OGH 8Ob74/85

OGH8Ob74/8518.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Sabine P*, vertreten durch Dr. Roswitha Ortner, Rechtsanwältin in Villach, wider die beklagten Parteien 1.) Sebastian B*, und 2.) C*‑AG, *, beide vertreten durch Dr. Anton Gradischnig und Dr. Peter Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, wegen Feststellung (S 310.000,‑‑), Revisionsstreitwert S 137.777,78, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 2. April 1985, GZ 3 R 61/85‑19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 12. Februar 1985, GZ 18 Cg 252/84‑15, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00074.85.1218.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:

1) Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand im Rahmen der Haftungshöchstbeträge des EKHG für ein Drittel ihrer Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 16. 6. 1983 auf dem F*weg bei V* auf Höhe des Campingplatzes M* zu haften haben.

2) Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für weitere fünf Zwölftel ihrer Unfallschäden und ohne Einschränkung auf die Höchstbeträge des EKHG wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 3.720,30 bestimmten Kosten des Verfahrens in erster Instanz (darin Barauslagen von S 428,04 und Umsatzsteuer von S 299,30) und die mit S 1.182,70 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Barauslagen von S 153,60 und Umsatzsteuer von S 93,55) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Hingegen sind die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.183,63 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 960,‑‑ und Umsatzsteuer von S 565,78) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 16. 6. 1983 ereignete sich gegen 16,10 Uhr auf dem F*weg bei V* im Bereich der Ausfahrt des Campingplatzes M* ein Verkehrsunfall, an dem die damals im 11. Lebensjahr stehende Klägerin als Radfahrerin und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen K * beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges. Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrrad von der Campingplatzausfahrt in die Fahrbahn des F*weges ein, um auf diesem nach links einzubiegen; dabei wurde sie von dem auf dem F*weg für sie von links herankommenden PKW des Erstbeklagten niedergestoßen. Die Klägerin erlitt dabei schwere Verletzungen; ihr Feststellungsinteresse ist unbestritten. Gegen den Erstbeklagten wurde wegen dieses Verkehrsunfalles zu 4 U 786/83 des Bezirksgerichtes Villach ein Strafverfahren eingeleitet; es wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin die Feststellung, daß ihr die Beklagten zur ungeteilten Hand für drei Viertel aller unfallskausalen Schäden aus diesem Verkehrsunfall haften, wobei die Haftung der Zweitbeklagten mit den Versicherungssummen beschränkt sei. Den Erstbeklagten treffe ein mit drei Vierteln zu bewertendes Verschulden an diesem Verkehrsunfall, weil er den der Klägerin zukommenden Rechtsvorrang mißachtet habe und mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Jedenfalls habe der Erstbeklagte nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG beachtet. Die Klägerin treffe nur ein mit einem Viertel zu bewertendes Mitverschulden, weil sie „nicht ganz verkehrsgerecht in die Kreuzung eingefahren sei“.

Die Beklagten wendeten ein, daß die Klägerin das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil sie aus einer im Sinne des § 19 Abs. 6 StVO benachrangten Fläche ohne Beachtung des Verkehrs in die Fahrbahn des F*weges eingefahren sei und damit den dem Erstbeklagten zukommenden Vorrang verletzt habe. Der Erstbeklagte habe sich der Unfallstelle mit einer zulässigen Geschwindigkeit genähert und auf das Fehlverhalten der Klägerin ohne Verzögerung reagiert. Es treffe ihn kein Verschulden an diesem Verkehrsunfall und er habe auch im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Unfallstelle befindet sich an der Einmündung der Ausfahrt vom Campingplatz M* in den F*weg. Dieser verläuft von K* in Richtung F*straße von Nordosten nach Südwesten. In dieser Richtung gesehen beschreibt er ca. 80 m vor der Unfallstelle eine Rechtskurve, führt dann über eine Strecke von 160 m gerade weiter und geht anschließend wieder in eine Rechtskurve über. Ungefähr in der Mitte des 160 m langen geraden Straßenstückes mündet von Norden die Campingplatzausfahrt ein. Diese mit einem Schranken gesicherte Ausfahrt führt zum Zeltlagerplatz. Von Westen mündet eine weitere Ausfahrt in den F*weg ein, und zwar vom Standplatz für Wohnwagen. Zwischen den beiden Ausfahrten befindet sich die Campingplatz‑Rezeption. Der gemeinsame Einmündungstrichter der beiden Ausfahrten mißt 20 m.

