Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin den Betrag von 27.500 S samt 4 % Zinsen seit 8. März 1984 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren auf Bezahlung weiterer 27.500 S sA wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, zweiter und dritter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 18. Oktober 1983 ereignete sich gegen 8,30 Uhr bei der Haltestelle Wien 21., Frauenstiftgasse, ein Unfall, bei welchem die Klägerin "beim Aussteigen" aus einem Bus der Linie 30 A, einen komplizierten Knöchelbruch erlitt.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 55.000 S. Der Buslenker sei nicht zum Randstein zugefahren, sondern habe in einer Entfernung von 3 m davor angehalten, so daß die Klägerin beim Aussteigen wegen einer unter dem Trittbrett gelegenen Furche zum Sturz kam. Der Buslenker habe eine Gefahrensituation geschaffen, für deren Folgen die Beklagte hafte.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe sich ihre Verletzungen nicht als Fahrgast des Autobusses, sondern als Fußgängerin zugezogen. Es hätten sich zwischenzeitig von der Straßenverwaltung eingeebnete Längsrillen in unmittelbarer Nähe der Gehsteigkante befunden, die wegen ihrer unterschiedlichen Oberflächenfarbe immer noch erkennbar waren. Der 3 m von der Gehsteigkante gelegene Bereich der Fahrbahn sei frei von Unebenheiten gewesen. Da es den Autobuschauffeuren untersagt sei, knapp an die Gehsteigränder heranzufahren, müsse ein Fahrgast damit rechnen, den ersten Schritt beim Verlassen des Autobusses auf die Fahrbahn zu setzen, wo auch in der Großstadt mit Unebenheiten zu rechnen sei. Der Unfall der Klägerin sei für die beklagte Partei ein unabwendbares Ereignis gewesen, weil jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet wurde. Hilfsweise werde ein 50 %iges Mitverschulden der Klägerin eingewendet, weil sie beim Aussteigen die Fahrbahn nicht beachtet habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren samt Anhang statt. Es traf nachstehende Feststellungen:
Die Klägerin benützte den Autobus der Linie 30 A, dessen Halter die beklagte Partei ist. Es handelte sich dabei um einen Gelenkbus. Außer der Klägerin befand sich auch Theresia W*** im Bus, die die Klägerin vom Sehen her kennt. Die Klägerin benützt die Autobuslinie nicht regelmäßig; es war ihr zum Unterschied von Theresia W***, die häufig diese Autobuslinie benützt und bereits zu einem früheren Zeitpunkt von ihrer Tochter darauf aufmerksam gemacht worden war, daß sich in der Haltestelle Frauenstiftgasse 9 eine tiefe, ca. 30 cm breite Spurrille befindet, diese Tatsache nicht bekannt. Die Spurrille war dadurch entstanden, daß die Autobusreifen in dem weichen Asphalt einsanken.
Der Bus wurde von Franz B*** als Fahrer gelenkt. Im Haltestellenbereich stand ein vorschriftswidrig parkender PKW, was zur Folge hatte, daß Franz B*** mit dem Gelenkbus in einem Bogen zu der Haltestelle zufahren mußte. Der Abstand des Zugfahrzeuges vom Gehsteig im Bereiche der ersten Türe betrug rund 30 cm, die weiter hinten befindlichen Türen waren weiter vom Gehsteig entfernt. Die Klägerin und Theresia W*** benützten beim Aussteigen die zweite Türe des Zugfahrzeuges; der Abstand von der Gehsteigkante betrug hier ca. 60 bis 70 cm. Theresia W*** verließ vor der Klägerin den Bus und stieg, da sie wußte, daß sich in diesem Bereich eine Spurrille befand, über diese darüber; hinter sich vernahm sie einen Schmerzenslaut. Die Klägerin war beim Aussteigen aus der Tür und Hinuntersteigen auf die Straße mit dem Fuß in die Rille geraten und umgekippt. Sie hatte die Rille, die sich direkt unter dem Trittbrett befand, vor dem Aussteigen nicht wahrgenommen, weil sie beim Aussteigen schräg vor sich in eine etwas weitere Entfernung blickte und nicht auf jenen Straßenbereich achtete, der unmittelbar neben dem Trittbrett lag. Die Klägerin trug zum Unfallszeitpunkt geschnürte Sportschuhe mit einem Absatz in der maximalen Höhe von 4 cm.
