OGH 7Ob623/79

OGH7Ob623/7922.11.1979

SZ 52/173

Normen

ABGB §565
ABGB §566
ABGB §572
ABGB §870
ABGB §871
ABGB §565
ABGB §566
ABGB §572
ABGB §870
ABGB §871

 

Spruch:

Volle Besonnenheit im Sinn des § 565 ABGB setzt normale Freiheit der Willensentschließung des Erblassers voraus, nicht aber Erfassung der Tragweite der letztwilligen Anordnung in vollem Umfang und in voller Konsequenz. An den Nachweis der Kausalität eines Irrtums des Erblassers im Beweggrund nach § 572 ABGB sind strenge Anforderungen zu stellen. Er genügt nicht, wenn ein weiteres wesentliches Motiv den letzten Willen trägt

OGH 22. November 1979, 7 Ob 623/79 (OLG Innsbruck, 1 R 361/78; LG Innsbruck, 26 Cg 534/74)

Text

Die Erst- bis Drittkläger und der Beklagte sind Geschwister und die Viertklägerin die (von einem vorverstorbenen Bruder adoptierte) Nichte der am 14. Jänner 1973 verstorbenen Kreszenzia H, die am 11. August 1972 ein der Form nach unbestritten gültiges fremdhändiges Testament zugunsten des (inzwischen ebenfalls verstorbenen) Beklagten errichtet hatte. Die Kläger begehren im Revisionsverfahren noch die Ungültigerklärung dieses Testaments und die Feststellung, daß ihnen auf Grund des Gesetzes das Erbrecht zustehe, mit der Behauptung, daß die Erblasserin im Zeitpunkte der Testamentserrichtung testierunfähig und vom Beklagten mit falschen Vorwürfen gegen die Kläger beeinflußt gewesen sei. Der Erstrichter wies dieses Klagebegehren ab. Nach seinen, hier auf das wesentliche gekürzten Feststellungen wurde die in den letzten 15 Jahren ihres Lebens wiederholt organisch schwer erkrankte Erblasserin etwa seit dem Jahre 1956 von einem Sohn der Zweitklägerin betreut, mit dem sie ein inniges Verhältnis verband und der ihr volles Vertrauen genoß, so daß sie in einem früheren Testament ihn zum Universalerben eingesetzt hatte. Nach mehreren stationären Spitalsaufenthalten wurde die Erblasserin am 20. Juli 1972 wegen eines körperlichen Erschöpfungszustandes in ein Privatsanatorium eingewiesen und am 26. Juli 1972 in die Landesnervenklinik überstellt, wo zunächst eine schwere Pneumonie behandelt und die Erblassein dann wegen der bei der Einlieferung festgestellten Zeichen eines Psychosyndroms in die psychiatrische Abteilung überstellt wurde, obwohl sie in diesem Zeitpunkte bereits wieder psychiatrisch unauffällig war. Die Erblasserin, die während ihres stationären Aufenthaltes sowohl vom Beklagten als auch von ihrem Neffen und dem Erstkläger besucht worden war, wollte um jeden Preis wieder aus dem Krankenhaus heraus. Von ihren Verwandten erklärte sich aber nur der Beklagte bereit, sie zu sich zu nehmen. So wurde die Erblasserin am 4. August 1972 aus dem Krankenhaus entlassen und hielt sich bis zu ihrem Tod beim Beklagten auf. Sie wurde dort von einem praktischen Arzt laufend betreut. Am 11. August 1972 rief der Beklagte über Veranlassung der Eblasserin den ihr bereits bekannten nunmehrigen Beklagtenvertreter zwecks Errichtung eines Testamtes zu sich. Sie war augenscheinlich körperlich schwer angeschlagen und äußerte sich dahin, daß sie sich nicht wohl fühle. Dennoch erklärte sie zunächst unter vier Augen dem Rechtsanwalt Dr. L, daß sie ein Testament machen, den Beklagten zu ihrem Alleinerben einsetzen und nur ein Legat zugunsten der Universität I errichten wolle, zumal sie auf ihre Verwandten in S nicht gut zu sprechen sei. So kam es zur Errichtung des eingangs erwähnten Testaments, dessen Richtigkeit die Erblasserin vor den herbeigerufenen weiteren Zeugn bestätigte.

