Spruch:
Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.
Die beklagten Parteien haben der Klägerin zur ungeteilten Hand die mit S 9.117,49 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 828,86 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Klägerin hat den beklagten Parteien die mit S 8.464,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 769,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin erlitt bei einem am 2. Juni 1982 von der Erstbeklagten mit einem vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW verschuldeten Verkehrsunfall eine komplette Querschnittlähmung. Im Revisionsverfahren ist lediglich die Höhe ihres Schmerzengeldanspruches umstritten.
Das Erstgericht sprach der Klägerin zuzüglich zu dem bereits zuerkannten Schmerzengeld von S 790.000,-- im Sinne ihres Klagsantrages einen weiteren Schmerzengeldbetrag von S 410.000,--, insgesamt somit ein Schmerzengeld von S 1,200.000,-- zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß der Klägerin lediglich ein weiterer Betrag von S 210.000,-- zugesprochen, das Mehrbegehren von S 200.000,-- dagegen abgewiesen wurde.
Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erheben sowohl die Klägerin als auch die beklagten Parteien jeweils auf den Revisionsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO gestützte Revisionen. Die Klägerin beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Die beklagten Parteien stellen den Antrag, das berufungsgerichtliche Urteil entweder aufzuheben und die Rechtssache an die Unterinstanzen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen oder aber dahin abzuändern, daß die Klage auch hinsichtlich des Betrages von S 210.000,-- abgewiesen werde.
In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Streitteile jeweils, der gegnerischen Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Keine der Revisionen ist gerechtfertigt. Nach den unterinstanzlichen Tatsachenfeststellungen ist von folgendem Verletzungs- und Zustandsbild der Klägerin auszugehen:
Schon im Zeitpunkt ihrer nach dem Unfall erfolgten Einlieferung in das Krankenhaus bestand bei der Klägerin eine Lähmung von den Schultern abwärts, ebenso der Beine, weiters eine beiderseitige Sensibilitätsstörung von der vierten Rippe abwärts. Die zwischen dem
5. und 6. Halswirbel bestehende verhakte Verrenkung wurde eingerichtet und eine Klammerextension am Schädeldach durchgeführt. Am 12. Juni 1982 trat ab C VI ein Querschnittsyndrom auf, worauf am 15. Juni 1982 die zwischen den Wirbeln C 5 und C 6 zerrissene Bandscheibe entfernt, ein Knochenblock aus dem Darmbein eingesetzt und das verletzte Segment mit einer H-Platte stabilisiert wurde. Vom 13. Juli 1982 bis 12. März 1983 befand sich die Klägerin mit einer kurzfristigen Unterbrechung im Rehabilitationszentrum Tobelbad, wo ein intensives Rehabilitationsprogramm durchgeführt wurde. In dessen Rahmen wurde erreicht, daß die Klägerin durch entsprechendes Anpressen ihre Blase restharnfrei machen kann, so daß statt des bisher erforderlichen Dauerkatheters nur ein intermittierender Katheterismus erfolgen muß. Während der Mobilisation der Klägerin kam es immer wieder zu starken Fieberattacken. Der Rehabilitationsfortschritt war wegen der stark depressiven Verstimmung der Klägerin verzögert. Derzeit zeigt die Klägerin die Symptomatik einer kompletten Querschnittlähmung unterhalb des Segmentes C 7. Es liegt eine Teillähmung der Arme und eine komplette Lähmung der Stammuskulatur etwa von den Brustwarzen abwärts sowie der Beinmuskulatur vor. Lediglich jene Muskeln an den Armen sind erhalten, die das Schultergelenk und das Ellenbogengelenk dirigieren und beeinflussen. Die Hände weisen eine hochgradige komplexe Lähmung auf, die linke Hand kann praktisch überhaupt nicht bewegt werden, die rechte Hand zeigt eine geringfügig erweiterte Teilfunktion des