OGH 8Ob564/84

OGH8Ob564/8413.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosalia M*****, vertreten durch Dr. Michael Stern und DDr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Johann F*****, und 2.) Martha F***** wohnhaft, beide vertreten durch Dr. Albin Ortner, Rechtsanwalt in Villach, wegen Aufhebung eines Vertrags (Streitwert 400.000 S), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 23. Februar 1984, GZ 6 R 11/84‑251, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. Mai 1983, GZ 17 Cg 263/82‑245, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00564.840.1213.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 11.332,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 1.030,20 S, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die am 31. 12. 1974 im Alter von 83 Jahren verstorbene Rosalia H*****, Gattin des am 11. 2. 1976 verstorbenen Bäckermeisters Franz H*****, war Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ ***** KG ***** mit dem Wohn‑ und Geschäftshaus *****. In diesem Haus hatte Franz H***** mit Zustimmung seiner Frau neben seinem Bäckergeschäft in S***** einen Bäckerei‑, Konditorei‑ und Espressobetrieb geführt, der im Jahr 1959 an die Zweitbeklagte verpachtet wurde. Mit Bestandvertrag vom 10. 12. 1962 vermietete Rosalia H***** alle Räumlichkeiten im Parterre des Hauses und zwei im zweiten Stock gelegene Zimmer mit Nebenräumlichkeiten mit Wirkung ab 1. 1. 1963 auf die Dauer von 10 Jahren an die Zweitbeklagte um ein jährliches Entgelt von 20.000 S. Am 15. 12. 1962 verkaufte Rosalia H***** mit einem von Notar Dr. Kurt Cholewa in Villach verfassten Notariatsakt die Liegenschaft an die beiden Beklagten samt den auf der Liegenschaft befindlichen Fahrnissen um den Kaufpreis von 400.000 S, wobei zum Zweck der Grunderwerbssteuerbemessung die Liegenschaft mit 250.000 S und die verkauften Einrichtungsgegenstände, die außerdem nicht als Zubehör anzusehen seien, mit 150.000 S bewertet wurden. Die Beklagten räumten der Rosalia H***** auf Lebenszeit das ausschließliche Wohnrecht für die schon bisher benützte Wohnung im zweiten Stock des Kaufobjekts, bestehend aus drei Zimmern, einem abgeschlossenen Gang und einem vorgebauten Balkon, ein, verpflichteten sich, der Verkäuferin bis zu ihrem Ableben die gute, ihrem Alter und Gesundheitszustand entsprechende Verköstigung (bestehend aus Frühstück, Mittag‑ und Abendessen beim Tisch des Hauses oder auf Verlangen in der Wohnung) zu verabreichen, die Kosten der Beleuchtung der Wohnung und der angemessenen Beheizung eines Wohnraumes zu tragen und eine monatliche Rente von 2.500 S zu bezahlen. Im Hinblick auf das damalige Alter der Rosalia H***** von 71 Jahren wurden die mit monatlich 800 S bewerteten Naturalleistungen (jährlich 9.600 S) und die Leibrentenzahlungen mit dem 7,5‑fachen Jahreswert veranschlagt, und zwar erstere mit 72.000 S, letztere mit 225.000 S, und auf den Kaufpreis angerechnet. Der Restkaufpreis von 103.000 S war nach Ableben der Verkäuferin in monatlichen Raten von 2.500 S an die Erben oder sonstigen Rechtsnachfolger zu bezahlen; falls Rosalia H***** aber länger als 7 1/2  Jahre nach dem 1. 1. 1963 leben sollte, durften die Beklagten monatlich 3.300 S (2.500 S Leibrente und 800 S Naturalleistungen) von diesem Betrag abziehen, bis der Gesamtbetrag von 400.000 S erreicht war, worauf den Erben nichts zugekommen wäre; der den Rechtsnachfolgern zustehende Restkaufpreis hatte aber in gleicher Weise eine Erhöhung zu erfahren, wenn die Verkäuferin vor Ablauf der erwähnten Frist versterben sollte. Der 5 Tage zuvor abgeschlossene Bestandvertrag wurde einverständlich aufgehoben. Die Zweitbeklagte, die zunächst nur durch den Erstbeklagten vertreten war, genehmigte im Ergänzungskaufvertrag vom 17. 12. 1962 diese Vereinbarungen ohne Einschränkung.

