OGH 8Ob620/85

OGH8Ob620/8524.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des Ludwig P*, geboren * 1966, des mj. Richard P*, geboren * 1968, des mj. Martin P*, geboren * 1969, und der mj. Anna P*, geboren * 1971, infolge Revisionsrekurses der Mutter Susanne P*, vertreten durch Dr. Klaus Braunegg, Dr. Klaus Hoffmann und Dr. Karl Preslmayr, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 31. Juli 1985, GZ. 43 R 430/85‑40, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. März 1985, GZ. 7 P 196/78‑36, teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00620.85.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Entscheidung des Erstgerichtes in ihrem Punkt 3 mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß der Antrag des Vaters, die Mutter zu verpflichten, die Kinder Ludwig, Richard, Martin und Anna P* nach vorheriger Ankündigung im Winter für eine Woche und im Sommer für drei Wochen (oder umgekehrt) jeweils in den Schulferien nach Österreich (Wien) zu schicken, abgewiesen wird.

 

Begründung:

Ludwig, Richard, Martin und Anna P* sind eheliche Kinder der Susanne und des Ing. Josef P*. Eltern und Kinder sind nach der Aktenlage (ON 2) österreichische Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 2. 6. 1978, 20 Cg 170/78, rechtskräftig aus dem Verschulden der Mutter geschieden. Mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichtes vom 5. 3. 1979 (ON 12) wurden alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten der Mutter zugeteilt. In einem im Ehescheidungsverfahren am 2. 6. 1978 geschlossenen Vergleich vereinbarten die Eltern unter anderem, daß dem Vater ein Besuchsrecht in der Form eingeräumt werde, daß er die Kinder an jedem ersten und dritten Wochenende eines jeden Kalendermonates zu sich nehmen und sowohl im Winter eine Woche als auch im Sommer drei Wochen jeweils in den Schulferien mit ihnen einen gemeinsamen Urlaub verbringen dürfe. Die Mutter verpflichtete sich, den Wohnsitz der Kinder ohne Zustimmung des Vaters bzw. des Pflegschaftsgerichtes nicht aus Österreich zu verlegen (ON 3). Dieser Vergleich wurde mit Beschluß vom 27. 7. 1978 (ON 4) in Ansehung der Kinder pflegschaftsbehördlich genehmigt. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 10. 5. 1979 (ON 20) wurde das laufende Wochenendbesuchsrecht des Vaters in der Form geregelt, daß er ermächtigt wurde, die Kinder an jedem ersten und dritten Samstag im Monat nach dem Mittagessen um 14 Uhr von der Wohnung der Mutter abzuholen und verpflichtet wurde, sie jeweils am darauf folgenden Sonntag um 19 Uhr zurückzubringen.

Mit einem am 28. 11. 1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz (ON 29) teilte der Vater mit, daß die Mutter die Kinder ohne seine Zustimmung und ohne Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes heimlich nach Australien verbracht habe und sich weigere, ihre bezüglich der Kinder eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten oder zumindest den genauen Aufenthaltsort und die Telefonnummer der Kinder dem Vater bekanntzugeben. Der Vater stellte unter anderem den Antrag, die Mutter zu verpflichten, die Kinder nach vorheriger Ankündigung im Winter für eine Woche und im Sommer für drei Wochen jeweils in den Schulferien nach Österreich (Wien) zu schicken. Diesen Antrag modifizierte der Vater in der Folge dahin, daß die Kinder auch im Winter für drei Wochen und im Sommer für eine Woche jeweils in den Schulferien nach Österreich (Wien) geschickt werden könnten (ON 35).

Die Mutter brachte dazu im wesentlichen vor, daß während der österreichischen Sommerferien in Australien Winter und normaler Schulbetrieb sei. Ein Urlaubsbesuchsrecht in der nunmehr vom Vater verlangten Form sei unmöglich, weil zu den betreffenden Zeiten die Kinder ihrer Schulpflicht nachzukommen hätten und nicht nach Österreich reisen könnten. Im übrigen könne es sich die Mutter nicht leisten, die Kinder zweimal jährlich nach Österreich reisen zu lassen, weil sie nicht über die erforderlichen Geldmittel verfüge. Im Hinblick auf das Alter der drei jüngeren Kinder wäre es nicht möglich, sie unbeaufsichtigt reisen zu lassen. Für diese Kinder müßte eine Begleitperson beigestellt werden, über die die Mutter nicht verfüge und deren Kosten sie nicht tragen könne (ON 31).

Dem entgegnete der Vater, die Mutter möge ihm bekanntgeben, wann die Kinder Ferien hätten, damit das Besuchsrecht in diesen Zeiträumen ausgeübt werden könne. Wenn die Mutter darauf verweise, daß die Ermöglichung eines Besuchsrechtes mit Kosten verbunden sei, sei ihr zu entgegnen, daß diese Kosten durch ihr eigenes rechtswidriges Verhalten entstünden, weil sie entgegen der getroffenen Vereinbarung die Kinder nach Australien verbracht habe. Daher habe die Mutter die entstehenden Mehrkosten zu tragen. Die Beistellung einer Begleitperson sei nicht erforderlich, weil der älteste Sohn bereits alt genug sei, um als Begleitperson für die drei jüngeren Kinder zu fungieren (ON 35).

Das Erstgericht wies (neben anderen nicht mehr den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Entscheidungen) im Punkt 3 seines Beschlusses vom 19. 3. 1985 (ON 36) den Antrag des Vaters, die Mutter zu verpflichten, die Kinder nach vorheriger Ankündigung im Winter für eine Woche und im Sommer für drei Wochen (oder umgekehrt) jeweils in den Schulferien nach Österreich (Wien) zu schicken, zurück. Es begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß gemäß § 148 ABGB der nicht pflege‑ und erziehungsberechtigte Elternteil das Recht habe, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Der Zweck des Besuchsrechtes sei es, den auf der Blutsverwandtschaft beruhenden Zusammenhang mit dem Kind aufrecht zu erhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, die Erziehung und den Gesundheitszustand des Kindes zu überblicken. Das Besuchsrecht stelle ein Grundrecht der Eltern‑Kind‑Beziehung und ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht dar. Der Vater habe das Besuchsrecht an jenem Ort auszuüben, an dem sich das Kind aufhalte. Eine Anreise der Kinder an den Aufenthaltsort des Vaters sei im Gesetz nicht vorgesehen. Es sei dem Vater unbenommen, sein ihm nach dem Scheidungsvergleich vom 2. 6. 1978 zustehendes Winter‑ und Sommerbesuchsrecht auszuüben. Da für das von ihm begehrte Besuchsrecht bereits ein entsprechender Titel bestehe, sei sein Besuchsrechtsbegehren mangels Rechtsschutzinteresse zurückzuweisen.

Dem dagegen gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob diesen Teil der Entscheidung des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Das Rekursgericht führte dazu im wesentlichen aus, daß das Besuchsrecht für den Berechtigten im allgemeinen eine „Holschuld“ sei; der die Elternrechte ausübende Teil habe das Kind nur besuchsrechtsfertig an seinem Aufenthalt zu übergeben, nicht aber auch dem besuchenden Teil zu überbringen. Dahingehende Grundsätze seien insbesondere bei Ortsnähe der Beteiligten anzunehmen. Im vorliegenden Fall sei aber entscheidend, daß sich die Mutter im Scheidungsvergleich vom 2. 6. 1978 verpflichtet habe, den Wohnsitz der Kinder ohne Zustimmung des Vaters bzw. des Pflegschaftsgerichtes nicht aus Österreich zu verlegen. Diesem Vergleichspunkt habe sie zuwidergehandelt. Die geänderten Verhältnisse rechtfertigten demnach eine Neuregelung des Besuchsrechtes, dessen Erstregelung im Scheidungsvergleich erkennbar auf einen Inlandsaufenthalt der Kinder abgestellt gewesen sei. Die Mehrkosten und der Aufwand, der dadurch entstehe, daß die Mutter die Kinder rechtswidrig auf einen anderen Kontinent verbracht habe, könnten nicht zu Lasten des Vaters gehen und die Mutter habe die Folgen zu tragen, die sich aus ihrem Vertragsbruch ergäben. Es bestehe daher kein Einwand, in diesem Fall die Mutter mit den Kosten und dem Mehraufwand zu belasten, der mit einer Besuchsrechtsausübung des Vaters in Österreich verbunden sei. Die dahingehende Einwendung der Mutter habe daher unbeachtet zu bleiben. Gegen das Ausmaß des vom Vater begehrten Besuchsrechtes bestünden keine Bedenken. Der Einwand der Mutter aber, daß sich das geänderte Besuchsrechtsbegehren des Vaters mit den Schulverpflichtungen der Kinder in Australien nicht in Einklang bringen lasse, könne von vornherein nicht abgetan oder auf Grund der gegebenen Aktenlage zufriedenstellend beantwortet werden. Das Erstgericht werde sich daher im fortgesetzten Verfahren mit diesem Einwand der Mutter auseinanderzusetzen haben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Rechtsmittel ist zulässig und auch auch sachlich berechtigt.

