OGH 7Ob38/78

OGH7Ob38/7812.10.1978

SZ 51/137

Normen

VersVG §23
VersVG §25 Abs1
VersVG §29
ZPO §468 Abs2
ZPO §486
ZPO §503 Z2
VersVG §23
VersVG §25 Abs1
VersVG §29
ZPO §468 Abs2
ZPO §486
ZPO §503 Z2

 

Spruch:

Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung setzt deren Erheblichkeit im Rahmen der vorliegenden Versicherung voraus. Die Beweislast für die Gefahrenerhöhung und deren Erheblichkeit trifft den Versicherer. Keine erhebliche Gefahrenerhöhung durch Abstellen eines an welchem Ort immer gegen Feuer versicherten Mähdreschers auf freiem Feld

Spätestens im Revisionsverfahren muß die bisher siegreiche Partei die ihr ungünstigen, vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen bekämpfen

OGH 12. Oktober 1978, 7 Ob 38/78 (OLG Wien, 1 R 36/78; HG Wien 14 Cg 163/75)

Text

Der Kläger begehrt aus der Feuerversicherung eines Mähdreschers den Ersatz des am versicherten Gegenstand durch eine von seinem Bruder angestiftete Brandlegung am 19. Dezember 1974 entstandenen Schadens. Die Beklagte behauptet Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung durch langzeitige unbeaufsichtigte Abstellung des Mähdreschers auf einem nicht einzusehenden Feld.

Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Nach den vom Berufungsgericht (mit einer im folgenden berücksichtigten Ausnahme) übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstrichters stand der strittige Mähdrescher im Eigentum des Klägers und seiner Ehefrau. Der Kläger zahlte die Versicherungsprämie, sein Bruder hatte zum Ankauf nichts beigetragen. Der Mähdrescher wurde zum Lohndrusch eingesetzt, wobei ihn der Kläger, sein Bruder oder ein Gelegenheitsarbeiter fuhren. Vor dem Schadensfall war der Mähdrescher im November 1974 nahe der tschechischen Grenze zur Haferernte eingesetzt. Er blieb nach einem Defekt am Kühler auf einem Feld des Landwirtes L etwa 10 Gehminuten von dessen Gehöft und etwa 250 m von der Straße entfernt stehen. "Schließlich" wurde der defekte Kühler ausgebaut und in eine Reparaturwerkstätte gebracht.

Die Höfe in diesem Raum liegen weit verstreut und haben keine großen Einfahrten. Deshalb war es auch dem Landwirt L nicht möglich, der Bitte des Klägers nachzukommen, den Mähdrescher in seinem Gehöft unterzustellen. L erklärte sich aber bereit, den Mähdrescher auf seinem Feld stehen zu lassen und von Zeit zu Zeit nachzusehen. Auch der Bruder des Klägers sah zwei- oder dreimal wöchentlich am Abstellort nach.

"In der Folge" wurde der Mähdrescher von L an den Waldrand gezogen, weil er bei Feldarbeiten im Wege stand. Der nunmehrige Abstellort war weder von den Gehöften noch von der Straße her einzusehen. Ein Abschleppen von dort wäre sehr schwierig gewesen, weil die vorhandenen Traktoren zu schwach waren und der Mähdrescher mit einer hydraulischen Lenkung ausgestattet war (im Berufungsurteil ist diese Feststellung mit dem sinnstörenden Wort "nicht" wiedergegeben), die nur bei laufendem Motor (vorhandenem Kühler) einwandfrei funktioniert. Der Kläger selbst wohnt 150 bis 200 km vom Abstellort des Mähdreschers entfernt. Er hat drei- oder viermal nach dem eingetretenen Defekt die Maschine auch an dem nicht einsehbaren Abstellort besichtigt. Etwa drei Wochen vor dem Schadensfall wurde erstmals an Ort und Stelle besprochen, einen Ersatzkühler zu beschaffen, um den Mähdrescher vor dem zu erwartenden Schneefall wegfahren zu können. Zu diesem Zeitpunkt war der Originalkühler noch nicht fertiggestellt. Zur Montage des Ersatzkühlers kam es aber nicht mehr. Von der beabsichtigten Brandstiftung wußte der Kläger nichts; er hat daran auch nicht mitgewirkt.