Nachdem Franz H***** und die ehelichen Kinder vom Kaufvertrag Kenntnis erlangt hatten, beantragte ersterer am 21. 1. 1963 die volle Entmündigung der Rosalia H***** wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche. Aufgrund eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. Otto S***** sprach das Bezirksgericht Millstadt mit Beschluss vom 5. 7. 1963, L 1/63, die volle Entmündigung der Rosalia H***** wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche (manisch‑depressives Irresein und Demenz) aus und bestellte sodann Franz H***** zum Kurator, dem es auch die Ermächtigung zur Anfechtung des genannten Kaufvertrags erteilte.

Der Nachlas nach Rosalia H***** wurde aufgrund ihres Testaments vom 31. 1. 1962 ihrer bedingt erbserklärten Tochter Rosalia M***** eingeantwortet.

Mit der am 2. 9. 1964 eingebrachten Klage begehrte Rosalia H***** (vertreten durch ihren damaligen Kurator) die Aufhebung des Kaufvertrags vom 15. 12. 1962 wegen Nichtigkeit im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht handlungsfähig gewesen sei. Sie sei schon im Jahr 1908 nach einem Nervenzusammenbruch in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses Klagenfurt gestanden und habe auch nach der Eheschließung im Jahr 1911 häufig ein auffallendes Verhalten gezeigt und zu Größenwahn und manisch‑depressivem Irresein geneigt. Ihre Töchter Rosa und Maria seien wegen manisch‑depressiver Zustände mehrmals stationär behandelt und in der NS‑Zeit wegen erblicher Belastung unfruchtbar gemacht worden. Die Tochter Margarethe G***** habe im Jahr 1959 Selbstmord begangen, ein Kind von ihr sei ebenfalls geisteskrank. Im angefochtenen Vertrag habe sie keine Vorsorge für die in diesem Haus wohnenden Kinder und Enkelkinder getroffen; hinterher habe sie sich an Einzelheiten des Vertrags nicht mehr erinnern können. Der Kaufpreis für das Objekt sei unter der Hälfte des wahren Wertes gelegen. Der Vertrag sei auch nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nichtig.

Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, Rosalia H***** sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses weder geisteskrank noch geistesschwach gewesen. Wegen der schlechten Behandlung durch ihren Gatten sei sie im Herbst 1962 auf die spätere Kaufliegenschaft gezogen und infolge Streitigkeiten mit der Tochter Friederike W***** häufig in dem von den Beklagten betriebenen Espresso gewesen. Der Vorschlag zum Abschluss des Kaufvertrags sei von Rosalia H***** ausgegangen, die auch die Vertragsbedingungen genannt und darin die einzige Möglichkeit gesehen habe, aus der Liegenschaft Kapital zu schlagen. Diese Umstände habe sie auch dem Notar bei der eingehenden Besprechung dargelegt. Als sie von der Absicht ihrer Verwandten, sie zu entmündigen, erfahren habe, habe sie sich am 24. 12. 1962 vom Nervenfacharzt Dr. K***** in Villach untersuchen lassen, der keine Anhaltspunkte für eine Geistesschwäche oder ‑störung gefunden habe. Erst unter dem Einfluss ihrer Verwandten simuliere sie eine Geisteskrankheit. Der vereinbarte Kaufpreis entspreche dem damaligen Verkehrswert der Liegenschaft.

Das Erstgericht gab – im dritten Rechtsgang – dem Klagebegehren statt.

Es stellte – abgesehen von dem bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt – im Wesentlichen Folgendes fest:

Rosalia H***** war in der Zeit vom 26. 4. bis 22. 6. 1908 unter der Diagnose „Manie“ in der Landesheil‑ und Pflegeanstalt Klagenfurt. Ihre 1915 geborene Tochter Maria, die bereits 1933 einen Selbstmordversuch unternommen hatte, war in der Zeit zwischen 1936 und 1952 viermal in der Landesheil‑ und Pflegeanstalt; sie wurde 1951 voll entmündigt. Eine weitere Tochter, nämlich die nunmehrige Klägerin Rosalia M*****, war von Dezember 1936 bis Jänner 1937 in der Landesheil‑ und Pflegeanstalt Klagenfurt. Eine dritte Tochter namens Grete G***** beging im Jahr 1959 Selbstmord.

