OGH 6Ob503/83

OGH6Ob503/8327.1.1983

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** „W*****“, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Ing. E*****, vertreten durch Dr. Klaus Reisch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen 6.300 S sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Oktober 1982, GZ 3 R 859/82-14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hopfgarten vom 7. September 1982, GZ C 70/82 -11, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte vom Beklagten die Bezahlung eines Betrags von 6.300 S mit der Begründung, der Beklagte habe für die Zeit vom 4. bis 18. 3. 1979 zwei Doppelbettzimmer in der Fremdenpension des Klägers reservieren lassen, sei jedoch ohne Absage nicht erschienen und daher verpflichtet, die dem Kläger dadurch entstandenen Kosten zu ersetzen. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei in den §§ 83 Abs 1 JN und 101 JN im Zusammenhang mit § 29 dZPO begründet.

Der Beklagte wendete die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht erklärte sich für örtlich unzuständig und wies die Klage zurück. Es führte aus, § 83 JN könne die örtliche Zuständigkeit nicht begründen, weil durch diese Bestimmung eine ausschließliche Zuständigkeit für Bestandstreitigkeiten normiert werde, deren ausdehnende Auslegung auf Streitigkeiten aus mietähnlichen Verhältnissen - ein reiner Mietvertrag liege im vorliegenden Fall nicht vor - nicht gestattet sei. Die Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aber auch nicht aus § 101 JN iVm § 29 dZPO, weil nach letzter Bestimmung der vereinbarte Erfüllungsort für die Zuständigkeit maßgebend sei, im vorliegenden Falle jedoch Geld geschuldet werde und sich der diesbezügliche Erfüllungsort dort befinde, wo der Schuldner die Zahlung leiste, also gewöhnlich an dessen Wohnort.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf, verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung über die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit an das Erstgericht zurück und setzte einen Rechtskraftvorbehalt bei. Das Rekursgericht teilte die Auffassung des Erstgericht hinsichtlich des Nichtvorliegens der Zuständigkeit gemäß § 83 Abs 1 JN, hielt aber die Bestimmung des § 101 JN, die im Sinne der sogenannten „materiellen Gegenseitigkeit“ zu verstehen sei, für geeignet, die Zuständigkeit des Erstgerichts zur Behandlung des gegenständlichen Klagsanspruchs gegen einen deutschen Staatsangehörigen zu begründen. § 29 Abs 1 der dZPO bestimme, dass für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht jenes Orts zuständig sei, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen sei. Es bedürfe somit nach dieser Gesetzesstelle für den Gerichtsstand des Erfüllungsorts - abweichend von § 88 Abs 1 JN - keiner urkundlich nachzuweisenden Vereinbarung. Zuständigkeitsbegründend sei vielmehr bereits der nach dem Inhalt des jeweiligen Vertrags gesetzlich vorgesehene Erfüllungsort. Als solcher sei beim gegenständlichen Vertrag K***** anzusehen, weil bei Mietverträgen oder mietähnlichen Vertragsverhältnissen grundsätzlich jener Ort für die Ermittlung des forum contractus maßgeblich sei, an dem der Mieter die Mietsache gebrauchen dürfe. Daher sei für den Rechtsstreit das Erstgericht örtlich zuständig, wenn es sich beim Beklagten um einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland handle. Da dies weder festgestellt sei, noch sich aus den Akten ergebe, sei das erstinstanzliche Verfahren mit einem erheblichen Mangel behaftet.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs (richtig: Revisionsrekurs) des Beklagten ist nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Vorinstanzen zu Recht den Gerichtsstand iSd § 83 Abs 1 JN nicht als gegeben angenommen haben (vgl SZ 50/74).

Der Beklagte bekämpft zunächst die Auffassung des Rekursgerichts, § 101 JN sei im Sinne der sogenannten materiellen Gegenseitigkeit zu verstehen und könne daher auch bei ausländischen Zuständigkeitsnormen, die ohne Unterschied für In- und Ausländer Geltung hätten, zur Anwendung kommen. Er meint, diese Auffassung widerspreche „ganz und gar“ der herrschenden Lehre, die § 101 JN im Sinne der formellen Gegenseitigkeit verstehe.

Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Richtig ist zwar, dass diese Frage in der Lehre verschieden beurteilt wird (vgl die Literaturangabgen bei Schwimann, Internationales Zivilverfahrensrecht, 18 f, FN 14 und 15). Nach der überwiegenden Lehre und der einheitlichen Rechtsprechung (vgl SZ 51/44, SZ 51/118 ua) ist § 101 JN jedoch im Sinne der materiellen Gegenseitigkeit zu verstehen, wonach ein Ausländer in Österreich vor einem dem österreichischen Recht unbekannten Gerichtsstand geklagt werden kann, wenn der Heimatstaat des Ausländers in der gleichen Sache einen solchen Gerichtsstand gegen einen Österreicher zulässt (vgl Schwimann, aaO 19). Von dieser Auffassung, die insbesondere in der Entscheidung SZ 51/118 ausführlich dargelegt wurde, abzugehen, geben die Ausführungen des Beklagten keinen Anlass.

