Spruch:
§ 152 VersVG kommt nur hinsichtlich der Herbeiführung des einzelnen Versicherungsfalles zur Anwendung, beseitigt aber nicht die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung
OGH 25. Februar 1970, 7 Ob 29/70 (OLG Wien 2 R 212/69; HG Wien 18 Cg 1/69)
Text
Am 25. Mai 1966 ereignete sich auf einer Baustelle im Arbeitsbereich der Erstklägerin dadurch ein Unfall, daß ein schweres Bleirohr beim Heben abrutschte und den bei der Erstklägerin beschäftigten Arbeiter Karl W schwer verletzte. Der Sozialversicherungsträger des Verletzten W machte gegen den verantwortlichen Bohrmeister Kurt C Regreßansprüche geltend, wovon die Beklagte, mit der die Erstklägerin eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, verständigt wurde. Die Beklagte machte Leistungsfreiheit geltend, weil C den Unfall durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen baugesetzliche Vorschriften verschuldet habe.
Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger die Feststellung, daß die Beklagte ihnen sowie Kurt C Versicherungsschutz zu gewähren habe. Die Beklagte wendete Leistungsfreiheit nach P 3 Z 5 AHVB, Art 5 Abs Z 1 a AHVB und § 23f VersVG ein,
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen folgendes fest: Die Erstklägerin hatte an der Baustelle u a zwei Tonnen schwere Rohre zu verlegen. Um die Rohre zu heben waren besondere Hebevorrichtungen vorhanden. Zum bloßen Heranschaffen der Rohre diente eine Kette mit daran befindlichen einfachen Haken. Der Kranführer Kurt C war seit März 1965 bei der Erstklägerin beschäftigt. Anfangs wurden zum Heben der Rohre die hiezu vorgesehenen Hebegeräte verwendet, da dies aber mehr Zeit beanspruchte und die Arbeiten im Akkord durchgeführt wurden, benützte der Arbeitstrupp auch zum Heben der Rohre die Kette mit den Haken. Als Ing F, der bei der Erstklägerin angestellt war, diese gefährliche Vorgangsweise bemerkte, rief er die Bedienungsmannschaft zusammen und wies auf die Gefährlichkeit dieser Arbeitsweise und besonders auf die Möglichkeit hin, daß sich ein Haken lösen und das Rohr dadurch herabstürzen könne. Solche Ermahnungen sprach er ungefähr fünf- bis zehnmal aus. Auch Konstantin R, der während des Tages die Baustelle beaufsichtigte, verlangte die Verwendung des Hebegeräts, konnte sich aber in den letzten Monaten vor dem Unfall nicht durchsetzen, die Arbeiter verwendeten immer wieder nur Kette und Haken. Am 25. Mai 1966 hatte C als Bohrmeister die Verantwortung für die Rohrverlegungen. Er sah, daß der ihm unterstellte Arbeitstrupp ein vier Meter langes und zirka zwei Tonnen schweres Rohr wieder nur an die an der Kette angebrachten offenen Haken hängte und das Zeichen zum Aufziehen gab. Beim Heben des Rohres löste sich ein Haken, das Rohr fiel auf Karl W, dem das linke Bein amputiert werden mußte. C wunde wegen des Unfalles gemäß § 335 StG verurteilt, weil er als Bohrmeister beim Heben des Rohres statt der Hebevorrichtung offene Haken verwendet hatte. Bei seiner polizeilichen Vernehmung gab er an, daß er diese Art des Hebens der Rohre schon vor dem Unfall für nicht sehr sicher gefunden habe.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Versicherungsbedingungen seien als Vertragsinhalt nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB auszulegen. Unter Baugesetzen oder baubehördlichen Vorschriften seien nicht nur Vorschriften der Baubehörde zu verstehen, sondern alle behördlichen Anordnungen, die inhaltlich Bauvorschriften seien, also auch die ADNSchV, die im § 93 Abs 5 bestimme, daß die bei Kränen und Winden verwendeten Anhänge- und Befestigungsmittel von geeigneter Beschaffenheit sein müssen. C habe nicht bewußt gegen diese Vorschrift verstoßen, denn es sei nicht erwiesen, daß er diese Vorschrift überhaupt gekannt habe. Eine Gefahrenerhöhung liege nicht vor, weil es sich nur um eine vorübergehende Änderung der Gefahrenlage gehandelt habe.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes insoweit, als die Verpflichtung der Beklagten Versicherungsschutz zu leisten, gegenüber den Klägern festgestellt wurde und änderte es nur dahin ab, daß es eine solche Verpflichtung gegenüber Kurt C verneinte. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich aus, § 152 VersVG verlange zwar vorsätzliches Handeln, diese Bestimmung sei aber vertraglich abdingbar. Die Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen und auch deren Ergänzungen seien von der Aufsichtsbehörde genehmigt und lägen schon vor Abschluß der Versicherungsverträge fest, sie seien daher wie allgemein verbindliche Normen nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Darnach könne die Allgemeine Dienstnehmer-Schutzverordnung (ADNSchV) nicht als Baugesetz oder baubehördliche Vorschrift bezeichnet werden, weil es sich um keine Verordnung einer mit dem Bauwesen befaßten Behörde handle. Die Auslegung des Erstgerichtes würde den Versicherungsschutz entwerten. Im vorliegenden Fall liege aber eine Gefahrenerhöhung vor, weil durch einen längeren Zeitraum die Rohre statt mit der vorgesehenen Hebevorrichtung nur mit Kette und Haken gehoben worden seien, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines Unfalles erheblich vergrößert habe. Eine Leistungsfreiheit der Beklagten gegenüber dem Versicherungsnehmer trete aber nur dann ein, wenn diesen an der Gefahrenerhöhung ein Verschulden treffe, wobei die Kenntnis von der Gefahrenerhöhung genüge. Es sei nicht erwiesen worden, daß die Kläger davon Kenntnis hätten oder hätten haben müssen, daß ihre Arbeiter nicht die vorgesehene Hebevorrichtung verwenden. Sie treffe daher kein Verschulden im Sinne des § 25 Abs 2 VersVG. Ein allfälliges Verschulden ihrer Arbeitnehmer F, R und C haben die Kläger nicht zu vertreten, weil die Repräsentantentheorie in der österreichischen Rechtsprechung abgelehnt werde.
C habe dagegen als verantwortlicher Bohrmeister das vorgesehene Hebegerät nicht verwendet und dadurch bewußt die Gefahrenerhöhung herbeigeführt. Ihm gegenüber als Mitversicherten sei die Beklagte daher leistungsfrei.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von beiden Streitteilen mit Revision bekämpft. Die Kläger bekämpfen es insoweit, als ihr Klagebegehren abgewiesen wurde (Versicherungsschutz gegenüber C). Sie beantragen, das Urteil erster Instanz zur Gänze wiederherzustellen, oder das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte bekämpft das Berufungsurteil in seinem das Ersturteil bestätigenden Teil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und beantragt, das Klagebegehren gänzlich abzuweisen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision bei der Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Kläger sind der Meinung, daß keine Gefahrenerhöhung vorliege, weil es sich nicht um einen länger dauernden Zustand, sondern nur um einzelne Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen gehandelt habe und weil die Gefahrenerhöhung nicht erheblich gewesen sei, da sie nur einen untergeordneten Teil des großen Betriebes der Kläger betroffen habe.
Vorerst war zu prüfen, ob für die Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ihrem Angestellten C sei Versicherungsschutz zu gewähren, besteht, da ein in diesem Rechtsstreit ergehendes Urteil für eine Entscheidung, die in einem Rechtsstreit zwischen C und der Beklagten ergehen würde, keine Rechtskraftwirkung hätte. Das Recht oder Rechtsverhältnis, das mit dem Urteil über eine Feststellungsklage festgestellt werden soll, muß nicht ein solches zwischen den Parteien selbst sein, sondern es können auch Rechtsverhältnisse zwischen einer Partei und einem Dritten oder nur zwischen Dritten im Wege der Feststellungsklage festgestellt werden. Maßgebend ist bei solchen Klagen, daß das festzustellende Rechtsverhältnis überhaupt irgendwie in den Bereich der klagenden Partei hineinreicht. Da C ein Arbeitnehmer der Kläger war und daher aus dem Unfall irgendwelche Verbindlichkeiten zwischen den Klägern und C bestehen können, muß die Zulässigkeit auch dieses Feststellungsbegehrens bejaht werden (gemäß Art 9 AHVB können die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nur vom Versicherungsnehmer ausgeübt werden).