In den Jahren 1908 war das Bild, das die Umwelt von Rosalia H***** gewann, ein wechselvolles. Viele Menschen, mit denen sie in Berührung kam, konnten in ihrem Verhalten nichts Auffallendes erblicken. Sie war im Haushalt und im Bäckereigeschäft tätig. Sie hat oft für eine größere Anzahl von Personen gekocht und in dem Bäckerladen ihres Mannes bedient. Sie wurde von vielen Menschen, mit denen sie Kontakt hatte, als geistig völlig normal angesehen. Sie machte auf diese Menschen einen ausgeglichenen und normalen Eindruck. Anderen Menschen fiel das Verhalten der Rosalia H***** auf, insbesondere ihre Kleidung. So trug sie fallweise mit Vorliebe breitrandige Hüte und eine altmodische oder in ihrer Farbgebung auffallende Kleidung. Sie hinterließ manchmal einen hektischen Eindruck und fiel durch ihr schrilles und hysterisches Lachen auf, weiters durch ihre Vorliege für Titel und theatralisches Gehabe. Im Verhalten der Rosalia H***** traten dabei wiederholt auffallende Änderungen und Schwankungen ein. Zeiten einer erhöhten Aktivität bei offenem freundlichen Wesen, wobei sich dieses bis zur Hektik steigerte, wechselten mit Zeiten ab, in denen sich Rosalia H***** völlig zurückzog und verschlossen und mürrisch war. In derartigen Zeiten erwiderte sie den von Personen, denen sie in Zeiten der Aktivität freundlich begegnete, gebotenen Gruß nicht.

Am 21. 6. 1960 brachte Rosalia H***** eine auf § 49 EheG gestützte Ehescheidungsklage gegen ihren Gatten ein, die sie in der Folge mit der Begründung, sie habe die Klage in einem Zustand der Depression eingebracht, zurückzog.

Ende 1962 stellte sich ein besonders auffallendes Verhalten ein. Rosalia H***** war schon im Herbst 1962 von S***** in ihr Haus nach *****übersiedelt, in dem die Zweitbeklagte als Pächterin ein Espresso betrieb. Rosalia H***** erschien sowohl in den Nachmittagsstunden als auch spät in der Nacht wiederholt mit einem kupferfarbenen Schlafrock bekleidet im Espressoraum. Als bei einem derartigen Besuch einmal der Schlafrock unten auseinanderklaffte, sodass der unbedeckte Oberschenkel zu sehen war, wurde die Frau von einem Gast aufgefordert, sich anständig anzuziehen, worauf sie sich mit der Bitte an den Erstbeklagten wandte, sie wegzubringen, da sie der Gast beleidigt hätte. Bei anderen Gelegenheiten wieder saß sie mit dem Schlafrock bekleidet vor dem Musikschrank und gab auf Grüße keine Antwort, obwohl sie mit dem Grüßenden nicht verfeindet war und bei anderen Gelegenheiten seinem Gruß stets gedankt hatte. Dann wieder hielt sie sich, selbst zu Mitternacht noch im Morgenrock bekleidet, im Kreise singender Gäste auf. Auffallend war auch, dass sie wiederholt die Platte mit der Bezeichnung „Mamatschi“ abspielen ließ. Rosalia H***** suchte in dieser Zeit – November, Dezember 1962 – auch das ca 80 bis 100 m entfernte Cafe R***** nur mit einem Schlafrock bekleidet auf. Bei einem dieser Besuche gegen 1:20 Uhr früh hatte sie über den Schlafrock eine Stola mit Fransen geworfen; sie war mit Hausschuhen bekleidet und unfrisiert.

