OGH 5Ob647/81

OGH5Ob647/8114.7.1981

SZ 54/107

Normen

ABGB §140
ABGB §142 Satz 1
ABGB §140
ABGB §142 Satz 1

 

Spruch:

Wert der Verlassenschaft im Sinne des § 142 Satz 1 ABGB ist der Wert des reinen Nachlasses zur Zeit der Einantwortung, das ist der Wert der Nachlaßaktiven abzüglich der Erblasserschulden und der Erbfallsschulden, ausgenommen die Pflichtteile und die aus dem letzten Willen entspringenden Lasten. Finden mehrere Unterhaltsverpflichtungen des Erblassers im Wert seiner Verlassenschaft nicht ausreichend Deckung, so sind sie nebeneinander verhältnismäßig zu berücksichtigen

OGH 14. Juli 1981, 5 Ob 647/81 (LG Innsbruck 3 R 177/81; BG Innsbruck 13 C 4157/77)

Text

Der am 19. Juni 1964 geborene Kläger ist der uneheliche Sohn des am 3. November 1976 verstorbenen Ludwig S, der sich am 8. Juli 1964 vor dem Stadtjugendamt Innsbruck zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 500 S ausschließlich der Familienbeihilfe an den Kläger verpflichtet hatte. Die Beklagte ist die Witwe und bedingt erbserklärte testamentarische Alleinerbin nach Ludwig S. Dessen Nachlaß wurde ihr mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 24. August 1978, 3 b A 315/76-47, eingeantwortet. Mit Kaufvertrag vom 22. Jänner 1980 verkaufte die Beklagte das von ihrem verstorbenen Gatten ererbte Haus in Innsbruck um 10 Mill. S. Mit der am 14. Dezember 1977 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1000 S. Er brachte vor, sein Vater habe die am 30. April 1976 übernommene Verpflichtung zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1300 S bis November 1976 eingehalten. Seit dem Ableben seines Vaters erhalte er nur eine Halbwaisenrente von 900 S, mit der er nicht das Auslangen finden könne. Die Beklagte sei in der Lage, den geforderten Unterhaltsbeitrag aus dem Nachlaßvermögen zu leisten, dessen Wert im Verlassenschaftsverfahren zu niedrig geschätzt worden sei. Eine Überschuldung des Nachlasses könnte die Beklagte nicht einwenden, weil die Schulden großteils langfristig seien und die laufenden Einnahmen bei weitem ausreichten, um die Schulden (ungeachtet der begehrten Unterhaltsleistungen) abstatten zu können.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klageabweisung und wendete ein, Ludwig S habe nur den vergleichsweise übernommenen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 500 S bezahlt. Der Kläger müsse sich in den Unterhaltsanspruch seinen Pflichtteilsanspruch einrechnen lassen. Die Verlassenschaft sei überschuldet, sodaß der Reinnachlaß zur Deckung des geforderten Unterhaltsbeitrages nicht ausreiche, der überdies die Bedürfnisse des Klägers übersteige. Der Kaufpreis von 10 Mill. S sei bis zum Betrag von 8 840 035.36 S durch Übernahme von Pfandrechten für Darlehensforderungen und Verbindlichkeiten bei verschiedenen Kreditinstituten entrichtet worden. Den Kaufpreisrest von 1 159 964.64 S habe die Beklagte zur teilweisen Abdeckung offener Lieferantenverbindlichkeiten in der Höhe von rund 1 300 000 S verwendet.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von 1000 S ab dem 1. Jänner 1978. Es stellte im wesentlichen fest, daß die berichtigte Bilanz zum Todestag 3. November 1976 eine Überschuldung des Nachlasses von 2 827 111.43 S ergeben habe und im Abhandlungsprotokoll des Notars Dr. B (3 b A 315/76-43 des Bezirksgerichtes Innsbruck) die Überschuldung des Nachlasses mit 3 109 970.12 S ausgewiesen sei. Am 30. April 1976 habe sich Ludwig S verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Juli 1976 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1300 S zu bezahlen. Diese Verpflichtung habe er auch eingehalten.