Das Berufungsgericht hat - ohne Beanstandung im Revisionsverfahren - aus der Versicherungspolizze ergänzend entnommen, daß der Mähdrescher, der im Lohndrusch je nach Bedarf an jedem beliebigen Ort verwendet werden sollte, auch tatsächlich am "Versicherungsort:

ibi ubi" versichert wurde.

Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen habe der Kläger dadurch einen Zustand höherer Gefahr geschaffen und aufrecht erhalten, daß er die unbeaufsichtigte Abstellung des Mähdreschers auf freiem Feld (nach der Ansicht des Erstrichters überdies an einem uneinsehbaren Ort) wochenlang hinnahm, ohne für den Abtransport oder die schnellste Reparatur zu sorgen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil als Zwischenurteil dahin ab, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revisionsantrag ist zwar, wie der Beklagten zuzugeben ist, insofern verfehlt, als seinem Wortlaut nach eine Feststellung begehrt wird. Dies schadet aber nicht, weil die Feststellung einer fälligen Zahlungspflicht nichts anderes darstellt als die hier in erster Instanz begehrte Verurteilung zur Zahlung (JBl. 1975, 605).

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zutreffend und unbekämpft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß eine ohne Einwilligung des Versicherers nach Abschluß des Vertrages vorgenommene Erhöhung der Gefahr durch den Versicherungsnehmer mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 25 Abs. 1 VersVG eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluß vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände voraussetzt, die den Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlich macht. Dieser Rechtssatz muß aber dahin vervollständigt werden, daß eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr nicht in Betracht kommt. Das bestimmt ausdrücklich § 29 erster Satz VersVG. Der Versicherer wird demnach nur unter der Voraussetzung leistungsfrei, daß die Änderung der Umstände erheblich ist und die Möglichkeit des Eintrittes des Versicherungsfalles so wesentlich erhöht, daß sie den Versicherer nach der objektiven Anschauung einer sachgemäßen vernünftigen Versicherungstechnik veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (SZ 23/297; SZ 43/54; VersR 1978, 879; ebenso Prölss - Martin, VVG[21] 174, 191). Die Beurteilung der Erheblichkeit erfordert ein Abwägen der Interessen der Gefahrengemeinschaft. Unerheblich können vor allem jene Gefahrerhöhungen sein, die nur schwache Anhaltspunkte bieten oder kurzfristig wirken (vgl. Bruck - Möller - Johannson, VVG[8] I, 381, 402). Die Beweislast für die Gefahrerhöhung trifft grundsätzlich den Versicherer (ZVR 1974/168). Dies muß (bei widersprüchlichen Standpunkten der Lehre) auch für die Frage der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung gelten, weil diese eine Voraussetzung der Leistungsfreiheit ist, die der Versicherer zur Vernichtung des sonst bestehenden Klagsanspruches einwendet.

Bei dieser Rechtslage kommt der Tatsache wesentliche Bedeutung zu, daß im vorliegenden Fall die Versicherung auf die Gefahr von Feuer beschränkt war. Damit scheiden die von der Revisionsgegnerin ins Treffen geführten höheren Gefahren etwa des Diebstahls oder der Verrostung am Ort der Schadensentstehung aus. Das Berufungsgericht hat die Feststellung des Erstrichters, daß es an sich in der Gegend des Schadensortes nicht üblich sei, Maschinen und Fahrzeuge auf den Feldern abzustellen, nicht übernommen. Es hielt überdies die gelegentliche Abstellung des Mähdreschers auf freiem Feld auch über Nacht schon für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für durchaus naheliegend. Die objektive Erhöhung der Gefahr eines möglichen Schadenseintrittes durch die Belassung des Mähdreschers am Ort seines technisch bedingten Ausfalles leitete die zweite Instanz aus der Gegenüberstellung der ursprünglichen Situation eines normalen Einsatzes der Maschine mit voraussehbar nur kurzfristigen Belassungen außerhalb der Arbeitszeit auf freiem Feld, und dem nach ihrem Ausfall erfolgten wochenlang dauernden und kaum kontrollierten Abstellen an einer nicht einsehbaren Stelle ab.

