OGH 7Ob2/79

OGH7Ob2/7919.4.1979

SZ 52/64

 

 

Spruch:

Die Einigung von Versicherer und Versicherungsnehmer über Sachverständige, die einen Großschaden ermitteln sollen, ist mangels Vereinbarung der Verbindlichkeit des zu erstattenden Gutachtens im Zweifel kein Verzicht auf das in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Schiedsverfahren

 

OGH 19. April 1979, 7 Ob 2, 3/79 (OLG Innsbruck 1 R 215, 217/78; LG Innsbruck 25 Cg 583/75)

 

Begründung:

Der Kläger war im Frühjahr 1975 im Rahmen einer Eigenheimversicherung seines Wohnhauses in I mit einer Versicherungssumme von 6 Mill. S gegen Einbruchsdiebstahl versichert. Er begehrt für einen solchen Diebstahl, der sich in der Zeit seiner Abwesenheit zwischen dem 21. März und 4. April 1975 ereignete, zur Deckung des mit mindestens 3.586.000 S behaupteten Schadens unter Anrechnung einer Akontierung von zusammen 1.5 Mill. S die Zahlung von restlichen 2.086.000 S samt Nebengebühren. Der Erstrichter erkannte mit Teilurteil hinsichtlich 509.400 S im Sinne des Klagebegehrens und wies ein Teilbegehren von 1.232.413 S ab. Hievon ist die Teilabweisung hinsichtlich 4000 S in Rechtskraft erwachsen.

Im Umfang der übrigen Teilabweisung von 1.228.413 S hob das Berufungsgericht infolge Berufung des Klägers das Ersturteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf. Es bestätigte andererseits den Zuspruch von 509.400 S. Die unrichtig als Rekurs bezeichnete Berufung der Beklagten gegen die in den Urteilsgründen des Ersturteils ausgesprochene Zuständigkeitsentscheidung verwarf die zweite Instanz und bestätigte insoweit das Ersturteil mit der Maßgabe, daß die von der Beklagten erhobene und auf einen Schiedsvertrag gegründete Prozeßeinrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurückgewiesen werde.

Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs der Beklagten zurück, gab aber ihrer Revision Folge und verwies die Rechtssache auch hinsichtlich des Teilbegehrens von 509.400 S an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Entscheidung der zweiten Instanz über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist unanfechtbar, gleichgültig ob man sie als Beschluß des Berufungsgerichtes im Berufungsverfahren nach § 519 ZPO oder als Bestätigung eines erstrichterlichen Beschlusses im Sinne des § 528 Abs. 1 Z. 1 ZPO ansieht. Im ersten Fall liegt die Entscheidung außerhalb der taxativ aufgezählten anfechtbaren Entscheidungen, im zweiten Fall schließt die Bestätigung ein Rechtsmittel aus.

Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor. Die diesbezüglichen Ausführungen der Revisionswerberin machen vielmehr Feststellungsmängel geltend, die ebenso zur Rechtsrüge gehören wie die Beurteilung der Einigung der Parteien auf die Schadensermittlung durch bestimmte Sachverständige.

Die Beklagte hat den Klagsanspruch unter anderem deshalb bestritten, weil das in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgesehene Sachverständigenverfahren über die Schadenshöhe (Art. 11 ABS) nicht durchgeführt worden sei. Daraus kann sie zwar nicht die Unzuständigkeit des Gerichtes ableiten (s. o.), nach herrschender Rechtsansicht ist aber eine Versicherungsleistung im Umfange der der Höhe nach bestrittenen Ansprüche nicht fällig, solange ein - wenn auch nur mittelbar durch die dem Versicherungsvertrag zugrunde gelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen - vereinbartes Sachverständigenverfahren im Sinne des § 64 VersVG nicht durchgeführt wurde (SZ 38/138; ZVR 1969/353; SZ 41/104). Entgegen der Meinung der Beklagten kann der Anspruch dann allerdings vor der Entscheidung des Sachverständigenausschusses oder dem endgültigen Scheitern des Sachverständigenverfahrens auch nicht verjähren (SZ 41/104).