vierten und fünften Fingers. Eine verwertbare Greifform der Hände ist nicht gegeben. Zufolge der schlaffen Lähmung der für das Handgelenk und die Finger zuständigen Muskulatur fallen die Hände bei normaler Haltung in starke Beugestellung. Dies entspricht funktionell einer beiderseitigen Vorderarmamputation. Um diese, auch kosmetisch störende, Fehlhaltung zu beheben, ist die Verwendung von Lederstützen an den Handgelenken erforderlich. Die Klägerin kann mit einem Hilfsmittel einige Worte schreiben, auch die Zähne putzen und zerkleinerte Nahrung zu sich nehmen. Das Zerkleinern der Nahrung, eine Katheterisierung, das Einschieben von Medikamenten wie z.B. Zäpfchen, ist nur mit fremder Hilfe möglich. An den Beinen ist eine vollkommene schlaffe Lähmung vorhanden, von welcher die gesamte Muskulatur auch des Oberschenkels sowie der Hüftund Beckenbereiche betroffen ist. Weiters besteht eine komplette Blasenund Mastdarmlähmung. Der Stuhlgang ist nur mit Hilfe von Zäpfchen möglich. Durch Anpressen der Bauchdecke kann die Klägerin normalerweise eine Blasenentleerung vornehmen, teilweise kommt es zu unkontrolliertem Harnablassen, weshalb sie eine Vorlage tragen muß. Notwendige Katheterisierungen müssen durch Familienhilfe erfolgen. Es ist eine ständige Harnprüfung erforderlich, um Restharnbildungen und damit das Aufflackern von Infektionen, welche bis zum Nierenbecken aufsteigen können, zu vermeiden. Im Rollstuhl kann die Klägerin lediglich sitzen, wobei ihr Körper an diesem fixiert werden muß. Sie kann den Rollstuhl nicht selbst mit den Armen bewegen. Um ein Wundliegen und eine Entstehung von Druckgeschwüren zu verhindern, bedarf die Klägerin dauernder Pflege. Sie kann sich allerdings auch selbst in eine andere Liegeposition drehen. Zumindest einmal täglich werden bei der Klägerin Spasmen auftreten, welche jeweils in zwei bis drei Minuten ablaufen, wobei die Schmerzverarbeitung aber jeweils 5 bis 10 Minuten dauert. Intermittierend sind in Zukunft immer wieder solche Spasmen und allenfalls auch aufflackernde Harnweginfektionen zu erwarten. Die Lebenserwartung der nunmehr 46-jährigen Klägerin ist unter der Voraussetzung einer guten Pflege nicht beeinträchtigt. Die bisherigen und voraussichtlich zukünftigen Schmerzperioden sind komprimiert abzuschätzen mit 5 Tagen starken bis qualvollen Schmerzen, 60 Tagen starken Schmerzen, 180 Tagen mittelstarken Schmerzen und 300 Tagen leichten Schmerzen. Die psychische Alteration der Klägerin ist als schwer zu bezeichnen. Der psychische Leidensdruck wird durch die oft auftretenden Spasmen verstärkt. Die psychische Belastung ergibt sich aus der gesamten Symptomatik der Behinderung und der verminderten Lebensqualität, welche die bestehende Störung der Sexualsphäre miteinschließt und überhaupt dem Bewußtsein, durch die Behinderung von den bisherigen Annehmlichkeiten des Privatlebens ausgeschlossen zu sein. Insgesamt ist es bei der Klägerin zum Verlust jeglicher Lebensfreude unter Einbuße jeglicher Lebensqualität gekommen. Die Klägerin hat ihr Schicksal nicht angenommen und befindet sich, seit ihr die Unfallsfolgen bewußt geworden sind, nahezu in einer ständigen depressiven Phase. Es kann nicht abgeschätzt werden, ob und wann die Klägerin ihre Behinderung annimmt und ihre Situation als erträglich empfinden wird.
In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht nach Darstellung der allgemeinen Grundsätze für die Schmerzengeldbemessung auf Vergleichsfälle aus der veröffentlichten Judikatur, in welchen Schmerzengeldbeträge von S 900.000,-- zugesprochen worden waren und vertrat die Ansicht, daß der vorliegende Fall durch eine zusätzliche Unbrauchbarkeit der Hände der Querschnittgelähmten gekennzeichnet sei, sodaß eine noch weitergehende Beeinträchtigung vorliege, welche das begehrte Schmerzengeld von rechnerisch S 1,2 Mio. gerechtfertigt erscheinen lasse.