Eine Gefahrenerhöhung liegt vor, wenn ein Zustand geschaffen wird, von dem neue Schadensmöglichkeiten ausgehen können, mit denen bis dahin nicht zu rechnen war. Wie das Berufungsgericht zutreffend in Übereinstimmung mit Lehre und Rechtsprechung ausgeführt hat, muß also ein gefährlicher Zustand von gewisser Dauer herbeigeführt werden (EvBl 1968/108, ZVR 1969/31 u v a). Nach den Feststellungen der Untergerichte wurden die Rohre um Zeit zu gewinnen von dem Arbeitstrupp, der C unterstellt war, wiederholt nur mit Kette und Haken gehoben, in den letzten Monaten vor dem Unfall sogar ständig (R konnte sich nicht durchsetzen). Die Revision geht nicht von diesen Feststellungen der Untergerichte aus, wenn sie annimmt, das Hebegerät sei nur fünf- bis zehnmal, u zw auf der gesamten Baustelle nicht verwendet worden. Diese genannten Zahlen betreffen nur die Abmahnungen durch Ing F. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Schaffung eines längere Zeit andauernden gefährlichen Zustandes bejaht. Daß dieser Zustand die Möglichkeit eines Schadensfalles wesentlich erhöhte, braucht nicht näher erörtert zu werden, das war auch allen Beteiligten klar. Der Ansicht der Kläger, die Gefahrenerhöhung müsse zum Gefahrenstand ihres gesamten Betriebes in Relation gebracht werden und könne im vorliegenden Fall daher nicht als erheblich bezeichnet werden, kann nicht beigestimmt werden. Wie die Beklagte zutreffend in ihrer Revisionsbeantwortung ausführt, könnte dann bei einem großen Transportunternehmen eine erhebliche Gefahrenerhöhung nur dann bejaht werden, wenn alle Kraftfahrzeuge dauernd mit abgefahrenen Reifen führen oder hier, wenn alle Baustellen der Klägerin vorschriftswidrig ausgerüstete Geräte verwendeten. Eine für die Leistungsfreiheit relevante Gefahrenerhöhung muß aber schon dann bejaht werden, wenn eine einzelne vom Versicherungsschutz umfaßte Vorrichtung in einen längerdauernden Zustand versetzt wird, der die Möglichkeit des Eintrittes ,des Versicherungsfalles wesentlich erhöht. Das war hier der Fall. Die Beklagte hätte zweifellos den Versicherungsvertrag aufgekundigt, wenn sie von dieser Art die Rohre zu heben erfahren hätte.
C war gemäß Art 2 Abs 1 lit k der AHVB Mitversicherter der Kläger. Auf ihn finden gemäß Art 9 Abs 1 AHVB alle Bestimmungen des Versicherungsvertrages, die den Versicherungsnehmer betreffen, sinngemäß Anwendung, also auch die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung. Mit Recht wurde daher die Leistungsfreiheit der Beklagten ihm gegenüber festgestellt.
Gemäß § 25 Abs 2 VersVG ist der Versicherer allerdings nur dann leistungsfrei, wenn den Versicherungsnehmer (oder hier den Mitversicherten) ein Verschulden an der Gefahrenerhöhung trifft. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt ein Verschulden auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahrenerhöhung durch Dritte gestattet, oder davon Kenntnis hat (EvBl 1968/262, EvBl 1969/182 u a). Das war hier der Fall, denn nach den Feststellungen der Untergerichte war C die gefahrenerhöhende Arbeitsweise des ihm unterstellten Bautrupps bekannt, es war ihm auch am Unfallstag selbst die Gefährlichkeit dieser Arbeitsweise bewußt, ohne daß er sie untersagte. Gemäß § 152 VersVG haftet der Versicherer allerdings nur dann, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat, diese Bestimmung kommt aber nur hinsichtlich der Herbeiführung des einzelnen Versicherungsfalles zur Anwendung, beseitigt aber nicht die Bestimmungen über die Gefahrenerhöhung (vgl Bruck - Möller, VersVG[8], 379). Es braucht daher nicht erörtert zu wenden, ob die Bestimmungen des P 3 Z 5 AHVB, die ein bewußtes Zuwiderhandeln gegen Baugesetze oder baubehördliche Vorschriften betreffen, sittenwidrig sind. Hier genügt es, daß C von der Gefahrenerhöhung Kenntnis hatte bzw Kenntnis haben mußte.
Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagte bekämpft zunächst die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes unter Baugesetzen und baubehördlichen Vorschriften seien nur jene zu verstehen, die von einer mit dem Bauwesen befaßten Behörde erlassen wurden. Es ist dem Berufungsgericht beizustimmen, daß Versicherungsbedingungen nicht nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB, sondern wie Gesetze nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB auszulegen sind (vgl SZ 24/250, Arb 8135, 7491, 5534, 7 Ob 109/69 u v a). Bei dieser Auslegung kann die ADNSchV nicht als Baugesetz oder baubehördliche Vorschrift bezeichnet werden (so auch 7 Ob 143/69).
Die Beklagte will weiters die in der deutschen Rechtsprechung herrschende Repräsentantentheorie auch hier angewendet wissen. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt dargelegt hat, kommt eine Haftung des Versicherungsnehmers gemäß § 1313a ABGB nicht in Frage. Die Unterlassung einer Gefahrenerhöhung ist Voraussetzung für die Erhaltung des Anspruches aus dem Versicherungsvertrag. Die Beachtung dieser Verpflichtung ist daher keine Erfüllungshandlung i S des § 1313a ABGB, weshalb der Versicherungsnehmer nicht nach dieser Gesetzesstelle für seine Hilfspersonen haftet. Die Repräsentantentheorie wind in Österreich in Lehre und Rechtsprechung abgelehnt (ZVR 1961/317, JBl 1963, 614 u v a), die Ausführungen der Beklagten sind nicht geeignet, den Obersten Gerichtshof zu einem Abgehen von seiner ständigen Rechtsprechung zu bestimmen.
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