OGH 4Ob96/81

OGH4Ob96/8116.2.1982

SZ 55/11

Normen

AngG §8
AngG §8

 

Spruch:

Der Angestellte hat auch dann Anspruch auf die erweiterte Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 Satz 3 AngG, wenn er die dort vorgesehene ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses erst während einer Wiedererkrankung iS des § 8 Abs. 2 AngG erreicht

OGH 16. Feber 1982, 4 Ob 96/81 (ZAS 1982, 227 (Andexlinger), DRdA 1983, 275 (Csebrenyak) (LGZ Graz 2 Cg 18/81; ArbG Graz 3 Cr 102/80)

Text

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 14. 7. 1975 bis 31. 7. 1980 als Telefonistin im Angestelltenverhältnis mit einem Bruttogehalt von zuletzt 7700 S beschäftigt. Sie befand sich vom 3. 12. 1979 bis 31. 1. 1980 im Krankenstand. Die erste Wiedererkrankung iS des § 8 AngG dauerte von 2. 4. bis 14. 4. 1980, die zweite vom 17. 4. bis 9. 6. 1980 und die letzte Wiedererkrankung vom 11. 6. 1980 bis über den 31. 7. 1980 hinaus an welchem Tag das Dienstverhältnis durch Kündigung endete. Die Klägerin hat die gesamten Entgeltfortzahlungszeiträume iS des § 8 Abs. 1 und Abs. 2 AngG auf der Basis einer noch nicht fünfjährigen Dienstzeit ausgeschöpft. So bekam sie auch bereits volles Krankengeld im Betrag von täglich 196.56 S vom 11. 6. 1980 bis 13. 7. 1980 und auch wieder ab 28. 7. 1980 während der Krankengeldbezug für die Zeit vom 14. 7. 1980 bis 27. 7. 1980 gemäß § 143 Abs. 1 Z 3 ASVG ruhend gestellt war.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin (nach Ausdehnung im Berufungsverfahren um 12 S) zuletzt die Zahlung von 3565.80 S samt Anhang. Mit 15. 7. 1980 habe ihr sechstes Dienstjahr bei der Beklagten begonnen, womit ihr gemäß § 8 Abs. 1 AngG ein um zwei Wochen höherer Anspruch auf Krankenentgelt in der Höhe des Klagebetrages zustehe. Die Beklagte wendete ein, bei der Klägerin sei am 11. 6. 1980 die dritte Wiedererkrankung erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe das Dienstverhältnis noch nicht fünf Jahre gedauert, sodaß der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 AngG sechs Wochen volles und vier Wochen halbes Entgelt betragen habe. Die Vollendung von fünf Dienstjahren während einer laufenden Arbeitsunfähigkeit führe zu keiner Erhöhung bzw. Erweiterung des Entgeltanspruches.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, aus den Worten "der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis fünf Jahre gedauert hat, jedenfalls acht Wochen", müsse abgeleitet werden, daß für die Anspruchsvoraussetzung der Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, also der Erkrankung, maßgebend sei. Diesem Grundsatz entspreche auch die Rechtsprechung zu § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und zu § 20 Abs. 2 AngG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil iS einer Stattgebung des Klagebegehrens ab. Rechtlich vertrat es die Auffassung, der Sinn des Gesetzes und die Absicht des Gesetzgebers unter Beachtung des dem § 8 innewohnenden Lohnausfallsprinzipes könne nur dahin gehen, einen Angestellten, der nach fünfjähriger ununterbrochener Dienstzeit an diesem Stichtag gerade krank ist, nicht schlechter zu stellen als einen Angestellten, der an diesem Tag gesund ist und erst am darauffolgenden Tag erkrankt. Wesentlich sei nämlich nur die fünfjährige ununterbrochene Dauer des Dienstverhältnisses, welche durch die Erkrankung nicht berührt werde. Unter diesem Aspekt müsse es auch gleichgültig sein, ob es sich um eine Ersterkrankung oder um eine Wiedererkrankung gehandelt habe. Wegen der Verschiedenartigkeit der Formulierung könne die Judikatur zum Entgeltfortzahlungsgesetz, wonach einem Arbeiter ein Entgeltfortzahlungsanspruch erst dann gebühre, wenn der Krankenstand nach Ablauf der 14 tägigen Wartefrist beginne, nicht analog zur Klärung der gegenständlichen Rechtsfrage herangezogen werden. Auch ein Vergleich mit den Entscheidungen zu § 20 Abs. 2 AngG erscheine nicht zulässig, weil in diesen Fällen die Problematik eine andere sei. Die Kündigung sei eine gewillkürte Erklärung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolge und damit auch schon abgeschlossen sei, während das zufällige Ereignis einer Erkrankung sich über einen längeren Zeitraum erstrecken könne; deshalb sei eine zeitliche Zuordnung der Kündigung zu einem bestimmten Ausmaß zurückgelegter Dienstzeit ohne Schwierigkeiten möglich. Es sei somit nicht von Bedeutung, ob der Angestellte zum Zeitpunkt des Ablaufes des fünften Dienstjahres und bei Beginn des sechsten Dienstjahres bereits erkrankt gewesen sei, um Anspruch auf die um zwei Wochen verlängerte Entgeltfortzahlung zu haben, oder ob diese Erkrankung erst später eintrete; wesentlich sei, daß das Dienstverhältnis nach Ablauf des fünften Dienstjahres und sohin zu Beginn des sechsten Dienstjahres noch aufrecht sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 8 Abs. 1 AngG behält ein Angestellter, der nach Antritt des

Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der

Leistung seiner Dienste verhindert ist ....., seinen Anspruch auf

das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen ..... Der Anspruch auf

Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis fünf Jahre gedauert hat,

jedenfalls acht Wochen; ..... durch je weitere vier Wochen behält

der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt. Gemäß § 8 Abs. 2 AngG hat der Angestellte, wenn innerhalb eines halben Jahres nach Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung eintritt, für die Zeit der Dienstverhinderung, soweit die Gesamtdauer der Verhinderung die im Abs. 1 bezeichneten Zeiträume übersteigt, Anspruch nur auf die Hälfte des ihm gemäß Abs. 1 gebührenden Entgelts.

