OGH 7Ob664/87

OGH7Ob664/8729.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Gerda K***, geboren am 25. Mai 1983, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Margarete K***, Landesangestellte, Murau, Fernersiedlung Nr. 30/3, vertreten durch Dr. Max Siebenhofer, Rechtsanwalt in Judenburg, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 5. Juni 1987, GZ R 376/87-37, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Judenburg vom 31. März 1987, GZ P 373/85-33, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die im Jahre 1982 geschlossene Ehe der Margarete und des Gerald K*** wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 7. Oktober 1985 5 Cg 227/85-6 aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes geschieden.

Beide Elternteile beantragten, ihnen die elterlichen Rechte in Ansehung des der Ehe entstammenden Kindes Gerda, geboren am 25. Mai 1983, zuzuteilen.

Mit Beschluß vom 31. März 1987, ON 33, teilte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang die elterlichen Rechte iS der §§ 144, 177 ABGB dem Vater zu und wies den Antrag der Mutter ab. Es traf folgende Feststellungen:

Die mj. Gerda befindet sich derzeit beim Vater, der den Beruf eines Lehrers ausübt und die Betreuung des Kindes während seiner berufsbedingten Abwesenheit seiner Mutter Hilde K***, die pensionierte Lehrerin ist und mit dem Vater im gleichen Hause wohnt, überläßt. Das Kind hatte von klein auf intensiven Kontakt mit den väterlichen Großeltern und wurde häufig von diesen betreut. Gerald K***, dessen Qualifikationsbeurteilung beim Bezirksschulrat Judenburg für das Schuljahr 1984/85 mit "sehr gut" festgesetzt wurde, hat laut Zeugnis vom 11. Dezember 1985 die Lehramtsprüfung für Hauptschulen in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie bestanden. Als Lehrer ist er fast nur an Vormittagen beschäftigt und kann sich daher an Nachmittagen voll der Betreuung seiner Tochter widmen.

Der Vater, das Kind und die väterliche Großmutter leben im gemeinsamen Haushalt in einer gepflegten Wohnung in Judenburg, Teuffenbachstraße 38, die aus einer Küche, drei Zimmern und Nebenräumlichkeiten besteht. Im 7. Stock des gleichen Hauses befindet sich auch die ehemalige Ehewohnung der Eltern des Kindes, die vom Vater weiterhin benützt wird.

Die mj. Gerda ist ein altersmäßig entwickeltes und gut gepflegtes Kind, das derzeit am Vormittag den Katholischen Pfarrkindergarten in Judenburg besucht. Am Nachmittag wird sie von der Großmutter und vom Vater betreut. Das Kind hat zur Großmutter und zum Vater sehr enge Beziehungen. Die Erziehung ist durch viel Einfühlungsvermögen geprägt.

Margarte K*** bewohnt in Murau eine Eigentumswohnung, bestehend aus Küche, drei Zimmern und Nebenräumlichkeiten. Die Wohnung ist vollständig eingerichtet und macht einen gepflegten Eindruck. Margarete K*** arbeitet als Stationsgehilfin im Kinderkrankenhaus auf der Stolzalpe und hat meist eine Woche lang Dienst. An manchen Tagen währt ihr Dienst von 6,30 Uhr bis 12 Uhr, an anderen bis 19,30 Uhr; an drei Nächten im Monat muß die Mutter Nachtdienst versehen (18 Uhr bis 6 Uhr). Nach jeweils einer Arbeitswoche hat Margarete K*** fünf Tage dienstfrei.

Margarte K*** würde das Kind im Betriebskindergarten der Stolzalpe bzw. bei einer ihrer Schwestern in Murau unterbringen. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen zwei weitere Schwestern, die ebenfalls bei der Betreuung des Kindes behilflich sein würden. Während des aufrechten Bestandes der Ehe ist die Mutter lediglich in Abständen zwischen 5 und 19 Tagen von ihrem Arbeitsplatz auf der Stolzalpe nach Judenburg gekommen. Sie ist teilweise schon am Abend vor Dienstbeginn nach Murau gefahren, obwohl morgens genügend Zeit hiezu gewesen wäre. Margarete K*** ist häufig auch erst einen Tag nach Dienstende in die eheliche Wohnung nach Judenburg gekommen.

