OGH 1Ob676/83

OGH1Ob676/8329.6.1983

SZ 56/113

Normen

CMR Art17
CMR Art17

 

Spruch:

Der Frachtführer kann sich nach der CMR von seiner Haftung für gestohlenes Ladegut nur befreien, wenn der Diebstahl unter so ungewöhnlichen Umständen stattfand, daß er auch unter Anwendung äußerster Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können; allein der Hinweis auf arbeitsrechtliche Verpflichtungen seinem das Kraftfahrzeug lenkenden Dienstnehmer gegenüber genügt zur Haftungsbefreiung nicht

OGH 29. 6. 1983, 1 Ob 676/83 (OLG Innsbruck 2 R 19/83; LG Innsbruck 14 Cg 526/82)

Text

Am 13. 1. 1982 beauftragte die Firma R GesmbH Darmstadt die Speditionsfirma T Ludwigshafen mit der Vermittlung eines Warentransportes nach Italien. Die Firma T beauftragte die beklagte Partei als Frachtführer, den Transport durchzuführen. Die beklagte Partei nahm den Auftrag an und übernahm die Ware am 13. 1. 1982 mit CMR-Frachtbrief. Auf die Durchführung des Vertrages war daher das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) anzuwenden. Nach Art. 17 Abs. 1 dieses Übereinkommens haftet der Frachtführer für gänzlichen oder teilweisen Verlust und für Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ist der Frachtführer von dieser Haftung unter anderem befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung des Frachtgutes durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht habe vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Für seine Bediensteten und alle anderen Personen, deren sich der Frachtführer bei der Ausführung der Beförderung bedient, haftet er wie für eigene Handlungen und Unterlassungen, wenn diese Bediensteten oder andere Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handelten (Art. 3 CMR). Der Beweis, daß der Verlust durch einen der in Art. 17 Abs. 2 bezeichneten Umstände verursacht worden ist, obliegt gem. Art. 18 Abs. 1 CMR dem Frachtführer. Die beklagte Partei führte den Frachtauftrag mit einem eigenen LKW-Zug aus. Zum Lenken dieses LKW-Zuges teilte sie nur einen Kraftfahrer ein. Dieser stellte den LKW-Zug samt Frachtgut am Abend des 14. 1. 1982 in der Nähe von Mailand auf einem frequentierten, aber unbewachten Parkplatz ab, um in dem nahegelegenen Restaurant zu essen. Der LKW-Zug der beklagten Partei war mit anderen LKW-Zügen abgestellt; die Türen waren versperrt. Für die Bewachung des Fahrzeuges und des darauf geladenen Frachtgutes sorgte der Fahrer der beklagten Partei nicht. Die Fahrtunterbrechung dauerte von etwa 21 Uhr bis 21.30 Uhr. Während dieser Zeit wurde das Fahrzeug aufgebrochen und gestohlen. Es konnte später in leicht beschädigtem Zustand wieder aufgefunden werden, das Frachtgut blieb jedoch verloren. Auf Grund eines zwischen der Firma R GesmbH und der klagenden Partei für das Frachtgut bestehenden Versicherungsvertrages bezahlte die klagende Partei ihrer Versicherungsnehmerin zur Abgeltung des Diebstahlschadens 61 336 DM. Die Firma R GesmbH trat am 3. 3. 1982 die ihr aus den Frachtbriefen vom 13. 1. 1982 zustehenden Rechte an die klagende Partei ab.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei Zahlung des der Höhe nach unbestrittenen Betrages von 429 352 S sA mit der Behauptung, die beklagte Partei hafte als Frachtführerin für den gänzlichen Verlust des Gutes. Sie hafte hiebei auch für Handlungen und Unterlassungen der Personen, deren sie sich bei der Ausführung der Beförderung bedient habe wie für eigene Handlungen und Unterlassungen.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der Diebstahl des LKW-Zuges unabwendbar gewesen sei. Der Fahrer des LKW- Zuges habe alles Zumutbare unternommen, um diesen vor Diebstahl zu schützen. Das Abstellen auf einem bewachten Parkplatz sei ihm nicht möglich gewesen, da es einen solchen nicht gegeben habe. Im übrigen kämen Diebstähle auch auf bewachten Parkplätzen vor. Den LKW-Zug mit zwei Kraftfahrern zu besetzen sei wirtschaftlich nicht zumutbar und auch nicht üblich gewesen. Auch dadurch hätte ein Diebstahl nicht verhindert werden können, da die in Italien tätigen Diebsbanden häufig mit Waffengewalt vorgingen. Bei längeren Fahrten müsse ein Kraftfahrer Lenkpausen einlegen. Der Verlust des Gutes sei somit durch Umstände verursacht worden, die der Beklagte nicht habe vermeiden und deren Folgen er nicht habe abwenden können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dieser Haftungsbefreiungsgrund des Art. 17 Abs. 2 CMR liege nicht vor. Der Diebstahl des Frachtgutes samt dem Fahrzeug, das während einer Lenkpause auf einem unbewachten, aber frequentierten Parkplatz abgestellt gewesen sei, begrunde kein unabwendbares Ereignis. Die beklagte Partei habe daher als beauftragte Frachtführerin für den durch den Diebstahl erfolgten Verlust des Frachtgutes einzustehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Umstände, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden könne, lägen nur vor, wenn es unter Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich sei, den Schadenseintritt zu verhindern. Entscheidend sei, ob auch ein besonders gewissenhafter Fahrer bei Anwendung dieser äußersten, ihm vernünftigerweise zumutbaren Sorgfalt den Schaden nicht verhindert hätte. Die Maßnahmen, die der Kraftfahrer der beklagten Partei gesetzt habe, seien solche, die jeder Kraftfahrer setze, um den Diebstahl seines Fahrzeuges zu verhindern. Bei Beobachtung äußerster Sorgfalt hingegen hätte sich ein Kraftfahrer nicht damit begnügt, sondern für sein Fahrzeug einen Standplatz gewählt, von dem er es ständig hätte beobachten können. Daß dies im konkreten Fall nicht möglich gewesen wäre, habe die beklagte Partei nicht behauptet. Der Fahrer der beklagten Partei hätte auch vom Besuch eines Restaurants Abstand nehmen und sich in einem Geschäft mit den notwendigen Nahrungsmitteln eindecken können. Da für LKW-Züge in Italien eine erhöhte Diebstahlsgefahr bestehe und es der beklagten Partei aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, einen LKW-Zug mit zwei Fahrern zu besetzen, wäre ihr Kraftfahrer umsomehr verpflichtet gewesen, den LKW-Zug in Anwendung äußerster Sorgfalt ständig zu beobachten. Das Unterlassen dieser aufgezeigten und dem Kraftfahrer der beklagten Partei zumutbaren Sorgfalt zeige, daß im vorliegenden Fall nicht jene äußerste und im Bewußtsein der besonderen Gefahrensituation vernünftigerweise zu fordernde und zumutbare Sorgfalt an den Tag gelegt worden sei, die ein besonders gewissenhafter Fahrer angewendet hätte. Es lägen daher keine unabwendbaren Umstände iS des Art. 17 Abs. 2 CMR vor.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ist der Frachtführer von der Haftung für den Verlust des Frachtgutes nur befreit, wenn dieser auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, es also dem Frachtführer auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern (SZ 50/40; im gleichen Sinn für den Rechtsbereich der BRD BGH NJW 1975, 1597; Muth - Glöckner, Leitfaden zur CMR[5] 130; vgl. auch Precht - Endrigkeit, CMR-Handbuch[3] 88). Für die Frachtführerhaftung nach der CMR besteht somit ein verschärfter Sorgfaltsmaßstab. Der Frachtführer kann sich im allgemeinen auch mit einem Diebstahl des Gutes durch Dritte nicht entschuldigen, es sei denn, dieser Diebstahl hätte unter so ungewöhnlichen Umständen stattgefunden, daß ihn der Frachtführer auch unter Anwendung äußerster Sorgfalt nicht hätte vermeiden können (Loewe, Europäisches Transportrecht 555).