Der Kläger ist der Einwendung der Beklagten betreffend die Nichtdurchführung des Sachverständigenverfahrens mit der Behauptung entgegengetreten, daß sich die Parteien über die Feststellung des Schadens durch andere Sachverständige geeinigt und überdies vereinbart hätten, daß nach Einlangen des Hauptgutachtens des Sachverständigen Dr. K unverzüglich die Zahlung der Versicherungsleistung entsprechend diesem Gutachten zu erfolgen habe. Die Beklagte, hat letzteres bestritten. Nach den Feststellungen des Erstrichters unterbreitete der Versicherungsangestellte der Beklagten, L, dem Kläger den Vorschlag, daß Sachverständige die Schadenshöhe ermitteln. Mit dieser Vorgangsweise und sodann auch mit der Person der vorgeschlagenen Sachverständigen erklärte sich der Kläger einverstanden. Im Zuge der Besprechungen nannte der Versicherungsbeamte das Vorliegen der Schätzung Dris. K als eine der Voraussetzungen, um zu einer Schadensregelung zu gelangen. In ähnlicher Weise äußerte sich die Beklagte im Schreiben vom 7. August 1975 in der Antwort auf das erste Schreiben des Klagevertreters dahin, es sei für die ziffernmäßige Beurteilung der Versicherungsleistung unumgänglich, daß die von den eingeschalteten Sachverständigen zu schaffenden Expertisen vorliegen; die Gesamtbegutachtung sei in den Händen Dris. K gelegen; nach Auswertung der gutachtlichen Ausführungen werde die Beklagte dann erst in die Lage versetzt sein,von der ziffermäßigen Seite her ein konkretes Entschädigungsanbot zu unterbreiten. Nach den Feststellungen des Erstrichters entsprach der in diesem Schreiben dargestellte Verhandlungsverlauf den Tatsachen. Die Beklagte erhielt am 12. August 1975, zwei Tage vor der Einbringung der Klage, die vollständige Schadensschätzung Dris. K.

Der Erstrichter ist in seiner rechtlichen Beurteilung auf diese Umstände nicht eingegangen, weil er die Akontozahlung der Beklagten ans bindendes Anerkenntnis dem Gründe nach angesehen hat. Ein solches steht aber der Bestreitung der restlichen, hinsichtlich Höhe und Fälligkeit bestrittener Ansprüche nicht im Wege, wenn die Teilzahlung wie im vorliegenden Fall bloß die unbestrittenen Mindestansprüche im Sinne des Art. 13 Abs. 1 ABS erledigen sollte. Das Berufungsgericht hielt in diesem Sinne zwar die Allgemeinen Versicherungsbedingungen samt der Vereinbarung des Sachverständigenverfahrens auch ohne ausdrückliche Kenntnisnahme durch den Kläger und selbst ohne ihre Anheftung an die Versicherungspolizze als vereinbart. Nach dem festgestellten Verhalten beider Parteien liege aber ein schlüssiger Verzicht auf die Anrufung des Sachverständigenausschusses im Sinne des § 863 ABGB vor, weil sich die Parteien auf eine besondere Art der Schadensfeststellung geeinigt hätten und die Beklagte eine erhebliche Akontierung leistete. Der Vorwurf der Beklagten, daß der Kläger es unterlassen habe, den Sachverständigenausschuß anzurufen, komme daher zu spät.

