeit für das Unternehmen des Zweitbeklagten gerichtet gewesen, was auch Zweck der Bekämpfung seiner Langeweile als Pensionist war. Dabei habe er sich auch der Organisation der Zweitbeklagten unterworfen, weil er sein Bedürfnis nach Tätigkeit nur dann befriedigen konnte, wenn Auslieferungsfahrten vorgesehen waren. Wie sehr seine Tätigkeiten denen einer Person glichen, die aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses für das Unternehmen tätig sind, zeige die Tatsache, daß er an solchen Auslieferungsfahrten mit einer gewissen Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder teilnahm und dabei die festgestellten Hilfeleistungen erbrachte. Aufseher im Betrieb sei zwar nicht schon "der einfache Kraftfahrer", der lediglich in dieser Funktion mitfahrenden Personen Anweisungen über das Verhalten im Kraftfahrzeug geben kann; der Erstbeklagte habe aber am Unfallstag, wie schon früher, mit Walter S*** eine Auslieferungsfahrt nach Salzburg durchgeführt. Dabei seien Waren geliefert, Leergut zurückgenommen und geschäftliche Transaktionen durchgeführt (Lieferscheine) worden. Walter S*** habe die grundsätzliche Erlaubnis zur Mitfahrt bei Auslieferungsfahrten von der Zweitbeklagten erhalten, doch habe er der sich nach seinen Angaben "ständig im Geschäft der Zweitbeklagten aufhielt" und die "Zeiteinteilung der einzelnen Auslieferungen" kannte, die Chauffeure ebenfalls fragen müssen, ob sie einverstanden seien. Auch das Anhalten bei Raststätten habe der Chauffeur bestimmt, ebenso "wann wieder aufzubrechen sei". Der Erstbeklagte habe neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Kraftfahrer auch das Entladen und Beladen zu besorgen und zu organisieren gehabt, er sei dazu befugt gewesen, zu bestimmen, ob Walter S*** überhaupt mitfahren durfte und habe den Fahrtplan und die Gestaltung der Fahrt samt Unterbrechungen und Pausen bestimmt. Dies alles seien entscheidende Kriterien für die Eigenschaft des Erstbeklagten als "Aufseher im Betrieb". Eine punktuelle Betrachtungsweise scheide wegen der auf einen längeren Zeitraum bezogenen Einbeziehung Walter S*** in den Betrieb aus. Von einer "einmaligen" Hilfeleistung könne nach den Feststellungen keine Rede sein. Der entscheidende Verantwortungsbereich sei in den Händen des Erstbeklagten gelegen. Aufgrund der getroffenen Feststellungen sei das in den oberstgerichtlichen Entscheidungen zum Ausdruck kommende Haftungsprivileg der Beklagten gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG gegeben. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revisionen der Klägerin und ihres Nebenintervenienten je aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise stellt der Nebenintervenient auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, den Revisionen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber stellen sich einvernehmlich auf den Standpunkt des Erstgerichtes, wonach die festgestellte Art der Mitwirkung S*** an den vom Erstbeklagten als Betriebsangehörigen der Zweitbeklagten durchgeführten Lieferfahrten noch keine Eingliederung in den Betrieb im Sinne des § 333 Abs 1 ASVG bedeute und dem Erstbeklagten auch nicht die Eigenschaft als Aufseher im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG zugebilligt werden könne. Sie vermögen jedoch die zutreffend begründete Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht in Frage zu stellen:

Nach ständiger Rechtsprechung ist für die sogenannte Eingliederung eines Beschäftigten in den Betrieb das Vorliegen eines persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, daß der für das Unternehmen Tätige bereit ist, sich während seiner Tätigkeit den Anweisungen des Unternehmers oder des von ihm bestellten Aufsehers im Betrieb zu unterwerfen (SZ 48/50; 8 Ob 11/78; SZ 52/66; 8 Ob 76/80; 8 Ob 1, 2/84 ua). Die allfällige kurze Dauer einer solchen Tätigkeit steht der Anwendung des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG nicht entgegen (SZ 48/50; SZ 48/123; SZ 52/66; 8 Ob 76/80 ua). Unter einer ernstlichen Tätigkeit versteht man dabei Handlungen, die auch sonst in dem in Frage stehenden Betrieb anfallen und gewöhnlich von einem Arbeitnehmer im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses verrichtet werden. Ob die geleistete Tätigkeit dem Unternehmen dienlich war, muß aus dem Zweck der geleisteten Tätigkeit erschlossen werden (SZ 52/66; 8 Ob 76/80; 8 Ob 1, 2/84 ua). Solche charakteristische Merkmale des gegebenen Abhängigkeitsverhältnisses haben die Vorinstanzen im vorliegenden Fall festgestellt. Es genügt hiezu, auf die oben wiedergegebenen Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen, das zutreffend aus dem Gesamtverhalten Walter S*** auf dessen Eingliederung in die wirtschaftliche Sphäre der Zweitbeklagten annahm. Dieser fuhr nicht nur deshalb mit dem Erstbeklagten mit, um sich die Langeweile zu vertreiben, sondern half ihm, wo immer es erforderlich war und ging ihm an die Hand, wie es die gemeinsam zu bewältigenden Umstände erforderten. Daß seine Tätigkeit dem Unternehmen des Zweitbeklagten dienlich war, kann ernstlich nicht in Zweifel gezogen werden.

Aber auch die Frage, ob der Erstbeklagte Walter S*** gegenüber als Aufseher im Betrieb anzusehen ist, hat das Berufungsgericht im bejahenden Sinn richtig gelöst. Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Beurteilung der Frage, ob der Lenker eines Kraftfahrzeuges gegenüber einem Arbeitskollegen "Aufseher im Betrieb" im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG ist, von den Umständen des Einzelfalles (SZ 35/80; ZVR 1972/203 ua), vor allem aber davon ab, ob der Betreffende zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war (SZ 26/215; Arb. 8919; ZVR 1972/203; SozM I A e 1019; 4 Ob 35/78 uza). Es ist daher entscheidend, daß der Erstbeklagte für das organisatorische Zusammenspiel der vorgenommenen Tätigkeit verantwortlich war (vgl. ZVR 1972/203, 8 Ob 41/82 uza). Auch diesfalls genügt es, die Darlegungen des Berufungsgerichtes heranzuziehen, das in einer lückenlosen Zusammenstellung alle jene Momente zusammenfaßte, die in ihrer Gesamtheit nur den Schluß zulassen, daß der Erstbeklagte Walter S*** gegenüber als sogenannter Aufseher im Betrieb fungierte. Von einer "einmaligen Hilfeleistung" im gegebenen Fall oder einer "gelegentlichen Handreichung" anläßlich einer ansonst indifferent gebliebenen Mitfahrt S*** kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht die Rede sein.

Den Revisionen der Klägerin und ihres Nebenintervenienten war daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Revisionsbeantwortung der Beklagten ist nur der Klägerin, nicht aber ihrem Nebenintervenienten aufzuerlegen (EvBl 1974/71; 6 Ob 816/81; 3 Ob 701/82; 8 Ob 597/85; 8 Ob 504/86 ua).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte