OGH 7Ob683/85

OGH7Ob683/8512.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Silvia M******, geboren am 28. September 1981, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Ing. Franz M******, Traun, Friedhofstraße 13, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 15. Oktober 1985, GZ. 13 R 693/85-96, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 5. September 1985, GZ. 2 P 138/84-92, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die am 28.9.1981 geborene Silvia M****** ist das eheliche Kind der Erna und des Ing. Franz M******. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 21.11.1984 aus dem Verschulden des Ehemannes geschieden. Das Kind lebt bei seiner Mutter. Mit rechtskräftigem Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 15.3.1985, 2 P 138/84-67, wurde dem Vater der persönliche Verkehr mit dem Kind vorläufig untersagt. Hiebei ging das Gericht von einer Verurteilung des Vaters nach § 142 Abs 1 StGB aus. Ferner stellte es fest, daß zwischen den Eltern ein erbitterter Krieg geführt werde und nach einem eingeholten Sachverständigengutachten schwerwiegende Belastungen für die weitere seelische Entwicklung des Kindes zu erwarten seien, falls zum damaligen Zeitpunkt ein Besuchsrecht des Vaters festgesetzt werde.

Das Erstgericht hat nun auf Grund eines neuerlichen Antrages des Vaters diesem ein Besuchsrecht mit der Begründung eingeräumt, der Konflikt zwischen den Eltern werde jetzt nicht mehr ausgetragen. In einem Strafverfahren sei der Vater von der Anklage einer Mißhandlung seiner geschiedenen Ehegattin freigesprochen worden. Im übrigen stellte das Erstgericht, wie schon im Vorverfahren, fest, daß der Verurteilung wegen Raubes eine gewisse sexuelle Abartigkeit des Franz M****** zugrundeliegt. Dieser hat hämlich das Verlangen, sich von Prostituierten in den Mund urinieren zu lassen, welchem Wunsch auch Prostituierte nur fallweise entsprechen können. Aus diesem Grunde forderte Franz M****** von vier Prostituierten den vorher bezahlten Geldbetrag unter Drohungen, er werde zu einer Pistole greifen, zurück.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die seinerzeitigen Gründe für die Verweigerung des Besuchsrechtes bestünden nicht mehr. Grundsätzlich habe ein Elternteil das Recht, mit seinem Kind persönlich zu verkehren. Nur besonders schwerwiegende Umstände rechtfertigen eine gänzliche Unterbindung des Kontaktes zwischen einem Elternteil und seinem Kind. Die seinerzeit bestandenen Gründe seien weggefallen. Einerseits sei nicht anzunehmen, daß Franz M****** auch gegenüber seiner Tochter jenes abartige Verhalten an den Tag legen werde, das er gegenüber Prostituierten an den Tag gelegt habe und andererseits seien die feindschaftlichen Beziehungen der Elternteile zueinander inzwischen zu einer Beruhigung gekommen, weshalb nicht mehr befürchtet werden müsse, daß die Spannungen zwischen ihnen ungünstige Auswirkungen auf das Kind haben könnten. Das Rekursgericht wies mit dem angefochtenen Beschluß den Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechtes ab. Es führte hiebei aus, daß eheliche Spannungen zwar nicht auf Dauer zu einer Aberkennung des Besuchsrechtes führen könnten, doch liege im vorliegenden Fall die Auflösung der Ehe noch nicht lange genug zurück, um bereits von einem endgültigen Abbau der Spannungen sprechen zu können. Hiebei müsse vor allem berücksichtigt werden, daß der Vater nach wie vor die Mutter durch Telefonanrufe belästige. Im übrigen handle es sich bei dem Vater um eine Persönlichkeit mit sexuell abnormen Neigungen, die masochistische und sadistische Tendenzen vermuten lassen. Wenn auch kein konkreter Anhaltspunkt dafür zu finden sei, daß der Vater an dem Kind eine strafbare Handlung begehen könnte, sei doch angesichts der psychopathischen Veranlagung des Vaters zumindest derzeit, solange er damit zusätzlich belastet ist, daß er die nötige Distanz zu seiner geschiedenen Frau noch nicht hergestellt hat, ein Kontakt mit dem Kind nicht zu verantworten.

Rechtliche Beurteilung

Der von Franz M****** gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist gerechtfertigt. Das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern ist ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht. Darüber hinaus ist ein Mindestmaß persönlicher Beziehungen eines Kindes zu beiden Elternteilen höchst erwünscht und wird im Dienste der gesunden Entwicklung des Kindes allgemein gefordert. Den Eltern steht das Recht auf persönlichen Verkehr nur insoweit nicht zu, als die Ausübung dieses Rechtes das Wohl des Kindes gefährdet (EvBl. 1974/284, 8 Ob 606/84 u.a.). Der Gesetzgeber wünscht auch weiterhin die Ausübung des Besuchsrechtes durch den nicht pflegeund erziehungsberechtigten Elternteil aufrecht zu halten und den persönlichen Kontakt zwischen diesem und dem Kind nicht abreißen zu lassen. Eine Unterbindung dieses Kontaktes ist nur in Ausnahmsfällen aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig

(EvBl. 1981/143 u.a.). Das letztlich im Interesse des Kindes gelegene Besuchsrecht darf nur aus besonders triftigen Gründen vorübergehend eingestellt werden (8 Ob 609/84, 7 Ob 563/85 u.a.). Gewiß mögen die Beziehungen zwischen den Eltern in Einzelfällen so gestaltet sein, daß sie den Kontakt des Kindes zu jedem Elternteil, der nicht die Pflege und Erziehung hat, unmöglich erscheinen lassen. Als Regelfall kann dies jedoch nicht angenommen werden, weil andernfalls in einem erheblichen Teil der Fälle nach Scheidung einer Ehe einem Elternteil das Besuchsrecht zu dem Kind aberkannt werden müßte. Vielmehr werden im Regelfall Spannungen zwischen ehemaligen Ehegatten dem Besuchsrecht nicht entgegenstehen. Richtig ist allerdings, daß sich solche Spannungen im Laufe der Zeit meist lockern.