Es ist daher zu prüfen, ob der Erfüllungsort iSd § 29 dZPO - nach dieser Bestimmung ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht jenes Orts zuständig, an dem die strittige Verpflichtung zu erfüllen ist - im Sprengel des Erstgerichts liegt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beurteilung, wo der Erfüllungsort liegt, nach österreichischem oder deutschem Sachrecht zu erfolgen hat. Ersteres wäre gemäß § 36 IPR-Gesetz anzuwenden, wenn der Vertrag am 1. 1. 1979 oder später zustande gekommen wäre (§ 50 IPR-Gesetz) oder wenn man eine Rechtswahl auf österreichisches Recht als gegeben ansähe, wobei die Lage des Unterkunftsorts von Bedeutung sein könnte (vgl Palandt, BGB41, Anm 61 Vor § 12 EGBGB, S 2140), während bei einem Vertragsabschluss vor dem genannten Tag (ohne Rechtswahl) gemäß dem dann noch anzuwendenden § 37 ABGB wegen des Wohnorts des Offerenten, an den nach den Klagsbehauptungen die Annahmeerklärung übersendet wurde, deutsches Recht anzuwenden wäre (vgl HS 6538 ua). Die österreichischen und deutschen Bestimmungen (§ 905 ABGB und §§ 269, 270 BGB) enthalten nämlich für die Ermittlung des Erfüllungsorts die gleiche Stufenordnung. Zunächst ist danach maßgebend, ob die Parteien über den Erfüllungsort eine Vereinbarung getroffen haben. Mangels einer solchen - eine diesbezügliche Behauptung fehlt im vorliegenden Fall, weshalb auch unerörtert bleiben kann, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung im Umwege über die Vereinbarung eines Erfüllungsorts zulässig wäre (vgl § 29 dZPO) - ist zu prüfen, ob der Erfüllungsort „aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses“ (§ 269 BGB) oder „aus der Natur oder dem Zwecke des Geschäftes“ (§ 905 Abs 1 ABGB) zu entnehmen ist. Ist auch das nicht möglich, so ist Erfüllungsort der Wohnsitz des Schuldners zur Zeit des Vertragsabschlusses (vgl Gschnitzer im Klang-Kommentar² IV/1, 362; RGRK, BGB12 Rdn 2 zu § 269). Dieser so bestimmte Erfüllungsort erfährt durch die für Geldzahlungen geltende Vorschrift des § 905 Abs 2 ABGB bzw des § 270 BGB entgegen der Auffassung des Beklagten keine Änderung (vgl Gschnitzer aaO 368; RGRK, BGB12 Rdn 1 zu § 270).

Bei der somit vorzunehmenden Prüfung, ob sich aus den Umständen (der Natur) des Schuldverhältnisses der Erfüllungsort ergibt, ist die Interessenlage zu berücksichtigen und sind unter anderem die Verkehrssitten heranzuziehen (vgl Gschnitzer aaO 364, RGRK BGB12 Rdn 8 zu § 269; Palandt aaO Anm 5 zu § 269, S 278). Im Falle eines Beherbergungs- bzw Pensionsvertrags (vgl zum Wesen dieses Vertrags Klang in seinem Kommentar² V, 17; Palandt aaO Anm 2 Vor § 701, S 698; NJW 1963, 1449) mit Feriengästen muss es als den Verkehrssitten und den Interessen des Unterkunftsgebers entsprechend angesehen werden, dass auch das vom Gast zu leistende Entgelt am Ort der Beherbergung zu erbringen ist (vgl Stein-Jonas, ZPO20, Rdn 31 zu § 29; Staudinger, BGB12, Rz 14 zu § 269). Diese Auffassung liegt - wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochen - entgegen der Meinung des Beklagten offensichtlich auch der Entscheidung SZ 51/118 zugrunde. Daraus folgt aber die Richtigkeit der Auffassung des Rekursgerichts, wonach im vorliegenden Falle K***** Erfüllungsort ist. Das bedeutet weiter, dass das Erstgericht unter dem nach der ebenfalls zutreffenden Ansicht des Rekursgerichts noch zu klärenden Voraussetzung, dass der Beklagte Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland ist, unabhängig davon zuständig ist, inwieweit in der Klagsforderung eine Schadenersatzforderung wegen Nichterfüllung zu erblicken ist. Denn der Gerichtsstand nach § 29 dZPO steht nicht nur für die Klage auf Erfüllung, sondern auch für die Klage auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung zur Verfügung (Stein-Jonas, aaO Rdn 14 zu § 29).

Aus diesen Erwägungen war dem Rekurs der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Rekurskosten beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO.

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