Spruch:
Kommen als Ursache für einen eingetretenen Schaden die schuldhaften oder sonst einen Haftungsgrund bildenden Handlungen mehrerer Personen in Frage, hat das Unaufklärbarkeitsrisiko jede von ihnen und nicht der Geschädigte zu tragen (sogenannte alternative Kausalität)
OGH 29. April 1981, 1 Ob 26/80 (OLG Graz 7 R 24/80; LG Klagenfurt 25 Cg 325/78)
Text
Die Klägerin begehrt von der beklagten Marktgemeinde den Ersatz des Schadens, der ihr in den Jahren 1975 bis 1977 durch die unberechtigte Zufuhr von Fäkalabwässern in den auf ihrem Wiesengrundstück 1549 KG M im Anschluß an einen Zuleitungskanal errichteten Sickerschacht entstanden ist.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen wurden ursprünglich in die von der Landesstraßenverwaltung im Jahre 1950 errichtete Versickerungsanlage auf dem Grundstück des Rechtsvorgängers der Klägerin nur die Regenabwässer aus dem damals teilweise offenen und teilweise verrohrten Kanal der Landesstraße L 86 anstandslos in die Versickerungsanlage abgeleitet. Ein weiterer Kanal für die Regen- und Hausabwässer der Ortschaft führte auf andere Grundstücke. Am 19. April 1967 wurde zwischen der beklagten Partei, der Landesstraßenverwaltung und dem Rechtsvorgänger der Klägerin die Weiterführung des Straßenkanals vereinbart, indem die Straßenverwaltung ihre Zustimmung von jener des Liegenschaftseigentümers abhängig machte und dieser seine Zustimmung unter der Bedingung erteilte, daß die Vesickerungsanlage von der Straßenverwaltung unter Ausschluß seiner Schädigung erweitert werde. Die beklagte Partei übernahm auch einen Kostenanteil, demnach wurde in der Folge der Ortschaftskanal in den Kanal der Landesstraßenverwaltung eingeleitet. Im Jahre 1974 errichtete die Landesstraßenverwaltung auf dem Grundstück der Klägerin eine neue Sickergrube, für die die beklagte Partei das Material beistellte.
In der Folge wurde festgestellt, daß verschiedene Bewohner der Ortschaft Fäkalabwässer in den Kanal einleiteten; ihnen wurde diese Einleitung verboten. Trotzdem gelangten auch weiterhin von bisher nicht festgestellten Anrainern übelriechende Fäkalabwässer in den Kanal und in weiterer Folge in die Sickergrube auf dem Grundstück der Klägerin. Die beklagte Partei selbst leitete weder direkt noch indirekt Abwässer in den Kanal ein und hat auch keinem Ortsbewohner die Bewilligung zur Ableitung von Fäkalabwässern in den Kanal erteilt. Bei einer Wasserrechtsverhandlung am 4. Mai 1977 erklärte der Bürgermeister der beklagten Gemeinde, die vom Rechtsvertreter der Klägerin bei dieser Verhandlung erhobene Entschädigungsforderung für die Zeit ab Herbst 1975 anzuerkennen. Die von der Kammer für Land- und Forstwirtschaft über Anforderung der Wasserrechtsbehörde ermittelte Schadenshöhe wurde von der beklagten Partei als zu hoch bezeichnet; die am 27. Oktober 1977 auf Grund eines Beschlusses des Gemeinderates angebotene Entschädigung von 16 000 S für die Jahre 1975 bis 1977 wurde hingegen von der Klägerin abgelehnt. Daraufhin beschloß der Gemeinderat, überhaupt keine Entschädigung zu leisten.
