OGH 7Ob535/85

OGH7Ob535/8528.3.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A Gesellschaft mbH & Co., Spannplattenwerk, Nittenau, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Josef Riedmann, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei B & CO, Maschinenfabrik und Eisengießerei, Schwarzach, vertreten durch Dr.Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 271.925,60 DM (=

öS 1'957.864,32), infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 19. September 1984, GZ.5 R 192/84-26, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 30. April 1984, GZ.6 Cg 3579/83-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der Revisionen wird Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten an Kosten des Revisionsverfahrens S 5.826,90 (darin S 507,90 Umsatzsteuer und S 240 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Auf Grund eines zwischen den Streitteilen im Oktober 1979 zustandegekommenen Vertrages sollte die Beklagte der Klägerin eine komplette Plattenaufteilungsanlage Type SA um DM 1'417.136 liefern. Auf den Vertrag waren die Allgemeinen Bedingungen für Lieferungen von Maschinen für Inlandsgeschäfte (= C) anzuwenden, denenzufolge der Vertrag nach österreichischem Recht zu beurteilen ist. Die Lieferung ab Werk sollte am 31.3.1980 beginnen. Am 30.4.1980 sollte die Montage beendet sein. Am 16.5.1980

sollte die Anlage zwei Drittel der vollständigen Leistung und am 9.6.1980 die volle Leistung erbringen. Die Einhaltung dieser Termine wurde unter der Voraussetzung zugesagt, daß die Klägerin ihre Vertragspflichten einhält.

Verzögerungen, die durch die Klägerin oder durch die von ihr beauftragte Fa.D verursacht werden, sollten die angeführten Termine entsprechend verschieben. Für den Fall, daß die Anlage bis zum 11.6.1980 nicht die zugesagte Leistung erbringen sollte, wurde ein Pönale von 1 % pro Woche von DM 2'800.000, das sind DM 28.000 vereinbart. Das Pönale war mit 20 % des Lieferpreises der reinen Aufteilanlage begrenzt. Die Pönale-Vereinbarung setzte die Erfüllung der Vertragspflichten durch die Klägerin voraus.

Nach dem Vertrag sollten bei seinem Abschluß am 1.10.1979 20 % des Preises angezahlt und die restlichen 80 % in Form eines Exportförderungskredites für eine Laufzeit von 5 Jahren mit 10 halbjährlichen Zahlungen, beginnend ab 1.7.1980, mit einer Kontokorrentverzinsung von 5 1/2 % p.a. geleistet werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückbehaltung von Zahlungen oder die Aufrechnung wegen etwaiger vom Lieferer bestrittener Gegenansprüche des Bestellers war nicht statthaft.

Mit Fernschreiben vom 13.3.1980 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß mit Terminverzögerungen zu rechnen sei. Am 25.3.1980 schlug sie der Klägerin einen neuen Terminplan vor, demzufolge die Anlage am 23.5.1980 mechanisch fertig montiert sein und am 9.6.1980 die Sägeanlage angefahren werden solle.

Am 15.6.1980 sollte die Sägeanlage produzieren und die Stapelanlage angefahren werden. Diesen neuen Terminplan akzeptierte die Klägerin anstelle des ursprünglich im Vertrag vorgesehenen.

Am 30.6.1980 funktionierte nur ein Teil der Anlage einwandfrei. Die gesamte Anlage konnte erst Anfang September 1980 in Betrieb genommen werden, jedoch war auch im Oktober 1980 eine befriedigende Abnahme und Inbetriebnahme noch nicht möglich. Es mußten noch einige Verbesserungen vorgenommen werden.

Die endgültige Abnahme erfolgte am 12., 13.11.1980. Die Klägerin hielt die am 1.7.1980 in der Höhe von DM 113.371 fällige erste Rate vorerst im Hinblick auf die Verzögerung in der Fertigstellung zurück. Am 5.1.1981 zahlte sie auf diese Forderung DM 84.008,18 und am 23.4.1981 DM 2.150,16. Auch die in der Folge fällig werdenden Raten hat die Klägerin nicht zur Gänze bezahlt, sodaß derzeit noch eine Forderung der Beklagten von 217.560,32 DM offen ist. Der jeweilige Rückbehalt betrug 20 %

der fälligen Forderungen, wobei die Klägerin von der Vereinbarung über das Pönale ausging.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch eines Pönales in der Höhe von 271.925,60 DM, zahlbar im Schillinggegenwert zum Fälligkeitstag. Die Beklagte wendete eine Gegenforderung von 274.538,32 DM ein und beantragte im übrigen Klagsabweisung mit der Begründung, eine Pönaleforderung sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin ihre eigenen vertraglichen Verpflichtungen nicht eingehalten habe. Im übrigen sei das Beharren der Klägerin auf der Vereinbarung eines Pönales sittenwidrig.

Das Erstgericht hat die Klagsforderung mit 56.000 DM s.A. sowie die eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt und das Klagebegehren abgewiesen. Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht bestätigt.

