Normen
Rechtsanwaltstarifgesetz §4 (2)
Rechtsanwaltstarifgesetz §4 (2)
Spruch:
Die Bestimmung des § 4 (2) des Gesetzes über den RA-Tarif (BGBl. Nr. 305/1923) ist nicht Spezialnorm gegenüber der Bestimmung des Art. 3
(6) lit. a AVBV., daß bei einer Eigenvertretung des Versicherungsnehmers (hier: eines Rechtsanwaltes) nur Barauslagen erstattet werden.
Entscheidung vom 9. Juli 1969, 7 Ob 109/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Der Kläger hatte mit der beklagten Versicherungsgesellschaft eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung abgeschlossen, nach der die Beklagte dem Kläger für Vermögensschäden auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes aus dessen Tätigkeit als Rechtsanwalt Versicherungsschutz zu leisten hatte. Auf Grund dieses Versicherungsvertrages begehrt der Kläger von der Beklagten Ersatz der ihm in einem Haftpflichtprozeß aufgelaufenen Kosten.
Der Erstrichter verurteilte die beklagte Versicherungsgesellschaft zur Zahlung von 2189.20 S s. A., wies jedoch das Mehrbegehren von 6684.80 S s. A. ab und verpflichtete den Kläger, der Beklagten die Hälfte der Prozeßkosten zu bezahlen. Er traf folgende Feststellungen:
Der Kläger wurde von E. L., einem ehemaligen Klienten, aus dem Titel des Schadenersatzes auf Zahlung von 70.000 S geklagt. Von dieser Klage verständigte der Kläger unverzüglich die Beklagte mit der Mitteilung, daß die erste Tagsatzung anberaumt sei, er den Schadensfall melde und um weitere Weisungen ersuche. Mit dem folgenden Brief berichtete der Kläger der Beklagten, daß er die erste Tagsatzung verrichtet habe, er ersuche um Mitteilung, ob die Klagebeantwortung durch ihn oder durch einen Anwalt der Beklagten eingebracht werden solle. Da dieser Brief von der Beklagten unbeantwortet blieb, berichtete der Kläger in seinem folgenden Schreiben, daß er die Klagebeantwortung eingebracht habe und um weitere Weisungen ersuche. Daraufhin bat Rechtsanwalt Dr. F. namens der Beklagten um Übersendung des Durchschlages der Klagebeantwortung. In einem Antwortschreiben wurde der Kläger aufgefordert, laufend über den Prozeß zu berichten, ohne daß in diesem Schreiben oder in der folgenden Korrespondenz dem Kläger Weisungen erteilt oder zur Frage Stellung genommen worden wäre, ob die Beklagte in den Versicherungsfall eintrete. Demnach verrichtete der Kläger die Verhandlungen vor dem Landesgericht Innsbruck persönlich und ließ sich lediglich bei Tagsatzungen vor ersuchten Richtern durch andere Anwälte vertreten.
Das von E. L. gegen den Kläger erhobene Schadenersatzbegehren wurde abgewiesen, dem heutigen Kläger wurden Kosten von 12.261 S zugesprochen. Mit Schreiben vom 26. März 1968 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß das Urteil im Schadenersatzprozeß in Rechtskraft erwachsen, die Kostenfrage jedoch noch offen sei. Von E. L. könnten die Kosten nicht hereingebracht werden, weil er schwer verschuldet und sein Gehalt verpfändet sei. Mit Schreiben vom 11. April 1968 erklärte darauf die Beklagte, daß sie im Sinne der allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV.) dem Kläger nur die Barauslagen ersetze. Barauslagen wurden dem Kläger, unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes, auch tatsächlich ersetzt, nicht vergütet wurden ihm Substitutionskosten von 2189.20 S sowie die Kosten der eigenen anwaltlichen Verrichtung von 6684.80 S. Der Höhe nach sind diese Beträge unbestritten.
