OGH 3Ob553/77

OGH3Ob553/7721.6.1977

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Winkelmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Kinzel, Dr. Reithofer, Dr. Stix und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien L* und M* F*, Landwirtsehegatten in *, beide vertreten durch DDr. Gunter Peyrl, Rechtsanwalt in Freistadt, wider die beklagten Parteien 1.) H* J*, Landwirt in *, 2.) und 3.) F* und O* J*, Landwirtsehegatten in *, 4.) und 5.) A* und A* F*, Landwirtsehegatten in *, 6.) und 7.) L* und P* J*, Landwirtsehegatten in *, sämtliche vertreten durch Dr. Wilfried Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, wegen Feststellung des Nichtbestandes einer Dienstbarkeit und Unterlassung (Streitwert S 12.000,--), infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14. 1. 1977, GZ 14 R 85/76‑22, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 10. 9. 1976, GZ C 300/74‑15, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0030OB00553.77.0621.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln

 

Begründung:

Unbestritten ist folgender Sachverhalt:

Die Kläger sind seit 1953 (Einverleibung des Eigentumsrechtes des Erstklägers zu TZ 648/53) bzw 1954 (Zweitklägerin zu TZ 1112/54) je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, zu deren Gutsbestand auch das Grundstück Nr * Parifikat Feldweg gehört. Zur Zeit ihres Eigentumserwerbes stand die Liegenschaft EZ * KG *, zu deren Gutsbestand damals auch die nunmehrigen Grundstücke Nr */1, */4, */5 und */6 gehörten, im Eigentum von L* und A* S*. Diese übertrugen die Liegenschaft EZ * KG * mit Übergabsvertrag vom 25. 3. 1958 an L* J*, geboren 1899. Von ihm erwarben in den Jahren 1972/73 der Erstbeklagte unter anderem das Grundstück Nr */1, die Zweit- und Drittbeklagten je zur Hälfte das Grundstück Nr */4, die Viert- und Fünftbeklagten je zur Hälfte das Grundstück Nr */5 und die Sechst- und Siebentbeklagten je zur Hälfte das Grundstück Nr */6 (je KG *).

Im Grundbuch war 1953/54 und ist auch seither kein bücherliches Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück Nr 2666 einverleibt, allerdings ist aus der Natur ersichtlich, daß jedenfalls ein Teil dieser Parzelle („Feldweg“) die Wegeverbindung zwischen dem Ort * und den nördlich davon gelegenen Grundstücken Nr */1, */4, */3 und */6 KG * darstellt.

Die im wesentlichen von Süden nach Norden verlaufende Parzelle Nr * Feldweg schwenkt am Südrand des Grundstückes Nr * KG * scharf in west‑östliche Richtung und an der Südostecke dieses Grundstückes wiederum ebenso markant nach Norden, sie führt sodann unter anderem an der nördlichen Ecke des Grundstückes Nr * KG * vorbei.

Die Kläger begehrten das Urteil, daß hinsichtlich des zwischen der südöstlichen Ecke des Grundstücks Nr * und der nördlichen Ecke des Grundstückes Nr * KG * gelegenen Teilstückes der Wegeparzelle Nr * keine Dienstbarkeit des Wegerechtes zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * sowie der Waldgrundstücke Nr */4, */5 und */6 dieser Katastralgemeinde bestehe sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Unterlassung aller Handlungen, welche sich als Ausübung einer solchen Dienstbarkeit darstellen.

