Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und widerbeklagte Partei hat der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 514,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 30.Jänner 1960 vor dem Standesamt Innsbruck die Ehe geschlossen, aus der die Kinder Markus, geboren am 8. Juni 1966, und Günther, geboren am 19.August 1968, stammen. Der Kläger und Widerbeklagte (in der Folge: Kläger) begehrte mit der am 9.Juli 1985 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten und Widerklägerin (in der Folge: Beklagte). Diese verweigere ihm seit Jahren den Geschlechtsverkehr, habe zu ihm gesagt "Greif mich nicht an, mir graust vor Dir", habe eines der Ehebetten auf den Dachboden gestellt, habe dem Kläger den Zutritt zum Schlafzimmer verweigert und sei öfters allein auf Urlaub gefahren.
Die Beklagte begehrt mit der am 18.Juli 1985 überreichten Widerklage die Scheidung aus dem Verschulden des Klägers, der wiederholt die Ehe gebrochen, stark dem Alkohol zugesprochen und sich nicht gewaschen habe. Er sei wiederholt nicht nach Hause gekommen und habe sich im Sommer 1985 überhaupt von seiner Familie getrennt.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden des Mannes und wies das Begehren, ein Verschulden der Frau festzustellen, ab.
Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Im Jahr 1964 suchte der Kläger mit einer anderen Frau, die er als seine Frau vorstellte, eine Wohnung anzumieten. Nachdem die Beklagte dies entdeckte, ließ er davon ab. Die Beklagte ließ den Vorfall auf sich beruhen. Als sie im Jahre 1966 nach einer Geburt vom Krankenhaus nach Hause kam, fand sie auf dem Leintuch im Ehebett Samenflecken. Der Kläger erklärte, es sei ihm "etwas passiert". Die Beklagte verzichtete auf weitere Erörterungen. Es konnte nicht festgestellt werden, wie es zu den Samenflecken gekommen war. Die Parteien setzten ihre Ehe fort, die bis zum Jahre 1979 im wesentlichen gut verlief. Im Fasching 1979 kam es erstmals zu ernsthaften Auseinandersetzungen. Die Beklagte hatte einen gemeinsam mit dem Kläger besuchten Ball für ein bis eineinhalb Stunden verlassen, um sich an der frischen Luft zu erholen und mit zwei Bekannten eine Autofahrt in den benachbarten Ort zu unternehmen. Der Kläger machte ihr deswegen Vorwürfe. Es entwickelte sich ein Streit, in dessen Verlauf die Beklagte dem Kläger erwiderte, er halte sich auch des öfteren abends auswärts auf, darüberhinaus wasche er sich zu selten und es grause ihr vor ihm. Dies nahm der Kläger zu Anlaß, aus dem Schlafzimmer auszuziehen und im Wohnzimmer zu schlafen. Ein weiterer Grund für dieses Verhalten war aber auch, daß es ihm im Schlafzimmer zu kalt war. Bis September 1979 kam es dennoch wiederholt zu geschlechtlichen Beziehungen. Der Kläger wandte sich dann aber von der Beklagten ab und erklärte auf ihre Frage, er wolle "keinen Kochlöffel als Verstärker", was die Beklagte kränkte, da sie die Bemerkung dahin verstand, daß der Kläger von ihr nichts mehr wissen wolle. Keiner von beiden suchte daraufhin weitere geschlechtliche Kontakte mit dem anderen. Als ein Sohn der Parteien eine Matratze benötigte, entfernte die Beklagte die früher vom Kläger benützte Hälfte des Ehebettes und der Kläger half mit, aus der Matratze ein Bett für den Sohn zu machen. Im Jahre 1983 nahm der Kläger enge Beziehungen zu Maria V***, die ihm auch ihre Liebe beteuerte, auf. Nachdem diese Frau ihr Verhältnis mit dem Kläger ihrem Ehemann eingestanden hatte, setzte dieser die Beklagte hievon telefonisch in Kenntnis. Als die Beklagte den Kläger deswegen zur Rede stellte, forderte sie der Kläger auf, zu verschwinden, sie fresse ohnehin schon 20 Jahre aus seinem Sack. Er erklärte auch, bei ihr komme man ohnehin "nicht mehr hin", worauf die Beklagte erwiderte, daß es ihr vor ihm grause. Der Kläger kam damals nämlich häufig betrunken nach Hause und schlief teilweise im Auto, teilweise im Keller. Ab Frühjahr 1985 blieb er immer häufiger von zu Hause weg, er kam nur an den Wochenenden nach Hause, um die Post abzuholen. Ab Juli 1985 kam er auch an den Wochenenden nicht mehr nach Hause. Seither leben die Parteien völlig getrennt. Die Klägerin war in den siebziger Jahren zweimal mit den Kindern in Italien auf Urlaub. Von 1981 bis 1985 nahm sie insgesamt fünfmal an mehrtägigen Werbeverkaufsfahrten nach Spanien und Frankreich teil, die zwischen S 1.140 und S 3.900 kosteten. Sie war zum Teil mit ihrer Schwester, zum Teil mit einem Sohn unterwegs. Eine Fahrt wurde von den Söhnen als Muttertagsgeschenk bezahlt. Der Kläger hatte gegen diese Fahrten nichts einzuwenden. Streit über finanzielle Angelegenheiten gab es bis zur Trennung der Parteien nicht.