European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00058.850.0918.000
Spruch:
Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.723,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 29. 10. 1979 ereignete sich gegen 2 Uhr morgens am Hauptbahnhof Villach ein Unfall, bei dem der Kläger als Fahrgast des Expreßzuges 232 der Beklagten schwer verletzt wurde.
Der Kläger begehrte aus dem Titel des Schadenersatzes aus diesem Unfall von der Beklagten die Bezahlung eines Schmerzengeldes von 250.000 S samt Anhang sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Kosten, die ihm aus einer Vermehrung seiner Bedürfnisse auf Grund des gegenständlichen Unfalles entstünden. Er sei von Venedig nach Wien gefahren. Während des Aufenthaltes im Bahnhof Villach habe er auf dem Bahnsteig eine Flasche mit Wasser gefüllt. Als er wieder in den stehenden Zug habe einsteigen wollen, habe sich die Wagentüre geschlossen und sei er vom Trittbrett gefallen, wodurch er schwer verletzt worden sei.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Unfall auf das Alleinverschulden des Klägers zurückzuführen sei und ihre Organe alle erdenkliche Sorgfalt aufgewendet hätten. Der Kläger sei nämlich nach Schließen der Waggontüre durch den Schaffner und Abgabe des Abfahrtssignales auf den bereits fahrenden Zug aufgesprungen und dann vom Trittbrett gerutscht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es als Teil‑ und Zwischenurteil ‑ in seiner mit Beschluß vom 30. 7. 1985 berichtigten Fassung ‑ 1.) die Haftung der Beklagten unter Bedachtnahme auf die nach § 15 Abs. 1 Z 1 EKHG zur Unfallszeit geltenden Haftungshöchstbeträge für den Ersatz von 25 % aller Kosten des Klägers, die ihm aus einer Vermehrung seiner Bedürfnisse auf Grund der bei dem gegenständlichen Unfall erlittenen Verletzungen in Hinkunft entstehen, feststellte (Punkt 1.), das Feststellungsmehrbegehren im Ausmaß von 75 % abwies (Punkt 2.), 3.) die eingeklagte Forderung von 250.000,‑ ‑ S samt Anhang dem Grunde nach mit 25 % als zu Recht bestehend und mit 75 % als nicht zu Recht bestehend erkannte und schließlich aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 300.000 S übersteigt.
Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revisionen beider Teile.
Die Beklagte bekämpft das Urteil in seinem klagsstattgebenden Teil aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers hingegen richtet sich gegen den sein Klagebegehren abweisenden Teil des Urteiles des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Stattgebung sowohl des Leistungs‑ als auch des Feststellungsbegehrens abzuändern; hilfsweise wird (wohl im Rahmen der Anfechtung) ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers keine Folge zu geben, hilfsweise sie zu verwerfen.
Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren der Beklagten nicht beteiligt.
Beiden Revisionen kommt keine Berechtigung zu.