Vorwegzunehmen ist, daß gegen das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die österreichische Staatsangehörigkeit der Kinder keine Bedenken bestehen (§ 110 Abs. 1 Z 1 JN, siehe dazu auch Schwimann, Internationales Zivilverfahrensrecht 56). Australien ist nicht Vertragsstaat des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens. Der Antrag der Mutter, im Sinne des § 110 Abs. 2 JN von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens abzusehen, wurde rechtskräftig abgewiesen.

Auszugehen ist davon, daß es sich bei dem vom Vater gestellten Antrag, die Mutter zu verpflichten, die Kinder nach vorheriger Ankündigung im Winter für eine Woche und im Sommer für drei Wochen (oder umgekehrt) jeweils in den Schulferien nach Österreich (Wien) zu schicken, inhaltlich um einen Antrag auf Abänderung der bis dahin bestehenden Besuchsrechtsregelung wegen geänderter Verhältnisse (Verbringung der Kinder durch die Mutter nach Australien) handelt, wobei, wie sich aus dem gesamten Vorbringen des Vaters ergibt, von diesem Antrag essentiell und untrennbar umfaßt war, daß für die Kosten dieser der Mutter im Rahmen der Besuchsrechtsausübung des Vaters aufzutragenden Maßnahmen die Mutter aufzukommen hätte. Das Erstgericht hat – trotz der Formulierung seiner Entscheidung – in Wahrheit sachlich über diesen Antrag des Vaters abgesprochen, den es, wie sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, für unberechtigt hielt. Es liegt daher in Wahrheit keine zurückweisende Formalentscheidung, sondern eine abweisende Sachentscheidung des Erstgerichtes vor. Davon ist auch das Rekursgericht ausgegangen.

Der im aufhebenden Beschluß des Rekursgerichtes dem Erstgericht überbundenen Rechtsansicht kann nicht beigepflichtet werden.

Das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder (§§ 144, 177 ABGB) steht allein der Mutter zu; sie bestimmt daher auch den Aufenthaltsort der Kinder (§ 146b ABGB). Wenn die Mutter entgegen der im Scheidungsvergleich mit dem Vater getroffenen Vereinbarung die Kinder ohne dessen Zustimmung und ohne Zustimmung des Pflegschaftsgerichtes nach Australien verbrachte, so mag dies, sofern durch dieses Verhalten das Wohl der Kinder gefährdet wurde, Anlaß für gerichtliche Maßnahmen im Sinne des § 176 ABGB sein; solange aber derartige Maßnahmen nicht getroffen wurden, stehen die Elternrechte und damit die Befugnis, den Aufenthalt der Kinder zu bestimmen, allein der Mutter zu. Der in keiner Weise zu billigende Verstoß der Mutter gegen die mit dem Vater getroffenen Vereinbarung ändert an ihrer familienrechtlichen Stellung gegenüber den Kindern nichts.

Es ist zwar richtig, daß die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu beiden Elternteilen grundsätzlich die gedeihliche Entwicklung der Kinder fördert und damit im wohlverstandenen Interesse der Kinder liegt, doch kann der zur Pflege und Erziehung berechtigte Elternteil, selbst wenn er finanziell hiezu in der Lage wäre, deshalb noch nicht verpflichtet werden, die Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, dem anderen Elternteil – allein um ihm den persönlichen Verkehr mit seinen Kindern zu ermöglichen – an einem bestimmten Ort im Inland zuzuführen. Der Besuchsberechtigte hat vielmehr selbst die Kinder von ihrem ständigen Aufenthaltsort abzuholen und sie dorthin zurückzubringen (AnwBl. 1983, 719).

Davon ausgehend kommt eine neue Besuchsrechtsregelung in der vom Vater angestrebten Form nicht in Betracht. Es bedarf daher nicht der vom Rekursgericht für erforderlich gehaltenen ergänzenden Erhebungen; die Sache ist vielmehr spruchreif im Sinne der Abweisung der auf eine Neuregelung seines Besuchsrechtes zielenden Anträge des Vaters.

Nach ständiger Rechtsprechung kann der Oberste Gerichtshof, wenn es keiner weiteren Erhebungen bedarf und Spruchreife der Sache gegeben ist, auf Grund eines Rekurses in der Sache selbst entscheiden (SZ 25/51; SZ 39/32; SZ 52/155 uva). Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der Mutter der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß der Besuchsrechtsantrag des Vaters nicht zurück‑, sondern abgewiesen wird.

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