Am 15. 12. 1962 erschien Rosalia H***** in Begleitung des Erstbeklagten in der Kanzlei des Notars Dr. Cholewa in Villach. Dort brachten die Erschienen vor, dass Rosalia H***** ihren Besitz in ***** mit Kauf‑ oder Leibrentenvertrag an die Beklagten zu veräußern beabsichtigte. Zunächst wurde Rosalia H***** vom Notar über die familiären Verhältnisse befragt, wobei sie erzählte, dass sie verheiratet sei, von ihrem Gatten aber getrennt lebe. Sie hätte eine größere Anzahl von Kindern. Sie wolle den Besitz gegen eine Leibrente von 2.000 S bis 3.000 S monatlich an die Beklagten übergeben. Über wiederholtes Befragen, ob sie den Besitz nicht einem ihrer Kinder überlassen wolle, antwortete sie, dass die Kinder teils nicht geeignet, teils zu weit entfernt seien. Von ihrem Gatten sei sie oft schlecht behandelt worden. Auch das Verhältnis zu ihren Kindern ließe zu wünschen übrig. Diese würden überdies keine Gewähr dafür bieten, dass sie die von ihnen übernommenen Verpflichtungen erfüllen würden, sodass die Lebensarbeit in Frage gestellt wäre. Zu den Beklagten habe sie jedoch volles Vertrauen und wolle ihnen daher den Besitz übergeben. Bei Durchbesprechung der Vertragspunkte wurde Rosalia H***** vom Notar aufmerksam gemacht, dass bei diesem Vertrag eine Begünstigung der Beklagten vorliege, worauf sie meinte, dass das ihr Wunsch wäre. Sie machte auf den Notar einen ruhigen und freundlichen Eindruck und ging auf die aufgeworfenen Fragen ein. Es wurde dann der Kaufvertrag vom 15. 12. 1962 abgeschlossen und unterfertigt. Mit Kaufvertragsergänzung vom 17. 12. 1962 nahm die Zweitbeklagte die Vereinbarung laut Kaufvertrag vom 15. 12. 1962 vollinhaltlich zustimmend zur Kenntnis.

Als der Notar nach Abschluss des Vertrags erfuhr, dass der Gatte und die Kinder der Rosalia H***** ihren Geisteszustand bezweifelten, gab er den Beklagten den Rat, dass zur Klarstellung eine fachärztliche Untersuchung angebracht sei, wobei er Dr. K*****, mit dem er sich telefonisch ins Einvernehmen setzte, nannte. Am 24. 12. 1962 brachte der Erstbeklagte Rosalia H***** zu Dr. K*****, Facharzt sprach mit Rosalia H***** ca eine Stunde. Sie war zeitlich und örtlich orientiert. Ihre Stimmungslage war indifferent, weder depressiv noch gehoben. Das Gespräch war allerdings dem Alter entsprechend mühsam. Es mussten Fragen wiederholt werden. Rosalia H***** konnte ein Bild ihrer Verwandtschaft geben und wusste die Geburtstage ihrer Kinder, die sterilisiert worden waren. Dr. K***** sprach mit ihr übe den letzten Krieg, über Politik, Naturgeschichte und andere Wissensgebiete und auch über den Verkauf ihrer Liegenschaft. Dabei kam hervor, dass das Altgedächtnis wesentlich besser war als das Gedächtnis für neuere Bereiche. Ein durchgeführter Intellingenztest fiel dem Alter und Bildungsgraf entsprechend aus. Im Übrigen gab Rosalia H***** als Motiv für den Abschluss des Vertrags an, dass sie sich nichts leisten könne und sich die letzten Jahre etwas verschönern wolle. Sie äußerte aber keine Gedanken über die Folgen des Leibrentenvertrags. Dr. K***** kam zu dem Schluss, dass bei Rosalia H***** kein Anhaltspunkt für eine geistige Störung oder eine Geistesschwäche bestand und dass sie als voll handlungsfähig zu betrachten sei. Dabei ging Dr. K***** jedoch davon aus, dass der absteigende Stammbaum frei von Trinkern, Epileptikern, Geisteskranken oder Geistesschwachen sei. Aus den Angaben der Untersuchten wusste er lediglich, dass ihre Tochter Grete G***** am 25. 6. 1959 durch Strangulation Selbstmord begangen hatte. Er wusste aber nicht, dass Rosalia H***** bereits selbst in Anstaltspflege gewesen war und er kannte auch nicht die in der Nachkommenschaft aufgetretenen Geisteskrankheiten.