Gerald K*** besucht ab und zu einen "Stammtisch". Er hält sich jedoch nicht ständig in Wirtshäusern auf und ist auch nicht dem Alkohol zugetan.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß bei allen pflegschaftsbehördlichen Maßnahmen vom Wohl des Kindes auszugehen sei. Die Übertragung der elterlichen Rechte an die Mutter sei nicht im Interesse der Minderjährigen gelegen, weil hiedurch ein Wechsel in den Bezugspersonen einträte, ohne daß besondere Gründe dafür sprächen, daß es hiedurch zu einer beachtlichen Verbesserung der Lage des Kindes und seiner Zukunftserwartung komme. Versäumnisse in der Erziehung durch den bisher pflegenden Elternteil seien nicht hervorgekommen.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und hob hervor, daß Nachteiliges von derartiger Relevanz, daß es geeignet sein könnte, die Entscheidung zu beeinflussen, weder beim Vater, noch bei der Mutter objektivierbar sei, mögen auch bei beiden Elternteilen gewisse menschliche Schwächen vorhanden sein. Beide Elternteile seien daher von ihrer Persönlichkeit her geeignet, das Kind zu erziehen. Auch die Wohnverhältnisse seien sowohl beim Vater, als auch bei der Mutter ausgeglichen. Es sei jedoch zweifellos der Vater jener Elternteil, der sich persönlich mehr um das Kind zu kümmern vermöge bzw. über die besseren Delegierungsmöglichkeiten verfüge und die größere Kontinuität des Alltagsverlaufes garantiere. Die väterliche Großmutter sei schon bisher Garantin eines geregelten Lebens ihrer Enkelin gewesen. Die frühmorgendlichen und abendlichen Betreuungslücken bei Inanspruchnahme des Anstaltskindergartens Stolzalpe durch die Mutter dagegen könnten nur durch die Inanspruchnahme einer weiteren, für das Kind fremden Bezugsperson geschlossen werden. Die bei Zuteilung der Elternrechte an die Mutter erforderliche Änderung der gesamten Umwelt sei für ein vierjähriges Kind nicht zu verkraften. Die Entscheidung des Erstgerichtes sei nach dem Kindeswohl geboten gewesen.

Die Mutter bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit außerordentlichen Revisionsrekurs aus den Rekursgründen der Nullität und der offenbaren Gesetzwidrigkeit mit dem Antrag, die elterlichen Rechte ihr zu übertragen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Nichtig iS des § 16 AußStrG ist die Entscheidung bei Vorliegen der Nichtigkeitsgründe der Zivilprozeßordnung, soweit sie dafür in Frage kommen. In ganz besonderen Fällen ist auch anderen als den durch sinngemäße Anwendung des § 477 ZPO als nichtig angreifbaren Verfahrensverstößen das Gewicht einer Nichtigkeit beizumessen. Verfahrensverstöße begründen Nichtigkeit jedoch nur, wenn sie von einschneidender Bedeutung sind (EFSlg. 49.981), wenn die Stoffsammlung so mangelhaft geblieben ist, daß dadurch Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens wie etwa die Bedachtnahme auf das Kindeswohl vollkommen außer Acht gelassen wurden (EFSlg. 49.982, 47.255).

