OGH 5Ob555/78

OGH5Ob555/7825.4.1978

SZ 51/55

Normen

ABGB §878 Satz 3
ABGB §970
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1313a
ABGB §1316
ABGB §878 Satz 3
ABGB §970
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1313a
ABGB §1316

 

Spruch:

Der Bewirtungsvertrag endet nicht schon mit der Konsumation des verkauften Getränkes und der Bezahlung, sondern erst mit der Beendigung des Naheverhältnisses. Zur vertraglichen Schutzpflicht des Gastwirtes im Rahmen des rechtsgeschäftlichen Kontaktes gehört es, einen durch Trunkenheit beeinträchtigten Gast so aus dem Lokal zu schaffen, daß dessen körperliche Integrität nicht beeinträchtigt wird. Wegen des erfahrungsgemäß in diesem Zustand uneinsichtigen und häufig aggressiven Verhaltens eines solchen Gastes ist vom Gastwirt dabei die Anwendung besonderer Sorgfalt zu verlangen (§ 1299 ABGB). Greift die unerlaubte Handlung des Gehilfen in den Aufgabenbereich, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner (Gastwirt) bestimmt worden ist, dann hat dieser nach § 1313a ABGB dafür einzustehen, wenn die Handlung des Gehilfen und die sich daraus ergebende Gefahr vorauszusehen war

OGH 25. April 1978, 5 Ob 555/78 (OLG Innsbruck, 2 R 4/78; LG Innsbruck. 13 Cg 90/77)

Text

Der Kläger wurde am Abend des 4. März 1974 durch V R, den Gatten der Beklagten, aus deren Gastwirtschaft entfernt. R versetzte dabei dem Kläger einen Schlag ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden stürzte und eine schwere Verletzung am Kopf erlitt.

Der Kläger begehrte deswegen aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von 50 000 S an Schmerzensgeld und 31 445 S für Verdienstentgang und die Feststellung, daß die Beklagte dem Kläger für allen künftigen Schaden aus dem Vorfall vom 4. März 1974 zu haften habe.

Das Erstgericht sprach dem Kläger mit Teilurteil ein Schmerzensgeld von 30 000 S samt Anhang zu und stellte der Beklagten gegenüber fest, daß sie dem Kläger für 3/5 aller künftigen Schäden hafte, die dieser aus dem Vorfall vom 4. März 1974 erleiden werde. Das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes im Betrage von 20 000 S samt Anhang sowie auf Feststellung der gänzlichen Haftung der Beklagten für die künftigen Schäden aus dem obgenannten Vorfall wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei, die den festgestellten Sachverhalt unbekämpft ließ, mit dem Ausspruche nicht Folge gegeben, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige.

Im Revisionsverfahren ist demnach von folgendem, insbesondere im Zusammenhang mit der allein bekämpften Inanspruchnahme der Beklagten auf Grund ihrer Haftung für ihren Gatten als Erfüllungsgehilfen wesentlichen Sachverhalt auszugehen:

Der Kläger kam am Abend des 4. März 1974 in bereits angeheitertem Zustand in die von der Beklagten betriebene Gastwirtschaft und war nach weiterem Bierkonsum gegen 22 Uhr betrunken. Der Beklagten wurde von der Kellnerin mitgeteilt, daß der Kläger andere Gäste belästige und es nicht so weitergehe. Darauf holte die Beklagte, die den Kläger von früheren Besuchen kannte und überzeugt war, daß er ein Trinker sei, den bei ihr angestellten und bei ihr sozialversicherten Ehemann V R. Sie sagte zu ihm "Der Ernst (Kläger) ist wieder besoffen, schau einmal nachÜ" V R begab sich daraufhin zum Tisch des Klägers. Es entwickelte sich zwischen beiden eine Diskussion, bei der der Kläger V R beschimpfte. Dieser forderte hierauf den Kläger auf, sein Glas auszutrinken und das Lokal zu verlassen. Da der Kläger dem nicht nachkam, erfaßte V R den Kläger vom am Hemdkragen und schob ihn aus dem Gastlokal hinaus. Dort forderte er ihn auf, nicht mehr ins Lokal zu kommen. Der Kläger kann aber schon nach kurzer Zeit wieder in das Lokal zurück. Trotz Vorhaltes machte der erheblich alkoholisierte Kläger keine Anstalten, das Lokal zu verlassen, V R erfaßte ihn deshalb unsanfter als beim ersten Mal und stieß ihn durch die geöffnete Tür hinaus. Der Kläger sträubte sich dagegen und machte Anstalten, sich gewaltsam zur Wehr zu setzen. In dieser Situation versetzte V R dem Kläger einen Schlag gegen die rechte Gesichtshälfte, wodurch dieser rücklings zu Boden stürzte und am Kopf schwer verletzt wurde. Er erlitt durch diese Verletzung bestimmte zeitlich und graduell näher festgestellte Schmerzen. Es sind auch bestimmte Dauerfolgen eingetreten.