Die vom Berufungsgericht nach teilweiser Beweiswiederholung über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Kläger fuhr in der Nacht auf den 29. 10. 1979 im Waggon Nr. 395 des Expreßzuges 232 von Venedig nach Wien. Um 1,36 Uhr kam der Zug mit 43 Minuten Verspätung auf dem Hauptbahnhof Villach an. Der planmäßige Aufenthalt in Villach hätte 22 oder 24 Minuten gedauert. Ab Villach bestand der Zug aus 12 je 26,4 m langen Reisezugwaggons und einem etwas kürzeren Gepäckwaggon unmittelbar hinter dem Triebfahrzeug. Der vom Kläger benützte Waggon war von vorn der siebente. Bereichsschaffner war Franz T*****, Josef K***** war Schlußschaffner. Kurz vor Ende des tatsächlichen 15‑minütigen Aufenthaltes in Villach gingen die beiden Schaffner den Zug jeweils von der Zugmitte aus ab, und zwar Franz T***** nach vorn, Josef K***** nach hinten; dabei schlossen sie händisch die offenen Türen, weil die Türautomatik nicht eingeschaltet war. Der erste Waggon, den Franz T***** abzugehen hatte, war der Waggon Nr. 395. Nachdem bereits die Türen an diesem Waggon geschlossen waren, öffnete der Kläger eine Tür, weil er mit einer Bierflasche von einem unmittelbar gegenüber dem Ausstieg auf dem Bahnsteig befindlichen Wasserauslaß Wasser holen wollte. Er sah niemanden auf dem Bahnsteig, stieg aus, begab sich zu dem ca. 4 m von der Bahnsteigkante entfernten Brunnen, drehte das Wasser auf, füllte die leere Bierflasche mit Wasser, spülte sie aus, schüttete dieses Wasser aus und füllte die Bierflasche neuerlich nicht ganz voll an. Während dessen setzte sich der Zug, ohne daß dessen Abfahrt angesagt oder sonst ein akustisches Warnsignal gegeben worden wäre, in Bewegung. Der Kläger fand die Tür noch offen ‑ wie weit er sie geöffnet hatte, ist nicht feststellbar ‑ und versuchte, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Da er durch die Bierflasche gehindert war, rutschte er infolge im einzelnen nicht mehr rekonstruierbarer Umstände vom Trittbrett ab und kam unter die Räder des folgenden Waggons. Hiebei wurde ihm das rechte Bein (Ober‑ und Unterschenkel) abgetrennt. Josef K***** hatte am hinteren Zugsteil 3 bis 4 Türen zu schließen und mußte, am Zugsende angekommen, nachdem er den letzten Waggon bestiegen hatte, mit einem Vierkantschlüssel die Stirntüre verschließen, weil im Hauptbahnhof Villach ein Waggon abgekoppelt worden war. Nach dieser Tätigkeit hatte er den Waggon wieder verlassen, sich neben das Trittbrett gestellt, ohne sich vom Waggon zu entfernen, und, weil er keine Auffälligkeiten bemerkte, T***** ein Lichtzeichen gegeben. Franz T***** hatte sich mit rascherer Gehgeschwindigkeit Richtung Zugspitze begeben und hiebei mehrere Türen zu schließen. Er blieb beim letzten Kurswagen, dem vierten Waggon von vorne, stehen und trat etwa 2 1/2 m von der Bahnsteigkante zurück, um zu K***** zu sehen, weil der Bahnsteig an dieser Stelle bereits eine Krümmung hat. Er gab das von K***** erhaltene Signal, an den noch zwei Waggons weiter vorn stehenden Fahrdienstleiter weiter, der dem Lokführer das Abfahrtssignal gab. T***** verließ seine Stellung erst, als er bemerkte, daß der Zug anzog und stieg dann ein. Auch T***** hatte keine Auffälligkeiten und insbesondere keinen offenen Einstieg wahrgenommen, auch nicht den vom Kläger benützten und möglicherweise nur teilweise geöffneten Einstieg am Waggon Nr. 395. Als der Zug schon angefahren war und K***** auf dem letzten Trittbrett stand, sah er, wie sich in der Nähe der Verschieberunterkunft eine Person zu einem Waggon hinbewegte; sie ist fast gelaufen und hat sich in Fahrtrichtung des Zuges schräg zum Waggon bewegt. Hiebei handelte es sich um den Kläger. Josef K***** gab sogleich ein Haltesignal und der Zug kam infolge einer Notbremsung nach einigen Waggonlängen Fahrt zum Stehen. Der Kläger war aber schon, wie bereits erwähnt, vom Trittbrett gerutscht und verletzt worden. Während bei eingeschalteter Automatik bei Waggons von der Type des vom Kläger benützten Waggons die Tür nach Betätigung der Türschnalle zur Gänze öffnet, wobei sie ca. 10 cm über die Wagenflucht vorsteht, bleibt sie bei ausgeschalteter Automatik in jeder Stellung stehen. Sie ist relativ schwergängig. Es ist auszuschließen, daß eine zur Gänze oder auch nur teilweise geöffnete Tür durch das bloße Anfahren des Zuges, auch bei größerer Beschleunigung, sich von selbst schließt. Wenn die Tür etwa zu zwei Drittel geschlossen ist, schwenkt das Trittbrett langsam nach oben. Steht man auf dem Trittbrett, ist die Türe trotzdem zu schließen und das Trittbrett bleibt unten. Das daneben befindliche Verschiebertrittbrett ist fix.
