OGH 6Ob662/84

OGH6Ob662/8424.10.1984

SZ 57/162

Normen

ABGB §1311
ArzneibuchG §5
ABGB §1311
ArzneibuchG §5

 

Spruch:

Der Drogist ist verpflichtet, Arzneien vor Abgabe an den Letztverbraucher auf ihre Identität mit der auf der Beschriftung angegebenen Arznei zu prüfen

OGH 24. 10. 1984, 6 Ob 662/84 (OLG Wien 14 R 84/84; LGZ Wien 20 Cg 401/82)

Text

Der Beklagte betreibt die B-Drogerie in M; seit Jahren - zuletzt im März 1982 - hat er von der Alfred R-KG in K Käsepappeltee bezogen, der in Mengen von 5 kg in Papiersäcken abgepackt war. Der Beklagte packte den Tee in Verkaufskartons zu je 10 dag um, ohne die Teeblätter vorher noch zusätzlich zu bearbeiten. Der Kläger kaufte schon seit Jahren in der Drogerie des Beklagten verschiedene Kräutertees, darunter auch Käsepappeltee. Die letzten Packungen dieser Teesorte - drei bis vier Stück a 10 dag - bezog er dort im September oder Anfang Oktober 1981. In diesen Packungen, die mit dem Aufdruck "B-Drogerie M", versehen waren, war zu einem Anteil von zumindest 40 vH die giftige Droge Stechapfel (Folium Stramonii) enthalten. Durch den Genuß dieser Teemischung kam es beim Kläger am 13. 10. 1981 zu Vergiftungserscheinungen (vorübergehende Sprachstörungen und Halbseitenschwäche der rechten Gliedmaßen, Harnverhalten, Trübung des Sensoriums sowie vorübergehende Mangeldurchblutung des Gehirns). Der Kläger wurde noch am selben Tag ins Krankenhaus M aufgenommen, wo eine vorübergehende konstitutionell bedingte Hirnmangeldurchblutung diagnostiziert wurde. Da die infolge Beimengung von Stechapfel aufgetretene akute Atropinvergiftung nach wenigen Tagen abklingt, wurde der Kläger am 24. 10. 1981 aus dem Spital entlassen. In der Folge trank er weiterhin den vom Beklagten gekauften Käsepappeltee. Daraufhin kam es bei ihm zu Störungen seiner Konzentrationsfähigkeit und zu einer erhöhten psychischen Irritierbarkeit, Symptomen einer chronischen Intoxikation mit atropinhältigen Substanzen. Am 6. 4. 1982 trank der Kläger wieder den Tee. Er mußte erneut ins Krankenhaus M eingeliefert werden, wo man eine akute Atropinvergiftung feststellte. Atropinhältige Präparate oder Medikamente hat der Beklagte zur fraglichen Zeit nie eingenommen. Im gesamten Zeitraum vom 13. 10. 1981 bis 9. 4. 1982 mußte der Kläger Schmerzen und schmerzgleiche Beeinträchtigungen ausstehen, die zu zwei Tagen starken, 14 Tagen mittleren und zwei Monaten leichten Schmerzen gerafft werden können.

Der Kläger begehrte zuletzt ein Schmerzengeld von 70 000 S, wobei er vorbrachte, der Beklagte habe die pflichtgemäße Kontrolle des von ihm vertriebenen Käsepappeltees schuldhaft unterlassen und die schwere, mit Schmerzen verbundene Beeinträchtigung der Gesundheit des Klägers zu verantworten.