Im Jahr 1963 kam Rosalia H***** in Behandlung des praktischen Arztes Dr. S*****. Dieser stellte ein schwankendes Verhalten fest, das von anderen Zeugen bereits in der Zeit vorher als auffallend wahrgenommen wurde. Im Verlauf seiner Behandlung stellte er Zeiten mit heiterer Stimmungslage und Überaktivität fest, die dann wieder mit Zeiten einer mürrischen bis depressiven Stimmungslage abwechselten, wobei die Zeiten der heiteren Stimmungslage im Durchschnitt meist länger waren; sie hatten oft ein Ausmaß bis zu 6 Monaten. Dr. S***** behandelte Rosalia H***** auch wegen ihrer Stimmungsschwankungen. Bei Hausbesuchen traf er sie wiederholt im Bett liegend an. konnte jedoch keinen organischen Krankheitsbefund erheben. Meist traf er sie so an, dass sie die Decke über den Kopf gezogen hatte und er musste sie erst in ein Gespräch verwickeln, um sie von ihrem ziellosen Jammern abzulenken. Während Dr. S***** zu Beginn seiner Behandlung die Betreute als schizoide Persönlichkeit eingestuft hatte, ordnete er sie im Lauf seiner dreijährigen Behandlung in den Formenkreis der Manisch‑Depressiven ein. In den drei Jahren nach Juni 1963 baute Rosalia H***** psychisch immer weiter ab.

Rosalia H***** litt an einer senil‑arteriosklerotischen Demenz, die zusammen mit dem bei ihr bestandenen manisch‑depressiven Zustand die Fähigkeit der Kritik und der logischen Einsicht so herabsetzte, dass sie die Tragweite des am 15. 12. 1962 geschlossenen Vertrags nicht im vollen Umfang beurteilen konnte, insbesondere nicht die Auswirkungen auf ihre Angehörigen. Ihre voll entmündigte Tochter Maria H***** wohnte im Haus *****, ebenso die Tochter Friederike W***** mit ihrer Familie; deren Mann übte in einem Nebengebäude der Liegenschaft das Tischlereihandwerk aus. Friederike W***** war die Konzessionsinhaberin für das an die Zweitbeklagte verpachtete Espressogewerbe. Der Tochter Rosalia M***** stand das Fremdenbeherbergungsgewerbe im Haus zu. Rosalia H***** war nicht bewusst, dass sie durch den Verkauf der Existenz ihrer beiden Kinder Rosalia und Friederike gefährdete, nämlich die Ausübung des Fremdenbeherbergungsgewerbes durch Rosalia M***** und schließlich, wenn auch erst in fernerer Zeit, allenfalls die Ausübung der Gewerbekonzession für das Espresso, schließlich aber auch die weitere Ausübung des Tischlereihandwerks durch ihren Schwiegersohn Karl W*****. Darüber hinaus war ihr nicht bewusst, dass durch die getroffene Lösung die Wohnungsmöglichkeit für die voll entmündigte Maria H***** und die zweite Tochter Friederike und deren Angehörige genommen wurde, abgesehen von den übrigen Wirkungen des Entfalls von künftigen Einnahmen aus Vermietung oder Verpachtung. Im Zeitpunkt der Vertragsauslegung befand sich Rosalia H***** gerade in einer manisch enthemmten Phase einer beginnenden Involutionspsychose, die dann in eine depressive Phase übergegangen ist. Die gleichzeitig vorhandene mittelgradige cerebrale Arteriosklerose setzte dabei die durch die andere Krankheit schon bewirkte Kritikschwäche so weit herab, dass ihre Entscheidung weitgehend nicht von logischen Überlegungen, sondern von momentanen Affekten (jemand zu ärgern, es den Kindern heimzuzahlen, demonstrative Verfügungsgewalt über ihr Vermögen) abhängig war. Die Kombination beider Geisteskrankheiten bewirkte nicht das gänzliche Fehlen oder den vollständigen Verlust jedes kritischen Verhaltens und jeder logischen Entscheidung, wohl aber eine weitgehende Beeinträchtigung. Rosalia H***** vermochte die Tragweite des am 15. 12. 1962 von ihr abgeschlossenen Geschäfts (Verkauf) nicht zu erfassen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, entscheidend sei, ob Rosalia H***** die Tragweite des konkreten hier zu beurteilenden Vertrags am 15. 12. 1962 zu beurteilen vermochte oder nicht. Aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse müsse gesagt werden, dass Rosalia H***** infolge des Zusammenwirkens ihrer beiden geistigen Erkrankungen, nämlich der senil‑arteriosklerotischen Demenz und des manisch‑depressiven Irreseins im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in ihren Hirnleistungsfunktionen und damit in ihrer Fähigkeit der Kritik und der logischen Einsicht und Überlegung so eingeschränkt gewesen sei, dass sie die mit ihrer Handlungsweise verbundenen weitreichenden Wirkungen nicht zu beurteilen vermocht habe. Aus diesem Unvermögen infolge der zwar nicht völligen, aber immerhin stark eingeschränkten Handlungsfähigkeit müsse demnach die Einsicht zur Beurteilung des Geschäfts hinsichtlich der Tragweite des abgeschlossenen Vertrags verneint werden. Mangels Fähigkeit der Person im Sinne des § 865 ABGB sei daher der Vertrag nicht gültig zustande gekommen.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, 300.000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen der in der Berufung der Beklagten behaupteten Verfahrensmängel und übernahm die Feststellungen des Erstgerichts – mit Ausnahme jener über die einzelnen von Rosalia H***** bei Vertragsabschluss nicht bedachten Umstände, die es als rechtlich nicht relevant bezeichnete – als unbedenklich.