Rechtlich vertraten die Vorinstanzen den Standpunkt, die Beklagte habe durch die Verzögerung der ordnungsgemäßen Montage der Anlage gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Sie habe ihre Schuldlosigkeit an der Verzögerung nicht bewiesen, weshalb die Pönaleforderung der Klägerin grundsätzlich zu Recht bestehe. Von einer Sittenwidrigkeit dieser Forderung könne keine Rede sein. Allerdings wäre die Klägerin im Hinblick auf die vertragliche Vereinbarung nicht berechtigt gewesen, ihr obliegende Geldleistungen teilweise zurückzubehalten. Durch einen derartigen Rückbehalt habe auch sie gegen den Vertrag verstoßen, und zwar erstmals ab Fälligkeit der ersten Rate am 1.7.1980. Da das Pönale von der Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch die Klägerin abhängig gemacht worden sei, könne die Klägerin ab 1.7.1980 kein Pönale mehr verlangen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei allerdings ihr Begehren gerechtfertigt.

Die von der Beklagten wegen des Ausspruches über das Zurechtbestehen einer klägerischen Forderung von 56.000 DM s.A. wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie von der Klägerin wegen der Abweisung des Klagebegehrens wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision sind nicht gerechtfertigt.

A) Zu der Revision der Klägerin:

Richtig haben die Vorinstanzen erkannt, daß auch nach der Judikatur (SZ 43/7, HS 8225 ua., vgl. auch SZ 55/27) der vertragsmäßige Ausschluß der Aufrechnung und der Zurückbehaltung an sich nicht sittenwidrig ist. Es wurde zwar die Möglichkeit einer Sittenwidrigkeit in bestimmten Fällen aufgezeigt, doch hat die Klägerin derartiges nicht behauptet. Sie hat im gesamten erstinstanzlichen Verfahren die Sittenwidrigkeit des Ausschlusses der Aufrechnung nicht eingewendet. Vor allem im Revisionsverfahren stützt sie sich nicht auf eine angebliche Unwirksamkeit dieser Vereinbarung, sondern lediglich darauf, daß das Berufungsgericht die Vereinbarung über ein Pönale unrichtig ausgelegt hätte. Nach dieser Vereinbarung sei das Pönale nur unter der Voraussetzung der Erfüllung der Vertragspflichten durch die Klägerin zu zahlen. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen will die Klägerin die Vereinbarung nur dahin auslegen, daß diese sich ausschließlich auf die technische Erfüllung durch die Klägerin, nicht aber auch auf die Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen beziehe. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Nach den getroffenen Feststellungen wurde der strittige Vertragspunkt zwischen den Parteien nicht besprochen. Es konnte auch keine Feststellung über eine Auslegungsabsicht einer der Parteien zu diesem Punkt getroffen werden.

Als Richtschnur für die Auslegung hatte nach § 914 ABGB die übung des redlichen Verkehrs zu gelten. Bei der Beurteilung, was der übung des redlichen Verkehrs entspricht, kommt es entscheidend auf den Vertragszweck an. Der rechtsgeschäftliche Verkehr darf nicht dazu mißbraucht werden, einen anderen hineinzulegen, sondern soll sich ehrlich abspielen (SZ 47/104; EvBl.1979/112

u. a.). Der Vertrag ist so auszulegen, wie er im Verkehr zwischen redlich denkenden Menschen verstanden werden darf (Rummel I Anm.17 zu § 914).

Ebenso wie die Pönalevereinbarung hatte die Vereinbarung, derzufolge die Klägerin nicht berechtigt sein sollte, Teile fälliger Forderungen zurückzubehalten, den Zweck, eine pünktliche Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen zu gewährleisten. Daß einzelne vertragliche Verpflichtungen hier anders behandelt werden sollten als andere, kann weder dem Inhalt des Vertrages, noch seinem Zweck entnommen werden. Vielmehr müssen die einzelnen vertraglichen Verpflichtungen als gleichwertig angesehen werden. Eine Auslegung des gesamten Vertrages nach Treu und Glauben kann daher nur dazu führen, daß die einem Vertragspartner zwecks Erzwingung vertragstreuen Verhaltens durch den andern Vertragspartner in die Hand gegebenen Mittel dann nicht eingesetzt werden dürfen, wenn der andere Vertragspartner seinerseits gegen den Vertrag verstößt. Nur dies führt zu dem Treu und Glauben entsprechenden Ergebnis einer Gleichwertigkeit der beiderseitigen Druckmittel.