Soweit das Berufungsgericht dabei von der Annahme ausgeht, daß sich der Mähdrescher ohne die erforderlich gewordene Reparatur im Zeitpunkte des Schadensfalles aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr im Freien befunden hätte, überschreitet es in unzulässiger Weise den Rahmen der erstrichterlichen Feststellungen und geht selbst über das Vorbringen der beweispflichtigen (s. o.) Beklagten hinaus. Aber auch die Ansicht, die Revisionsgegnerin habe damit rechnen dürfen, daß der Kläger bei einem Ausfall des Mähdreschers für dessen "ordentliche Verwahrung" im Sinne einer besseren Absicherung Sorge trage, und die weitere Erwägung, daß ohne eine solche Verwahrung eine (erhebliche; s. o.) Gefahrerhöhung tatsächlich eingetreten sei, können nicht geteilt werden. Wie das Berufungsgericht selbst erkannt hat, enthält der Versicherungsvertrag keinerlei Beschränkung des Versicherungsschutzes auf eine bestimmte Art der Verwahrung des Mähdreschers. In einem solchen Fall kann, wie der OGH erst kürzlich entschieden hat (VersR 1978, 879 mit näherer Begründung), zwar davon ausgegangen werden, daß nur das normale Risiko versichert werden soll; dieses Maß wird aber erst überschritten, wenn das gegen Feuer versicherte Fahrzeug durch längere Zeit an einem feuergefährlichen Ort abgestellt und so ein gefährlicher Zustand von einiger Dauer geschaffen wird. Im vorliegenden Fall ist eine derartige Gefahrenerhöhung jedoch zu verneinen. Die bis zur Durchführung der Kühlerreparatur gewählten Abstellungsorte waren nicht an sich irgendwie feuergefährlich. Daß aber nach der Ansicht des Berufungsgerichtes durch die Wahl einer nicht einsehbaren Stelle potentiellen Tätern eine Brandlegung oder etwa spielenden Kindern ein Zundeln erleichtert werden konnte, fällt zumindest nicht als erhebliche Vergrößerung der Gefahr ins Gewicht. Dasselbe gilt, wenn die Brandgefahr als solche höchstens unerheblich vergrößert wurde und damit gemäß § 29 erster Satz VersVG nicht in Betracht zu ziehen ist für die Frage einer Erschwerung der Entdeckung und Bekämpfung eines allfälligen Brandes. Auch im gesamten gesehen kann von einer erheblichen Gefahrenerhöhung nicht die Rede sein, zumal es sich bei der Abstellung auf freiem Feld mit Rücksicht auf die bereits veranlaßte Kühlerreparatur nur um einen vorübergehenden Zustand handeln konnte.

Auf die weitere, ursprünglich in erster Linie erhobene Einwendung, daß der Kläger an der Brandstiftung mitgewirkt habe, kommt die Revisionsgegnerin nach den gegenteiligen Feststellungen des Strafurteiles und des Erstrichters nur noch dadurch zurück, daß sie "sozusagen zwischen den Zeilen arges Bedenken gegen die Handlungsweise" des Klägers vorbringt, welcher "nach unserer festen Überzeugung" gemeinsam mit seinem Bruder die Aktion gesetzt habe; auch daraus ergebe sich, daß die rechtliche Beurteilung durch die Unterinstanzen richtig sei. Mit diesen Ausführungen wird die gegenteilige Feststellung der Vorinstanzen nicht dem Gesetz entsprechend bekämpft, weil in keiner Weise dargetan wird, mit Hilfe welcher Beweismittel die persönliche Meinung der Beklagten geeignet sein soll, die ihr nicht entsprechende Überzeugung der Tatsacheninstanzen und deren gegenteilige Feststellung zu widerlegen.