Als Fixpunkt wurde die nordöstliche Ecke des Einmündungstrichters und als Bezugslinie eine dort quer zur Fahrbahn des F*weges verlaufende Gerade angenommen.

Die Fahrbahn des F*weges ist 4,10 m breit. Sie hat zuerst ein Gefälle von etwa 4 % und verflacht sich dann bis zur Bezugslinie. Im Bereich der Bezugslinie und der beiden Ausfahrten beträgt das Gefälle nur mehr 1 bis 2 %. Die von Norden her in den F*weg einmündende Ausfahrt hat 15 m nördlich des F*weges ein Gefälle von 18 % und 7 m nördlich des F*weges ein Gefälle von 12 %. Die Einmündung in den F*weg ist flach. Nordöstlich der Bezugslinie schließt an den nordwestlichen Fahrbahnrand ein 1 m breiter Bankettstreifen an, der durch einen niederen Holzzaun begrenzt ist. Dahinter stehen Fichten und Eichen.

15,5 m nordöstlich der Bezugslinie steht am rechten Fahrbahnrand in der Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen das Gefahrenzeichen „Andere Gefahren“ mit einer Zusatztafel „Campingausfahrt“. Aus der Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen ist aus einer Position 20 m nordöstlich der Bezugslinie und 1,2 m vom nordwestlichen Fahrbahnrand entfernt Sicht in die von Norden her einmündende Ausfahrt auf 3 m Tiefe gegeben. Auf Grund von Vorschriftszeichen „Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit)“ ist für den F*weg das Überschreiten einer Geschwindigkeit von 70 km/h verboten.