Sie brachten zusätzlich zum eingangs geschilderten Sachverhalt (unter anderem) vor, beim Erwerb der Liegenschaft EZ * KG * im Jahre 1953 bzw 1954 sei in dem im Urteilsbegehren angeführten Teilbereich des Grundstücks Nr * auf dem zur Liegenschaft EZ * KG * gehörenden Grundstück Nr * in gerader Fortsetzung des Grundstückes Nr * ein vom Rechtsvorgänger der Beklagten S* zu Beginn des zweiten Weltkrieges errichteter Weg – also ein auf der Liegenschaft EZ * für die Grundstücke dieser Liegenschaft errichteter eigener Weg – vorhanden gewesen; dieser überdies zum Befahren weit besser geeignete Weg habe erst nördlich des Grundstückes Nr * KG * wieder in die Wegparzelle Nr * eingemündet; für die Kläger sei daher zwar offenkundig gewesen, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten als Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG * den Feldweg Nr * dazu benützten, um den beschriebenen eigenen Weg über die Parzelle Nr * zu erreichen, hingegen sei eine Dienstbarkeit auf dem den Gegenstand des Klagebegehrens bildenden Teilstück damals von den Rechtsvorgängern der Beklagten weder tatsächlich ausgeübt worden noch offenkundig gewesen, die Kläger hätten daher die Liegenschaft EZ * KG * im guten Glauben auf die Lastenfreiheit des diesbezüglichen Wegstückes erworben. Die Kläger hätten erst im Herbst 1973 festgestellt, daß die Beklagten auch dieses Teilstück benützten, die Beklagten hätten mit Schreiben vom 7. 5. 1974 ausdrücklich das Bestehen einer Dienstbarkeit auch auf diesem Wegstück behauptet, weshalb die Kläger zur Klage genötigt seien.

Die Beklagten beantragten Klageabweisung, im wesentlichen mit der Begründung, den Klägern sei bei Übernahme der Liegenschaft EZ * KG * die weitere ständige Benützung auch des strittigen Teilstückes durch den Rechtsvorgänger der Beklagten L* S* bekannt gewesen, die Dienstbarkeit sei nach der Natur und der Grundbuchsmappe als offenkundig anzusehen, außerdem habe „der Kläger“ – gemeint offenbar der Erstkläger – dem Zweitbeklagten gegenüber ausdrücklich erklärt, daß ein Wegerecht in Ansehung der gesamten Ausdehnung der Wegparzelle Nr * bestehe, die Kläger hätten das Fortbestehen einer diesbezüglichen Dienstbarkeit auch durch ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Abstellen einer Reisighackmaschine zum Ausdruck gebracht; schließlich seien die Beklagten auch zufolge Ersitzung zur Benützung „des Hausweges Nr *“ berechtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Nach den vom Erstgericht zusätzlich zum eingangs geschilderten Sachverhalt getroffenen wesentlichen Feststellungen stellten die Kläger bei Übernahme der Liegenschaft EZ * KG * im Jahr 1953 bzw 1954 fest, daß der Weg Nr * von den damaligen Eigentümern der Liegenschaft EZ * bis zu jenem Punkt befahren wurde, an welchem dieser Weg von der Nord-Süd-Richtung in Ost‑West‑Richtung umschwenkt, sowie daß ab diesem Punkt in gerader Fortsetzung, also weiter in Richtung Norden, ein spätestens 1942 fertiggestellter Weg („eigener Weg“) über das Grundstück Nr * (zu EZ * KG * gehörig) parallel zur Wegparzelle Nr * verläuft, sodann auf dem nördlich vom Grundstück Nr * gelegenen Grundstück Nr * (gleichfalls zur EZ * KG * gehörend) in Ost-West-Richtung schwenkt und zwischen den Parzellen Nr * (der EZ * KG *) und Nr * (der EZ * KG *) in die Wegparzelle Nr * einmündet.

Im Jahr 1965 wurde diese west-östliche Verbindung auf dem Grundstück Nr 1195 umgeackert, doch fuhr der Vorbesitzer der Beklagten danach in gerader Fortsetzung des neuen Weges (also wiederum über seinen eigenen Grund) zu seinen Grundstücken.

Die Vorbesitzer der Beklagten haben allerdings den „alten Weg“ (also das strittige Teilstück der Wegparzelle Nr *), wenn auch in eingeschränktem Umfang, auch nach Errichtung des „neuen Weges“ benützt. Dieser war angelegt worden, weil der alte Weg schmal und schlecht befahrbar war, der neue Weg wurde deshalb von den Vorbesitzern der Beklagten vorwiegend benützt. Der alte Weg wurde hingegen (im strittigen Teilstück) talwärts vor allem bei schweren Fuhren benützt, weil dort die Trassenführung flacher und daher ein Einbremsen leichter war. L* S* hatte (vermutlich anläßlich der Übergabe im Jahr 1958) dem L* J* (geboren 1899) gegenüber erklärt, er solle den alten Weg befahren, damit er „nicht verfällt“. L* S* verwies auch während seiner Besitzzeit darauf, daß er deshalb den alten Weg weiter benütze.