Das Erstgericht lastete dem Kläger ‑ von anderen Feststellungen über den Unfallshergang ausgehend ‑ das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls an und verneinte auch die Außerachtlassung der nach dem EKHG gebotenen besonderen Sorgfalt seitens eines Bediensteten der Beklagten und gelangte damit zur Abweisung des Klagebegehrens.
Bei der rechtlichen Beurteilung des vom Berufungsgericht selbst festgestellten Sachverhaltes ging dieses davon aus, daß die Beklagte nach § 5 Abs. 1 EKHG für die Unfallsfolgen hafte und sie sich davon nur durch den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 9 EKHG befreien könne. Als unabwendbar gelte ein Ereignis nur dann, wenn sowohl der Betriebsunternehmer oder Halter als auch die mit Willen des Betriebsunternehmers oder Haltes beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtet haben. Ein unabwendbares Ereignis ist ein auch bei Anwendung äußerster, nach den Umständen möglicher Sorgfalt unvermeidbares Geschehen; es liege dann vor, wenn es trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden könne (MGA, EKHG 4 , § 9/8, 9). Die Sorgfalt, deren Außerachtlassung dem Betriebsunternehmer oder Halter der Rechtswohltat der Haftungsbefreiung verlustig gehen ließe, sei nicht die normale Verkehrssorgfalt, sondern umfasse vielmehr eine besonders weitgehende Sorgfalt, bei deren Beobachtung der Unfall auch nicht vermieden werden könne. Zur Führung des Entlastungsbeweises genüge es nicht, wenn dargetan sei, daß den Betriebsunternehmer, Halter oder eine beim Betrieb tätige Person kein Verschulden trifft (MGA, EKHG 4 , § 9/61, 62). Die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Zuges sei weder durch eine Lautsprecheransage noch sonst durch ein akustisches Warnsignal angezeigt worden. Beachte man ferner, daß der Zug Verspätung gehabt habe, seine Abfahrt also auf Grund des Fahrplanes von einem Fahrgast nicht exakt habe festgestellt werden können, und die Türautomatik nicht in Tätigkeit gewesen sei, eine Tür also auch nach ihrem ordnungsgemäßen Verschließen durch den Schaffner von einem Fahrgast wieder habe geöffnet werden können, habe die Beklagte nicht jede erdenkliche Sorgfalt im oben genannten Sinn, durch welche der Unfall hätte verhindert werden können, angewendet. Ein Nachweis, daß alle Einstiege, insbesondere auch die zum Waggon Nr. 395, unmittelbar vor der Abfahrt des Zuges ordnungsgemäß verschlossen gewesen wären, sei der Beklagte infolge des oben geschilderten zeitlichen Ablaufes nicht gelungen, wonach es auszuschließen ist, daß die Waggontüren erst nach dem Verlassen des Waggons Nr. 395 durch den Kläger vom Schaffner verschlossen worden wären. Mangels exakter Feststellbarkeit der Sichtmöglichkeiten, insbesondere unter Bedachtnahme darauf, daß der vom Kläger benützte Einstieg möglicherweise nur teilweise geöffnet gewesen sei, könne den beiden Schaffnern ein Verschulden allerdings nicht vorgeworfen werden; hierauf kommt es aber nicht entscheidend an. Der Halterhaftung der beklagten Partei gegenüber stehe das Verschulden des Klägers, das als durchaus schwerwiegend zu bezeichnen sei. Der Kläger habe schon dadurch, daß er nach einem längeren Zugaufenthalt ohne exakte Feststellbarkeit der Zugsabfahrt nochmals den Waggon verließ, ein äußerst leichtsinniges Verhalten an den Tag gelegt. Auch der Umstand, daß er niemanden mehr auf dem Bahnsteig wahrgenommen habe, hätte ihn eine baldige Zugsabfahrt