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Leistungsfähigkeit der Beklagten nunmehr nach dem Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft zu beurteilen sei. Deshalb erübrige sich auch die Aufnahme sämtlicher weiteren Beweise, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der vom Kläger geforderte Unterhalt belaufe sich bis zu seiner vermutlichen Selbsterhaltungsfähigkeit auf rund 36 000 S. Die Beklagte sei daher durchaus in der Lage, die Forderung des Klägers abzufinden. Der Kläger beziehe lediglich eine Halbwaisenrente von 900 S, weshalb das Unterhaltsbegehren von 1000 S gerechtfertigt sei. Die Anrechnung des Pflichtteilsanspruches des Klägers komme nicht in Frage; einen solchen könne er nämlich nicht geltend machen, da der Nachlaß, als die Liegenschaft noch nicht verkauft gewesen sei, überschuldet gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. In ihrer Rechtsrüge mache die Beklagte geltend, daß dem Kläger ihr gegenüber im Hinblick auf die im Verlassenschaftsverfahren festgestellte Überschuldung des Nachlasses in der Höhe von 3 109 970.12 S kein Unterhaltsanspruch zustehe. Dies wäre richtig, wenn tatsächlich eine Überschuldung des Nachlasses vorläge. Der Kläger habe nun aber behauptet, daß eine solche Überschuldung des Nachlasses des verstorbenen Ludwig S nicht vorliege und zum Beweis hiefür die Einholung eines Schätzungsgutachtens angeboten. Der vom Erstgericht vertretenen Ansicht, daß es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht mehr bedürfe, weil das Haus in Innsbruck inzwischen verkauft worden sei, könne nicht gefolgt werden. Dem unehelichen Kind stehe nämlich gegenüber dem Erben des unterhaltspflichtigen Vaters nach § 169 aF ABGB (nunmehr seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 29. Juli 1977 über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, BGBl. 403, § 142 ABGB) nur insoweit ein Unterhaltsanspruch zu, als er im "reinen Nachlaß" seine Deckung finde. Das bedeute, daß Forderungen anderer Nachlaßgläubiger der Unterhaltsforderung vorgingen, daß also der "Wert der Verlassenschaft" im Sinne des § 142 nF ABGB der Wert des "reinen Nachlasses" sei. Der Unterhaltsanspruch bestehe somit nur nach Zureichen der Verlassenschaft (Ostheim, Zur Unterhaltsschuld des Erben, NZ 1979, 50). Daher bestehe bei überschuldetem Nachlaß überhaupt keine Unterhaltspflicht (SZ 30/50; EvBl. 1965/143). Übersteige der kapitalisierte Unterhaltsanspruch den Wert der Verlassenschaft, dann trete nicht "Überschuldung" ein, sondern der Unterhaltsanspruch erlösche mit dem übersteigenden Teil. Bleibe hingegen nach Abzug der "wirklichen Nachlaßverbindlichkeiten" ein reiner Nachlaß übrig, so erhalte der Erbe diesen mit der Belastung durch den Unterhaltsanspruch der je nach seiner Höhe neben Forderungen von Pflichtteilsberechtigten und Legataren bestehe (Ostheim a.a.O.). Für die Ermittlung des Wertes der Verlassenschaft sei der Zeitpunkt der Einantwortung maßgebend, denn bis zur Einantwortung hafte den Gläubigern der Nachlaß selbst. Die Haftung des Erben hänge nur von dem Betrag des eingeantworteten Vermögens ab (SZ 14/245). Es komme also im vorliegenden Fall nicht auf den Kaufpreis an, der bei dem nach der Einantwortung erfolgten Verkauf des Hauses in Innsbruck erzielt worden sei, sondern vielmehr auf den Schätzwert des gesamten Nachlasses im Zeitpunkt der Einantwortung. Der Kaufpreis könnte allenfalls Anhaltspunkte für die Ermittlung des Schätzwertes geben. Das Erstgericht habe von der Einholung des vom Kläger zur Widerlegung des im Verlassenschaftsverfahren ermittelten Schätzwertes angebotenen Sachverständigengutachtens abgesehen, weshalb noch nicht beurteilt werden könne, ob und in welchem Umfang die Beklagte für den Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber dem verstorbenen Ludwig S hafte. Das Ersturteil sei daher gemäß § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO aufzuheben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da es sich bei dem hier geltend gemachten, seit dem 1. Jänner 1978 auf den §§ 166, 142 je nF ABGB beruhenden Unterhaltsanspruch um einen gesetzlichen Unterhalt im Sinne des § 502 Abs. 2 Z. 1 ZPO handelt (ebenso zu § 171 aF ABGB Fasching, Ergänzungsband, 82, und die ständige Rechtsprechung, etwa SZ 16/238; 3 Ob 361/52; Jud. 60 neu = SZ 27/177; 6 Ob 322/58; 1 Ob 475; 476/60; 6 Ob 247/62; 8 Ob 159/70 u. a.) und die genannte Rechtsmittelbeschränkung auch für unter Rechtskraftvorbehalt ergangene Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichtes gilt (Fasching IV, 405; JBl. 1947, 263; EFSlg. 8983; 5 Ob 527/80, 5 Ob 625/80 u. a.), ist zunächst die Zulässigkeit des Rekurses zu untersuchen.