Nach der Rechtsansicht des Erstrichters sei der in die Sickeranlage einmundende Kanal Bestandteil der Landesstraße und die beklagte Partei auch deshalb nicht aus dem Titel des Schadenersatzes passiv legitimiert, weil sie selbst keine Abwässer oder Fäkalien in den Kanal einleite und auch keine derartige Bewilligung an Ortsbewohner erteilt habe. Die Erklärung des Bürgermeisters vom 4. Mai 1977 sei mangels Genehmigung durch den Gemeinderat nicht wirksam geworden, was dem für die Klägerin einschreitenden Rechtsanwalt bekannt sein mußte. Der Gemeinderat der beklagten Partei habe einen Ersatzanspruch auch nachher nicht anerkannt.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge Berufung der Klägerin teilweise in den Zuspruch von 16 000 S samt Nebengebühren ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenklich und trat seiner Rechtsansicht mit der Abweichung bei, daß die beklagte Gemeinde mit dem durch einen Gemeinderatsbeschluß gedeckten und vom Bürgermeister in der Form des § 60 Abs. 1 AGO Kärnten, LGBl. 1/1966, erklärten Anbot von 16 000 S die Klagsforderung in diesem Umfang anerkannt habe.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien teilweise Folge und stellte mit Zwischenurteil fest, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Wasserrechtsgesetz 1959 sind die Schadenshaftung in § 26, die Reinhaltung und der Schutz der Gewässer in den §§ 30 ff. und Einwirkungen auf Gewässer, insbesondere Einbringungen in eine bewilligte Kanalisationsanlage, in § 32 geregelt. Nach § 32 Abs. 6 WRG gelten Einbringungen, Maßnahmen und Anlagen, die nach Abs. 1 bis 3 bewilligt werden, als Wasserbenutzungen (Wasserbenutzungsanlagen) im Sinne dieses Bundesgesetzes, sodaß hiefür auch die Schadenshaftung nach § 26 WRG Anwendung findet. Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Einbringung von Fäkalabwässern in den durch die Weiterführung des Straßenkanals einbezogenen Ortskanal weder durch eine Bewilligung der Wasserrechtsbehörde noch durch eine Zustimmung des Eigentümers des Straßenkanals gedeckt war. Diese Einwirkungen, von wem immer sie stammen, fallen deshalb nicht unter die Sonderbestimmungen über die Schadenshaftung für den rechtmäßigen Bestand oder Betrieb einer Wasserbenutzungsanlage nach § 26 Abs. 2 WRG. Dagegen sind die Bestimmungen des 30. Hauptstückes des ABGB über den Schadenersatz jedenfalls anwendbar, gleichgültig ob es sich um den (unrechtmäßigen) Betrieb einer Wasserbenutzungsanlage handelt (§ 26 Abs. 1 WRG) oder nicht.
Es ist allerdings ungeklärt geblieben, ob die schädlichen Einwirkungen auf das Grundstück der Klägerin aus der Einbringung von Fäkalabwässern im Bereich des Ortskanales der beklagten Partei stammen oder ob solche Fäkalabwässer erst in den darunter liegenden Teil des ursprünglichen Straßenkanals einfließen. Dieser Frage kommt aber aus dem Gesichtspunkt der sogenannten alternativen Kausalität keine Bedeutung zu. Darunter ist zu verstehen, daß die schuldhaften oder sonst einen Haftungsgrund bildenden Handlungen mehrerer Personen als Ursache für einen eingetretenen Schaden in Frage kommen, ohne daß aber festgestellt werden kann, welche der mehreren Handlungen den Schaden tatsächlich herbeigeführt hat; fest steht bloß, daß eine der mehreren Handlungen schadenskausal war. Entgegen einer früher sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis unterschiedlichen Lehre und Rechtsprechung (im einzelnen siehe Bydlinski, Haftung bei alternativer Kausalität, JBl. 1959, 1 ff.) hat die neuere Lehre unter Nachweis der klaren Absicht des historischen Gesetzgebers überzeugend dargelegt, daß eine analoge Anwendung des § 1302 ABGB zu dem wertungsmäßig richtigen Ergebnis führen muß, daß beim Zusammentreffen mehrerer Täter das Unaufklärbarkeitsrisiko jeder von ihnen und nicht der Geschädigte zu tragen hat. Für die Schadenersatzpflicht genügt also die mögliche Kausalität einer konkret gefährlichen unerlaubten Handlung, sofern nur der Ersatzanspruch des Verletzten an sich feststeht und ihm daher nicht unberechtigte Vorteile zukommen können (Bydlinski a. a.O.; derselbe, Probleme der Schadensverursachung 70 ff.; derselbe, Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität, FS Beitzke, 3 ff.; zustimmend Wahle, Die überholende Kausalität, "Karlsruher Forum" 1959, 58, 64; Welser, Zur solidarischen Schadenshaftung bei ungeklärter Verursachung, ZfRV, 1968, 38 FN 6; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] I, 66 ff.; Rummel, Ersatzansprüche bei summierten Immissionen, 23 ff., 55 f.).