Zur Unfallszeit war es hell und sonnig; die Straßen waren trocken. Die Klägerin, die keine behördliche Bewilligung zur Lenkung eines Fahrrades hatte, fuhr ohne Aufsicht eines Erwachsenen auf der von Norden her in die Gemeindestraße einmündenden Campingplatzausfahrt mit einer Geschwindigkeit von mindestens 11 km/h und hatte die Absicht, nach links in den F*weg einzubiegen. Der Erstbeklagte fuhr auf dem F*weg in südwestlicher Richtung mit einer Geschwindigkeit von 57 km/h, wobei die rechte Seite seines 1,64 m breiten PKW vom rechten Fahrbahnrand ca. einen halben Meter entfernt war. 20,4 m vor dem späteren Unfallspunkt erblickte der Erstbeklagte die Klägerin, die früher für ihn nicht zu sehen war. Er reagierte sofort durch starkes Bremsen. Es wurde eine 12,1 m (bis zur Hinterachse des Autos) bzw. 10,9 m (bis zur hinteren Autobegrenzung) lange Bremsspur abgezeichnet. Im Zeitpunkt des Zusammenstoßes der rechten vorderen Autobegrenzung mit Vorderrad und Vorderradgabel des Fahrrades waren die Hinterräder des Autos am Beginn der sichtbaren Bremsspur, die sich (allerdings nur ganz geringfügig) dem rechten Fahrbahnrand näherte. Die Zusammenstoßstelle lag auf Höhe der von Norden her einmündenden Campingplatzausfahrt. Die Klägerin reagierte auf das Auto des Erstbeklagten überhaupt nicht. Für die Strecke von 20,4 m vom Erblicken der Klägerin bis zum Zusammenstoß benötigte das Auto des Erstbeklagten 1,3 Sekunden; in dieser Zeit legte die Klägerin 4 m zurück (= 11 km/h). Bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 45 km/h hätte im Unfallszeitpunkt die Geschwindigkeit des Autos des Erstbeklagten 22 km/h betragen; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h hätte der gesamte Anhalteweg bei einer Sekunde Bremseinleitungszeit 19,3 m betragen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, daß den Erstbeklagten kein Verschulden an dem Unfall treffe; er hafte auch nicht nach dem EKHG. Die Klägerin sei als von einer Grundstücksausfahrt kommend gegenüber dem Erstbeklagten gemäß § 19 Abs. 6 StVO benachrangt gewesen und habe durch ihr Linkseinbiegemanöver gegen § 19 Abs. 7 StVO verstoßen. Der Erstbeklagte habe nicht gegen § 20 Abs. 1 StVO verstoßen. Die für den Unfallsbereich zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem F*weg habe 70 km/h betragen. Mit dem von ihm eingehaltenen 20 % unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit gelegenen Fahrtempo von nur 57 km/h habe der Erstbeklagte dem Gefahrenzeichen „Andere Gefahr“ samt Zusatztafel „Campingausfahrt“ ausreichend Rechnung getragen. Im Gegensatz zum fehlerfreien Verhalten des Erstbeklagten habe die Klägerin grobe Verkehrswidrigkeiten zu verantworten, weil sie unzulässigerweise ein Fahrrad gelenkt und den Vorrang des Erstbeklagten mißachtet habe.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es feststellte, daß die Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand für ein Drittel aller Unfallschäden aus diesem Verkehrsunfall haften, wobei die Haftung der Zweitbeklagten mit den Versicherungssummen begrenzt ist. Das Mehrbegehren der Klägerin auf Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere fünf Zwölftel ihrer Schäden aus diesem Verkehrsunfall wies es ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,‑‑ übersteigt, wobei der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,‑‑ und der von der Stattgebung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000,‑‑ übersteigt.

Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, daß die von der Klägerin befahrene Campingplatzausfahrt als Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs. 6 StVO zu qualifizieren sei. Es könne daher von einem Rechtsvorrang der Klägerin keine Rede sein; vielmehr habe sie durch ihr Zuwiderhandeln gegen § 19 Abs. 7 StVO den Vorrang des Erstbeklagten verletzt.

