OGH 1Ob4/79

OGH1Ob4/7927.6.1979

SZ 52/103

Normen

AHG §1
B-VG Art. 10 Abs1 Z8
B-VG Art. 10 Abs1 Z9
Kraftfahrgesetz 1967 §101 Abs5
Straßenverkehrsordnung 1960 §37
AHG §1
B-VG Art. 10 Abs1 Z8
B-VG Art. 10 Abs1 Z9
Kraftfahrgesetz 1967 §101 Abs5
Straßenverkehrsordnung 1960 §37

 

Spruch:

Ein Gendarmeriebeamter, der ein Transportfahrzeug mit größerer als der allgemein zulässigen Breite begleitet, handelt sowohl als Organ des Bundes als auch des Landes

OGH 27. Juni 1979, 1 Ob 4/79 (OLG Wien 14 R 2043/78; LG Eisenstadt 1 Cg 124/78)

Text

Am 2. Dezember 1976 kam es auf der Landesstraße 3004 nordwestlich von F zwischen dem von Karl S gelenkten LKW Marke "Mercedes LK 2664" mit dem pol. Kennzeichen B 32 658, an welchen der Tiefladeanhänger B 232 871 mit aufgeladener Schubraupe Marke "caterpillar TA 8 H" angehängt war, und dem von Johann T gelenkten, mit 39 Fahrgästen besetzten Autobus "Gräf & Stift. TSG 160" mit dem pol. Sachbereichkennzeichen BB 2813 zu einem Verkehrsunfall, bei dem sieben Personen getötet und 27 weitere - zum Teil schwer - verletzt wurden. Dieser Unfall war darauf zurückzuführen, daß Johann T mit einer für die gegebenen Sichtverhältnisse zu hohen Geschwindigkeit gefahren war und nicht den rechten Fahrbahnrand eingehalten hatte, so daß der Autobus gegen den linken Teil des Raupenschildes prallte, welcher in den Fahrgastraum eindrang. In dem wegen dieses Unfalles zu 8 E Vr 809/76, Hv 9/77, des Landesgerichtes Eisenstadt eingeleiteten Strafverfahren wurden u. a. die beiden Lenker der beteiligten Fahrzeuge und der den Transport sichernde Gendarmeriebeamte Stefan K (Kommandant des Gendarmeriepostens H) rechtskräftig verurteilt. Der in erster Instanz unbekämpft gebliebene Schuldspruch hinsichtlich des Gendarmeriebeamten Stefan K (Nebenintervenient) grundet sich darauf, daß dieser es unterlassen habe, dafür Sorge zu tragen, daß die den LKW bzw. den Tiefladeanhänger seitlich überragenden Teile des Raupenschildes vorschriftsmäßig gekennzeichnet seien und daß er den Transport trotz schlechter Sichtverhältnisse und trotz mangelnder Warnung entgegenkommender Fahrzeuge nicht abgebrochen habe. Es ist unbestritten, daß die klagende Partei aus diesem Schadensfall an die verletzte Maria H bisher Zahlungen im Betrag von insgesamt 74 000 S erbracht hat und noch weitere Leistungen an sie zu erbringen haben wird.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei als Haftpflichtversicherer des am Unfall beteiligten LKW samt Tiefladeanhänger nach Klagseinschränkung Zahlung von 32 000 S sowie die Feststellung, daß die beklagte Partei (Land Burgenland) als Rechtsträger des Organs Stefan K für alle weiteren von der klagenden Partei zu leistenden Schadenersatzbeträge mit dem Anteil von 50% hafte und mit demselben Anteil ersatzpflichtig sei. Die klagende Partei brachte vor, daß die Unterlassung entsprechender Verkehrssicherungsmaßnahmen und die gröbliche Verletzung der Erfordernisse der Verkehrssicherheit durch den den Transport begleitenden Gendarmeriebeamten Stefan K, dessen Mitverschulden mit 50% veranschlagt werde, den Unfall ausgelöst habe. Stefan K wäre es obliegen, den Transport bei Dunkelheit und Unwetter abzubrechen bzw. für eine entsprechende Beleuchtung der überbreiten Teile und eine entsprechende Warnung des Gegenverkehrs zu sorgen. Das rechtliche Interesse am Feststellungsbegehren ergebe sich aus dem noch nicht abzuschätzenden Ausmaß der Ansprüche der bei dem Unfall schwer verletzten Maria H, deren Ansprüche mit der geleisteten Zahlung von 74 000 S nur zum Teil abgegolten worden seien. Da der begleitende Gendarmeriebeamte als Organ des Landes Aufgaben der Straßenpolizei wahrzunehmen gehabt habe, sei die beklagte Partei passiv legitimiert.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wendete mangelnde Passivlegitimation ein, weil es sich bei dem vorliegenden Transport um einen im Sinne des § 101 Abs. 5 KFG genehmigungspflichtigen Transport gehandelt habe.