Die Auslegung der fraglichen Vertragsbestimmung durch die Vorinstanzen dahin, daß der Wegfall des Rechtes, ein Pönale zu begehren, nicht nur bei Verletzung der technischen Verpflichtungen der Klägerin, sondern auch bei Verletzung ihrer finanziellen Verpflichtungen eintreten solle, ist daher zu billigen. Würde man der Rechtsauffassung der Klägerin folgen, hätte die fragliche vertragliche Bestimmung nur deklarative und keine normative Wirkung, was im Zweifel nicht angenommen werden kann. Würde nämlich die Klägerin ihren vertraglichen Verpflichtungen auf technischem Gebiet nicht nachkommen, hätten sich sowieso die Fristen verlängert, weshalb in diesem Falle die Pönalevereinbarung überhaupt nicht zum Tragen gekommen wäre. Im übrigen hätte es die Klägerin bei einer derartigen Auslegung in der Hand, entgegen der vertraglichen Vereinbarung eine Kompensation zu Gunsten ihrer angeblichen Pönaleforderung vorzunehmen, weil sie diesfalls nur Teile des Preises zurückhalten müßte und dann einem Begehren der Beklagten auf Zahlung des vereinbarten Preises mit Erfolg ihre Pönaleforderung entgegenhalten könnte.

Dies würde im Ergebnis jedoch zu einer aufrechnungsweisen Zurückbehaltung von Teilen des vereinbarten Preises führen, was aber nach dem Vertrag ausgeschlossen sein sollte.

Geht man von der zu billigenden und von den Vorinstanzen vorgenommenen Auslegung der Pönalevereinbarung (eine Vertragsergänzung ist hier nicht vorzunehmen) aus, so erweist sich die Rechtsansicht der Unterinstanzen als richtig, daß die Klägerin über den 1.7.1980 hinaus kein Pönale verlangen kann.

B) Zu der Revision der Beklagten:

Nach Prüfung der diesbezüglichen Ausführungen der Revision ist der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, daß die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 ZPO).

Wie im vorliegenden Fall der strittige Punkt bezüglich des Wegfalles der Berechtigung der Klägerin, ein Pönale zu verlangen, im Sinne des § 914 ABGB auszulegen ist, wurde bereits bei der Behandlung der Revision der Klägerin dargelegt. Die Beklagte geht hier in Verfolgung des Gedankenganges der Vorinstanzen jedoch insoferne zu weit, wenn sie den Standpunkt vertritt, die Klägerin hätte durch eine nachträgliche Vertragsverletzung auch bereits vorher entstandene Pönaleforderungen verwirkt. Eine derartige Auslegung der Vereinbarung würde nicht dem Prinzip entsprechen, daß Verträge nach Treu und Glauben auszulegen sind. Ein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten der Beklagten sollte nach dem Vertrag der Klägerin das Recht verschaffen, ein Pönale zu verlangen. Nur ein vertragswidriges Verhalten der Klägerin sollte zur Verwirkung dieses Rechtes führen. Berücksichtigt man die beiderseitigen Interessen und den Zweck der getroffenen Vereinbarung, kann dieser Vertragspunkt nur dahin verstanden werden, daß die Verwirkung erst mit dem Zeitpunkt der Vertragsverletzung durch die Klägerin eintritt. Dieser Fall ist etwa jenem vergleichbar, in dem für einen Verzug ein Pönale vereinbart wird.

Endet der Verzug, so kann ab diesem Zeitpunkt ein Pönale nicht mehr verlangt werden. Dies führt jedoch nicht dazu, daß auch die bereits erworbene Pönaleforderung verwirkt ist.

Nach den getroffenen Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, von denen sich jedoch die Revision der Beklagten teilweise entfernt, hatte bis zum 1.7.1980 ausschließlich die Beklagte gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen zu einer temingerechten Lieferung der Anlage verstoßen. Aus diesem Grunde konnte für den Zeitraum zwischen dem vereinbarten Liefertermin und dem 1.7.1980 ein Pönale verlangt werden. Der Beklagten ist der ihr obliegende Gegenbeweis (SZ 51/99, SZ 48/100 u.a.) für ihr fehlendes Verschulden nicht gelungen. Die gegenteiligen Ausführungen der Revision gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es ist zwar richtig, daß grundsätzlich das Beharren auf einer Konventionalstrafe gegen die guten Sitten verstoßen kann, doch ist nach den getroffenen Feststellungen nicht ersichtlich, welche Umstände hier das Beharren der Klägerin als sittenwidrig erscheinen lassen könnten. Eine Konventionalstrafenvereinbarung verstößt nur dann gegen die guten Sitten, wenn die Zahlung des Pönales das wirtschaftliche Verderben des Schuldners herbeiführen oder seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit übermäßig beeinträchtigen könnte oder wenn schon bei einer nur geringfügigen Fristüberschreitung eine hohe Strafe verwirkt sein sollte. Es muß ein offensichtlich unbegründeter Vermögensvorteil für den Gläubiger vorliegen, der dem Rechtsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht oder gegen oberste Rechtsgrundsätze verstößt (SZ 54/186 u.a.). Derartiges ist hier nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Auch hier entfernt sich die Revision mit ihren Ausführungen von den getroffenen Feststellungen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Da keine der Streitteile mit ihrer Revision Erfolg hatte, mußten die jeweiligen Revisionsbeantwortungen ersetzt werden. Der zugesprochene Kostenbetrag stellt die Differenz zwischen den Kosten der beiderseitigen Revisionsbeantwortungen dar.

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