Bei diesem Sachverhalt vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Kläger könnten sich auf unverschuldete Unkenntnis nicht berufen, da im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft EZ * KG * für sie zwei Wegtrassen ersichtlich gewesen seien und der damals neue Weg wieder in den alten Weg eingemündet sei, es sei also auch der alte, in der Natur vorhandene Weg als „offenkundige Anlage“ anzusehen, deren Vorhandensein den guten Glauben der Kläger ausschließe.

Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte nach Darstellung der Rechtslage aus, nach dem Klagsvorbringen könne davon ausgegangen werden, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten vor dem Jahr 1942 auch hinsichtlich des streitgegenständlichen Wegabschnittes eine Dienstbarkeit ersessen hätten, es sei daher mit Rücksicht auf das Vorhandensein des im Jahre 1942 errichteten Weges und auf Grund des festgestellten weiteren Befahrens des strittigen Wegabschnittes durch den Rechtsvorgänger der Beklagten L* S* auch nach 1942 allein entscheidungswesentlich, ob die Kläger im Zeitpunkt des Erwerbes der Liegenschaft EZ * KG * von dieser weiteren Ausübung des seinerzeit bestandenen geh- und Fahrtrechtes Kenntnis hatten oder bei gehöriger Aufmerksamkeit haben konnten. Bei Bejahung dieser Frage müßten die Kläger dieses Fahrtrecht trotz bücherlicher Lastenfreiheit der erworbenen Liegenschaft gegen sich gelten lassen, bei deren Verneinung sei infolge des in diesem Fall erst ab 1953/54 beginnenden Laufes der Ersitzungszeit das Klagebegehren gerechtfertigt.

Die Auffassung des Erstgerichtes, daß bereits das

Vorhandensein auch des alten Weges neben dem neuen Weg eine Gutgläubigkeit der Kläger beim Liegenschaftserwerb ausschließe, sei nämlich „zu streng“, also in dieser allgemeinen Form abzulehnen, vielmehr hätte den Klägern bloß wegen des Nebeneinanderbestehens von zwei Wegen in einem bestimmten Streckenabschnitt, von denen der eine auf dem Grund der Rechtsvorgänger der Beklagten lag, nicht der Verdacht aufkommen müssen, daß von diesen auch über den von ihnen mit der Liegenschaft erworbenen Wegabschnitt ein Fahrtrecht ausgeübt werde. Die Frage des gutgläubigen Erwerbs im Vertrauen auf das Grundbuch sei jedoch auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen, dabei könne für die von den Beklagten zu beweisende Schlechtgläubigkeit der Kläger bedeutsam sein, ob in den Jahren 1953/54 deutlich sichtbare, auf die weitere Rechtsausübung durch die Rechtsvorgänger der Beklagten hinweisende Fahrspuren wahrnehmbar waren, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten im strittigen Wegabschnitt auf beiden Seiten Grundstücke besessen hätten (in diesem Sinn sind die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verstehen, sofern sie sich auf die anderen Teile des Weges Nr * beziehen sollten, wäre ihnen nicht beizutreten), ob die Bewirtschaftung der damals zur EZ * KG * gehörenden Grundstücke („soweit die Örtlichkeit von den Klägern von ihren Grundstücken aus einzusehen war“) nur vom strittigen Wegabschnitt her möglich erschien (auch hier gilt die vorerwähnte Einschränkung) und insbesondere ob beiden Klägern bekannt war, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten den strittigen Wegabschnitt trotz Vorhandensein des eigenen Weges weiterhin benützen. Die Rechtssache sei daher noch nicht spruchreif.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der gemäß § 519 Z 3 ZPO zulässige Rekurs der Beklagten, doch kommt ihrem Rechtsmittel keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Dem Berufungsgericht ist zunächst darin beizupflichten, daß der rechtsgeschäftliche Erwerber einer Liegenschaft ein im Zeitpunkt des Erwerbes zwar ersessenes, aber nicht verbüchertes Wegerecht nicht gegen sich gelten lassen muß, falls er die Ausübung der Dienstbarkeit weder kannte noch kennen mußte, die Liegenschaft also im „Vertrauen auf das Grundbuch“ lastenfrei erworben hat (§ 1500 ABGB, vgl. SZ 28/64, 28/256, 36/92, 47/29, RZ 1962, 83 ua), sowie daß in einem derartigen Fall nicht der Liegenschaftserwerber seine Gutgläubigkeit, sondern vielmehr der Gegner die Schlechtgläubigkeit des Erwerbes zu beweisen hat (ebenso Klang in Klang2 II, 348 ua). Mit Recht bezeichnete das Berufungsgericht ferner die vom Erstgericht vertretene Auffassung als unrichtig, daß das Vorhandensein zweier Wege für sich allein bereits zur Annahme der Schlechtgläubigkeit der Kläger beim Liegenschaftserwerb ausreiche. Falls nämlich, wie hier festgestellt, in einem bestimmten Streckenabschnitt zwei parallel laufende Wege vorhanden sind, von denen einer (sogar der besser befahrbare) auf dem Eigengrund des Nachbarn verläuft und der andere sich auf dem Grund des Erwerbers befindet, so ist der Erwerber grundsätzlich zum Schluß berechtigt, daß in einem derartigen Fall eben jeder Eigentümer auf seinem eigenen Grund fährt und daher kein Recht zum Befahren des auf fremdem Grund gelegenen Grundes besteht.