V R wurde wegen der schweren Körperverletzung des Klägers rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, aber auch im Rechtsstreit 25 Cg 503/75 des Landesgerichtes Innsbruck mit rechtskräftigem Teilurteil vom 23. August 1977 zur Leistung eines Schmerzensgeldes von 30 000 S verpflichtet. Dabei wurde auch festgestellt, daß er dem Kläger für 3/5 des künftigen Schadens aus dem Vorfall vom 4. März 1974 zu haften habe.

Das Erstgericht nahm bei seiner rechtlichen Beurteilung die Haftung der Beklagten auf der Grundlage des § 1313a ABGB an, weil zum Pflichtenkreis des Gastwirtes auch die Fürsorge für die körperliche Sicherheit des Gastes während der gesamten Dauer der Bewirtung gehöre, diese Fürsorgepflicht im Zeitpunkt der Verletzung des Klägers noch nicht beendet gewesen sei und die Beklagte sich dabei ihres Ehegatten als Erfüllungsgehilfen bedient habe, sodaß sie für sein Verschulden einzustehen habe. Die Verschuldensaufteilung beruhte auf der Annahme eines Mitverschuldens des Klägers, weil er V R provoziert habe.

Das Berufungsgericht billigte diese rechtliche Beurteilung mit dem Beifügen, daß es zu den Nebenleistungsverpflichtungen oder Schutzpflichten eines Gastwirtes gehöre, einen betrunkenen Gast in einer Weise aus dem Lokal zu schaffen, daß dessen körperliche Integrität nicht beeinträchtigt werde. Dazu gehöre auch die Verpflichtung, einen aus dem Lokal gewiesenen Betrunkenen, der kurze Zeit danach versuche, wieder in das Lokal hineinzugelangen, in einer seine körperliche Integrität nicht beeinträchtigenden Weise daran zu hindern. Es sei nämlich allgemein und Gastwirten insbesondere bekannt, daß betrunkene Gäste, die aus dem Lokal gewiesen wurden, in der Regel versuchen, wieder in dieses zu gelangen. Es sei daher die von der Beklagten als Gastwirtin gegenüber dem Kläger als Gast übernommene Nebenverpflichtung oder Schutzpflicht im vorliegenden Fall noch nicht beendet gewesen, als V R diesem die festgestellten Verletzungen zugefügt habe.