Von diesem Maßstab ausgehend hat das Berufungsgericht die Haftung der beklagten Partei unter Berufung auf die einen vergleichbaren Sachverhalt betreffende Entscheidung SZ 50/40 zutreffend bejaht. Es entsprach keinesfalls der Anwendung äußerster, vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt, wenn der Fahrer der beklagten Partei den LKW-Zug in den späten Abendstunden bei Dunkelheit während einer etwa eine halbe Stunde dauernden Essenspause auf einem unbewachten, wenn auch frequentierten Parkplatz in der Nähe von Mailand derart abstellte, daß er ihn während dieser Pause überhaupt nicht beobachten konnte. Es ist allgemein bekannt, daß Diebstähle von (und aus) Kraftfahrzeugen (und zwar auch von und aus LKW-Zügen) in Italien, besonders im Bereich großstädtischer Ballungsräume (Rom, Mailand, Neapel usw.), sehr häufig vorkommen. Der Kraftwagenlenker der beklagten Partei hätte sich daher nicht mit dem bloßen Absperren des Fahrzeuges, das zu den gewöhnlichen Sorgfaltsmaßnahmen eines durchschnittlichen Kraftwagenlenkers auch unter normalen Sicherheitsverhältnissen gehört, begnügen dürfen. Daß im LKW-Zug eine gegen Diebstähle in besonderer Weise sichernde Alarmanlage eingebaut oder sonstige, nicht ohne weiteres zu überwindende Absperrvorrichtungen vorhanden gewesen seien, wurde von der beweispflichtigen beklagten Partei nicht behauptet. Die Rüge der beklagten Partei, es hätten Feststellungen darüber getroffen werden müssen, ob ein ständiges Beobachten des LKW-Zuges bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen überhaupt möglich und ein solcher Beobachtungsposten nicht ohnehin so weit entfernt gewesen wäre, daß er einen Diebstahl nicht hätte verhindern können, und ob in erreichbarer Nähe ein bewachter Parkplatz vorhanden gewesen wäre, ist nicht berechtigt. Waren die Voraussetzungen für eine entsprechende Beaufsichtigung des Fahrzeuges an dem vom Fahrer gewählten Standplatz nicht gegeben, so hätte er seine Mahlzeit entweder in einem Lokal einnehmen müssen, das gleichzeitig die Möglichkeit bot, den nahe abgestellten LKW-Zug zu beobachten, oder vor dem Beginn der Fahrpause für die Verwahrung des LKW-Zuges auf einem bewachten Parkplatz Sorge tragen müssen.