zumindest vermuten lassen müssen. Schließlich habe er unter grober Verletzung der Bestimmung des § 44 Abs. 3 Eisenbahngesetz versucht, auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen. Es liege daher ein nach § 7 EKHG zu beurteilendes Zusammentreffen von Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung vor, für welches die Grundsätze des § 1304 ABGB anzuwenden seien, wobei eine Schadensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Klägers gerechtfertigt sei. Da allein schon im Hinblick auf die Dauerfolgen das Feststellungsbegehren berechtigt sei, das Leistungsbegehren jedoch mangels Aufnahme entsprechender Beweise noch nicht spruchreif sei, habe das erstgerichtliche Urteil im Sinne des Ausspruchs der Haftung der Beklagten für 25 % der künftigen Schäden des Klägers und im Sinne des Zwischenurteiles über den Grund des Anspruches bei Abweisung des Mehrbegehrens abgeändert werden müssen.
Während die Beklagte demgegenüber in ihrer Revision weiterhin den Standpunkt vertritt, sie treffe überhaupt keine Haftung für die Unfallsfolgen des Klägers, meint der Kläger in seiner Revision, daß ihn an dem Unfall kein Mitverschulden treffe.
1.) Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagte wendet sich in erster Linie gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, ihre Bediensteten hätten nicht jede erdenkliche Sorgfalt angewendet, weil die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Zuges weder durch eine Lautsprecheransage noch sonst durch ein akustisches Warnsignal angezeigt worden sei und weil ihr der Nachweis, daß der unfallsgegenständliche Waggon ordnungsgemäß verschlossen gewesen sei, nicht gelungen sei. Sie und ihre Bediensteten hätten vielmehr jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet. Selbst wenn hier ein sehr strenger Maßstab anzulegen sei, so müsse sich diese Sorgfaltspflicht doch an den sich nach den Umständen des Falles jeweils ergebenden Möglichkeiten orientieren. Die Nichtankündigung der Zugabfahrt könne ihr und ihren Bediensteten nicht angelastet werden, weil zufolge einer generellen Regelung (Zusatzbestimmungen zur Signal‑ und Betriebsvorschrift) die Durchsage in Bahnhöfen im Hinblick auf das Interesse der Anrainer auf ungestörte Nachtruhe auf die Zeit zwischen 6 und 22 Uhr beschränkt sei. Da die Frequenz an Reisenden zur Nachtzeit wesentlich geringer als bei Tag sei und jeder Reisende die Möglichkeit habe, Ankunfts‑ und Abfahrtszeiten sowie Verspätungen an Ankündigungstafeln abzulesen oder beim Bahnpersonal darüber nachzufragen, seien nachträgliche Lautsprecherdurchsagen oder andere akustische Signale entbehrlich. Eine Interessenabwägung fiele daher zugunsten des Schutzbedürfnisses der Anrainer aus. Würden dennoch solche Lautsprecherdurchsagen oder andere akustische Ankündigungen verlangt, so hieße dies, die Sorgfaltspflicht des Eisenbahnunternehmers zu Lasten der Anrainer von Bahnhöfen kraß überspannen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Zutreffend ist das Berufungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes davon ausgegangen, daß von der Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG nur dann gesprochen werden kann, wenn sowohl der Betriebsunternehmer (oder Halter) als auch die mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben, und daß diese Sorgfaltspflicht die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt umfaßt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines sachkundigen und besonders umsichtigen Fachmannes heranzuziehen, wobei an diese Sorgfaltspflicht nicht billige, sondern strengste Anforderungen zu stellen sind (ZVR 1960/322; ZVR 1971/179 ua). Richtig ist wohl, daß diese Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf, um nicht eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung zu bewirken (ZVR 1984/150). Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 EKHG dürfen somit an den Betriebsunternehmer einer Eisenbahn und dessen Bedienstete keine unzumutbaren, praktisch unmöglichen Anforderungen gestellt werden (in diesem Sinne schon die unveröffentlichte Entscheidung des OGH vom 16. 9. 1980, 2 Ob 99/80). Wesentlich ist weiters, daß diese erhöhte Sorgfaltspflicht nicht erst in der Gefahrenlage einsetzt, sie verlangt vielmehr, daß von vornherein das Entstehen einer Gefahrenlage vermieden wird (ZVR 1974/190; ZVR 1977/306; ZVR 1978/135; ZVR 1984/240 und 332 ua). Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zeigt, daß der vom Berufungsgericht als erforderlich erachtete ausdrückliche Hinweis an die Reisenden, daß die Abfahrt des Zuges unmittelbar bevorsteht, an die Beklagte und deren Bedienstete keine praktisch unmöglichen, unzumutbaren Anforderungen stellt. Wenn ein Zug Verspätung hat und deshalb die fahrplanmäßige Dauer des Aufenthaltes in Bahnhöfen ‑ ohne Ankündigung ‑ verkürzt wird, ist es zur Information der Fahrgäste unerläßlich, die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Zuges in geeigneter Form anzukündigen. Ob dies in Form einer ‑ im Hinblick auf die Nachtzeit allenfalls in ihrer Lautstärke verminderten ‑ Durchsage über Lautsprecher durch ein anderes akustisches Signal, oder etwa nur durch ein optisches Signal zu erfolgen hätte, kann ‑ als von den Umständen des Einzelfalles abhängig ‑ dahingestellt bleiben. Das Verlangen der Anrainer nach ungestörter Nachtruhe muß gegenüber den Erfordernissen der Sicherheit der Fahrgäste jedenfalls dann in den Hintergrund treten, wenn ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ die dem Fahrplan zu entnehmenden Daten den Reisenden keine hinreichende Information über die genaue Abfahrtszeit bieten und die Waggontüren auch nach deren Schließung durch den Schaffner von Fahrgästen ohne Schwierigkeiten ‑ vom Schaffner unbemerkt ‑ wieder geöffnet werden können. Daß Ankunfts‑ und Abfahrtszeiten allenfalls auf einer Tafel angekündigt werden oder vom Schaffner erfragt werden können, reicht ‑ ganz abgesehen davon, daß die Beklagte im Verfahren erster Instanz dazu gar kein Vorbringen erstattet hat ‑ zur Information der den Zug bereits benützenden Fahrgäste im allgemeinen nicht aus, weil solche Ankündigungstafeln vom Zug aus erfahrungsgemäß ‑ wenn überhaupt ‑ so doch nur schwer wahrnehmbar sind und das für solche Auskünfte zuständige Bahnpersonal ‑ der gegenständliche Zug wurde nur von zwei Schaffnern betreut ‑ den Reisenden nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung steht. Wenn unter den gegebenen Umständen von der Beklagten eine entsprechende Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Abfahrt des Zuges verlangt wird, so kann von einer Überspannung der der Beklagten oder ihren Bediensteten obliegenden besonderen Sorgfaltspflicht keine Rede sein. In der Ablehnung der Annahme eines unabwendbaren Ereignisses durch das Berufungsgericht ist somit kein Rechtsirrtum zu erblicken.