Es habe aber auch der Erstbeklagte wegen seiner bei Annäherung an den Unfallsbereich eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 57 km/h schuldhaft zum Eintritt des Unfalles beigetragen. Da sich der Erstbeklagte bei Anfahrt zum eigentlichen Unfallsbereich auf einem wenn auch nur 4,10 m breiten, jedoch auf 160 m geraden und daher bezüglich des Gegenverkehrs hinreichend übersichtlichen Streckenteil bewegt habe, sei im Hinblick auf allfälligen Gegenverkehr eine Geschwindigkeit von 57 km/h nicht überhöht gewesen, weil sie wegen der Übersichtlichkeit dieses Streckenteiles mühelos die rechtzeitige Reaktion zur Ermöglichung einer kollisionsfreien Begegnung gestattet habe. Wesentlich sei aber der Umstand, daß durch das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO mit der die Gefahr näher bezeichnenden Zusatztafel „Campingausfahrt“ auf die Gefährlichkeit dieser wenn auch als nachrangige Verkehrsfläche erkennbaren Ausfahrt hingewiesen worden sei. Nach der Absicht des Gesetzgebers solle der Hinweis auf eine Gefahr den Straßenbenützer zu besonderer Vorsicht mahnen. Der Erstbeklagte habe daher nicht schlechthin darauf vertrauen dürfen, daß sich der Lenker eines aus dem Campingbereich an den F*weg herannahenden Fahrzeuges ohnehin verkehrsgerecht verhalten werde; gerade wegen des Hinweises auf die Gefährlichkeit der Campingausfahrt, der ansonsten, wäre der den F*weg benützende Verkehrsteilnehmer dennoch zu uneingeschränktem Vertrauen auf das vorschriftsmäßige Verhalten der vom Campingplatz kommenden Fahrzeuglenker berechtigt, keinen Sinn ergäbe, sei der Erstbeklagte zu besonders vorsichtiger Fahrweise verhalten gewesen, so nämlich, daß er einer durch ein aus der Campingausfahrt kommendes Fahrzeug geschaffenen plötzlich eintretenden Gefahrenlage Rechnung zu tragen imstande gewesen wäre. Diesem Erfordernis sei mit der Einhaltung einer Geschwindigkeit von immer noch 57 km/h keinesfalls entsprochen worden. Der Erstbeklagte hätte vielmehr ungeachtet seines an sich bestehenden Vorranges unter den für ihn vorgelegenen Umständen an die Campingausfahrt wegen deren rechtzeitig angezeigter Gefährlichkeit mit gespanntester Aufmerksamkeit, jederzeitiger Bremsbereitschaft und einer Geschwindigkeit heranzufahren gehabt, die ihm bei einer von dort ausgehenden Gefahrenlage das rechtzeitige Anhalten ermöglicht hätte. Es stehe fest, daß für den Erstbeklagten erst aus einer Distanz von 20 m vor dem Beginn des Einmündungstrichters der Campingausfahrt Sicht in diese hinein auf 3 m und damit die erste Möglichkeit der Erkennung eines von dort kommenden Fahrzeuges bestanden habe, daß ihm aber bei solcher Erkennungsmöglichkeit das Anhalten vor der Querungslinie des in den F*weg eindringenden Fahrzeuges bei einer Geschwindigkeit von 57 km/h nicht mehr möglich gewesen sei. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von bloß 40 km/h hätte hingegen sein Gesamtanhalteweg ‑ selbst bei Reaktionsdauer von einer vollen Sekunde ‑ nur 19,3 m betragen. Daraus folge, daß der Erstbeklagte, hätte er die im Hinblick auf die angekündigte Gefährlichkeit der Campingausfahrt von ihm zu fordernde besondere Vorsicht wenigstens in Form einer hinreichend reduzierten Fahrgeschwindigkeit an den Tag gelegt, durchaus in der Lage gewesen wäre, einer plötzlich eintretenden Gefahrenlage, wie sie im Anlaßfall durch die Fahrweise der Klägerin geschaffen worden sei, noch rechtzeitig durch Anhalten vor dem Beginn des Einmündungstrichters der Campingausfahrt und damit unfallverhindernd zu begegnen. Beim Fahren auf Straßen in Bereichen, die durch Gefahrenzeichen gekennzeichnet seien, komme es, was die einzuhaltende Geschwindigkeit anlange, stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Mitunter werde es hier genügen, sich zu vergewissern, ob die angekündigte Gefahr auch tatsächlich gegeben sei. Vom Hinreichen einer derartigen vorausgehenden Vergewisserung könne aber im Anlaßfall nicht gesprochen werden, weil die angezeigte Gefahr nun eben gerade in der Möglichkeit des plötzlichen Auftauchens von in die Fahrbahn eindringenden Fahrzeugen bestehe und eine rechtzeitige Wahrnehmung solcher Fahrzeuge aus größerer Entfernung wegen der vorliegenden Sichtbehinderung nicht erfolgen könne. Der Erstbeklagte wäre verpflichtet gewesen, eine solche Geschwindigkeit zu wählen, daß er sein Fahrzeug im Falle einer Gefahrensituation anhalten konnte, welcher Verpflichtung er durch die Einhaltung seiner somit überhöhten Geschwindigkeit von 57 km/h nicht entsprochen habe. Der Erstbeklagte habe damit rechnen müssen, daß sich das plötzliche Eindringen eines aus dem Campingbereich kommenden Fahrzeuges in den F*weg ereignen könne, zumal es sich wegen der bekanntermaßen erschwerten Beherrschbarkeit eines Campinggespannes (Zugfahrzeug samt Wohnwagen) durchaus ereignen könne, daß im Fall der erst spät gewonnenen Sicht auf den Querverkehr das ehestmögliche Anhalten auf kürzester Distanz nicht gelinge und ein gewisses Eindringen in die Fahrbahn des Querverkehrs stattfinde, dem im Anlaßfall bei einer Fahrbahnbreite von nur 4,1 m durch bloßes Ausweichen kaum wirksam hätte begegnet werden können.

