Spruch:
Das nach Abschluß eines Erbvertrages errichtete Testament wird nach dem Tod des anderen Vertragspartners voll wirksam.
Entscheidung vom 22. Dezember 1961, 5 Ob 420/61.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Ehegatten Georg und Julie B. errichteten mit Notariatsakt vom 28. August 1931 eine allgemeine, schon unter Lebenden wirksame Gütergemeinschaft über ihr gegenwärtiges und zukünftiges Vermögen und einen Erbvertrag sowie ein wechselseitiges Testament, worin sie sich gegenseitig, und zwar vertragsmäßig zu drei Vierteln des Nachlasses und letztwillig bezüglich des freien Nachlaßviertels, zu Erben einsetzten. Julie B., die am 17. März 1960 nach ihrem Gatten starb, hatte am 7. November 1957 ein Testament errichtet, in dem sie zu ihrem Erben den Beklagten einsetzte. Unter Punkt 3 dieser letztwilligen Verfügung ordnete sie die Enterbung der Klägerin mit der Begründung an, daß sie sie lieblos behandelt und im Notstand hilflos gelassen habe. Die Streitteile sind die außerehelichen Kinder der Julie B. Beide Streitteile haben zum Nachlaß der Julie B. die bedingte Erbserklärung abgegeben, der Beklagte auf Grund des oben erwähnten Testaments, die Klägerin auf Grund des Gesetzes. Die Klägerin wurde vom Verlassenschaftsgericht mit ihren Ansprüchen auf den Rechtsweg
erwiesen. Sie behauptet, daß die Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes testierunfähig gewesen sei, weil sie durch unausgesetzte listige, böswillige und unwahre Einflüsterungen des Beklagten und seiner Ehegattin, denen die Erblasserin infolge ihrer Demenzerscheinungen völlig kritiklos gegenübergestanden sei, der freien Willensbildung nicht fähig gewesen sei, ihr somit die volle Besonnenheit gefehlt habe. Das Testament sei überdies unwirksam, weil die Annahme der Erblasserin über das Verhalten der Klägerin durch die listigen, wahrheitswidrigen Behauptungen des Beklagten hervorgerufen worden sei und die letztwillige Anordnung einzig und allein auf diesen Beweggrund zurückgehe. Der Beklagte sei überdies wegen seines betrügerischen Verhaltens im Sinne des § 542 ABGB. erbunfähig.
Die Klägerin stellte daher die Urteilsanträge, das Testament vom 7. November 1957 sei ungültig, der Beklagte sei gegenüber der Erblasserin erbunfähig, und der Klägerin stehe auf Grund des Gesetzes das Erbrecht zum Nachlaß der Julie B. zu.
Das Erstgericht wies die Klageanträge mit der Begründung ab, daß die Erblasserin am 7. November 1957 voll geschäftsfähig gewesen sei. Es habe nicht festgestellt werden können, daß der Beklagte die Erblasserin durch Betrugshandlungen zur Errichtung ihres letzten Willens veranlaßt oder sie sonst irgendwie in Irrtum geführt habe. Beide Teile hätten sich bemüht, das Erbe ihrer Mutter zu gewinnen. Hiebei könne allerdings nicht übersehen werden, daß sich das Verhalten der Julie B. ihrer Tochter gegenüber knapp nach der Versöhnung der Erblasserin mit dem Beklagten änderte. Der Grund für diese Änderung habe sich aber nicht ermitteln lassen, wenn es auch den Anschein habe, daß der Beklagte an dieser Änderung irgendwie beteiligt war. Es sei aber genau so möglich, daß die Klägerin, wie dies 1952 bzw. 1953 anläßlich ihres Besuches in Österreich der Fall war, mit ihrer Mutter Streit hatte oder sonst deren Unwillen erregt hatte, so daß Julie B. ihre Tochter aus diesem Grund nicht mehr sehen wollte. Daß die Erblasserin zur Zeit der Testamentserrichtung am 7. November 1957 auch nicht unter einem Druck durch den Beklagten gestanden ist, ergebe sich aus der glaubwürdigen Zeugenaussage des Dr. D.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Für die Ermittlung des seelischen Zustandes der Erblasserin im Zeitpunkt des Testieraktes seien die unzweideutigen Angaben des Zeugen Dr. D. sowie des Hausarztes Dr. W. vollkommen hinreichend. Sie machten die Testierfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung völlig gewiß. Dr. W. habe überdies die Erblasserin noch am 3. Februar 1959 untersucht und damals festgestellt, daß sie geistig im Vollbesitz ihrer Urteilskraft war. Daß sich in der Korrespondenz der Erblasserin Äußerungen finden, die auf eine ausgesprochen gehässige Einstellung gegenüber der Klägerin hinweisen, biete noch keinen Anlaß, einen Psychiater zu Rate zu ziehen. Dem Erstgericht sei auch darin zu folgen, daß sich zuverlässige Feststellungen über die Motive, von denen die Erblasserin bei der Testamentserrichtung beherrscht wurde, nicht mehr treffen ließen. Das Testament stehe, zwar teilweise im Widerspruch zu dem früher errichteten Erbvertrag, doch bewirke dies nur eine relative Ungültigkeit des Testamentes; relativ deshalb, weil es ja wiederum Wirksamkeit erhalte, wenn der Erbvertrag aus welchem Grund immer wegfalle (Klang 1. Aufl. III 799 ff. bei Anm. 46, 