Rechtlich führte es im Wesentlichen aus, da der Klägerin der Nachweis der Geschäftsunfähigkeit der Rosalia H***** im besonderen Fall gelungen sei – die Aufzählung der bedachten und der außer Betracht gelassenen Beweggründe und Überlegungen sei bei Ausschluss der Geschäftsfähigkeit nicht notwendig und in der Regel auch gar nicht möglich –, müsse der Berufung der Beklagten ein Erfolg versagt bleiben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist infolge des Bewertungsausspruchs des Berufungsgerichts ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Beschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.

Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Aber auch der Rechtsrüge der Beklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seinem in diesem Rechtsstreit am 28. 2. 1978 zu 8 Ob 580/77 ergangenen Beschluss (Bd IV ON 204), auf dessen Begründung im Einzelnen zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, dargestellt, dass es, soweit der Geisteszustand der Rosalia H***** im Zeitpunkt der Vertragserrichtung nicht dem eines Kindes unter 7 Jahren gleichkam und damit ihre Handlungsfähigkeit vollkommen aufgehoben war, bei der Entscheidung dieses Rechtsstreits darauf ankommt, ob sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in der Lage war, die Tragweite des konkreten von ihr geschlossenen Vertrags zu beurteilen. Dabei müssten, da grundsätzlich vom Vorliegen der Handlungsfähigkeit auszugehen sei, in der Natur des geschlossenen Vertrags oder in sonstigen besonderen Umständen begründete Anhaltspunkte vorliegen, um Rosalia H***** in Ansehung des von ihr geschlossenen Vertrags als handlungsunfähig behandeln zu können.

Die Feststellung der bei der in Frage stehenden Personen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhandenen Einsichten, Vorstellungen und geistigen Fähigkeiten fällt ausschließlich in den Tatsachenbereich und ist als Akt der Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar (RZ 1979/90; 6 Ob 544/82 ua).

Die Vorinstanzen sind – letztlich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Franz S***** folgend – in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass sich Rosalia H***** zur Zeit des Abschlusses des hier in Frage stehenden Vertrags in einem derart beeinträchtigten Geisteszustand befand, dass ihr zwar die Fähigkeit zu kritischem Verhalten und logischer Entscheidung nicht vollkommen fehlte, aber weitgehend beeinträchtigt war. Ihr Geisteszustand war derart, das ihre Entscheidung weitgehend nicht von logischen Überlegungen, sondern von momentanen Affekten abhängig war.