Diese Frage ist nach den Grundsätzen des Jud. 60 neu zu beantworten. Danach gehört zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind, und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen; die Beurteilung dieser Umstände durch die zweite Instanz ist auch dann nicht anfechtbar, wenn es strittig ist, ob sie zur völligen Ablehnung eines Anspruches auf Unterhaltsleistung führt. Das Rechtsmittel an den OGH ist insbesondere zulässig, wenn und insoweit die Entscheidung der zweiten Instanz über den Grund des Anspruches angefochten wird (zu § 171 aF ABGB ebenso Jud. 60 neu = SZ 27/177 u. a.). Um den Grund des Anspruches und nicht um die Bemessungskomponente der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen handelt es sich aber im gegebenen Zusammenhang, wenn es nicht um die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des unehelichen Vaters bzw. die Vermögensverhältnisse des Nachlasses des unehelichen Vaters - die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Erben haben dabei außer Betracht zu bleiben (Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 221; Zdesar,

Die Vererblichkeit des Unterhalts der Kinder und ihre Behandlung im Verlassenschaftsverfahren, NZ 1979, 23; SZ 4/143 u.a.) - als eine der Grundlagen für die Festsetzung der von der Verlassenschaft bzw. nach deren Einantwortung von der Beklagten jeweils an den Kläger zu leistenden monatlichen Unterhaltsbeiträge geht, sondern um die Frage des "Wertes der Verlassenschaft" im Sinne des § 142 nF ABGB (oder früher des "Zureichens der Verlassenschaft" im Sinne des § 169 aF ABGB), der die Haftungsobergrenze für die Erben darstellt (vgl. Fasching, Ergänzungsband, 83 f.; SZ 16/238 u. a.; die Beurteilung der entsprechenden Minderung des Unterhaltsanspruches des Kindes im Sinne des dritten Satzes des § 142 nF ABGB wäre eine Bemessungsfrage).