Es müsse somit die vom Erstbeklagten bei Annäherung an den Unfallsbereich eingehaltene Geschwindigkeit von 57 km/h als der angekündigten Gefahr nicht hinreichend Rechnung tragend und daher als relativ überhöht behandelt werden. Bei einem den Umständen angepaßten Fahrtempo und entsprechend erhöhter Aufmerksamkeit hätte er hingegen den Unfall abzuwenden vermocht. Von einem Alleinverschulden der Klägerin könne daher keine Rede sein.

Bei der vorzunehmenden Verschuldensteilung sei zu erwägen, daß die Klägerin, die bei ihrem Alter noch nicht einmal zur (unbegleiteten) Lenkung eines Fahrrades befugt gewesen sei, gegen den Vorrang des Erstbeklagten verstoßen habe und trotz völlig ungenügender Sichtverhältnisse auf außerordentlich sorglose Art in die vom Erstbeklagten benützte Gemeindestraße eingefahren sei. Der Klägerin sei daher jedenfalls das überwiegende Verschulden am Eintritt des Unfalles anzulasten. Andererseits habe aber auch der Erstbeklagte durch seine der angekündigten Gefahr nicht angepaßte Geschwindigkeit erheblich zum Unfall beigetragen. Bei Gegenüberstellung des beiderseitigen Fehlverhaltens sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin angemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es in seinem klagsstattgebenden Teil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in diesem Umfang im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis teilweise berechtigt.

Mit Recht wenden sich die Beklagten gegen die Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß dem Erstbeklagten die schuldhafte Übertretung einer Straßenverkehrsvorschrift und damit ein Verschulden an diesem Verkehrsunfall anzulasten sei, weil er sich trotz des vor der Campingplatzausfahrt angebrachten Gefahrenzeichens nach § 50 Z 16 StVO der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von 57 km/h näherte.

Das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO kündigt andere als die im § 50 Z 1 bis Z 15 StVO angeführten Gefahrenstellen an. Auf einer Zusatztafel unter dem Zeichen kann die Gefahr näher bezeichnet werden; im vorliegenden Fall befand sich eine Zusatztafel mit der Aufschrift „Campingausfahrt“ unter dem Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO. Gemäß § 49 Abs 1 StVO kündigen die Gefahrenzeichen an, daß sich in der Fahrtrichtung auf der Fahrbahn Gefahrenstellen befinden. Die Lenker von Fahrzeugen haben sich in geeigneter Weise, erforderlichenfalls durch Verminderung der Geschwindigkeit, der angekündigten Gefahr entsprechend zu verhalten. Das Vorhandensein eines Gefahrenzeichens verpflichtet den Kraftfahrer zu einer erhöhten Reaktionsbereitschaft; im übrigen hat sich sein Verhalten nach den Besonderheiten der angekündigten Gefahr zu richten. Ein Gefahrenzeichen verpflichtet zur Anpassung an die angekündigte Gefahr, nicht jedoch unter allen Umständen zur Verminderung der Geschwindigkeit; diesbezüglich kommt es immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an (ZVR 1974/136; ähnlich ZVR 1979/296).