Die Klägerin wurde mit der Rettung in das Floridsdorfer Krankenhaus gebracht, wo zunächst eine Versteuchung des rechten Knöchels festgestellt, Umschläge und elastische Binden empfohlen wurden. 3 Tage später wurde ein Bruch des Außenknöchels festgestellt und ein Unterschenkelgehgips angelegt. Die Klägerin wurde ambulant behandelt. Am 22.November 1984 wurde der Gipsverband - vorzeitig - entfernt, dies deshalb, weil sich darunter eine Kontaktdermatitis ausgebildet hatte, deretwegen die Klägerin vom 23.November 1983 bis 13.Dezember 1983 an der
1. Universitätsklinik des Allgemeinen Krankenhauses Wien stationär behandelt wurde.
Bei der Verletzung des Außenknöchels rechts handelte es sich um einen unverschobenen Außenknöchelbruch. Ein derartiger Knochenbruch heilt bei konservativer Behandlung während 4 bis 5 Wochen praktisch folgenlos aus. Die Klägerin hatte bedingt durch den Knöchelbruch 3 Tage starke Schmerzen. Während der 31 Tage dauernden Gipsbehandlung sind mittelstarke bis leichte Schmerzen mit gelegentlich schmerzfreien Intervallen anzunehmen, sohin gerafft 5 Tage mittelstarke und 20 Tage leichte Schmerzen. Nach der Gelenksmobilisation sind 5 Tage mittelstarke und 10 Tage leichte Schmerzen anzunehmen. In dieser Zeit nach der Gipsabnahme besteht eine weitgehende Überschneidung mit den dermatologischen Schmerzperioden. Die Klägerin hatte etwa 3 Wochen nach der Anbringung des Gipsverbandes eine Hautentzündung am rechten Unterschenkel unter dem Gipsverband verbunden mit sehr starkem Juckreiz erlitten. Aus diesem Grunde hatte sie vorzeitig das chirurgische Ambulatorium aufgesucht, der Gipsverband wurde jedoch zunächst belassen. In der Folgezeit nahmen die Beschwerden zu, worauf die Klägerin nochmals das chirurgische Ambulatorium des Krankenhauses Floridsdorf aufsuchte, wo dann am 22.November 1983 der Verband 9 Tage früher als vorgesehen abgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der rechte Fuß der Klägerin stark geschwollen, eiterte und war ganz wund. Es wurde ein Salbenverband angelegt und die Klägerin zur weiteren Behandlung an die 1. Universitäts-Hautklinik gewiesen, wo sie sofort zur weiteren Behandlung stationär aufgenommen und bis zum 13.Dezember 1983 behandelt wurde. In dieser Zeit wurde auch eine Kontaktallergie festgestellt. Die Klägerin hatte dermatologische Beschwerden zusammenhängend mit Überempfindlichkeitsreaktionen von 3 Wochen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die beklagte Partei nach § 5 EKHG hafte, weil ihr der Nachweis einer Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG nicht gelungen sei. Das Schmerzengeld sei mit dem begehrten Betrag auszumessen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Die Revision ließ es nicht zu, weil seine Entscheidung mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes übereinstimme. Die Klägerin treffe nämlich ein grobes Eigenverschulden am Unfall, weil sie nicht dorthin schaute, wo sie ihren Fuß hinsetzte. Was aber die Haftung der beklagten Partei nach dem EKHG betrifft, werde wohl nach ständiger Rechtsprechung das Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug noch dem Betrieb zugerechnet; müsse aber das schwerwiegende Verschulden eines Teiles der gewöhnlichen Betriebsgefahr des anderen entgegengesetzt werden, werde letzteres als Zurechnungskriterium nach der durch den auch in § 7 EKHG maßgeblichen, in § 11 EKHG normierten Rangordnung zur Gänze zurückgedrängt.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Revision zuzulassen und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, deren Erstattung ihr anheimgestellt wurde, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, daß die Auffassung des Berufungsgerichtes, wonach es bei Lösung der Rechtsfrage der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs folgte, nicht zutreffe. Dies ist im Ergebnis richtig:
Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, daß der Unfall, den die Klägerin beim Aussteigen aus dem Omnibus der beklagten Partei erlitt, beim Betrieb desselben im Sinne des § 1 EKHG erfolgte. Ein Betriebsunfall iS des § 1 EKHG liegt nämlich vor, wenn der Unfall im zeitlichen, örtlichen und inneren Zusammenhang mit der einem Kfz eigentümlichen Betriebsgefahr oder in einem adäquaten ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz steht. Die Worte "beim Betrieb" im § 1 EKHG sind nicht so zu verstehen, daß nach den Bestimmungen dieses Gesetzes nur Schäden zu ersetzen wären, die durch Berührung mit einem Kfz entstanden sind;
maßgebend ist vielmehr, daß der Schaden auf eine adäquate Ursache zurückzuführen ist, die ein im Betrieb befindliches Kfz gesetzt hat und die mit dem Betrieb des Kfz zusammenhängt (JBl 1979, 149;
ZVR 1984/49; 8 Ob 238/80; 8 Ob 195/81 ua).