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, ein schweres Verschulden sei nur auf Seiten des Klägers zu erkennen, der mit Maria V*** Beziehungen unterhalten habe, die über eine unverbindliche Freundschaft hinausgegangen seien. Daß er nach Entdeckung dieser Beziehung zur Beklagten gesagt habe, sie solle verschwinden, sie fresse schon 20 Jahre aus seinem Sack, stelle ein weiteres schweres Verschuldenselement dar. Dazu komme, daß er im Frühjahr 1985 begonnen habe, sich auch räumlich von der Beklagten zu lösen und zuletzt ständig von der ehelichen Wohnung ferngeblieben sei. Damit habe der Kläger mehrfach dem Wesen der Ehe, der ehelichen Treue, der Verpflichtung zur anständigen Begegnung und zur gemeinsamen Lebensführung zuwidergehandelt. Die ehewidrigen Beziehungen zu Maria V*** könnten trotz des Fristablaufes nach § 57 EheG zur Beurteilung des Gesamtverhaltens des Klägers im Sinne einer Unterstützung der noch nicht verfristeten Eheverfehlung der einseitigen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne des § 59 Abs 2 EheG herangezogen werden. Im Verhalten der Beklagten sei hingegen kein schweres Verschulden im Sinne des § 49 EheG zu erblicken. Die Beendigung der geschlechtlichen Beziehungen sei offensichtlich auf ein im wesentlichen gleichzeitig herausgebildetes beiderseitiges Desinteresse an solchen Beziehungen zurückzuführen. Auch die 1979 gemachte Bemerkung der Beklagten, ihr grause es vor dem Kläger, stelle kein schweres Verschulden dar. Einerseits habe es sich offenbar um eine damals vereinzelt gebliebene Entgleisung der Beklagten im Zuge einer Auseinandersetzung, bei der sie sich offenbar ungerecht behandelt gefühlt habe, gehandelt, andererseits habe der Kläger diese Bemerkung offenbar nicht als die Ehe zerstörend empfunden, weil er auch danach mit der Beklagten geschlechtlich verkehrt habe. Selbst wenn diese Bemerkung einem schweren Verschulden gleichkäme, wäre die Frist zur Geltendmachung abgelaufen. Die Urlaubsreisen der Beklagten seien in verhältnismäßig bescheidenem Rahmen geblieben. Es habe sich kein Anhaltspunkt ergeben, daß der Kläger damit nicht einverstanden gewesen sei und sie als störend empfunden habe. Daß die Beklagte zu einer Zeit, als der Kläger bereits begonnen gehabt habe, den letzten Rest der ehelichen Gemeinschaft aufzuheben und tagelang von zu Hause wegzubleiben, das Schlafzimmer versperrt habe, könne nicht als Verschulden im Sinne des § 49 EheG angesehen werden. Daß die Beklagte dem Kläger im Dezember 1983 wieder vorgeworfen habe, es grause ihr vor ihm, sei unter den gegebenen Umständen verständlich und entschuldbar. Die Beklagte habe damals von den ehewidrigen Beziehungen des Klägers erfahren, ihr Zornesausbruch sei in Verbindung mit dem Umstand, daß der Kläger damals zuviel Alkohol konsumiert habe, verständlich. Darüber hinaus sei auch diesbezüglich die Frist des § 57 EheG abgelaufen, Umstände im Sinne des § 59 Abs 2 EheG lägen bei der Beklagten nicht vor.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die Ehe aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden werde und das Verschulden des Klägers überwiege. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und war in rechtlicher Hinsicht der Auffassung, die Beklagte treffe ein, wenn auch gegenüber dem Fehlverhalten des Klägers erheblich geringeres Verschulden. Da die Ehe bis zum Fasching 1979 gut verlaufen sei, habe die Beklagte durch ihre Äußerung gegenüber dem Kläger, es grause ihr vor ihm, die erste Ursache für die Zerrüttung der Ehe gesetzt, habe doch der Kläger diese kränkende Äußerung zum Anlaß genommen, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Daß es sich bei dieser Kränkung nicht um eine einmalige unbedachte Äußerung gehandelt habe, ergebe sich daraus, daß die Beklagte diese Äußerung im Jahre 1983 wiederholt habe, allerdings im Zusammenhang mit einem