47). Der Erbvertrag sei noch vor dem Ableben der Erblasserin durch den Tod des Vertragspartners Georg B. gegenstandslos geworden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 565 ABGB. muß der Wille des Erblassers im Zustand der vollen Besonnenheit erklärt werden. Schon die Entscheidung GlU. 15.877 führt aus, daß die Testierunfähigkeit nur im Zustand der Raserei, des Wahnsinnes, des Blödsinnes oder der Trunkenheit vorliege, wenn also die Besonnenheit gänzlich mangle. Auch die Entscheidung SZ. XXIV 146 führt unter Berufung auf die oben zitierte Entscheidung und auf Weiss in Klang 2. Aufl. III 263 aus, daß der Mangel der Testierfähigkeit nur dann gegeben sei, wenn der Erblasser nicht einmal das Bewußtsein hatte, eine letztwillige Verfügung zu treffen, und auch nicht wußte, was ihr Inhalt sei. Die Frage der Testierfähigkeit und das Willenserfordernis bei letztwilligen Erklärungen sei nach den §§ 565, 566 ABGB. zu beurteilen, nicht aber nach den nur für Verkehrsgeschäfte geltenden Regeln des § 869 ABGB. Daß die Errichtung des Testaments unter einem solchen psychischen Zwang erfolgt wäre, der eine freie Willensentschließung ausgeschlossen hätte, ist nach den Feststellungen der Untergerichte zu verneinen. Wenn das Erstgericht Beweisanträge zum Nachweis eines solchen Zwangs ablehnt und das Berufungsgericht den hier allenfalls vorliegenden Mangel nicht als gegeben erachtet, dann kann dieser Mangel im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (SZ. XXII 106). Die Behauptung, ein Mangel des Verfahrens liege darin, daß die Beweisanträge auf Vernehmung der Zeugen Poldi R., Kathi S. und Josef B., auf Vernehmung eines psychiatrischen Sachverständigen und auf Beischaffung des Aktes 17 U 1046/58 des Strafbezirksgerichtes Wien abgelehnt wurden, ist nichts anderes als die Wiederholung der bereits in der Berufung erhobenen Mängelrüge. Das gleiche gilt für die bezüglich der Erbunwürdigkeit des Beklagten angebotenen Beweise. Wenn das Berufungsgericht meint, daß die Beischaffung des oben angeführten Strafaktes und die Vernehmung der genannten Zeugen nicht zum Beweis der Testierunfähigkeit der Erblasserin zur Zeit der Errichtung des Testamentes, sondern nur darüber angeboten worden sei, daß die Erblasserin vom Beklagten gegen die Klägerin beeinflußt wurde, liegt darin entgegen der Meinung der Klägerin in ihrer Revision keine Aktenwidrigkeit.
Geht man nun von den Feststellungen der Untergerichte aus, dann ist eine listige Erschleichung des Testamentes durch unwahre Behauptungen des Beklagten über das Verhalten der Klägerin zur Erblasserin nicht erwiesen. Es kann daher weder von einer Ungültigkeit der letztwilligen Anordnung (§ 572 ABGB.) noch von einer Erbunwürdigkeit des Beklagten (§ 542 ABGB.) die Rede sein. Aktenwidrig ist allerdings die Behauptung des Beklagten, Georg B. sei, wie die Klägerin in ihrer Klage ausgeführt habe, vor der Errichtung des gegenständlichen Testamentes gestorben. Die Klägerin hat vielmehr vorgebracht, daß Georg B. am 6. Dezember 1958 gestorben sei. Das Testament hingegen wurde von der Erblasserin am 7. November 1957, also, wenn man den Klagebehauptungen folgt, vor dem Tod ihres Ehemannes errichtet. Der am 28. Oktober 1931 errichtete Erbvertrag beschränkte daher auf die Dauer seiner Wirksamkeit, also bis zum Tod des Georg B., die Vertragserbin Julie B. in der Testierfreiheit über das ein Viertel übersteigende Vermögen (§ 1253 ABGB.). Der Erbvertrag wurde aber durch den Tod des eingesetzten Vertragserben Georg B. insoweit entkräftet, als nunmehr die Vertragspartnerin in der Verfügung über ihr Vermögen durch letztwillige Anordnung wieder völlig frei wurde (vgl. hiezu Weiss in Klang 2. Aufl. V 940). Das während der Wirksamkeit des Erbvertrages, d. h. nach seinem Abschluß und noch vor dem Tod des Georg B., errichtete Testament der Julie B. war von einer testierfähigen Person errichtet und daher mit der Entkräftung des Erbvertrages voll wirksam geworden. Die letztwillige Anordnung war ja nur deshalb nicht in ihrem vollen Ausmaß wirksam geworden, weil ihr der zeitlich vorangegangene Erbvertrag entgegenstand. Sie war, als von einer testierfähigen Person errichtet, nur durch das Bestehen des Erbvertrages in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt, oder anders ausgedrückt: die dem Erbvertrag zeitlich nachfolgende, mit dem Bestehen dieses Vertrages unverträgliche Verfügung von Todes wegen ist bezüglich ihrer vollen Wirksamkeit von der Rechtsbedingung abhängig, daß die Möglichkeit der Beeinträchtigung der aus dem Erbvertrag fließenden Rechte nachträglich entfällt (vgl. hiezu Strohal, Die relative Unwirksamkeit, Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB., II S. 763).
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