Der Beklagte wendete ein, er hafte selbst dann nicht, wenn die Vergiftung von dem von ihm verkauften Käsepappeltee herrühren sollte. Er sei bloß Händler und als solcher zu einer genauen chemischen Untersuchung des von der Alfred R-KG bezogenen Tees nicht verpflichtet gewesen, zumal für ihn kein Anlaß bestanden habe, an der vorschriftsmäßigen Zusammensetzung des Tees zu zweifeln.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, der vom Beklagten verkaufte Käsepappeltee sei ein Arzneimittel, das gemäß § 4 ArzneibuchG den Vorschriften des Arzneibuches entsprechen müsse, sofern es zur Abgabe an Verbraucher im Inland bestimmt sei. Der Beklagte habe die ihn nach § 5 Abs. 1, 2 und 3 ArzneibuchG treffende Prüfungspflicht verletzt und dadurch gegen eine Schutznorm verstoßen. Er hafte daher für den dabei eingetretenen Schaden. Das begehrte Schmerzengeld sei angemessen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte aus, der Beklagte sei als Drogist gemäß § 223 GewO 1973 ua. zum Kleinhandel mit zur arzneilichen Verwendung bestimmten Stoffen und Präparaten, deren Abgabe auch außerhalb von Apotheken durch bundesrechtliche Vorschriften gestattet sei, und zur Herstellung und zum Verkauf von Teemischungen und Hautsalben, denen keine Heilwirkung zukomme, berechtigt. Gemäß § 5 Abs. 3 ArzneibuchG müsse, wer Arzneimittel an Letztverbraucher abgebe, diese Mittel auf ihre Identität prüfen; die Prüfungspflicht bestehe unabhängig von den einschlägigen Angaben im Arzneibuch. Bei der Abgabe pharmazeutischer Spezialitäten sei eine Identitätsprüfung hingegen nicht vorgeschrieben. Für die Zeit vor Inkrafttreten des erst am 1. 1. 1982 für verbindlich erklärten Arzneibuches sei durch § 3 der Verordnung der Ministerien des Inneren und des Handels vom 17. 6. 1886, RGBl. 1886/97, klargestellt worden, daß der Verkauf des Käsepappeltees (Malvae Flores et Folia) als Arzneimittel auch Drogerien gestattet sei. Der Beklagte sei ungeachtet der Wirksamkeit des Arzneibuches zur Prüfung des von ihm verkauften Käsepappeltees verpflichtet gewesen; der Kläger habe sich auch auf die Unterlassung der pflichtgemäßen Kontrolle des Tees durch den Beklagten berufen. Damit habe der Kläger dargetan, daß der Beklagte die zum Schutz der Letztverbraucher erlassene Bestimmung des § 5 Abs. 3 ArzneibuchG übertreten habe. Es könne allerdings noch nicht beurteilt werden, ob dem Beklagten dabei ein Verschulden zur Last falle. Er hafte nämlich dem Käufer nur für die Erfüllung der ihn als Händler treffenden Pflichten. Da er auf Grund des Kaufvertrages nicht selbst zur Herstellung der Ware verhalten sei, müsse er nicht für jedes Verschulden des Erzeugers, der nicht sein Erfüllungsgehilfe sei, einstehen. Den Händler treffe zwar hinsichtlich der Warenqualität eine gewisse Prüfungspflicht, wobei an den Drogisten als Fachhändler strengere Anforderungen zu stellen seien, doch könnten auch von ihm im allgemeinen nicht eigene kostspielige technische Kontrollen erwartet werden. Das habe die Rechtsprechung bereits beim Vertrieb von Chemikalien zum Ausdruck gebracht. Gleiches müsse auch für die vom Drogisten berechtigterweise verkauften Arzneimittel gelten. Im fortgesetzten Verfahren werde daher zu klären sein, inwieweit der Beklagte den von ihm verkauften Tee überprüft habe und ob diese Prüfung im Hinblick auf sein Fachwissen und seine technischen Hilfsmittel ausreichend gewesen sei. Soweit danach Einzelheiten des Schadensereignisses unaufgeklärt bleiben sollten, habe sie jedoch der Beklagte zu vertreten.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers Folge und erkannte in der Sache, daß der Berufung des Beklagten nicht Folge gegeben wird.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Ob der Beklagte für die Folgen der Atropinvergiftung des Klägers einzustehen hat, hängt in erster Linie davon ab, ob und in welchem Umfang ihn die vom Kläger behauptete Prüfungspflicht traf. Gemäß § 223 Abs. 1 GewO 1973 umfaßt die Berechtigung zur Ausübung des konzessionspflichtigen Drogistengewerbes ua. den Kleinhandel mit zur arzneilichen Verwendung bestimmten Stoffen und Präparaten, sofern deren Abgabe an Letztverbraucher auch außerhalb von Apotheken durch bundesrechtliche Vorschriften gestattet ist. Da die im § 224 GewO 1973 vorgesehene Verordnung bisher nicht erlassen wurde (Mache-Kinscher[5], GewO, Anm. 3 zu § 224), bleiben die Verordnungen der Ministerien des Inneren und des Handels vom 17. 9. 1883, RGBl. Nr. 152, vom 17. 6. 1886, RGBl. Nr. 97, und vom 8. 12. 1895, RGBl. Nr. 188 (die sogenannten Abgrenzungsverordnungen), im Gesetzesrang in Kraft (Mache-Kinscher aaO Anm. 4 und 5 zu § 223 Gewo). Gemäß § 3 der Verordnung RGBl. 1886/97 ist das Feilhalten und der Verkauf bestimmter dort angeführter, nur zu Heilzwecken verwendeter Artikel - darunter der Malvae Flores et Folia (= Käsepappelblüten und - blätter; vgl. Österreichisches Arzneibuch, 9. Ausgabe, Band I 526 und 542) - unter den dort genannten Modalitäten und Bedingungen auch anderen Geschäften als Apotheken gestattet; insoweit ist also der für Arzneien grundsätzlich geltende Apothekenvorbehalt aufgehoben. Es unterliegt daher keinem Zweifel, daß der Beklagte zur Abgabe des Käsepappeltees an Letztverbraucher gewerberechtlich befugt war.

Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß das Arzneibuchgesetz (BGBl. 195/1980) mangels einer anders lautenden Bestimmung am Tage nach seiner Verlautbarung, also am 10. 5. 1980, in Kraft getreten ist (Art. 49 Abs. 1 B-VG; § 4 Abs. 1 BGBlG). § 8 Abs. 2 ArzneibuchG bestim mt lediglich, daß bis zum Inkrafttreten der Verordnungen gemäß § 2 Abs. 2 und 4 dieses Bundesgesetzes die Arzneibuchverordnung (BGBl. 229/1960) und die beiden Arzneibuchnachtragsverordnungen (BGBl. 154/1966 und 313/1975) als Bundesgesetze in Kraft bleiben. Diese Regelung war deshalb notwendig, weil sonst bis zu dem Zeitpunkt in welchem das neue Arzneibuch für verbindlich erklärt wurde, die Rechtsgrundlage für die Verbindlichkeit des bisherigen Österreichischen Arzneibuches weggefallen wäre (RV 244 BlgNR XV. GP 8). Tatsächlich ist das aus dem Europäischen Arzneibuch, Österreichische Ausgabe, und dem Österreichischen Arzneibuch, das ist die gemäß § 2 Abs. 3 ArzneibuchG vorgenommene Zusammenfassung jener mit den drei vorgenannten Verordnungen erlassenen Bestimmungen des Österreichischen Arzneibuches, 9. Ausgabe, die durch Vorschriften des Europäischen Arzneibuches nicht ersetzt werden, bestehende Arzneibuch gemäß § 1 ArzneibuchV vom 30. 4. 1981, BGBl. 238, erst mit 1. 1. 1982 für verbindlich erklärt worden. Die übrigen Bestimmungen des Arzneibuchgesetzes - und damit auch die Regelung der Prüfungspflicht im § 5 - waren dagegen beim Verkauf des Käsepappeltees an den Kläger bereits in Wirksamkeit. Gemäß § 5 Abs. 3 ArzneibuchG hat, wer Arzneimittel an den Letztverbraucher abgibt, die Arzneimittel hiebei auf Identität zu prüfen. Eine Identitätsprüfung ist auch dann vorzunehmen, wenn das Arzneibuch keine diesbezüglichen Angaben enthält. Lediglich bei der Abgabe pharmazeutischer Spezialitäten sind Identitätsprüfungen nicht mehr erforderlich. Eine solche Spezialität ist der abweichend vom § 1 Abs. 1 SpezialitätenO (BGBl. 99/1947 in der gegenwärtigen Fassung) vom Beklagten erst abgefüllte Käsepappeltee auch schon deshalb nicht, weil homöopathische Zubereitungen überhaupt ausgenommen (§ 1 Abs. 2 lit. c SpezialitätenO) und Spezialitäten vom Apothekenvorbehalt betroffen sind (§ 2 Abs. 1 SpezialitätenO).