Das Gericht zweiter Instanz hat jedoch unrichtigerweise die Bestimmung des § 11 EKHG angewendet. Es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um den Ausgleich gegenseitiger Ersatzansprüche, sondern um den Schadenersatzanspruch eines Fahrgastes (vgl. ZVR 1983/39; 8 Ob 58/85 ua) gegen den Halter eines Kraftfahrzeuges. Bei dieser Sachlage wäre es daher an der beklagten Partei gelegen, den Entlastungsbeweis dahin zu erbringen, daß sie bzw. der Lenker des Omnibusses als mit ihrem Willen beim Betrieb tätige Person jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben, und daß diese Sorgfaltspflicht die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt umfaßte. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines sachkundigen und besonders umsichtigen Fachmannes heranzuziehen, wobei an diese Sorgfaltspflicht nicht billige, sondern strengste Anforderungen zu stellen sind (ZVR 1960/322; ZVR 1971/179 ua). Richtig ist wohl, daß diese Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf, um nicht eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung zu bewirken (ZVR 1984/150). Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 9 Abs 2 EKHG dürfen somit an den Betriebsunternehmer eines Omnibusses und dessen Bedienstete keine unzumutbaren, praktisch unmöglichen Anforderungen gestellt werden; wesentlich ist aber, daß diese erhöhte Sorgfaltspflicht nicht erst in der Gefahrenlage einsetzt;
sie verlangt vielmehr, daß von vornherein das Entstehen einer Gefahrenlage vermieden wird (ZVR 1974/190; ZVR 1977/306;
ZVR 1978/135; ZVR 1983/39; ZVR 1984/240; 8 Ob 58/85 ua). Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zeigt, daß die Beklagte diesen Entlastungsbeweis nicht erbringen konnte:
Wie die Vorinstanzen feststellten, war nämlich die tiefe, ca. 30 cm breite Spurrille einer anderen Person, der Tochter Theresia W***'S, durchaus aufgefallen. Diese warnte jene davor, was zur Folge hatte, daß Theresia W*** beim Aussteigen besonders darauf achtete und über die Spurrille schadlos hinwegstieg. Konnten aber selbst Fahrgäste bzw. deren Verwandte die Gefährlichkeit der Spurrille für aussteigende Personen erkennen, müßte dies auch dem Lenker des Omnibusses erkennbar gewesen sein. Unklarheiten in diesem Belang gehen nach ständiger Rechtsprechung zu Lasten des Halters, dem es damit nicht gelang, nachzuweisen, jede nach den Umständen des Falles erforderliche Sorgfalt im oben dargestellten Sinn angewendet zu haben. Mangels Erbringung des Entlastungsbeweises trifft die beklagte Partei aber die Haftung nach den §§ 1 und 5 EKHG. Dem Gericht zweiter Instanz ist allerdings zu folgen, daß die Klägerin nicht gänzlich von der Mithaftung für die Unfallsfolgen loszusprechen ist. "Vor die Füße zu schauen" ist von jedem Fußgänger zu verlangen, dies umso mehr, wenn er aus einem Verkehrsmittel aussteigt und naturgemäß mit verschiedentlichen Unebenheiten des Bodens und dgl. rechnen muß. Ein Schuldvorwurf in dieser Richtung kann der Klägerin daher nicht erspart bleiben. Da es anerkanntes Recht ist, daß beim Zusammentreffen der Erfolgshaftung mit der Verschuldenshaftung § 1304 ABGB zur Anwendung zu kommen hat (ZVR 1977/211; ZVR 1983/39; 8 Ob 74/85; 8 Ob 13/86 uza), ist von einer Schadensteilung auszugehen, wobei ein Verhältnis von 1 : 1 nach den Umständen gerechtfertigt erscheint.
Dies hat zur Folge, daß - da das begehrte Schmerzengeld unter Bedachtnahme auf die mit der Verletzung verbundenen Unbilden der Klägerin keinesfalls als überhöht angesehen werden kann - die Urteile der Vorinstanzen wie im Spruch abzuändern waren. Beim Ausspruch über die Kosten war auf § 43 Abs 1 ZPO Bedacht zu nehmen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)