Ausgehend von der Rechtsauffassung, daß der Geschäftsherr für den Erfüllungsgehilfen auch in solchen Fällen zu haften habe, in denen dieser dem Gläubiger vorsätzlich einen Schaden zufüge, erachtete das Berufungsgericht, daß die Beklagte für den durch ihren bei ihr angestellten und sozialversicherten Ehemann dem Kläger in Mißhandlungsabsicht zugefügten Körperschaden nach § 1313 a ABGB hafte, zumal sie ihn durch die Aufforderung "Der Ernst ist wieder besoffen, schau einmal nach" auch ausdrücklich mit dieser Sache betraut habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei dem vorliegenden Bewirtungsvertrag erschöpften sich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien nicht mit den für den Vertragstyp wesentlichen Hauptleistungspflichten, so für die Beklagte mit dem vom Kläger in Anspruch genommenen Alkoholausschank. Zu den bei Schuldverhältnissen in der Regel gegebenen Nebenpflichten sind insbesondere die Schutz- und Sorgfaltspflichten zu zählen. Eine Schutztpflicht aus dem Vertrag in Bezug auf die Person und das Vermögen des Partners ist grundsätzlich zu bejahen. Sie beschränkt sich aber auf die Sphäre des rechtsgeschäftlichen Kontaktes und die dort erhöhte Gefährdungsmöglichkeit (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II, 66 ff.; 69 vor FN 373). Der Schuldner soll seine Erfüllungshandlungen so setzen, daß der Gläubiger weder an seiner Person noch an seinen sonstigen Rechtsgütern geschädigt wird. Solche Schutzpflichten werden teils ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen, wie etwa in den Bestimmungen der §§ 1157, 1169 ABGB. Teils müssen sie aber mit den Mitteln der Interpretation abgeleitet werden (vgl. Koziol - Welser, Grundriß[4] I, 157, 158). Eine Haftung der Beklagten aus dem besonderen Gründe der Gastaufnahme nach §§ 970 und 1316 ABGB kann nicht in Betracht gezogen werden, weil sie sich auf Sachschäden beschränkt. Wohl ist aber dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß es zu den Schutzpflichten eines Gastwirtes gehört, einen durch Trunkenheit beeinträchtigten Gast in einer Weise aus dem Lokal zu schaffen, daß dessen körperliche Integrität nicht beeinträchtigt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß diese Art der Beeinträchtigung gerade aus der Erfüllung der Hauptleistung des Alkoholausschankes bewirkt wird, wobei schon nach allgemeiner Lebenserfahrung mit erhöhtem Alkoholkonsum und insbesondere beim Eintritt der Trunkenheit ein uneinsichtiges und häufig aggressives Verhalten gegeben ist, das erhöhte Vorsicht und besonderes Geschick im Umgang mit solchen Gästen erfordert. Dies gerade dann, wenn es wegen der Belästigung der anderen Gäste notwendig wird, Betrunkene in Ausübung des Hausrechtes aus dem Lokal zu entfernen oder entfernen zu lassen. Vom Gastwirt ist daher auch in diesem Zusammenhang die Aufwendung besonderer Sorgfalt und ein entsprechendes geschicktes Verhalten zu verlangen (§ 1299 ABGB).

Wie die Revisionswerberin selbst einräumt, kann nicht angenommen werden, daß die Schutzpflichten des Gastwirtes aus dem Bewirtungsvertrag schon mit der Konsumation des verkauften Getränkes und seiner Bezahlung enden würden. Diese Schutzpflichten dauern vielmehr solange an, als durch das den Bewirtungsvertrag begrundete Naheverhältnis zwischen den Vertragspartnern weiterbesteht. Dabei kann eine Beendigung zufolge kurzzeitiger Unterbrechung schon nicht eintreten, wie sie etwa beim Verlassen des Raumes zum Aufsuchen des WC und dergleichen erfolgt. Gerade im Hinblick auf einen mehr oder minder höhergradigen Alkoholisierungszustand und die daraus erfolgende Beeinträchtigung des Gastes in seiner Fähigkeit zu einem angepaßten und vernunftgemäßen Handeln kann aber auch bei einer gegen seinen Willen erfolgenden Entfernung aus dem Lokal nicht von einer Beendigung des Naheverhältnisses gesprochen werden, wenn er unmittelbar danach versucht, wieder in das Lokal zu gelangen.

Was nun die im vorliegenden Fall strittige Haftung der Beklagten für ihren Ehegatten als Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313a ABGB angelangt, so anerkennen Lehre und Rechtsprechung allgemein, daß auch vorsätzlich unerlaubte Handlungen in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen begangen werden können (Koziol - Welser, Grundriß[4], 349 und die dort in FN 102 angeführte Literatur; SZ 32/153 u. a.). Es wird jedoch hiezu ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung gefordert und davon jene Schädigung ausgeschlossen, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anläßlich) der Erfüllung zugefügt hat und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Greift die unerlaubte Handlung des Gehilfen aber in den Aufgabenbereich, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, dann hat der Schuldner dafür einzustehen.