Das Berufungsgericht führte zunächst aus, daß bei der Schmerzengeldbemessung einerseits immer auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen sei, andererseits aber zwecks Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab angelegt werden müsse. In diesem Sinne müßten die in letzter Zeit entschiedenen, vergleichbaren Fälle berücksichtigt werden. In erster Linie hielt es jene, welche der Entscheidung 2 Ob 22/85 und der bereits vom Erstgericht genannten Entscheidung 2 Ob 23/84 zugrundelagen, für mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, in welchen vom Obersten Gerichtshof jeweils ein Schmerzengeld von S 900.000,-- zuerkannt worden war. Hinsichtlich der von den beklagten Parteien genannten, ein ebenso hohes Schmerzengeld zuerkennenden Entscheidung 8 Ob 69/85 führte es aus, daß dort ein apallisches Syndrom mit einseitiger Erblindung sowie spastische Lähmungen an den Beinen und einer Hand im Vordergrund gestanden seien. Verglichen mit den beiden erstgenannten Entscheidungsfällen habe die Klägerin zweifellos eine schwerere Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erlitten als die dort Betroffenen. Zwar habe der Oberste Gerichtshof bisher in Fällen von Querschnittlähmungen lediglich Höchstbeträge von S 900.000,-- zuerkannt, doch sei hier ein solcher von S 1 Mio. gerechtfertigt. Der Zuspruch eines höheren Betrages würde allerdings zu der zu vermeidenden Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung führen.
In ihrer Revision bringt die Klägerin vor, der Zweck des Schmerzengeldes sei ein Ausgleich für alles körperliche und seelische Ungemach, für die entzogenen Lebensfreuden und für die Schmerzempfindungen im weitesten Sinn, es müsse also "Vorteile für Nachteile" gewähren und der Grundsatz der Gleichmäßigkeit in der Rechtsprechung könne nicht im Vordergrund stehen. Auch eine mehr oder weniger starre Obergrenze sei im Gesetz nicht vorgesehen. In dem vom Berufungsgericht zuerkannten Betrag von S 1 Mio. liege keinesfalls ein auch nur einigermaßen als angemessen zu bezeichnender Ausgleich. Das Berufungsgericht habe selbst darauf verwiesen, daß der Fall der Klägerin noch schwerer sei als der jeweils den von ihm zitierten Vergleichsfällen zugrundeliegende. Selbst ausgehend vom Prinzip der Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung müsse jedenfalls auch eine Relation zu Schmerzengeldbeträgen, die in anderen, geringfügigere Verletzungen betreffenden Fällen zuerkannt würden, hergestellt werden. Die Schmerzengeldjudikatur zeige allgemein eine Tendenz zur Ausweitung, welche auch bei den schwersten Verletzungen, wie sie die Klägerin erlitten habe, zu berücksichtigen sei. Somit müsse der Klägerin ein Betrag von S 1,2 Mio. zuerkannt werden, obschon auch hierin noch kein Ausgleich, sondern höchstens eine Annäherung an den Begriff der "Entschädigung" liege.
Die beklagten Parteien vertreten demgegenüber in ihrer Revision den Standpunkt, der von ihnen anerkannte Schmerzengeldbetrag von S 790.000,-- stelle nach den von den Unterinstanzen genannten Bemessungskriterien eine angemessene Entschädigung dar. Sie verweisen neuerlich auf den im einzelnen dargestellten Sachverhalt der Entscheidung 8 Ob 69/85, welcher sehr wohl als vergleichbar für die gegenständliche Beurteilung herangezogen werden könne. Vorliegendenfalls sei die Klägerin in keiner Weise eistig beeinträchtigt und ihre Lebenserwartung sei nicht herabgesetzt. Im Falle der Entscheidung 8 Ob 194/83 habe ein Minderjähriger eher noch schwerere Verletzungsfolgen erlitten, nämlich ein apallisches Syndrom mit praktisch vollständiger Zerstörung der Persönlichkeit, wobei eine Verständigung mit ihm nur mehr durch Blick- und Hautkontakt möglich gewesen sei. In beiden Fällen sei das Schmerzengeld mit S 900.000,-- bemessen worden, ebenso in den Fällen 2 Ob 23/84 und 2 Ob 22/85. Bei vergleichsweiser Betrachtung erscheine das Schicksal der Klägerin sogar günstiger. Somit dürfe hier nicht die bisherige Obergrenze von S 900.000,-- ausgeschöpft, sondern nur ein Schmerzengeld von S 790.000,-- zuerkannt werden, weil ansonsten eine Ungleichmäßigkeit in der Gesamtrechtsprechung eintrete.