Im vorliegenden Fall gehört die beklagte Partei zu den möglichen Verursachern des nicht der Klägerin selbst zuzuschreibenden Schadens, weil die Ortskanalisation in den Straßenkanal einmundet und von dort die Verunreinigungen auf das Grundstück der Klägerin gelangen. Sie hat auch nicht einmal versucht nachzuweisen, daß die Verschmutzungen, die aus einem der beiden Teile der Kanalisation herrühren müssen, nicht aus ihrem Bereich stammen. Eine alternative Konkurrenz von Haftungs- und Zufallsereignis (vgl. hiezu Bydlinski, Aktuelle Streitfragen, 30 ff.; Koziol, Haftpflichtrecht[2] I, 69 ff.; Welser, a.a.O., 38, 41 ff.) scheidet im vorliegenden Fall schon nach der Natur der Einwirkungen auf das Grundstück der Klägerin aus, weil sowohl die Straßenverwaltung als auch die beklagte Partei schon nach der im Jahre 1967 geschlossenen Vereinbarung verpflichtet waren, in ihrem Bereich für die Vermeidung solcher Schäden zu sorgen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich um eine dreiseitige Vereinbarung handelte, mit welcher eine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen den Streitteilen entstand; denn selbst im gegenteiligen Falle oblagen der beklagten Partei schon aus ihrem Vertrag mit der Straßenverwaltung Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem diesen vertraglichen Leistungen offensichtlich nahestehenden Gründeigentümer (SZ 43/236; SZ 48/23 u. v. a.). Gemäß § 1298 ABGB trifft dann die beklagte Partei die Beweislast für das Fehlen eines Verschuldens an der Nichterfüllung dieser vertragsmäßigen Verbindlichkeit. Diesen Beweis hat sie, auch wenn ihr eine Möglichkeit der Verhinderung der Abwässerverschmutzung nicht nachgewiesen werden konnte, nicht einmal anzutreten versucht. Ein Fall der Gewässerverunreinigung (§ 30 Abs. 2 WRG) liegt nicht vor; außerdem kann die Haftungsbeschränkung des § 26 Abs. 5 WRG im Vertragsrecht nicht zum Tragen kommen.
Der Klagsanspruch besteht daher dem Gründe nach zu Recht, sodaß es auf die Bedeutung des nur zum Grund des Anspruchs abgegebenen Anerkenntnisses des Bürgermeisters der beklagten Gemeinde anläßlich der Wasserrechtsverhandlung vom 4. Mai 1977, das nicht durch einen Gemeinderatsbeschluß gedeckt war, nicht mehr ankommt. Mit dem formgerecht abgegebenen Schreiben der beklagten Partei vom 27. Oktober 1977 wurde aber nach deren zutreffenden Ansicht auch kein Teilanerkenntnis der Höhe nach abgegeben, sondern bloß ein durch die Nichtannahme seitens der Klägerin hinfällig gewordenes Vergleichsangebot gemacht, weil weder der volle geforderte Betrag noch die Berechtigung des ganzen Klagsanspruches dem Gründe nach anerkannt, sondern unter Ablehnung jeder weiteren Forderung bloß die Leistung eines Teiles der geltend gemachten Forderung angeboten und damit deutlich gemacht wurde, daß die Klägerin zum Wirksamwerden des angebotenen Abfindungsvertrages auf ihre Restforderung verzichten müsse (vgl. Ehrenzweig[2] I/1, 361; Koziol - Welser I[5], 240; SZ 44/115; SZ 48/79; vgl. auch SZ 49/94).
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