Daß Käsepappeltee (genauer: Käsepappelblüten und -blätter - Folium et Flores Malvae) ein zu arzneilicher Verwendung bestimmter Stoff auch schon im Zeitpunkt der Abgabe an den Kläger war, ergibt sich nicht bloß aus der Aufzählung im § 3 der Abgrenzungsverordnung RGBl. 1886/97, sondern auch aus der Beschreibung im Österreichischen Arzneibuch, 9. Ausgabe, in der für den fraglichen Zeitpunkt verbindlich erklärten Fassung auf Grund der Ersten Arzneibuchnachtragsverordnung (ÖAB, 9. Ausg., Bd. I 715 und 733 f.). Handelte es sich bei dem abgegebenen Käsepappeltee um ein Arzneimittel, war der Beklagte verpflichtet, den von ihm verkauften Tee auf Identität zu prüfen. Diese Prüfung dient dazu, um die Identität der Arznei mit dem auf der Beschriftung angegebenen Stoff als hinreichend gesichert ansehen zu können (vgl. ÖAB 1981 Bd. I 17). Welchen Zweck diese - trotz im allgemeinen schon in früheren Verkehrsphasen (Erzeugung, Einfuhr udgl.) vorgenommener Prüfungen - dem Abgeber von Arzneimitteln an den Letztverbraucher vorgeschriebene Prüfung auf Identität verfolgt, ist schon im § 1 Abs. 1 ArzneibuchG festgehalten (Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier), kann aber noch deutlicher den Materialien (RV 244 BlgNR XV. GP 7) entnommen werden: Es erscheine aus Sicherheitsgrunden geboten, das Arzneimittel vor Abgabe an den Letztverbraucher durch Überprüfung zumindest seiner Identität einer nochmaligen Kontrolle zu unterziehen: selbst bei nicht im Arzneibuch enthaltenen Arzneimitteln sei es angesichts der Notwendigkeit einer Letztkontrolle aus Sicherheitsgrunden dem Normadressaten (das ist also demjenigen, der Arzneien an den Letztverbraucher - als Erzeuger oder Händler - abgibt) durchaus zumutbar, mit seinem Sachwissen und auf Grund geeigneter Unterlagen wie etwa Analysezertifikate, Produktbeschreibungen ua. mehr eine Identitätsprüfung durchzuführen. Die Prüfungsvorschriften des § 5 ArzneibuchG sind demnach Schutznormen zugunsten der Letztverbraucher, die hiedurch vor Gefährdungen und Schädigungen von Leben und Gesundheit bewahrt werden sollen. Deshalb kann sich der Beklagte auch nicht auf die Entscheidung SZ 52/74 berufen. Dort hat der beklagte Drogist kein Arzneimittel, sondern eine bei der Weinkelterung verwendete Chemikalie (SO-Reagenz) verkauft. Abgesehen davon, daß sich dieser Vorfall vor Inkrafttreten des Arzneibuchgesetzes zugetragen hatte, hätte das genannte Gesetz mit den dort normierten Prüfungspflichten auf diesen Fall auch gar nicht zur Anwendung gelangen können.

Daß der Beklagte die vorgeschriebene Identitätsprüfung vorgenommen hätte, hat er weder behauptet noch ist das vom Erstgericht festgestellt worden; der Beklagte hat sich in diesem Belange auf das Vorbringen, er sei zu einer genauen chemischen Untersuchung nicht verpflichtet gewesen, beschränkt. Es ist also davon auszugehen, daß der Beklagte seiner Pflicht zur Identitätsprüfung bei Abgabe des Käsepappeltees an den Kläger nicht nachgekommen ist und damit die Schutznorm des § 5 Abs. 3 ArzneibuchG übertreten hat. Das Berufungsgericht vertrat - unter Verweisung auf die Entscheidung SZ 52/74 - die Auffassung, es müsse noch geprüft werden, ob dem Beklagten bei der Unterlassung der Identitätsprüfung ein Verschulden zur Last gefallen sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß zwar auch § 1311 ABGB zur Ersatzpflicht dessen, der eine Schutznorm verletzt, ein Verschulden an der Übertretung fordert. Die Behauptungs- und Beweislast, daß gegen das Schutzgesetz unverschuldet verstoßen worden sei, trifft jedoch den Schädiger (RZ 1979/67 uva.). Daß das Erstgericht die vom Beklagten erst im Rechtsmittelverfahren aufgeworfene Frage, ihn treffe an der Unterlassung der Identitätsprüfung jedenfalls kein Verschulden, nicht erörtert hat, begrundet deshalb keinen Feststellungsmangel, weil es dem Berufungsgericht verwehrt ist, Verfahrensergänzungen aufzutragen, die durch die Prozeßbehauptungen der Partei nicht gedeckt sind (JBl. 1976, 591; zuletzt wieder 6 Ob 640/84). Die Rechtssache erweist sich demnach auch in den vom Berufungsgericht noch als aufklärungsbedürftig erachteten Belangen als spruchreif.

Der Beklagte hat dem Kläger daher für die selbst zufälligen Folgen der unterlassenen Identitätsprüfung und der damit bewirkten Abgabe eines mit atropinhältigen Substanzen versetzten Käsepappeltees einzustehen und ihm daher auch ein angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen (§ 1325 ABGB).

Da das Gericht zweiter Instanz die Mängel- und Beweisrüge in der Berufung erledigt hat, hat der OGH angesichts der Spruchreife in der Sache selbst zu erkennen (§ 519 Abs. 2 ZPO). Der Beklagte bekämpfte in der Berufung das zugesprochene Schmerzengeld der Höhe nach nicht mehr; da das Erstgericht zumindest im Ergebnis die Schadenersatzpflicht des Beklagten richtig beurteilt hat, ist der Berufung in Stattgebung des Rekurses keine Folge zu geben (Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz. 1983).

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