Streit wegen Maria V***. Es stelle aber auch eine schwere Eheverfehlung dar, daß beide Ehegatten ab September 1979 keinen geschlechtlichen Kontakt miteinander gesucht hätten, was inhaltlich einer grundlosen Ablehnung des ehelichen Verkehrs gleichkomme. Da es bis Juli 1985 zu keinen geschlechtlichen Kontakten mehr gekommen sei, sei das diesbezügliche Verhalten der Beklagten als Einheit aufzufassen, weshalb der Beginn der Frist des § 57 Abs 1 EheG auf Juli 1985 abzustellen sei. Damit könnten auch die verfristeten Eheverfehlungen (kränkende Äußerungen) zur Unterstützung der nicht verfristeten Verfehlungen herangezogen werden. Es stehe aber außer Frage, daß die Eheverfehlungen des Klägers erheblich schwerer seien, da der Kläger (ebenso wie die Beklagte) seit September 1979 keinen geschlechtlichen Kontakt mehr gesucht habe, 1983 Beziehungen zu Maria V*** aufgenommen habe, häufig betrunken nach Hause gekommen sei, ab Frühjahr 1985 immer häufiger von zu Hause weggeblieben und im Juli 1985 endgültig von seiner Familie weggezogen sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers. Er macht die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Begehren des Klägers stattgegeben werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Mängelrüge, mit der die Unterlassung der Vernehmung eines Zeugen gerügt wird, ist entgegenzuhalten, daß auch im Ehescheidungsverfahren Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt wurden, in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden können (6 Ob 650/85, 2 Ob 635/86 uva).
Bei der Rechtsrüge geht der Kläger davon aus, daß die Ehe seit 1979 unheilbar zerrüttet gewesen und die Eheverfehlungen des Klägers erst nach vollständiger Zerrüttung der Ehe begangen worden seien. Dies entspricht jedoch nicht den Feststellungen. Wohl hat die Beklagte durch ihre im Zuge eines Streites im Februar 1979 gemachte Äußerung "Mir graust vor Dir" eine schwere Eheverfehlung begangen, es kann aber nicht davon gesprochen werden, daß dadurch die Ehe unheilbar zerrüttet wurde, zumal die Parteien noch bis September 1973 geschlechtliche Beziehungen unterhielten. Dann war es indes der Kläger, der sich von der Beklagten abwandte. Wenn auch die Beklagte in der Folge keinen geschlechtlichen Kontakt mit dem Kläger suchte, muß ihr zugute gehalten werden, daß der Kläger, der sich von ihr abgewandt hatte, offensichtlich keine geschlechtlichen Beziehungen mehr mit ihr wollte. Der in der Revision aufgestellten Behauptung, die Beklagte habe durch Verweigerung des Geschlechtsverkehrs bewußt herbeigeführt, daß der Kläger sexuelle Kontakte zu anderen Frauen suchte, fehlt jegliche Rechtfertigung. Zur Zeit, als der Kläger ehewidrige Beziehungen zu Maria V*** aufnahm, kann zwar von einem guten Verlauf der Ehe nicht mehr gesprochen werden, von einer unheilbaren Zerrüttung kann jedoch noch nicht die Rede sein. Die Ehegatten lebten mit den Kindern gemeinsam in einer Wohnung, keiner der beiden brachte eine Ehescheidungsklage ein. Im Jahre 1983 nahm der Kläger dann ehewidrige Beziehungen auf, sprach dem Alkohol zu, blieb immer mehr von zu Hause weg und zog schließlich überhaupt aus. Dieses Verhalten führte zum endgültigen Scheitern der Ehe. Der im Jahre 1983 neuerlich gemachten Äußerung der Beklagten, es grause ihr vor dem Kläger, kann deshalb kein großes Gewicht beigemessen werden, weil diese Äußerung im Zuge einer Auseinandersetzung fiel, die ihre Ursache in den ehewidrigen Beziehungen des Klägers hatte und bei der der Kläger sich bereits vorher gegenüber der Beklagten beleidigend geäußert hatte. In den Urlaubsreisen der Beklagten, gegen die der Kläger nichts einzuwenden hatte, kann keine Eheverfehlung erblickt werden.
Mag auch die Beklagte durch ihre Äußerung im Fasching 1979 die erste Ursache für die Zerrüttung der Ehe gesetzt haben, so beging der Kläger doch in weiterer Folge wesentlich schwerere Eheverfehlungen, die zum endgültigen Scheitern der Ehe führten. Der für den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens erforderliche sehr erhebliche, offenkundig hervortretende graduelle Unterschied des Verschuldens (EFSlg.46.243 bis 46.245 uva) ist daher gegeben. Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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