Wenn das Berufungsgericht, ausgehend von dieser zu billigenden Auffassung, den Sachverhalt als noch nicht genügend geklärt ansah, so kann der Oberste Gerichtshof dieser Auffassung schon deshalb nicht entgegentreten, weil er nicht Tatsacheninstanz ist (ebenso SZ 43/167, 46/34 u.v.a.). Es sei daher lediglich darauf hingewiesen, daß einige vom Berufungsgericht als klärungsbedürftig angesehene tatsächliche Umstände von den (nach den vorstehenden Ausführungen beweispflichtigen) Beklagten nicht einmal behauptet wurden, es wird daher hinsichtlich dieser Umstände vom Erstgericht gemäß § 182 ZPO auf entsprechende Prozeßbehauptungen der Beklagten zu dringen sein (hinsichtlich einiger Punkte, etwa betreffend die Behauptung, daß den Klägern die weitere Benützung des „alten Weges“ durch die Rechtsvorgänger der Beklagten bekannt war, liegen Prozeßbehauptungen bereits vor).

Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht inhaltlich zum Ausdruck gebrachte und zutreffende Ansicht, daß der im Zeitpunkt des Erwerbes (bis zum Ansuchen um bücherliche Einverleibung, vgl. hiezu SZ 28/256, 47/29, RZ 1968, 178 ua) gutgläubige Erwerber den Schutz des § 1500 ABGB verliert, falls er trotz späterer Kenntnis der Diskrepanz zwischen Grundbuchsstand und tatsächlichem Sachverhalt die weitere Ausübung der Dienstbarkeit in einer Weise duldet, daß auf deren Anerkennung geschlossen werden muß (vgl. hiezu SZ 28/256, landw. Betrieb 1968, 183 ua), werden zusätzlich auch zu den diesbezüglichen Prozeßbehauptungen der Beklagten Feststellungen zu treffen sein.

Demzufolge sah das Berufungsgericht die gegenständige Rechtssache zutreffend als noch nicht spruchreif an.

Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO, weil das Rechtsmittel zu einer weiteren Klärung der Rechtslage (Beweisaufnahmen auch über das Verhalten der Kläger nach dem Liegenschaftserwerb) führte.

 

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