Allerdings hat der OGH in der Entscheidung EvBl. 1971/123 = MietSlg. 22/27 in einem ähnlichen Fall sogar ausgesprochen, daß die in erster und zweiter Instanz obsiegende Partei nicht einmal im Revisionsverfahren genötigt sei, die ihr ungünstigen Feststellungen des Erstgerichtes zu bekämpfen, denen vielmehr bindende Wirkung nicht zukomme, wenn ihnen erst die abweichende Rechtsansicht der dritten Instanz entscheidende Bedeutung verleihe. Diese Entscheidung ist aber vereinzelt geblieben, sie widerspricht der sonst ständigen Praxis des OGH, auch beim Abgehen von der Rechtsansicht der Vorinstanzen alle, unbekämpft gebliebenen Tatsachenfeststellungen zugrunde zu legen, und auch keine Lehrmeinung ist bisher so weit gegangen (vgl. Fasching IV, 71 und 304 f.). Der erkennende Senat vermag ihr auch nicht zu folgen. Wohl ist die Rechtsprechung seit der Entscheidung SZ 26/262 (trotz deren an ihr geübten Kritik Schimas in JBl. 1954, 307) dahin gefestigt, daß die in erster Instanz siegreiche Partei die ihr ungünstigen Tatsachenfeststellungen des Ersturteiles in der Berufungsmitteilung nicht rügen muß; die Nichtanfechtung in dieser Instanz ist nicht als Verzicht auf eine spätere Geltendmachung des Berufungsgrundes der unrichtigen Beweiswürdigkeit anzusehen. Eine solche Beweisrüge kann deshalb in dritter Instanz nachgeholt werden und führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, wenn die zweite Instanz zu den bekämpften Feststellungen nicht schon Stellung genommen hat (Fasching a. a. O.; EvBl. 1959/52 u. v. a.; zur letztgenannten Einschränkung EvBl. 1962/309; 8 Ob 66/78 u. a.). In diesen Fällen liegt aber wenigstens im Revisionsverfahren eine Mängelrüge vor. Eine solche Rüge ist nach § 503 ZPO auch notwendig; anders als Nichtigkeitsgrunde können nämlich Mängel des Berufungsverfahrens vom Revisionsgericht nur dann wahrgenommen werden, wenn sie in der Revision ausdrücklich gerügt wurden (Fasching IV, 304). Fehlt es daher an einer wenigstens in der Revision nachgeholten Rüge, daß gegebenenfalls bestimmte Feststellungen erster Instanz wegen bestimmter Bedenken gegen die Beweiswürdigung überprüft werden müßten, so kann ein derartiger möglicher Mangel nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. Der erkennende Senat vermag der Ansicht nicht zu folgen, daß in einem solchen Fall bindende Tatsachenfeststellungen überhaupt noch nicht vorlägen. Nur wenn die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen für die nach Ansicht des OGH richtige rechtliche Beurteilung der Sache nicht ausreichten, müßten derartige Feststellungsmängel nach § 503 Z. 4 ZPO zur Rückverweisungen der Rechtssache an eine Vorinstanz führen. Genügen hingegen die Tatsachenfeststellungen auch für die geänderte rechtliche Beurteilung, so würde eine Rückverweisung bedeuten, daß der betroffenen Partei die Möglichkeit der Nachholung einer Beweisrüge aufgedrängt würde, die (unter Kostenvermehrung) zu beabsichtigen sie bisher in keiner Weise zu erkennen gegeben hat. Im letzten zulässigen Rechtsmittelschriftsatz ist von jeder Partei zu fordern, daß sie wenigstens hilfsweise darauf verweist, welche Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu den wenn auch bisher am Rande der rechtlichen Beurteilung gebliebenen Klagsgrunden oder Einwendungen zu beanstanden sind. Nur auf diese Weise kann der Grundsatz der beschränkten und stufenweisen Überprüfung im Rechtsmittelverfahren (vgl. Fasching IV, 71) im Rahmen des möglichen verwirklicht werden. Der Revisionsgegner wird durch eine solche Forderung nach Erhebung einer vorsichtsweisen Beweisrüge in der letzten Instanz nicht mehr beschwert als durch die amtswegige Wahrnehmung von Verteidigungsrechten, die er selbst in der letzten Instanz noch in keiner Weise ausüben zu wollen zum Ausdruck gebracht hat. Hingegen kann auch die Überlegung, daß erst der Erfolg der erhobenen Rechtsrüge die Tatsachenfeststellungen zu den bisher nicht tragenden Rechtsgrunden "berührt" (im Sinne der §§ 498 Abs. 1 und 513 ZPO; vgl. auch Fasching, 221 f. und EvBl. 1957/303), die Rückverweisung der Rechtssache an eine der Vorinstanzen nicht rechtfertigen, wenn wie hier die gesamten Feststellungen (bis auf eine unerhebliche) vom Berufungsgericht übernommen wurden und nun in letzter Instanz weder eine Rüge dieser maßgeblichen Tatsachenfeststellungen noch Feststellungsmängel vorliegen.

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