Dieser Zusammenhang ist anzunehmen, weil bei Kenntnis der Trunkenheit und des belästigenden Verhaltens des Klägers die Aufforderung der Beklagten an ihren Gatten nachzusehen nur so verstanden werden konnte und verstanden worden ist, daß letztlich ein Verlassen des Lokales durch den Kläger bewirkt werden sollte. Nachdem dies schon beim ersten Mal durch den Gatten der Beklagten unter Handanlegung gewaltsam geschehen mußte, waren Tätlichkeiten voraussehbar. Es kann daher auch nicht davon gesprochen werden, daß die Schadensherbeiführung auf einem selbständigen, durch den haftungsbegrundeten Vorgang nicht herausgeforderten Entschluß eines Dritten beruht hätte, in welchem Falle die Auffassung vertreten wird, daß eine Zurechnung des Schadens aus einer Schutzpflichtverletzung des Gehilfen nicht gerechtfertigt wäre (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II, 270). Da ein Gastwirt schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit der Gefahr rechnen muß, daß es bei der gegen den Willen eines betrunkenen Gastes erfolgenden Entfernung aus dem Lokal zu tätlichen Auseinandersetzungen mit allfälligen Verletzungen kommen kann, ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß eine Voraussehbarkeit der Handlungen des Gehilfen und eine daraus abzuleitende Verwirklichung von Gefahren gegeben war, die typischerweise mit der Durchführung der Erfüllung eines Auftrages verbunden war, wie er an den Ehemann der Beklagten von dieser im Zusammenhang mit dem vorliegenden Bewirtungsvertrag erteilt wurde (vgl. Koziol a. a. O., 269). Demzufolge kann der im Zusammenhang mit der Voraussehbarkeit eines Körperangriffes des Erfüllungsgehilfen gerügte Feststellungsmangel nicht wahrgenommen werden.

Die Revisionswerberin vertritt weiters die Auffassung, daß schon durch die erste Lokalverweisung ihr "nachvertragliche" Obsorgepflicht für die Körperintegrität des Klägers erloschen sei bzw. der Kläger durch das eigene von V R mit Lokalverweisung sanktionierte unzuträgliche Verhalten diesen besonderen Rechtsschutz verwirkt habe und daß in der Folge durch das verbotswidrige erneute Betreten des Lokales keine gleichartige "vorvertragliche" Schutzpflicht mehr entstehen konnte. Dem ist zunächst schon entgegenzuhalten, daß der vorliegende Rechtsstreit unter den Gesichtspunkten eines zustandegekommenen Bewirtungsvertrages und den daraus resultierenden Schutzpflichten im Zusammenhang mit der Entfernung des betrunkenen und randalierenden Gastes zu beurteilen ist. Im Hinblick auf die bereits dargelegten Erwägungen zur Frage der Beendigung des damit gegebenen Naheverhältnisses zwischen den Vertragspartnern kann nicht von einer nachvertraglichen bzw. vorvertraglichen Obsorgepflicht gesprochen werden. Die von der Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Schadenersatzpflichten aus der Verletzung vorvertraglicher Schutz- und Aufklärungspflichten können daher im vorliegenden Falle nicht zum Tragen kommen. Insbesondere kann der Auffassung der Revisionswerberin nicht gefolgt werden, daß eine Verwirkung eines Schutzanspruches wegen seines wesentlichen Mitverschuldens bei einer sinngemäßen Anwendung der Grundsätze des § 878 Satz 3 ABGB angenommen werden könnte. Dies schon deshalb nicht, weil es nicht angehen kann, einen im Rahmen der Erbringung der Hauptleistung aus dem Bewirtungsvertrag alkoholisierten und damit in der Ausübung seiner Körper- und Verstandesfunktionen erheblich beeinträchtigten Gast aus den Schutzpflichten des Gastwirtes auszunehmen. Gerade wegen des ihm von seiner Gattin erteilten Auftrages kann auch nicht davon gesprochen werden, daß die tätliche Auseinandersetzung zwischen V R und dem Kläger den Charakter einer Privatfehde gehabt habe, die sie kaum mehr von einer Auseinandersetzung unter Gästen unterschieden habe.

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