Dieser Rechtsansicht kann nur teilweise gefolgt werden; die erstrichterlichen Feststellungen reichen für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht aus. Entgegen der Meinung des Klägers sind allerdings die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aus den bereits vom Berufungsgericht angeführten Gründen auch ohne ausdrückliche Vereinbarung als Inhalt des Versicherungsvertrages anzusehen. Nach Art. 11 Abs. 1 ABS konnte daher jeder Vertragspartner verlangen, daß Ursache und Höhe des Schadens durch Sachverständige in einem bestimmten Verfahren festgestellt werden, dessen Ergebnis im Rahmen der Zuständigkeit der Sachverständigen verbindlich ist, wenn nicht nachgewiesen wird, daß es offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (vgl. auch § 64 Abs. 1 VersVG). Im vorliegenden Fall sind sich die Parteien darüber einig, daß ein Sachverständigenverfahren nach den Regeln der ABS nicht stattgefunden hat. Die Revisionswerberin hat die Durchführung dieses Verfahrens auch vor dem Prozeß nicht verlangt, wohl aber dann sogleich die Unterlassung Sachverständigenverfahren, das allerdings hier nur fakultativ vorgesehen war, ungeachtet gelegentlicher Hinweise auf eine fehlende Antragspflicht der Klägers auch ausdrücklich selbst gefordert. Sofern nicht schon ein früherer Verzicht anzunehmen wäre (s. u.), war dieses Verlangen entgegen der Ansicht des Klägers nicht verspätet, zumal seine Klage schon unmittelbar (zwei Tage) auf das Einlangen des Gesamtgutachtens Dris. K gefolgt war.

Das Sachverständigenverfahren ist im vorliegenden Fall auch nicht schon endgültig etwa deshalb gescheitert, weil in der Folge der Kläger der Aufforderung der Beklagten zur Namhaftmachung seines Sachverständigen nicht nachgekommen ist. Dies hat entgegen der Meinung der Revisionswerberin keinen Anspruchsverlust zur Folge. Nach Art. 11 Abs. 2 lit. a ABS könnte bloß auf Antrag des anderen Vertragspartners der zweite Sachverständige durch das Gericht ernannt werden, wenn - was hier wohl nicht der Fall war - in der Aufforderung auf diese Folge hingewiesen wurde.

Nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes kann allerdings auf die Durchführung des in Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorgesehenen Sachverständigenverfahrens verzichtet werden, und zwar auch schlüssig etwa durch eigene Beweisanträge statt Erhebung der Einwendung im Prozeß (SZ 38/138 u.a.). Dies käme besonders dann in Betracht, wenn wie hier das Sachverständigenverfahren nur fakultativ vorgesehen ist. An die Annahme eines schlüssigen Verzichtes ist aber nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (SZ 41/123 u.a.) ein strenger Maßstab anzulegen. Er wäre erfüllt, wenn die Parteien sich auf ein gleichwertiges Verfahren geeinigt hätten, etwa auf einen oder mehrere Sachverständige, deren Gutachten verbindlich sein sollte (Prölss-Martin, VVG21, 348). Diesen Fall hat der Kläger wenn auch nur andeutungsweise behauptet, indem er vorbrachte, die Beklagte habe sich zur unverzüglichen Zahlung des vom Hauptsachverständigen zu ermittelnden Betrages verpflichtet. Eine entsprechende Feststellung des Erstgerichtes fehlt jedoch und es blieb auch unerörtert, ob sich der Kläger selbst der Schadensermittlung durch den Sachverständigen im vorhinein unterwarf. Wäre von den Parteien die Verbindlichkeit des einzuholenden Sachverständigengutachtens nicht vereinbart worden, dann wäre allerdings entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ein schlüssiger Verzicht der Beklagten auf das in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Verfahren wegen verbleibender Zweifel an einen solchen Erklärungswillen (§ 863 ABGB) nicht anzunehmen. Es ist nämlich der Revisionswerberin zu folgen, daß zwar besonders in einem Großschadensfall wie dem vorliegenden die Schadensermittlung durch Sachverständige üblich ist und - wie im Schreiben der Beklagten vom 7. August 1975 dargestellt - die Voraussetzung für die Entscheidung des Versicherers darstellt, daß aber ein solches Gutachten regelmäßig nur der Vorbereitung der Regulierung des Schadens und einer allfälligen Einigung über die Höhe der Entschädigung dient, ohne daß damit schon das für den Fall der Nichteinigung der Parteien vorgesehene Sachverständigenverfahren entfallen soll (s. Pienitz-Flöter, AKB80, § 14, S. 2 f. und vgl. auch Prölss-Martin a.a.O. zum "Regulierungsbeauftragten"). Der Akontozahlung kommt dabei aus den gleichen Gründen wie oben keine entscheidende Bedeutung zu. Die Fälligkeit des Klagsanspruches wäre also ungeachtet der Einigung der Parteien über die Person der Sachverständigen nur unter der Voraussetzung zu bejahen, daß dem Kläger der Beweis einer Vereinbarung der Verbindlichkeit des von Dr. K zu erstattenden Gesamtgutachtens gelingt.