Die Mutter die in dem Verfahren nicht vernommen worden ist, hat ihren Standpunkt in dem Antrag auf Übergabe des Kindes in ihre Pflege und Erziehung, der mit einer Stellungnahme zu dem gleichartigen Antrag des Vaters verbunden war (ON 4), in dem Schriftsatz ON 14 und in den beiden Rekursen ON 15 und 34 in überaus ausführlicher Weise dargelegt. Wenn auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs einen eine Nichtigkeit begründenden Verfahrensverstoß bilden kann, fordert der Grundsatz des Parteiengehörs doch nur, daß der Partei ein Weg eröffnet werde, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt und zur Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruches vorbringen kann. Rechtliches Gehör der Partei ist auch dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern könnte oder geäußert hat (EFSlg. 49.985). Zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs dadurch, daß die Mutter zu den vorliegenden Anträgen nicht vernommen wurde, ist es daher nicht gekommen

Von den von der Mutter beantragten Auskunftspersonen wurden Elfriede und Christian G***, Gertrude S*** und Angela R*** eingehend vernommen. Daß das Erstgericht nicht auch Ernst und Herta M*** vernommen hat, vermag allenfalls einen Verfahrensmangel, keinesfalls aber einen einschneidenden Verfahrensverstoß im dargelegten Sinn zu begründen (EFSlg. 47.244). Sollte der beigezogene Psychologe Dr. Z***, wie im Revisionsrekurs behauptet wird, kein gerichtlich beeideter Sachverständiger gewesen sein, könnte auch dieser Umstand keinen Verfahrensverstoß vom Range einer Nichtigkeit darstellen. Richtig ist, daß das Rekursgericht, das im ersten Rechtsgang im Beschluß ON 19 ausgeführt hat, Maßstab für den Inhalt der Entscheidung nach § 177 ABGB sei immer das Kindeswohl, das Argument der Kontinuität der Pflege und Erziehung trete bei Erstentscheidungen in den Hintergrund, im angefochtenen Beschluß zum Ergebnis gekommen ist, bei im übrigen ausgeglichenen Verhältnissen sei der Vater jener Elternteil, der sich persönlich mehr um das Kind zu kümmern vermöge, über die besseren Delegierungsmöglichkeiten verfüge und die größere Kontinuität des Alltagsverlaufs garantiere und daß zudem die väterliche Großmutter schon bisher Garantin eines geregelten Lebens des Kindes gewesen sei. Ganz abgesehen davon aber, daß ein Verstoß gegen die Bindung an die im Aufhebungsbeschluß ausgesprochene Rechtsansicht keine Nichtigkeit bildet (Fasching IV 226), liegt ein solcher Verstoß auch nicht vor. Denn es war für das Rekursgericht keineswegs allein ausschlaggebend, daß eine Zuteilung der elterlichen Rechte an die Mutter mit einem Wechsel in der Pflegeperson verbunden wäre (vgl. hiezu EFSlg. 45.878). Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt in jenen Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung vor, in denen entweder ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde, oder in denen das Gericht gegen Grundprinzipien des Rechts, im Pflegschaftsverfahren etwa die gänzliche Außerachtlassung des Wohl des Pflegebefohlenen, verstoßen hat oder willkürlich vorgegangen ist, nicht aber bei bloßen Ermessensentscheidungen (EFSlg. 47.208). Bei einer Ermessensentscheidung wie der Zuweisung der Elternrechte kann eine offenbare Gesetzwidrigkeit schon begrifflich nicht vorliegen, soferne das Gericht alle maßgeblichen Umstände wie die Persönlichkeit und die Bedürfnisse, Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie die Lebensverhältnisse der Eltern in seine Erwägungen einbezogen und das Wohl des pflegebefohlenen Kindes nicht außer Acht gelassen hat (EFSlg. 49.963). Entgegen den umfangreichen Vorwürfen der Mutter haben die Vorinstanzen die dargestellten Umstände bei ihrer Entscheidung keineswegs außer Acht gelassen, sondern eingehend geprüft. Sind sie dabei zum Ergebnis gekommen, eine Zuteilung der Elternrechte an den Vater entspreche mehr dem Wohl des Kindes, kann darin allenfalls eine unrichtige rechtliche Beurteilung gelegen sein, keineswegs aber eine offenbare Gesetzwidrigkeit. Der Revisionsrekurs war deshalb mangels Vorliegens eines Rekursgrundes iS des § 16 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.

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