Die Begleitung überbreiter Transporte durch die Gendarmerie erfolge in Vollziehung des Kompetenztatbestandes "Kraftfahrwesen" (Art. 10 Abs. 1 Z. 9), somit im Bereich der Vollziehung des Bundes. Stefan K sei daher funktionell als Vollzugsorgan des Bundes, nicht des Landes tätig geworden. Überdies treffe ihn kein 50% Mitverschulden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch folgenden wesentlichen Sachverhaft fest: Stefan K machte entgegenkommende Kraftfahrzeuglenker auf den ihm folgenden überbreiten Transport nur unzureichend aufmerksam. Bei dem Unfall erlitt Maria H schwere Verletzungen, nämlich einen Oberschenkelbruch rechts, Brüche des fünften Mittelhandknochens rechts, des Sitzbeines und der Speiche rechts sowie eine Gehirnerschütterung und Rißquetschwunden an der linken Kopfseite, am linken Ohr und Hals.

Bei der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß es sich bei der Gendarmeriebegleitung überbreiter Kraftfahrzeuge nicht um eine Angelegenheit handle, welche dem Kompetenzbereich "Straßenpolizei" zugehöre, der gemäß Art. 11 Abs. 1 Z. 4 B-VG in der Gesetzgebung Bundes-, in der Vollziehung aber Landessache sei, sondern um eine solche des Kompetenzbereiches "Kraftfahrwesen" (Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG), der in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sei. Letzterer Kompetenzbereich umfasse insbesondere auch die nach der Eigenart der Kraftfahrzeuge notwendigen Bestimmungen. Aus § 101 Abs. 5 KFG und seiner systematischen Stellung im Gesetz sei zu erkennen, daß der Gesetzgeber hier Regelungen getroffen habe, die sich auf die Ausstattung und den Betrieb spezifischer Fahrzeuge bezögen und daß er damit die nach Eigenart des Kraftfahrzeuges erforderlichen verkehrspolizeilichen Maßnahmen anordne, worunter auch die Gendarmeriebegleitung bestimmter Fahrzeuge falle. Da für die Frage, welcher Rechtsträger für ein Organ hafte, der Vollzugsbereich entscheidend sei, der den Transport begleitende Gendarmeriebeamte Stefan K aber nach dem Gesagten als Organ des zur Vollziehung berufenen Bundes tätig gewesen sei, fehle es an der Passivlegitimation der beklagten Partei, weshalb das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei keine Folge. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils und billigte die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt.

Über Revision der klagenden Partei hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Im Revisionsverfahren ist nur umstritten, ob der den Transport begleitende Gendarmeriebeamte Stefan K bei seiner Tätigkeit im Vollzugsbereich des Bundes oder aber des Landes Burgenland tätig war. Die Vorinstanzen gingen zunächst zutreffend davon aus, daß für die Frage, welcher Rechtsträger für die Schädigung durch ein Organverhalten haftbar gemacht werden kann, die funktionelle Zuordnung der Organtätigkeit entscheidet. Es kommt daher nicht darauf an, wessen Organ der angeblich Schuldtragende war, sondern in wessen Namen und für wen er funktionell tätig war. Entscheidend ist damit der Vollzugsbereich, innerhalb dessen das betreffende Organ tätig war (SZ 43/78; SZ 26/51; EvBl. 1963/184; Adamovich, Handbuch[6], 417. Spanner in ÖJZ 1950, 51; Helbling, JBl. 1949, 183, und Loebenstein - Kaniak, Kommentar, 39). Im vorliegenden Fall ist also, wie schon die Vorinstanzen erkannten, entscheidend, ob der den Transport begleitende Gendarmeriebeamte Stefan K im Rahmen des Kompetenztatbestandes Kraftfahrwesen (Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG), innerhalb dessen gemäß Art. 10 Abs. 1 B-VG die Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist, oder aber im Rahmen des Kompetenztatbestandes Straßenpolizei (Art. 11 Abs. 1 Z. 4 B-VG), welcher in Gesetzgebung Bundes-, in der Vollziehung aber Landessache ist, tätig geworden ist. Der Kompetenztatbestand Kraftfahrwesen umfaßt nach ständiger Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 2977, 4180, 4187, 4243, 4381) alle Angelegenheiten, die das Kraftfahrzeug und seinen Lenker betreffen. Von diesem Kompetenztatbestand werden auch die nach der Eigenart des Kraftfahrzeuges notwendigen verkehrspolizeilichen Bestimmungen, ferner die Bestimmungen über die Beschaffenheit der Fahrzeuge und ihren Betrieb umfaßt. Der Begriff umfaßt alles, was sich auf die Ausstattung und den Betrieb von Fahrzeugen sowie auf den Verkehr von Fahrzeugen auf öffentlichen Verkehrsflächen bezieht (VfSlg. 2977).

Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen "überbreiten" Transport, der gemäß § 101 Abs. 5 KFG nur mit Bewilligung des Landeshauptmanns, in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Transport durchgeführt werden soll, zulässig ist. Dabei ist auf die Beschaffenheit der Ladung Bedacht zu nehmen, und es können entsprechende Auflagen erteilt werden, wie insbesondere eine Gendarmeriebegleitung. Daß die Einholung dieser Bewilligung des Landeshauptmannes unterblieben ist und das Gendarmerieorgan von sich aus tätig wurde, kann auf die Frage, in welchem Funktionsbereich diese Tätigkeit entfaltet wurde, keinen Einfluß üben. Nun kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß die Gendarmeriebegleitung im vorliegenden Fall wegen der besonderen Beschaffenheit der Ladung erfolgte. Alle Maßnahmen, welche das Fahrzeug selbst oder seine Fortbewegung auf der Straße betreffen, wie etwa die Verwendung von Signalflaggen, besonderen Begrenzungsleuchten oder die Anordnung, daß eine bestimmte Geschwindigkeit nicht überschritten werden darf, sind zweifellos Maßnahmen, die vom Kompetenztatbestand "Kraftfahrwesen" erfaßt werden. Maßnahmen aber, welche die Sicherung des allgemeinen Verkehrs auf der Straße betreffen und die hiezu erforderlichen verkehrspolizeilichen Anordnungen sind nach Ansicht des Senates dem Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" zuzuordnen. Ein Transport der hier vorliegenden Art kann besondere Maßnahmen der Regelung und Sicherung des Verkehrs, etwa durch Arm- und Lichtzeichen (§§ 36 ff. StVO), erforderlich machen. Erfolgt eine derartige Verkehrsregelung durch einen auf der vom Transport benützten Straße eingesetzten Verkehrsposten (§ 37 StVO), so kann wohl nicht zweifelhaft sein, daß dieser Verkehrsposten ausschließlich Normen der Straßenverkehrsordnung vollzieht und demnach im Funktionsbereich des Landes tätig ist (Kammerhofer - Benes, StVO[6], 245, Anm. 2). Die Verkehrsregelung durch einen Verkehrsposten wird mit anderen Worten nicht deshalb zu einer Angelegenheit des Kraftfahrwesens, weil sie wegen eines herannahenden "überbreiten" Transports erforderlich wird. Es ist dann aber auch kein Grund ersichtlich, verkehrspolizeiliche Maßnahmen, die nicht in der geschilderten Weise, sondern durch einen den Transport begleitenden Gendarmeriebeamten erfolgen, nicht dem Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" zuzuordnen. Auch das schuldhafte Unterlassen solcher Maßnahmen fällt dann unter diesen Kompetenztatbestand. Die oben zitierte Rechtsprechung des VfGH steht der hier vertretenen Auffassung nach Ansicht des erkennenden Senates nicht entgegen. Sie betrifft auch, wie erwähnt sein soll, Fälle, die mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar sind. Gegenstand der grundlegenden Entscheidung VfSlg. 2977 war etwa die Frage der kompetenzmäßigen Zuordnung von Angelegenheiten des Garagenwesens. Die dort zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, vom Kompetenztatbestand "Kraftfahrwesen" werde alles umfaßt, was sich auf den Betrieb des Kraftfahrzeuges auf öffentlichen Verkehrsflächen bezieht, ist nach dem Vorgesagten einschränkend dahin zu verstehen, daß nur der Betrieb des Fahrzeuges selbst, nicht aber sonstige Anordnungen erfaßt werden, die wegen des Betriebes aus dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis auf öffentlichen Straßen erforderlich werden. Im vorliegenden Fall ist der Unfall jedenfalls auch darauf zurückzuführen, daß solche Maßnahmen unterblieben sind. Es ist dann aber davon auszugehen, daß das schuldtragende Organ auch im Vollzugsbereich des Landes untätig blieb, wofür der belangte Rechtsträger einzustehen hat.

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