Bei der Erblasserin bestand seit mehreren Jahren eine Cerebralsklerose, die erstmals im Rahmen eines im Jahr 1969 aufgetretenen Schlaganfalles in einer massiven Störung zum Ausdruck kam. Mit einem solchen Krankheitsprozeß ist eine progrediente Verschlechterung des durch lucida intervalle gekennzeichneten psychischen Gesamtzustandes mit erheblicher Abhängigkeit von der Umgebung verbunden. So beruhte die Änderung der Einstellung der Erblasserin gegenüber ihrem ursprünglich zum Erben eingesetzten Neffen und den übrigen Verwandten ind S primär auf einer objektiv falsch fixiterten, durch das Krankheitsgeschehen bedingten Fehlmeinung, sie sei ungerechtfertigt in die Nervenklinik eingewiesen worden. Für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung konnte jedoch ungeachtet der vorausgegangenen Phase einer schweren psychischen Beeinträchtigung nicht als erwiesen angenommen werden, daß die Erblasserin nicht das Bewußtsein gehabt hätte, ein Testament zu errichten, und daß sie nicht gewußt hätte, was dessen Inhalt sei, wenngleich sie die Tragweite ihrer letztwilligen Anordnung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in vollem Umfang und in der vollen Konsequenz erfaßt hat. Eine Einwirkung des Beklagten auf die Testamentserrichtung, fälschliche Behauptungen zur Förderung der negativen Einstellung der Erblasserin gegen die Kläger und den Neffen oder gar ein psychischer oder physischer Druck auf sie durch den Beklagten oder dessen Angehörige konnten nicht festgestellt werden.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters war die Erblassrin nach den getroffenen Feststellungen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch testierfähig im Sinn edes § 565 ABGB und nicht in einem Zustand des § 566 ABGB. Die Änderung ihrer Einstellung zu den Verwandten in S sei nicht nur durch die objektiv falsche durch das Krankheitsgeschehen fixierte Fehlmeinung hinsichtlich der Einweisung in die Nervenklinik zu erklären, sondern auch damit, daß diese Verwandten es abgelehnt hatten, die Erblasserin bei sich aufzunehmen. Die Dritt- und Viertkläger seien überdies mangels Abgabe einer Erbserklärung nicht klagslegitimiert.

Das Berufungsgericht gab der von den Klägern erhobenen Berufung nicht Folge. Es übenahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und trat seiner rechtlichen Beurteilung der Testierfähigkeit bei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Mängelrüge bezieht sich auf den nur vom Erstrichter herangezogenen zweiten Grund der Klagsabweisung, nämlich den Mangel der aktiven Klagslegitimation des Drittklägers und der Viertklägerin. Dieser Frage käme erst dann rechtliche Bedeutung zu, wenn das strittige Testament als unwirksam anzusehen wäre.