So verpflichtet etwa das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 4 StVO „Kreuzung mit Straße ohne Vorrang“ nach herrschender Rechtsprechung (ZVR 1970/110; ZVR 1971/16; ZVR 1974/7; ZVR 1979/296; ZVR 1983/247 ua.) den Vorrangberechtigten zwar zu erhöhter Aufmerksamkeit, verhält ihn aber nicht schlechthin, seine Geschwindigkeit zu vermindern, solange ein vorschriftswidriges Verhalten des benachrangten Verkehrsteilnehmers des Querverkehrs nicht zu erkennen ist. Die Begründung dafür liegt darin, daß dem Vorrangberechtigten durch das erwähnte Gefahrenzeichen auch angekündigt wird, daß die einmündenden oder querenden Straßen durch entsprechende Verkehrszeichen abgeschirmt sind und daß ihm der Vorrang zukommt; er darf daher drauf vertrauen, daß andere Fahrzeuglenker den ihm zukommenden Vorrang respektieren und ihrer Wartepflicht nachkommen, solange nicht ein vorschriftswidriges Verhalten solcher Fahrzeuglenker für ihn erkennbar ist.

Die gleichen Überlegungen müssen aber auch im vorliegenden Fall gelten, in dem dem Erstbeklagten durch die Zusatztafel „Campingausfahrt“ angezeigt wurde, daß sich das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO auf die Einmündung der Ausfahrt eines Campingplatzes, also auf eine Grundstücksausfahrt im Sinne des § 19 Abs. 6 StVO, bezog. Dadurch war auch für den Erstbeklagten eindeutig klargestellt, daß er sich der Einmündung einer im Sinne des § 19 Abs. 6 StVO benachrangten Verkehrsfläche näherte. Auch er durfte daher bis zur Wahrnehmung des Gegenteils darauf vertrauen, daß aus dieser Verkehrsfläche kommende Verkehrsteilnehmer ihrer Wartepflicht ihm gegenüber genügen würden. Zur Herabsetzung seiner ansonsten zulässigen Fahrgeschwindigkeit von 57 km/h war der Erstbeklagte wegen dieses Gefahrenzeichens unter diesen Umständen nicht verpflichtet. Er hatte aber mit erhöhter Reaktionsbereitschaft zu fahren, den Bereich der Campingplatzausfahrt sorgfältig zu beobachten und auf ein erkennbares verkehrswidriges Verhalten eines von dort in die Fahrbahn des F*weges eindringenden Verkehrsteilnehmers sofort zu reagieren. Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsmeinung, daß der Erstbeklagte sich auf Grund des Gefahrenzeichens nach § 50 Z 16 StVO nur mit einer solchen Geschwindigkeit der Campingplatzausfahrt hätte nähern dürfen, daß er einem allfälligen verkehrswidrigen Verhalten für ihn noch gar nicht wahrnehmbarer benachrangter Verkehrsteilnehmer Rechnung hätte tragen können, würde zu einer Umkehrung der Vorrangregelung führen; derartiges läßt sich aber aus einem Gefahrenzeichen nicht ableiten.

Den aufgezeigten Verpflichtungen ist der Erstbeklagte nach den Feststellungen der Vorinstanzen nachgekommen. Eine schuldhafte Übertretung von Verkehrsvorschriften und damit ein Verschulden an diesem Verkehrsunfall ist ihm unter diesen Umständen nicht anzulasten.

Damit ist aber den Beklagten der ihnen im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG obliegende Entlastungsbeweis noch nicht gelungen.

Es handelt sich nämlich im vorliegenden Fall nicht um einen nach § 11 Abs. 1 EKHG zu beurteilenden Ausgleichsanspruch zwischen Beteiligten, sondern um ein nach § 7 Abs. 1 EKHG zu beurteilenden Ersatzanspruch eines Dritten (siehe dazu MGA EKHG4 § 7 Anm. 1 und 2, § 8 Anm. 2 und § 11 Anm. 2).

