Spruch:
Die Aufforderung der Gemeinde, wegen bestehender Anschlußpflicht eine hauseigene Senkgrube außer Betrieb zu setzen und Abwässer in das öffentliche Kanalnetz einzuleiten, ist ein Akt der Hoheitsverwaltung
OGH 12. Dezember 1977, 1 Ob 31/77 (KG Steyr R 116/77; BG Kremsmünster C 13/77 )
Text
Die Klägerin behauptet, als Haftpflichtversicherer der Ernst W Kunststoftverarbeitungsgesellschaft mbH den Eheleuten Ing. Bruno und Hertha L jenen Schaden ersetzt zu haben, der diesen als Eigentümer einer Liegenschaft durch einen Rückstau von Regenwasser aus der im Bau befindlichen Ortskanalisierungsanlage der beklagten Marktgemeinde entstand. Sie begehrt den Rückersatz der Hälfte des an die Geschädigten geleisteten Betrages, weil die Beklagte den Schaden dadurch mitverschuldet habe, daß sie ihre Aufforderung an die betroffenen Anlieger, die hauseigenen Senkgruben und Kläranlagen bis spätestens 30. Juni 1972 außer Betrieb zu setzen und die Abwässer direkt in das neue öffentliche Kanalnetz einzuleiten, trotz Feststellung der einer Abnahme entgegenstehenden Mängel des Baues nicht widerrufen und den Geschädigten sogar ausdrücklich die Zustimmung zum Anschluß an den noch nicht fertigen Kanal erteilt habe.
Das Erstgericht griff von Amts wegen die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges auf und wies nach dem Zugeständnis der Klägerin, daß an die Beklagte keine Aufforderung zur Anerkennung der Klagsforderung gerichtet wurde, die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Da Anschlußzwang geherrscht habe, sei auch die Festsetzung des Zeitpunkts, zu welchem der Anschluß zu erfolgen hatte, eine Angelegenheit der Hoheitsverwaltung der Gemeinde gewesen; auch der Regreßanspruch des klagenden Versicherers unterliege dem Amtshaftungsgesetz und der Aufforderungspflicht nach § 8 dieses Gesetzes.
Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs Folge, hob den angefochtenen Beschluß ersatzlos auf und trug dem Erstgericht nach Rechtskraft der Rekursentscheidung die Fortsetzung des Verfahrens und die Entscheidung in der Sache selbst auf. Die zweite Instanz vertrat die Ansicht, daß der Klagsanspruch den §§ 1302 und 896 ABGB zu unterstellen sei und damit keinen Schadenersatzanspruch, sondern einen Ausgleichsanspruch besonderer Art darstelle, der nicht unter die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes falle. Es könne deshalb unerörtert bleiben, ob die Beklagte im Rahmen der Hoheits- oder der Privatwirtschaftsverwaltung tätig geworden sei.
Über Revisionsrekurs der beklagten Partei stellte der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Erstrichters mit der Maßgabe wieder her, daß sie durch die Nichtigerklärung des Verfahrens ergänzt werde.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Mit Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, daß die beklagte Gemeinde den behaupteten Schaden im Rahmen der Hoheitsverwaltung zugefügt haben müßte. Da nämlich unbestrittenermaßen Anschlußpflicht der geschädigten Anrainer an die neue Kanalisationsanlage bestand (vgl. hiezu auch Neuhofer, Handbuch des Gemeinderechts, 314 FN 54), erfolgte die schon in der Klage behauptete Aufforderung der Gemeinde an die Eheleute L, die hauseigene Senkgrube bis spätestens 30. Juni 1972 außer Betrieb zu setzen und ihre Abwässer direkt in das öffentliche Kanalnetz einzuleiten, im Rahmen jener Befehls- und Zwangsgewalt, die gegenüber anderen Rechtssubjekten das maßgebende Unterscheidungsmerkmal zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung der Körperschaften des öffentlichen Rechtes bildet (JBl. 1970, 152; SZ 45/134 u. a.). Dasselbe gilt für die von der Klägerin behauptete Unterlassung eines Widerrufes dieses Auftrags nach Feststellung der Baumängel. Auch diese Unterlassung fiel in die Hoheitsverwaltung der beklagten Gemeinde.
Nach § 1 Abs. 1 AHG haften unter anderem die Gemeinden nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Der Rechtsträger kann demnach wegen eines Verschuldens seines Organs immer nur im Rahmen der Amtshaftung in Anspruch genommen werden (SZ 43/10; SZ 44/122 u. a.). Die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes können nicht dadurch umgangen werden, daß der Kläger erklärt, seine Schadenersatzansprüche nicht auf diese Sondernormen zu stützen, sondern aus dem bürgerlichen Recht abzuleiten (JBl. 1973, 155). Für die Zulässigkeit des Rechtsweges ist es deshalb entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes gleichgültig, ob nach materiellem Recht ein Schadenersatzanspruch gegen den Rechtsträger besteht. Auch ein nicht gerechtfertigter Anspruch kann ohne Einhaltung der Amtshaftungsvorschriften nicht im Rechtsweg erhoben werden, wenn als einzige Anspruchsgrundlage für die Haftung der Gebietskörperschaft ein Organverschulden im Sinne des § 1 AHG in Betracht kommt. Nur ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch kann anders beurteilt werden (vgl. SZ 43/10).
Da im vorliegenden Fall als Rechtstitel des Klagsanspruches nur ein Verschulden von Organen der beklagten Gemeinde in Betracht kommt, hat das Erstgericht mangels Einhaltung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes mit Recht auf Unzulässigkeit des Rechtsweges erkannt (SZ 44/122 u. v. a.), gleichgültig, ob den erhobenen Ansprüchen Berechtigung zukommen kann.
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