Diese eindeutigen und ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Feststellungen der Vorinstanzen ermöglichen eine erschöpfende Beurteilung der Handlungsfähigkeit der Rosalia H***** im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, ohne dass es weiterer Feststellungen darüber bedürfte, welche Vertragsfolgen Rosalia H***** im Einzelnen nicht überblickte und bedachte. Denn die Erfassung der Tragweite eines Rechtsgeschäfts (zumal mit einem wie im vorliegenden Fall ziemlich komplizierten Inhalt) setzt eben voraus, dass der Vertragschließende gesundheitsbedingt in der Lage ist, den Abschluss des Rechtsgeschäfts von logischen Überlegungen abhängig zu machen und nicht von außerhalb seiner bewussten Willensbildung liegenden Affekten. War diese Fähigkeit der Rosalia H***** zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aber infolge ihres damaligen beeinträchtigten Geisteszustands so herabgesetzt, dass ihre Entscheidung weitgehend nicht von logischen Überlegungen, sondern von momentanen Affekten abhängig war, dann ist in der Beurteilung der Vorinstanzen, dass ihr im Sinne des § 865 ABGB die Geschäftsfähigkeit zum Abschluss des hier zu beurteilenden Vertrags mit den Beklagten fehlten, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Entgegen der in der Revision vertretenen Meinung ist die Tatsachengrundlage, von der das Berufungsgericht ausging, durchaus klar und genügen die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen zu einer erschöpfenden rechtlichen Beurteilung.

Folgt das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist dies der Ausdruck seiner Beweiswürdigung, und die darauf gegründete Entscheidung kann im Revisionsverfahren mit dem Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 4 ZPO nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn dargetan wird, dass bei Übernahme des Gutachtens Denkgesetze verletzt wurden oder wesentlicher Verhandlungsstoff unberücksichtigt blieb (SZ 22/126; ZVR 1969/124; 2 Ob 116/76; 8 Ob 38/81 uva). Derartiges zeigen die Beklagten aber mit ihren Revisionsausführungen nicht auf. Ihren diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen ist zu entgegnen, dass der Sachverständige Prof. Dr. S***** nie zu dem Ergebnis gelangte, dass Rosalia H***** im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vollkommen geschäftsunfähig gewesen wäre; die aus einer solchen Behauptung von den Rechtsmittelwerbern gezogenen Schlüsse entbehren einer Deckung im Akteninhalt. Ob die vom Sachverständigen diagnostizierte Beeinträchtigung des Geisteszustands der Rosalia H***** im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen bestimmten Grad ihrer senil‑arteriosklerotischen Demenz voraussetzte oder ob sie als temporäre Dekompensation zu bezeichnen ist, ist eine medizinische Sachfrage, deren Beurteilung durch den Sachverständigen unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen die Verletzung von Denkgesetzen nicht erkennen lässt. Dass im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S***** wesentlicher Verhandlungsstoff unberücksichtigt geblieben wäre, wird im Rechtsmittel der Beklagten nicht aufgezeigt. Insgesamt stellen sich die Rechtsmittelausführungen der Beklagten, soweit damit die Richtigkeit des Gutachtens dieses Sachverständigen bekämpft wird, nur als Versuch eines im Revisionsverfahren unzulässigen Angriffs auf die Beweiswürdigung der Vorinstanzen dar.

Soweit die Beklagten in ihrer Rechtsrüge letztlich darzutun versuchen, dass aus dem Verlust des „Gesamtüberblickes“ durch Rosalia H***** ihre mangelnde Geschäftsfähigkeit nicht abzuleiten sei, ist ihnen zu entgegnen, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen Rosalia H***** infolge einer geistigen Erkrankung nicht in der Lage war, das hier zu beurteilende Rechtsgeschäft aufgrund freier und ausschließlich auf logische Überlegungen geschützter Willensbildung abzuschließen und dass daher ihre geistigen Fähigkeiten gerade für das konkrete hier zu beurteilende Rechtsgeschäft nicht ausreichten (siehe dazu Aicher in Rummel ABGB § 21 Rdz 5 und die dort zitierte Lehre und Rechtsprechung). Da diese mangelnde Einsichtsfähigkeit ihren Grund in einem krankhaften Geistesgebrechen hatte, begründet sie, wie die Vorinstanzen richtig erkannten, die Annahme der mangelnden Geschäftsfähigkeit der Rosalia H***** zum Abschluss des hier in Frage stehenden Rechtsgeschäfts im Sinne des § 865 ABGB.

Die Beklagten vermögen somit auch einen dem Berufungsgericht unterlaufenen Rechtsirrtum nicht aufzuzeigen. Ihrer Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Ersatz der auf ihrer Revisionsbeantwortung beigebrachten Gerichtskostenmarken gebührt der Verfahrenshilfe genießenden Klägerin nicht.

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