Gemäß § 9 Abs. 1 EKHG ist die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG setzt voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätige Person jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers heranzuziehen. Die erhöhte Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzestelle geht über die bloße Verpflichtung zur Beachtung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen hinaus (ZVR 1966/246; 1 Ob 246/72; 8 Ob 28/84). Sie setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß auch schon vorher vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (ZVR 1980/225; 8 Ob 21/81; 8 Ob 188/83; 8 Ob 28/84 ua.). Allerdings darf diese Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden (2 Ob 357/74; 8 Ob 12/83; 8 Ob 188/83; 8 Ob 28/84 ua.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist den Beklagten der ihnen obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen. Denn ein besonders umsichtiger und sachkundiger Kraftfahrer hätte ohne jede Überspannung seiner Sorgfaltspflicht der durch das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 16 StVO angekündigten Gefahr und der Möglichkeit, daß aus der kaum einsehbaren Campingplatzausfahrt andere Verkehrsteilnehmer auf die Fahrbahn des F*weges gelangen konnten, durch weitere und ausreichende Herabsetzung seiner Fahrgeschwindigkeit Rechnung getragen, bevor noch ein derartiges Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer für ihn erkennbar gewesen wäre, auch wenn er auf Grund dieses Verkehrszeichens dazu nicht verpflichtet war. Da demnach der Erstbeklagte durch seine Fahrweise zwar nicht gegen eine ausdrückliche Verkehrsvorschrift verstieß, aber eine bei äußerster Sorgfalt ohne weiteres vermeidbare Gefahrenlage herbeiführte, kann nicht davon gesprochen werden, daß er im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hätte.

Es haften daher der Erstbeklagte als Halter seines PKW und die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges gemäß § 63 Abs. 1 KFG nach den Bestimmungen des EKHG (und damit nur im Rahmen der in diesem Gesetz normierten Haftungshöchstbeträge) für die Folgen der Verletzung der Klägerin, wobei im Sinne des § 7 Abs. 1 EKHG das Verschulden der Klägerin zu berücksichtigen ist.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß die Grundsätze des § 1304 ABGB auch bei Zusammentreffen von Verschuldens- und Gefährdungshaftung anzuwenden sind (ZVR 1977/211; ZVR 1978/232; 8 Ob 289/82; ZVR 1984/332 ua.). Das Verschulden der Klägerin liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, in einer groben Verletzung des dem Erstbeklagten im Sinne des § 19 Abs. 6 StVO zukommenden Vorranges; auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß sich die Klägerin zur Unfallszeit erst im 11. Lebensjahr befand, muß ihr eine derart krasse Verletzung einer grundlegenden Verkehrsvorschrift als schwerwiegendes Verschulden angelastet werden. Dieses schuldhafte Fehlverhalten der Klägerin überwiegt zwar seinem Gewicht nach die den Beklagten zuzurechnende Betriebsgefahr des PKW des Erstbeklagten bei weitem, jedoch nicht in einem solchen Ausmaß, daß es gerechtfertigt erschiene, diese Betriebsgefahr als Zurechnungskriterium überhaupt zu vernachlässigen. Es erscheint vielmehr nach den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen unter Bedachtnahme darauf, daß nach ständiger Rechtsprechung das Verschulden unmündiger Minderjähriger in der Regel milder zu beurteilen ist (ZVR 1982/104; ZVR 1983/215; ZVR 1984/203 uva.), die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt; allerdings ist die Schadenspflicht der Beklagten mit den im EKHG normierten Haftungshöchstbeträgen zu begrenzen.

In diesem Sinne waren in teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 43 Abs. 1 und Abs. 2, 50 ZPO. Der von den Beklagten im Revisionsverfahren erzielte Erfolg ist als so geringfügig zu bewerten, daß er weder eine inhaltliche Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens noch eine Kürzung der der Klägerin für ihre Revisionsbeantwortung zuzusprechenden tarifmäßigen Kosten rechtfertigt.

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