Im anderen Fall wäre das Verlangen der Beklagten nach Durchführung des Sachverständigenverfahrens im Sinne des § 64 VersVG und des Art. 11 ABS berechtigt und das Leistungsbegehren verfrüht, soweit nicht Teilansprüche des Klägers nur dem Gründe nach strittig sind (SZ 41/104). Das Erstgericht wird dann über das hilfsweise Feststellungsbegehren des Klägers zu entscheiden haben. Ihm wird soweit stattzugeben sein, als Klagsansprüche zu unrecht dem Gründe nach bestritten wurden. In dieser Richtung kommt im Gegenstand der Revision der Frage der Unterversicherung entscheidende Bedeutung zu. Auch hier sind aber die Feststellungen des Erstrichters nicht ausreichend. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, daß eine Unterversicherung im vorliegenden Fall gemäß Art. 11 Abs. 2 letzter Satz ABH 1971 "nicht geltend gemacht wird, soweit sie 10 % der Versicherungssumme nicht übersteigt". Die Revisionswerberin bekämpft aber mit Recht die Meinung der Vorinstanzen, daß letzteres zu verneinen sei, weil hier die Versicherungssumme 6 Mill. S und der Wert der versicherten Gegenstände "rund" 6.6 Mill. S betrug. Es muß der Beklagten dahin gefolgt werden, daß die mit den Versicherungsbedingungen vereinbarte Bestimmung einer unschädlichen Differenz von 10 % gerade im Grenzbereich die genaue Feststellung des tatsächlichen Wertes der versicherten Gegenstände erfordert. Die vorliegende Feststellung eines ungefähr 10 % höheren Wertes verhindert die Beurteilung, ob der Grenzbetrag überschritten ist. Wäre das auch nur zu einem geringfügigen Teil der Fall, so hätten die Folgen der Unterversicherung einzutreten, weil die unschädliche Differenz präzise bestimmt ist. Das erstrichterliche Verfahren ist daher auch in der Frage der Unterversicherung ergänzungsbedürftig, zumal deren schuldhafte Herbeiführung durch die Beklagte nicht erwiesen wurde. Es wird eine Feststellung darüber nachzutragen sein, ob der Wert der versicherten Gegenstände im Zeitpunkte des Versicherungsfalles die Versicherungssumme um mehr als 10% überschritten hat. Nach dem bisherigen Vorbringen der Revisionswerberin, wonach eine Unterversicherung nur im Verhältnis von 6 Mill. S zu 6.813.413 S vorliege, bliebe allerdings ein Teil des festgestellten Schadens, sofern dessen Feststellung nach den obigen Ausführungen zur Frage des Sachverständigenverfahrens aufrecht zu erhalten ist deckungspflichtig. Auch die Frage der Unterversicherung hätte übrigens im Sachverständigenverfahren geklärt werden können. Art. 12 zweiter Satz AEB sieht dies aber nur auf Verlangen einer der beiden Parteien vor. Dieses Verlangen wurde bisher nicht gestellt, vielmehr hat die Beklagte insoweit andere Beweisanträge gestellt.

Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung der Auskunftspflicht durch den Kläger haben die Vorinstanzen hingegen mit Recht verneint. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Kläger bei der Schadenserhebung mit den vom Versicherer bestellten Sachverständigen eng zusammengearbeitet und die erst im Zuge des Rechtsstreites verlangten weiteren Unterlagen über die im Revisionsverfahren strittigen Werte ohne wesentliche Verzögerung beigebracht. Nach der zutreffenden Ansicht der Untergerichte ist auch ohne eine weitere Beweisführung des Klägers nicht zu erkennen, worin eine vorsätzliche Verletzung der Auskunftspflicht gelegen sein sollte und welchen Einfluß eine unbedeutende Verzögerung auf die Feststellung der Versicherungsleistung gehabt haben könnte (§ 6 Abs. 3 VersVG).

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