Im vorliegenden Fall rechtfertigen die erstrichterlichen Feststellungen nicht den Schluß des Rekursgerichtes auf eine Intensität der Spannungen zwischen den Eltern in einem Ausmaß, das eine Ausübung des Besuchsrechtes durch den Vater ausschließen würde. Vor allem ist die Annahme des Rekursgerichtes, der Vater belästige in größerem Umfang die Mutter durch Telefonanrufe durch die Aktenlage nicht gedeckt. Das Erstgericht hat zwar ausgeführt, daß gelegentliche Telefonanrufe bei der Mutter wahrscheinlich vom Vater stammen werden, jedoch ausdrücklich dargelegt, daß es eine Feststellung in dieser Richtung nicht treffen könne. Hiezu ist festzuhalten, daß eine Verweigerung des Besuchsrechtes nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Ausübung Interessen des Kindes zuwiderläuft. Die bloße Tatsache feindseliger Handlungen eines Elternteiles gegen den anderen Teil würde daher dem Besuchsrecht nur dann entgegenstehen, wenn diese Handlungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechtes das Wohl des Kindes gefährden könnten. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit anonyme Telefonanrufe eine solche Wirkung haben können, womit allerdings ein derartiges Verhalten des Vaters keinesfalls gebilligt werden soll. Es ist ohne weiters möglich, daß die Beziehungen zwischen den Eltern nach wie vor nicht freundlicher Natur sind, doch schließt dies, wie bereits ausgeführt wurde, die Ausübung des Besuchsrechtes nicht aus. Vielmehr wird man davon ausgehen können, daß im Regelfall beide Elternteile ihre gegenseitigen ablehnenden Gefühle gegenüber dem Kind soweit im Zaum halten, daß durch diese Gefühle kein Schaden für das Kind entsteht. Daß dies im vorliegenden Fall anders wäre, kann aus der Aktenlage nicht geschlossen werden. Insbesondere besteht kein Grund für die Annahme, der Vater werde die Ausübung des Besuchsrechtes dazu mißbrauchen, gewalttätig gegen die Mutter vorzugehen. Die während der Ehe vorgekommenen Gewalttätigkeiten lassen einen solchen Schluß nicht zwingend zu, weil durch die Trennung und die seither verstrichene Zeit, insbesondere auch durch die Beendigung des Strafverfahrens, der unmittelbare Anlaß für Gewalttätigkeiten weggefallen ist. Da sich die Kontakte der Eltern lediglich auf den Zeitpunkt der Übernahme und der Übergabe des Kindes beschränken werden, wird es den Eltern bei einigermaßen gutem Willen ein Leichtes sein, sich während der persönlichen Kontakte soweit zu beherrschen, daß es nicht zu schädlichen Reaktionen für das Kind kommt. Dies gilt natürlich für beide Elternteile. Welchen Grund der Vater im Falle einer anstandslosen Übergabe des Kindes für Gewalttätigkeiten haben sollte, ist nicht ersichtlich. Ob sich einer oder der andere Elternteil durch eine gerichtliche Entscheidung bestätigt fühlt oder nicht, ist ohne Bedeutung, weil das Pflegschaftsverfahren dem Wohl des Kindes und nicht der Bestätigung von Prestigeinteressen der Eltern zu dienen hat. Was schließlich die seinerzeitige strafgerichtliche Verurteilung des Vaters anlangt, so liegt diese derart lang zurück, daß sie kein entscheidendes Hindernis für die Ausübung des Besuchsrechtes mehr sein kann. Für die Annahme schädlicher Auswirkungen allfälliger absonderlicher sexueller Neigungen des Vaters auf das Kind besteht keinerlei Anhaltspunkt. Ein abzulehnendes Verhalten gegenüber Prostituierten rechtfertigt nicht die Annahme, dieses Verhalten werde auch gegenüber dem eigenen Kind gesetzt werden. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß der Vater nach seiner Verurteilung (diese erfolgte vor der Geburt des Kindes) jahrelang mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt gelebt hat, ohne daß irgendwelche Abartigkeiten gegenüber dem Kind zutage getreten wären.

Es erweist sich sohin die Entscheidung des Erstgerichtes grundsätzlich als richtig. Bezüglich des Ausmaßes und der zeitlichen Fixierung des vom Erstgericht gewährten Besuchsrechtes wurde im Rechtsmittelverfahren nichts vorgebracht. Da auch kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß der Vater bei Abholung und Rückstellung des Kindes gewalttätig gegen die Mutter vorgehen werde, bestand kein Anlaß, den Ort dieser Kontaktnahmen zu verlegen. Selbstverständlich wird sich der Vater bewußt sein müssen, daß allfällige Gewalthandlungen seinen Standpunkt in der Zukunft verschlechtern müßten. Demnach wird es seine Sache sein, bei seinen Kontaknahmen mit der Mutter besondere Rücksicht an den Tag zu legen und auch sonst Maßnahmen (etwa anonyme Telefonanrufe) gegen die Mutter zu unterlassen.

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