Wenn die Revisionswerberin unter Hinweis auf die im Zivilrecht zur Begrenzung der Schadenszurechnung herangezogene Adäquanzlehre meint, das teilweise Offenstehen der Waggontüre sei für den Unfall nicht kausal gewesen, weil sich der Unfall beim Aufspringen auf den fahrenden Zug ereignet habe, und sie schließlich den Standpunkt vertritt, das Aufspringen stelle ein derart grenzenlos leichtsinniges und lebensgefährliches Verhalten dar, das außerhalb jeder mit Vernunft noch faßbaren Wahrscheinlichkeit liege, so ist ihr folgendes zu entgegnen:
Die vorerst aufgeworfene Frage der Erheblichkeit des Umstandes, ob die vom Kläger benützte Waggontür vom Bereichsschaffner vor oder nach dem zum Zwecke des Wasserholens erfolgten Aussteigen des Klägers geschlossen wurde, ist im vorliegenden Fall nicht unter dem Gesichtspunkt der Verursachung des eingetretenen Schadens bedeutsam, sie wurde vom Berufungsgericht vielmehr ua für die Ablehnung der Annahme eines unabwendbaren Ereignisses als bedeutsam erachtet. Dem Gericht zweiter Instanz ist insofern zuzustimmen, als ein Schließen der Waggontür durch den Schaffner während des Aufenthaltes des Klägers am Bahnsteig diesen auch auf die, wenngleich nicht unmittelbar, so doch kurz bevorstehende Abfahrt des Zuges aufmerksam gemacht und ihn sicherlich bewogen hätte, unverzüglich wieder einzusteigen. Von wesentlicher Bedeutung sowohl für die Frage der Zurechenbarkeit eines für den eingetretenen Erfolg bedeutsamen Verhaltens der Bediensteten der Beklagten im Sinne der Adäquanz, als auch für die Frage, ob die Beklagte und deren Personal jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt aufgewendet haben (§ 9 Abs. 2 EKHG), ist jedoch der Umstand, daß die Beklagte es trotz der bereits erwähnten, vom Fahrplan abweichenden Umständen unterlassen hat, auf geeignete Weise die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Zuges anzukündigen. Daß diese Unterlassung kausal und der Beklagten schadenersatzrechtlich zurechenbar ist, kann ernstlich nicht in Zweifel gezogen werden, weil einerseits ein Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende Abfahrt des Zuges den Kläger nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zum Einsteigen bewogen hätte und dann ein Aufspringen auf den Zug nicht mehr in Frage gekommen wäre und damit der Unfall vermieden worden wäre und anderseits ein solcher Hinweis der Beklagten und ihren Bediensteten durchaus auch möglich gewesen wäre (vgl. Koziol , Haftpflichtrecht I 2 60). Das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG wurde bereits dargetan.
Was die von der Revisionswerberin vorgenommene Einschätzung des Aufspringens auf einen anfahrenden Zug anlangt, so ist ihr in Ansehung dessen Gefährlichkeit wohl zuzustimmen, nicht jedoch wenn sie meint, daß ein solches Verhalten außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege. Einem Fahrgast, der sein Reisegepäck ‑ allenfalls auch seine Dokumente ‑ im Waggon hat, ist durchaus zusinnbar, daß er den Versuch unternimmt, den erst anrollenden Zug doch noch zu erreichen und er dabei die mit einem solchen Versuch verbundenen Gefahren und seine körperlichen Fähigkeiten nicht richtig einschätzt. Gerade das Bestehen eines diesbezüglichen Verbotsgesetzes (§ 44 Abs 3 EisbG) und der entsprechenden Strafbestimmung (§ 54 Abs 1 EisbG) zeigt, daß der Gesetzgeber mit solchen Verhaltensweisen rechnet und deren Pönalisierung für notwendig erachtet, um die damit verbundenen Gefahren zu minimieren. Die Bejahung einer Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen durch das Gericht zweiter Instanz entspricht daher der Sach‑ und Rechtslage.