Entscheidend für den Rechtsstreit ist die Frage, ob diese Bestimmungen dahin auszulegen sind, daß der längere Entgeltanspruch auch dann gegeben ist, wenn erst während der Dauer einer Wiedererkrankung das Dienstverhältnis den Zeitraum von fünf Jahren übersteigt. Dies muß bejaht werden. Eine ausdrückliche Regelung dieser Frage ist den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu entnehmen. Die Frage, wie die Bestimmungen des § 8 Abs. 1 und 2 AngG in diesem Zusammenhang auszulegen sind, wurde bisher - soweit überschaubar - weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung behandelt; auch die Materialien geben dazu nichts her. Nun enthält allerdings § 2 Abs. 1 Satz 2 EFZG eine fast gleichlautende Formulierung wie § 8 Abs. 1 Satz 3 AngG. Der Unterschied in den Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung zwischen dem Angestelltengesetz und dem Entgeltfortzahlungsgesetz besteht im wesentlichen nur darin, daß nach letzterem Voraussetzung für den Anspruch ist, daß das Arbeitsverhältnis bereits 14 Tage gedauert hat, während nach § 8 Abs. 1 AngG der Antritt des Dienstverhältnisses zur Begründung des Anspruches ausreicht. Es ist nun zwar richtig, daß der OGH in seiner Entscheidung Arb. 9402 = EvBl. 1976/53, gestützt auf die dort zitierte Lehre zu § 2 EFZG, die Auffassung vertreten hat, ein Anspruch nach dieser Gesetzesstelle stehe dem Arbeitnehmer nur dann zu, wenn er im Zeitpunkt der Verhinderung bereits die 14tägige Wartezeit erfüllt hatte, und daß die Nichterfüllung dieser Anspruchsvoraussetzung im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsverhinderung eine Entgeltfortzahlung überhaupt und nicht nur bis zum Ablauf der Frist ausschließe. Schon in dieser Entscheidung verwies der OGH jedoch darauf, daß es nach § 2 Abs. 1 Satz 2 EFZG nicht darauf ankomme, ob der Arbeitnehmer während der Wartezeit tatsächlich gearbeitet habe. Bei den dort genannten Zeiten müsse eine ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses vorliegen, was nicht bedeute, daß Krankenstände auszuklammern seien. In der Lehre vertreten nun Adametz (in Adametz - Basalka - Krejci - Mayr - Stummvoll, Komm z. EFZG 55) und Tutschka (Handbuch des österr. Arbeitsrechts 239) zu § 2 EFZG ausdrücklich die Auffassung, daß dann, wenn die Anwartschaft auf eine längere Anspruchsdauer (etwa von vier auf sechs Wochen wegen Vollendung der fünfjährigen Dienstzeit) während einer Arbeitsverhinderung erreicht werde, der neue Anspruch bzw. Differenzanspruch zum Tragen komme. Dieser Grundsatz kann auch für die Auslegung des § 8 AngG herangezogen werden, denn der Grund für die Erweiterung des Anspruches auf Entgeltfortzahlung ist in beiden Gesetzen der Gleiche: Dem Arbeitnehmer, dessen Dienstverhältnis bereits längere Zeit (hier mindestens fünf Jahre) gedauert hat und der daher mit dem Betrieb enger verbunden ist, soll ein erweiterter Anspruch gegenüber jenen Dienstnehmern gewährt werden, die weniger lange im Betrieb beschäftigt sind. Es wäre aber nicht einzusehen, daß Dienstnehmer, welche die längere Dienstzeit unmittelbar vor dem Eintritt der Erkrankung erfüllt haben, besser gestellt werden als jene, bei denen dies erst während des (vielleicht sogar kürzeren) Krankenstandes der Fall war. All dies muß aber auch für neuerliche Dienstverhinderungen iS des § 8 Abs. 2 AngG gelten. Schwierigkeiten bei der Berechnung würden entgegen der Auffassung der Revision dabei nicht entstehen. Die Halbjahresfrist des § 8 Abs. 2 AngG wäre weiterhin vom Wiederantritt des Dienstes nach der ersten Dienstverhinderung zu berechnen; lediglich das Ausmaß des Anspruches würde sich ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der längeren Dienstzeit um den Differenzanspruch erhöhen.

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, da auch die letzte Wiedererkrankung innerhalb der Halbjahresfrist des § 8 Abs. 2 AngG erfolgte und der ursprüngliche Anspruch der Klägerin auf der Basis einer Dienstzeit von weniger als fünf Jahren bereits voll ausgeschöpft war, daß der Klägerin ab Erfüllung der fünfjährigen Dienstzeit, also ab 15. 7. 1980, gemäß § 8 Abs. 1 AngG ein Anspruch auf Bezahlung des vollen Entgelts für die Dauer von zwei Wochen sowie gemäß § 8 Abs. 2 AngG ein Anspruch auf Bezahlung des halben Entgelts für weitere zwei Wochen zustand.

Das Berufungsgericht hat daher mit Recht dem der Höhe nach unbestrittenen Klagebegehren auf Zahlung des vollen Entgelts für die Dauer von zwei Wochen stattgegeben.

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