Spruch:
Ist das Erstgericht gemäß § 425 Abs. 2 ZPO an seinen Beschluß (hier: Zurückweisung der Unzuständigkeitseinrede) gebunden, so kann dieser innerhalb dieses Rechtsstreites weder von Amts wegen noch auf Antrag abgeändert werden, solange der zugrundeliegende rechtserzeugende Sachverhalt sich nicht in einer Weise geändert hat, die kraft positiver gesetzlicher Vorschrift eine neue Beschlußfassung zuläßt
OGH 6. Oktober 1977, 6 Ob 643/77 (OLG Graz 2 R 12/77; LGZ Graz 25 Cg 19/76)
Text
Die Klägerin begehrte vom Beklagten in der bereits am 21. Mai 1971 überreichten Klage nach mehreren Klagsausdehnungen zuletzt den Betrag von 84 600.46 S samt Nebengebühren. Sie habe diese Beträge an die Vermieter der vom Beklagten gemieteten Büroräume bezahlen müssen, weil sie diesen gegenüber die Haftung für die Mietzinsverpflichtungen des Beklagten übernommen und der Beklagte die Mietzinse in der eingeklagten Höhe nicht bezahlt habe.
Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und erhob neben einer Reihe von materiellen Einwendungen in der Tagsatzung vom 24. Mai 1973 die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Landesgerichts für ZRS Graz. Er brachte vor, daß es sich bei dem Beschäftigungsverhältnis des Beklagten bei der Klägerin offensichtlich um ein dienstnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe, da der Beklagte gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin weisungsgebunden gewesen sei. Zur Entscheidung sei daher das Arbeitsgericht Graz zuständig. Die Klägerin bestritt das Vorliegen eines dienstnehmerähnlichen Verhältnisses. Der Beklagte sei selbständiger Vermögensberater mit einer eigenen Gewerbeberechtigung gewesen und in keinem Vertragsverhältnis zur Klägerin gestanden.
Mit Beschluß vom 5. Juni 1975, ON 35, wies das Erstgericht die vom Beklagten erhobene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit ab. Der Beschluß, welcher ohne vorherigen Einschränkung der Verhandlung auf die Unzuständigkeitseinrede ergangen war, wurde in der Tagsatzung mündlich verkundet, den Parteien über Antrag schriftlich zugestellt und die Tagsatzung hierauf auf unbestimmte Zeit erstreckt. Das Erstgericht führte aus, zwischen den Streitteilen habe nie ein Beschäftigungsverhältnis bestanden. Der Geschäftsführer der Klägerin habe lediglich die von der IOS Genf herausgegebenen Richtlinien an die Anlageberater weitergegeben, jedoch dem Beklagten keine gesonderten Weisungen erteilt. Der Beklagte sei auch keineswegs ausschließlich für die IOS, sondern auch für die Allgemeine Wirtschaftsbank tätig gewesen. Es liege daher kein arbeitnehmerähnliches Verhältnis vor.
Mit Beschluß vom 11. Juli 1975 wies das Rekursgericht den dagegen vom Beklagten erhobenen Rekurs als unzulässig zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, die Entscheidung sei, da über die Unzuständigkeitseinrede nicht abgesondert verhandelt wurde, nicht gesondert auszufertigen, sondern in die Entscheidung über die Hauptsache aufzunehmen gewesen. Auch wenn eine abgesonderte Ausfertigung tatsächlich erfolgt sei, könne die Entscheidung dennoch nicht mit einem abgesonderten Rechtsmittel bekämpft werden. Diese Rekursentscheidung wurde rechtskräftig.
In der Folge trat im Verfahren vor dem Erstgericht Richterwechsel ein, worauf der Beklagte in der Tagsatzung vom 25. November 1975 "wegen der Neudurchführung der Verhandlung neuerlich die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes einwendete", wobei er sich auf sein bisheriges Vorbringen und auf die vorgelegten Urkunden berief.