In der zitierten Vorentscheidung SZ 50/40 wurde auch ausgesprochen, es habe keine zwingende Notwendigkeit bestanden, das Fahrzeug längere Zeit unbeaufsichtigt zu lassen, da der Fahrzeuglenker auch in der Lage gewesen wäre, im Fahrzeug selbst allenfalls eine kalte Mahlzeit einzunehmen. Die Zumutung, das Fahrzeug nicht außer Kontrolle zu lassen, ist im arbeitsrechtlichen Schrifttum (Stidl in RdA 1978, 358 f.) auf heftige Kritik gestoßen, weil der OGH die für Kraftfahrer geltenden Schutzbestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) außer Betracht gelassen habe. Diese Kritik übersieht, daß der OGH nicht die Haftung des Kraftfahrers seinem Dienstgeber gegenüber, sondern die nach viel strengeren Maßstäben zu beurteilende (versicherte) Haftung des Frachtführers seinem Auftraggeber gegenüber zu beurteilen hatte. Während letztere, wie auch die kritisierte Entscheidung hervorgehoben hat, einer Erfolgshaftung angenähert ist, haftet der Dienstnehmer seinem Dienstgeber gegenüber nur unter gewissen, nicht unwesentlichen Einschränkungen (vgl. § 2 DHG). Die Rechte und Pflichten des Kraftfahrers aus dem zwischen ihm und dem Frachtführer bestehenden Arbeitsverhältnis werden durch die strenge Haftung des Frachtführers seinem Auftraggeber gegenüber nicht berührt. In seiner Stellung als Arbeitgeber hat der Frachtführer für die Einhaltung der in Betracht kommenden Bestimmungen des Arbeitsrechtes nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften zu sorgen. Das bedeutet aber nicht, daß der Frachtführer von seiner Haftung stets bereits befreit wäre, weil er seinem Kraftfahrer gegenüber aus dem Arbeitszeitgesetz oder aus anderen arbeitsrechtlichen Verbindlichkeiten zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet war. Das Bestehen dieser Verpflichtungen hat er bei Abschluß des CMR-Frachtbriefes und der damit verbundenen Haftung nach Art. 17 CMR bereits mit zu berücksichtigen und beiden Rechtslagen Rechnung zu tragen. War die wegen der besonders gefährlichen Verhältnisse in Italien gebotene möglichst lückenlose Beaufsichtigung des Fahrzeuges wegen der von Kraftfahrzeuglenkers einzuhaltenden maximalen Einsatzzeiten und der vorgeschriebenen Lenkpausen (vgl. § 13 ff. AZG) sowie wegen der Notwendigkeit, sich auch sonst fallweise vom Fahrzeug zu entfernen, durch einen Kraftfahrzeuglenker nicht möglich, hatte die beklagte Partei, wollte sie den Eintritt eines Haftungsfalles verhindern, für einen derartigen Transport, wenn nicht andere wesentliche, über das bloße Versperren des Fahrzeuges hinausgehende Schutzmaßnahmen in Betracht kamen, unabhängig davon, ob dies nach der italienischen Straßenverkehrsordnung vorgeschrieben ist, einen zweiten Fahrer einzuteilen, auch wenn dies mit dem Auftraggeber nicht vereinbart war. Wegen des hohen Wertes der Ladung war ihr eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht unzumutbar. Die Behauptung der Revisionswerberin, auch die Besetzung des LKW-Zuges mit zwei Fahrern hätte nur dann eine höhere Diebstahlssicherheit gewährleistet, wenn der jeweils beim Kraftfahrzeug zurückbleibende Fahrer bewaffnet gewesen wäre, ist verfehlt, da die Ausführung eines Diebstahles nach unbeaufsichtigtem Stehenlassen eines LKW-Zuges jedenfalls wesentlich leichter möglich ist als etwa ein Raubüberfall; und nicht einmal ein solcher schließt stets eine Haftung aus (2 Ob 612/82). Der beklagten Partei ist jedenfalls der Beweis, daß der durch den Diebstahl des LKW-Zuges ausgelöste Verlust des beförderten Gutes einen Umstand bildet, den sie auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht hätte vermeiden können, nicht gelungen.

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