Mit ihrer Rechtsrüge bekämpfen die Revisionswerber die der herrschenden Rechtsprechung folgende Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Testierfähigkeit nur bei vollkommenem Mangel an Besonnenheit und aufgehobener Freiheit der Willensentschließung fehle (SZ 34/198 u. a.), unter Berufung auf Reinl, Gedanken zur Frage der Testierfähigkeit, JBl. 1978, 587 ff., mit dem Arguemnt, daß bei dieser Auslegung das Erfordernis der "vollen" Besonnenheit in § 565 ABGB übrflüssig wäre, so daß zu seiner Auslegung nicht § 566 ABGB herangezogen werden dürfe. Dem ist einerseits zu entgegnen, daß die Auslegung des in § 565 ABGB gebrauchten Begriffes der "vollen Besonnenheit" mit Hilfe des § 566 schon wegen der Verwendung des gleichen Wortes in der dortigen Randschrift gerechtfertigt ist; und daß andererseits die Rechtsprechung ohnehin jene Einschränkungen der Willensfreiheit dem § 565 ABGB unterstellt, in denen der Testierende wohl noch erkennt, daß er ein Testament errichtet, und sich auch des Inhaltes noch bewußt ist, infolge paranoider Wahnvorstellungen aber eine freien Willkür seiner Entscheidung ausgeschlossen ist (SZ 20/57; EvBl. 1968/191 u. a.). Den in § 566 angeführten Zuständen "der Raserei, des Wahnsinnes, Blödsinnes oder der Trunkenheit" steht deshalb eine durch einen hohen Grad des Affektes herbeigeführte Verstandesverwirrung gleich. Der wahre Wille zur Errichtung einer letztwilligen Erklärung fehlt in diesem Sinne immer dann, wenn Verstandesgebrauch und freie Willkür fehlen, also auch bei anderen dauernden oder vorübergehenden Störungen, die die normale Freiheit der Willensentschließung aufheben. Dagegen genügt eine bloße Schwächung der Geisteskräfte des Erblassers zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Erklärung nicht, wenn er die Anordnung im Bewußtsein einer solchen und mit dem Verständnis ihres Inhaltes traf (Weiß in Klang[2] III, 260, 262 f.). Den Bedenken Reinls könnte nur so weit nähergetreten werden, daß auch schon eine wesentliche Einschränkung der Besonnenheit den Ausschlag geben könnte, zumal Minderjährige erst ab dem 14. Lebensjahr und dann nur unter Einhaltung besonderer Formen testieren können (Koziol - Welser II[5], 264). Ein bloßer Motivirrtum eines sonst besonnenen Erblassers fällt dagegen unter § 572 ABGB.

Bei der in diesem Rahmen vorzunehmenden Beurteilung der Testierfähigkeit ist nicht, wie dies in der Revision versucht wird, von einzelnen Diagnosen der behandelnden Ärzte und Darlegungen der Sachverständigen auszugehen, sondern von den Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Soweit die Revisionswerber davon abweichen, ist die Revision nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Auf der Grundlage der maßgeblichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen begegnet deren rechtliche Beurteilung aber keinen Bedenken. Es ist nicht maßgeblich, daß die Erblasserin die Tragweite ihrer letztwilligen Anordnung "mit großer Wahrscheinlichkeit" nicht in vollem Umfang und in voller Konsequenz erfaßte, wenn sie den Gebrauch des Verstandes noch nicht verloren und ihre Testierabsicht bewußt zuungunsten ihres Neffen und zugunsten des Beklagten geändert hatte.

Ein Irrtum über die Richtigkeit ihrer Motive für diese Entscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des § 572 ABGB zu prüfen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung haben die Vorinstanzen hier aber mit Recht ebenfalls nicht als erfüllt angesehen. Ein Irrtum im Beweggrund macht nämlich die Verfügung nur dann ungültig, wenn erweislich ist, daß der Wille des Erblassers "einzig und allein" darauf beruhte. Das Gesetz stellt hier an den Nachweis des Kausalzusammenhanges besonders strenge Anforderungen; es schneidet die Erörterung darüber, ob gerade jener Beweggrund, der sich als irrig erweisen läßt, der entscheidende war, dadurch ab, daß es außer dem Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen der irrigen Vorstellung über den Beweggrund den Nachweis der Ausschließlichkeit verlangt (Weiß a. a. O., 286 f.). Der gegenteiligen Ansicht von Koziol - Welser a. a. O., 266 kann höchstens dort gefolgt werden, wo kein weiteres wesentliches Motiv übrigbleibt. Gerade das ist aber hier zu verneinen, weil die Willensänderung der Erblasserin nicht nur durch die objektiv unrichtige Annahme begrundet wurde, daß die Klagsseite sie in die psychiatrische Behandlung eingewiesen habe, sondern auch darin eine wesentliche und richtige Erklärung fand, daß alle anderen Verwandten außer dem Beklagten sich außerstande erklärten, sie möglichst rasch aus dieser Behandlung zu befreien.

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