Keine der beiden Revisionen ist gerechtfertigt.
Gemäß § 1325 ABGB hat der Schädiger dem Verletzten u.a. ein nach den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld zu zahlen. Die zu dieser Gesetzesstelle von der Judikatur herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze wurden von den Unterinstanzen zutreffend dargestellt und werden auch in den Rechtsmittelausführungen der Revisionswerber gleichlautend wiederholt. Die Klägerin meint jedoch, bei der gegenständlichen Bemessung müßte den besonderen Umständen ihres Einzelfalles mehr Gewicht beigemessen werden, die Beklagten vertreten dagegen den Standpunkt, im Hinblick auf die von den Unterinstanzen und Parteien zitierten Vergleichsfälle könne bei Anlegung des von der Judikatur geforderten objektiven Maßstabes und damit zwecks Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit nur der von ihnen genannte Schmerzengeldbetrag zuerkannt werden.
Der Klägerin ist insoweit Recht zu geben, als die von ihr erlittene Querschnittlähmung noch gravierendere Folgen aufweist als sie in den zuletzt entschiedenen Fällen von Querschnittlähmungen vorlagen und in welchen jeweils Höchstbeträge an Schmerzengeld ao S 900.000,-- zuerkannt wurden (2 Ob 22/85, 2 Ob 23/84, 8 Ob 245/82). Über den vorgenannten Betrag hinausgehende Schmerzengeldbeträge, nämlich solche von S 1 Mio. hat der Oberste Gerichtshof bisher lediglich in zwei Fällen (8 Ob 20/86 und 5 Ob 608/84) zugesprochen. Diese betrafen jeweils Verletzte, welche ein apallisches Syndrom erlitten hatten, wodurch es zu einer gänzlichen Persönlichkeitszerstörung gekommen war, sodaß sie auf ein vegetatives Leben auf primitivster Bewußtseinsstufe ("unter dem eines intelligenten Tieres" bzw. eine "parasomnische Bewußtseinslage mit Primitivreflexen") bei ständiger Bettlägerigkeit beschränkt waren und auf Schmerzreize bzw. Muskelkrämpfe nur unartikuliert durch Schreie reagieren konnten.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein unmittelbarer Vergleich verschiedener schwerster Krankheits- und Leidensbilder sinnvollerweise kaum angestellt werden kann, insbesondere dann nicht, wenn der Unterschied einerseits des klar bewußten Erlebens von Verletzungsfolgen und andererseits des Entzuges sämtlicher Daseinsinhalte eines Menschen unter Beschränkung auf rein kreatürlich erlebte und daher unerklärliche Schmerzzustände bedacht wird.
Einem Menschen, der zwar weitestgehend die körperliche Mobilität verloren, jedoch seine geistigen Entfaltungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten behalten hat, verbleibt damit aber doch auch noch ein gewisses Maß an Lebensfreuden. Wenn sein bewußt erlebter Zustand schwerster körperlicher Beeinträchtigung auch mit außerordentlich großen seelischen Schmerzen verbunden sein mag, so kann er im allgemeinen daher nicht als noch schlechter gestellt angesehen werden als jemand, der überhaupt sämtliche menschlichen Daseinsinhalte verloren hat.
Davon ausgehend ist der Klägerin im Hinblick auf den schon von den Unterinstanzen hervorgehobenen, außergewöhnlichen Grad der mit der von ihr erlittenen kompletten Querschnittlähmung verbundenen körperlichen Beeinträchtigung ein höheres Schmerzengeld zuzuerkennen als es bisher bei kompletten Querschnittlähmungen der Fall war, es ist jedoch kein Grund gegeben, über den bisher für die bei allerschwersten Leidens- und Zustandsbildern zugesprochenen Schmerzengeldbetrag von S 1 Mio. hinauszugehen.
Somit war keiner der Revisionen ein Erfolg zuzuerkennen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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