Der Erstrichter verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Substitutionskosten von 2189.20 S als weitere Barauslagen zu ersetzen, wies jedoch das Klagebegehren hinsichtlich der Kosten für die Verrichtungen des Klägers ab. Er führte aus, daß nach Art. 3 (6) lit. a AVBV. die Versicherung zwar auch die gerichtlichen und außergerichtlichen, den Umständen nach gebotenen Kosten der Abwehr des von einem Dritten erhobenen Anspruchs umfasse, und zwar auch dann, wenn sich der Anspruch als unbegrundet erweise, daß dem Versicherungsnehmer jedoch, wenn er sich selbst vertrete, nur die Barauslagen erstattet würden. Die Substitutionskosten seien den Barauslagen zuzuzählen, die Kosten für die persönliche Tätigkeit des Klägers in dem Schadenersatzprozeß seien nicht Barauslagen, sondern stellten dessen Verdienst dar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die beklagte Versicherungsgesellschaft auch zur Zahlung der weiteren 6684.80 S (insgesamt 8874 S) schuldig erkannte.
Der Oberste Gerichtshof stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Wie schon aus der Überschrift hervorgeht, wird durch die Bestimmungen des Art. 3 der AVBV. die Haftung des Versicherers sachlich begrenzt. Nach Abs. 6a dieses Artikels umfaßt der Versicherungsschutz zwar unter bestimmten Kautelen die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Abwehr eines gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Anspruches. Im folgenden Satz ist jedoch festgelegt, daß ein Versicherungsnehmer, der sich selbst vertritt oder durch einen Geschäftspartner oder Mitarbeiter vertreten läßt, auf Grund des Versicherungsvertrages nur Anspruch auf Barauslagen hat. Obgleich die allgemeinen Versicherungsbedingungen als vertragliche Abreden zum Inhalt des abgeschlossenen Vertrages werden, ist für ihre Auslegung entscheidend, daß sie schon vor Abschluß der einzelnen Verträge aufgestellt werden, daß sie allgemeine für Versicherungsverträge verbindliche Normen enthalten und der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde unterliegen. Sie sind daher ähnlich den Kollektivverträgen wie Gesetze nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB. auszulegen (SZ. XXIV 250, ArbSlg. 8135, 7491, 5534 u. a.). Es darf sohin auch den allgemeinen Versicherungsbedingungen kein anderer Sinn beigelegt werden, als jener, der sich aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht desjenigen der die Versicherungsbedingungen festgelegt hat, ergibt.
Der Wortlaut des Art. 3 (6) lit. a der AVBV. läßt klar erkennen, daß durch den gegenständlichen Versicherungsvertrag die Haftung des Versicherers für die Kosten unter bestimmten Voraussetzungen auf Barauslagen eingeschränkt wurde. Daß von dieser Haftungseinschränkung Rechtsanwälte als Versicherungsnehmer nicht betroffen sein sollten, läßt sich dem Wortlaut der betreffenden Bestimmung nicht entnehmen.
Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Versicherungsbedingungen seien in diesem Punkt durch § 4 (2) des Gesetzes BGBl. Nr. 305/1923, zu ergänzen, sowie der Ansicht des Klägers, die letztgenannte Gesetzesbestimmung sei als Spezialbestimmung zu der generellen Regelung des Art. 3 (6) lit. a AVBV. zu werten, kann nicht gefolgt werden. Der Rechtsanwaltstarif bezieht sich nach § 2 des obzitierten Gesetzes auf die vom Mandanten dem Anwalt zu bezahlenden Kosten, sowie auf die Kosten, die der Gegner im gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren zu ersetzen hat. Lediglich für das zuletzt genannte Verhältnis in der Form, daß ein Anwalt in eigener Sache einem Gegner gegenübersteht, galt die Bestimmung des § 4 (2) des Gesetzes über den Rechtsanwaltstarif (so auch jetzt § 1 (2) BGBl. 189/1969). Es ist sohin verfehlt, diese gesetzliche Bestimmung als Spezialnorm für alle jene Fälle zu werten, in denen ein Rechtsanwalt in eigener Sache tätig wird. Da die beklagte Versicherungsgesellschaft in dem Haftpflichtprozeß nicht Gegnerin des Klägers war, scheidet die Möglichkeit einer Anwendung des § 4 (2) des Gesetzes über den Rechtsanwaltstarif aus. Der Kläger hat der Beklagten gegenüber nach den zur Anwendung kommenden allgemeinen Versicherungsbedingungen nur Anspruch auf Ersatz der Barauslagen, und zwar gleichgültig, ob seine Honorarforderung beim Gegner des Schadenersatzprozesses einbringlich ist.
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