„Hilfsweise“ führt die Beklagte ihre Revision noch hinsichtlich der vom Berufungsgericht vorgenommenen Schadensteilung dahin aus, daß eine solche ‑ wenn überhaupt ‑ im Hinblick auf das krasse Fehlverhalten des Klägers bloß im Verhältnis 10 : 1 zu dessen Lasten ausfallen könne. Auch hier kann der Revisionswerberin nicht gefolgt werden. Treffen Verschuldenshaftung einerseits und Gefährdungshaftung anderseits zusammen, so ist bei der hier gemäß § 7 EKHG unter Anwendung des § 1304 ABGB vorzunehmenden Abwägung das Verschulden des Klägers der Stärke der auf Seiten der Beklagten maßgeblichen Zurechnungsgründe gegenüberzustellen (vgl. Koziol , aaO 244). Ausgehend von der Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte, selbstgefährdende Verhalten des Klägers aber auch durch die mangelnde Information der Fahrgäste durch die Beklagte trotz der mit der Verspätung des Zuges und der unbekannt gebliebenen Verkürzung des Aufenthaltes im Bahnhof entstandenen Unsicherheit im allgemeinen und im konkreten Fall bewirkten Gefahr und die Eignung der beiderseitigen Fehlverhalten zur Schadensherbeiführung ist das Berufungsgericht mit Recht zu einem deutlichen Überwiegen der den Kläger belastenden Momente gelangt. Bedenkt man, daß die den Unfallshergang einleitende, zur Haftung der Beklagten aus der von ihr zu vertretenden Betriebsgefahr führende Unterlassung organisatorischer Maßnahmen zur Abwicklung des Zugsverkehrs der Beklagten anzulasten ist, so kann doch nicht gesagt werden, daß der darin liegende Haftungsgrund gegenüber dem Wohl in einer Art Paniksituation unternommenen Versuch, den Zug doch nicht davonzufahren zu lassen und dem damit verbundenen weiteren Fehlverhalten des Klägers derart in den Hintergrund tritt, daß die von der Beklagten angestrebte Schadensteilung angemessen erschiene.
Da das Berufungsgericht der in der Revision auch noch vorgetragenen, die aus § 15 EKHG sich ergebende Haftungsbeschränkung betreffenden Rüge bereits durch seinen Berichtigungsbeschluß Rechnung getragen hat, erweist sich die Revision der Beklagten als nicht berechtigt, weshalb ihr der Erfolg versagt werden mußte.
2.) Zur Revision des Klägers:
In seiner Rechtsrüge wiederholt der Kläger vorerst seinen Standpunkt, daß ihn an dem Unfall kein Verschulden treffe. Unter Bedachtnahme auf alle Umstände, die die Beklagte in diesem Fall gegen sich gelten lassen müsse, sei die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung unrichtig. Da er die dem vorliegenden Fall entsprechende Schadensteilung selbst nicht hinlänglich richtig beurteilen könne, müsse er vorsorglich die Annahme eines ihn treffenden Mitverschuldens zur Gänze bekämpfen.
Da dem Kläger ein schuldhafter Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB zur Last liegt und er den ihm damit obliegenden Beweis, daß der Schaden auch ohne sein rechtswidriges Verhalten eingetreten wäre (SZ 41/43; ZVR 1972/50, 138, 154; SZ 45/32; SZ 51/109 und 188 uva), nicht angetreten hat und auch nicht hätte erbringen können, mußte das Berufungsgericht gemäß § 7 Abs. 1 EKHG die Bestimmung des § 1304 ABGB anwenden. Was die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung selbst anlangt, so fällt vor allem ins Gewicht, daß dem Kläger als Pensionist der Beklagten die mit dem Aufspringen auf einen fahrenden Zug verbundenen gefahren im besonderen Maße bekannt sein mußten und er sich anderseits um sein im Waggon zurückbleibendes Reisegepäck keine Sorgen machen mußte, weil dieses ja nicht unbeaufsichtigt geblieben war. Berücksichtigt man weiters, daß der Kläger jedenfalls nach Schließung der Türe durch den Schaffner ausgestiegen ist, die mit dem unangekündigten Anfahren des Zuges verbundene Bestürzung aber doch nicht unterschätzt werden darf, so erscheint die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung sowohl dem Verschulden des Klägers als auch den die Beklagte treffenden Zurechnungsgründen angemessen.
Es konnte daher auch der Revision des Klägers kein Erfolg beschieden sein.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO.
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