Mit Beschluß vom 27. Dezember 1976 erklärte das Erstgericht das bisher in der Hauptsache durchgeführte Verfahren für nichtig und wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit des Gerichtes zurück. Es vertrat die Ansicht, daß es an den Beschluß vom 5. Juni 1975 nicht gebunden sei, weil nach Aufnahme weiterer Beweise eine wesentliche Sachverhaltserweiterung bzw. Änderung eingetreten sei. Darüber hinaus handle es sich um die Frage einer unheilbaren Unzuständigkeit, welche in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen sei. Auf Grundseiner getroffenen Feststellung gelangte das Erstgericht zu dem Schluß, daß der Beklagte zwar mit der Klägerin in keinem direkten Vertragsverhältnis gestanden sei. Die Klägerin sei jedoch wirtschaftlich gesehen eine Tochtergesellschaft bzw. Zweigniederlassung der IOS Ltd. Genf und von dieser finanziell völlig abhängig. Die IOS Ltd. Genf wiederum sei eine Zweigniederlassung der IOS Ltd. Bahamas, der Vertragspartnerin des Beklagten im Vertrag vom 1. April 1968 gewesen. Der Beklagte habe als Mitglied der IOS Verkaufsorganisation ab Herbst 1968 österreichische IOS-Büros geleitet. Wenn die Klägerin für die Kosten dieser Büros teilweise aufgekommen sei, so habe sie dazu - gleichgültig, ob sie selbst Mieterin gewesen sei oder nur die Haftung für die Mietzinse übernommen habe - jedenfalls Mittel verwendet, welche von der IOS Ltd. Genf zur Verfügung gestellt wurden und damit letzten Endes im Interesse des arbeitgeberähnlichen Vertragspartners des Beklagten gehandelt.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge, "behob den angefochtenen Beschluß in dessen Abänderung" und trug dem Erstgericht auf, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund das gesetzmäßige Verfahren fortzusetzen. Es vertrat die Ansicht, das Erstgericht sei gemäß § 425 Abs. 2 ZPO an den Beschluß vom 5. Juni 1975 so lange gebunden, als dieser nicht im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wurde oder eine Änderung des rechtserzeugenden Sachverhaltes in der Weise eintrete, die kraft positiver gesetzlicher Vorschrift eine neue Beschlußfassung zulasse. Die bestehende Bindung nach § 425 Abs. 2 ZPO stelle sich als eine noch bindende Entscheidung desselben Gerichtes im Sinn des § 42 Abs. 1 JN dar und verhindere damit die nochmalige Wahrnehmung eines allenfalls bestehenden Nichtigkeitsgrundes. Eine nachträgliche Änderung des Sachverhaltes liege nicht vor. Der Beklagte habe diesbezüglich nichts behauptet, und auch das Beweisverfahren habe keine solchen Tatsachen aufgezeigt, die nicht im wesentlichen bereits der Entscheidung vom 5. Juni 1975 zugrundegelegen seien. Die Entscheidung sei aber auch materiell nicht richtig, da die wirtschaftliche Verflechtung der Klägerin mit dem Vertragspartner, des Beklagten nicht genüge, um dessen arbeitnehmerähnliche Stellung auch gegenüber der Klägerin zu begrunden. Es fehle daher an den Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist zwar zulässig, da es sich bei dem Beschluß des Rekursgerichtes inhaltlich um eine abändernde Entscheidung handelt, jedoch nicht gerechtfertigt.
Es ist davon auszugehen, daß der Beschluß des Rekursgerichtes vom 11. Juli 1975, womit es die Möglichkeit eines abgesonderten Rekurses gegen den Beschluß des Erstgerichtes verneinte, in Rechtskraft erwachsen ist. Damit ist in einer den OGH bindenden Weise ausgesprochen, daß eine Überprüfung der die Zuständigkeit des Erstgerichtes bejahenden Entscheidung erst im Zuge des Rechtsmittelverfahrens in der Hauptsache erfolgen kann. Wenngleich der Beschluß formell noch nicht rechtskräftig ist, war das Erstgericht gemäß § 425 Abs. 2 ZPO an ihn gebunden, da es sich dabei um einen Beschluß nicht prozeßleitender Natur handelte. Dieser Beschluß konnte daher innerhalb dieses Rechtsstreites weder von Amts wegen noch auf Antrag abgeändert werden, solange der zugrundliegende rechtserzeugende Sachverhalt sich nicht in einer Weise geändert hat, die kraft positiver gesetzlicher Vorschrift eine neue Beschlußfassung zuließ (Fasching III, 823). Hiebei muß es sich jedoch, solange der Beschluß aufrecht ist und nicht etwa vom Rechtsmittelgericht aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, um Tatsachen handeln, welche nach der erfolgten Entscheidung eingetreten sind und nicht nur um eine auf Grund weiterer Beweisaufnahmen erfolgte Änderung oder Erweiterung der Feststellungen über einen bereits vor der Beschlußfassung vorliegenden Tatbestand. So sagt auch Fasching I, 272 zur Frage der bindenden Entscheidung nach § 42 Abs. 3 JN, daß ebensowenig wie die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung nachfolgenden Tatbestandsänderungen standhalte, dies die bindende Wirkung nach § 42 Abs. 3 JN vermöge (ähnlich 7 Ob 178/75). Andernfalls könnte eine Partei auch nach einer rechtskräftigen Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede diese Frage im Zuge eines Prozesses durch neues Vorbringen und neue Beweisanträge immer wieder aufrollen. Selbst wenn man daher annehmen wollte, der Entscheidung des Erstgerichtes vom 27. Dezember 1976 liege ein durch die neuen Beweisergebnisse geänderter Sachverhalt zugrunde, so durfte das Erstgericht diese Änderung doch nicht berücksichtigen, weil es sich durchwegs um Tatsachen handelt, welche bereits lange vor der Entscheidung vom 5. Juni 1975 eingetreten waren. Daran ändert auch die durch den Richterwechsel notwendig gewordene Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 412 (2) ZPO nichts. Denn diese Vorschrift soll die Unmittelbarkeit des Verfahrens gewährleisten und dient keineswegs dazu, in dieser Instanz bereits zurückgewiesene Einwendungen (wie hier die Unzuständigkeitseinrede) neuerlich möglich zu machen (vgl. SZ 35/89; Fasching III, 783).
Das Rekursgericht hat daher mit Recht den angefochtenen Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptsache aufgetragen.
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