Der Rekurs des Klägers ist also insoweit zulässig, als er sich mit dem Wert der Verlassenschaft als Haftungsobergrenze der Beklagten beschäftigt. Er ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ist unter dem Wert der Verlassenschaft, bis zu dem die Schuld eines Elternteils, dem Kind den Unterhalt zu leisten, auf die Erben dieses Elternteiles übergeht (§ 142 Satz 1 nF ABGB), der also die Haftung der Erben unabhängig davon, ob diese eine unbedingte oder bedingte Erbserklärung abgeben, umfänglich beschränkt (Ostheim, Zur Unterhaltsschuld des Erben, NZ 1979, 50 F 11; Zdesar a.a.O., 23; Gschnitzer - Faistenberger, Familienrecht[2], 108; Pichler, Das neue Kindschaftsrecht, ÖA 1978, 25), in Übereinstimmung mit der zu § 171 aF bzw. § 169 aF ABGB herrschend gewesenen Auffassung (Regierungsvorlage zum UeKindG: 6 BlgNR, XII. GP, EB zu § 169 ABGB; SZ 30/50; Wentzel - Plessl a.a.O.) der Wert des reinen Nachlasses zu verstehen, d.h. der Wert der Nachlaßaktiven abzüglich der Erblasserschulden und Erbfallsschulden, ausgenommen jedoch die Pflichtteile und die aus dem letzten Willen entspringenden Lasten (Koziol - Welser[5] II, 320; Gschnitzer - Faistenberger a.a.O.; Ostheim a.a.O., 50 f.; Kostner, Die Unterhaltsschuld des Erben, NZ 1978, 171; Zemen, Die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes in Österreich, FamRZ 1973, 561; Schwimann, Kindesunterhalt und elterliche Gewalt in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht, 159; Pichler a.a.O., 24). Bei überschuldetem Nachlaß gehen die Unterhaltsverpflichtungen des Erblassers nicht auf dessen Erben über (SZ 30/50; EvBl. 1965/143 u. a.). Finden mehrere Unterhaltsverpflichtungen des Erblassers im Wert seiner Verlassenschaft nicht ausreichend Deckung, so sind sie nebeneinander verhältnismäßig zu berücksichtigen (Koziol - Welser a.a.O.; Kostner a. a.O.; Schwimann a.a.O.).

Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß für die Begrenzung der Haftung des Erben des Unterhaltspflichtigen der Wert der Verlassenschaft im Zeitpunkt der Einantwortung maßgebend ist (SZ 14/245; Ehrenzweig[2] II/2, 526 f.; Gschnitzer - Faistenberger a. a.O.; soweit in einzelnen Entscheidungen die Ansicht vertreten wurde, als Haftungsobergrenze für die Erben sei der Wert der Verlassenschaft im Zeitpunkt der Urteilsfällung - SZ 5/233 - oder der Geltendmachung des Unterhaltsanspruches - SZ 16/238; SZ 30/50 - maßgebend, kann diese aus den insbesondere von Ehrenzweig angestellten Erwägungen nicht aufrecht erhalten werden). Bis zur Einantwortung haftet der reine Nachlaß des Unterhaltspflichtigen dem Unterhaltsberechtigten als veränderliche Größe (Ehrenzweig a.a.O., 527). Eine Unrichtigkeit des Nachlaßinventars oder eine zwischen Inventarserrichtung und Einantwortung eingetretene Änderung des Nachlaßwertes hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich darauf beruft; den Passivstand zu behaupten und nachzuweisen ist stets Sache des Erben (SZ 14/245; Ehrenzweig a.a.O.; Weiß in Klang[2] III, 983 f.).

Das Berufungsgericht gelangte mithin ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung der gegenständlichen Streitsache vom Wert des gesamten Reinnachlasses im Zeitpunkt der Einantwortung an die Beklagte (für die Zeit vom 1. Jänner 1978 bis zur Einantwortung am 24. August 1978 allerdings vom Wert des gesamten Reinnachlasses während dieses Zeitraumes) und nicht von dem Kaufpreis abhängt, den die Beklagte nach der Einantwortung durch den Verkauf der von Ludwig S ererbten Liegenschaft erzielte. Wenn das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz aber der Meinung ist, daß es zur Feststellung des in rechtlicher Hinsicht maßgebenden Wertes des gesamten Reinnachlasses des Ludwig S noch ergänzender Beweisaufnahmen bedarf, so kann dem der OGH nicht entgegentreten.

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